Leitsatz (amtlich)
Trifft eine gesetzliche Krankenkasse mit einzelnen Taxiunternehmen für Krankentransporte Vergütungsvereinbarungen, die sich ausschließlich auf das nicht tarifgebundene Fahrgebiet beziehen, dann liegt in der undifferenzierten, auch das zu behördlich festgelegten Preisen zu bedienende Pflichtfahrgebiet einschließenden Aufforderung an die in ihrem Bezirk niedergelassenen Ärzte, Patienten bei der Verordnung von Krankentransporten vorrangig an die genannten Taxiunternehmen zu verweisen, ein unzulässiger Boykottaufruf zum Nachteil der an der Vereinbarung nicht teilnehmenden Personenbeförderungsunternehmen.
Normenkette
GWB § 21 Abs. 1 F: 26. August 1998, § 26 Abs. 1 F: 26. April 1980
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Aktenzeichen 7 U (HS) 77/97) |
LG Magdeburg (Aktenzeichen 36 O 37/96) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 16. Oktober 1997 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Magdeburg vom 14. Februar 1997 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger betreibt ein Taxiunternehmen in At., Landkreis A. in Sa.. Die Geschäftsstelle S. der beklagten AOK schloß im März 1996 mit den im Landkreis A. ansässigen Taxiunternehmern G., K., St. und Gl. gleichlautende Vereinbarungen über die Durchführung von „sitzendem Krankentransport” der bei ihr versicherten Personen. Der Kläger, der an den vorausgegangenen Verhandlungen beteiligt war, zeigte sich am Abschluß einer gleichlautenden Vereinbarung nicht interessiert, da die Beklagte sich nicht bereit fand, ihm eine gleichmäßige Auslastung seines Fahrzeugs zuzusichern. Die Vereinbarung (künftig: Transportvereinbarung) lautet auszugsweise:
§ 4 Preise
(1) Krankenfahrten:
Innerhalb des Tarifgebietes (Pflichtfahrgebiet) Landkreis A. wird eine Pauschale in Höhe von –––––-DM/Einsatz vereinbart.
(2) Außerhalb des Tariffahrgebietes/Pflichtfahrgebietes gelten folgende Preise:
Vereinbarter Preis/Besetztkilometer mit einer Person 1,80 DM.
Vereinbarter Preis/Besetztkilometer für die zweite und jede weitere Person ––––––DM.
Vereinbarter Preis/Leerkilometer ––––––––DM.
(3) Krankentransportfahrten über 150 Entfernungskilometer sind von der jeweiligen Geschäftsstelle zu genehmigen.
Hier wird ein Preis von 1,60 DM/Kilometer vereinbart.
§ 5 Rechnungslegung
(1) Die Leistungserbringer rechnen grundsätzlich monatlich mit der Krankenkasse ab. Jede Leistung ist als Einzelleistung entsprechend der Anlage 1 abzurechnen. Der Rechnung ist die vertragsärztliche Verordnung beizufügen.
Für den Landkreis A. besteht eine aufgrund der § 47 Abs. 3, § 51 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz erlassene Verordnung zur Regelung des Taxenverkehrs (Taxiverordnung) vom 19. Januar 1995, die unter anderem folgendes bestimmt:
§ 7 Pflichtfahrgebiet
(1) Pflichtfahrgebiet im Sinne von § 47 Abs. 4 PBefG ist das Gebiet des Landkreises A. .
(2) …
§ 8 Beförderungsentgelt
(1) Der Fahrpreis setzt sich zusammen aus dem Grundpreis, dem Entgelt für die Fahrleistung, Wartegeldern und Zuschlägen ohne Rücksicht auf die Anzahl der zu befördernden Personen. Die Höhe der Beförderungsentgelte ist in der Anlage 1 enthalten.
(2) Für Fahrten, die außerhalb des Pflichtfahrgebietes beginnen oder enden, kann der Fahrpreis frei vereinbart werden. Der Fahrgast ist vor Beginn der Fahrt darauf hinzuweisen. Kommt keine Einigung zustande, gelten die im Pflichtfahrgebiet gültigen Tarife.
(3) …
(4) Von den festgesetzten Beförderungsentgelten abweichende Sondervereinbarungen können nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde getroffen werden.
Der in einer Anlage hierzu geregelte Taxen-Tarif sieht eine Grundgebühr von 3 DM, eine Kilometergebühr von 1,80 DM, ein Wartezeitentgelt von 21 DM pro Stunde und ein Anfahrgeld von 3 DM vor.
Ende Mai 1996 richtete die Beklagte das nachfolgend wiedergegebene Schreiben an die niedergelassenen Ärzte im Landkreis A. :
„Krankentransportfahrten mit Taxi- oder Mietwagen
Sehr geehrte …
wir möchten Sie davon in Kenntnis setzen, daß die AOK, Geschäftsstelle S., mit folgenden Taxi- und Mietwagenunternehmen Vereinbarungen abgeschlossen hat:
Bei der Verordnung von Krankentransporten mit Taxi- und Mietwagen bitten wir Sie, Ihre Patienten vorrangig an die obengenannten Unternehmen zu verweisen.
Mit freundlichen Grüßen”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe durch den Abschluß der Transportvereinbarung mit den vier genannten Taxiunternehmen ein untertarifliches Entgelt vereinbart. Hierdurch und durch das Rundschreiben an die niedergelassenen Ärzte habe die Beklagte ihren Vertragspartnern durch Rechtsbruch einen Vorteil im Wettbewerb verschafft. Er hat – bezogen auf den Landkreis A. – die Beklagte deshalb auf Unterlassung der Versendung des Rundschreibens sowie auf Auskunft in Anspruch genommen und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht begehrt.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt:
Aus § 1 UWG ergebe sich kein Anspruch des Klägers auf Unterlassung der Versendung des von ihm beanstandeten Rundschreibens an die niedergelassenen Ärzte im Landkreis A.. Mit der Versendung dieses Schreibens sei die Beklagte zwar im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs tätig geworden. Es verstoße aber nicht gegen die guten Sitten im geschäftlichen Verkehr, wenn die Beklagte auf den Abschluß von Vereinbarungen mit bestimmten Taxiunternehmen hinweise und um deren vorrangige Beauftragung bitte, solange für den Empfänger des Schreibens klar sei, daß auf Wunsch der versicherten Patienten auch andere Taxiunternehmer mit deren Transport beauftragt werden könnten. Dem trage das Rundschreiben der Beklagten Rechnung, denn darin werde nur um die vorrangige Verweisung der Patienten an die genannten Taxiunternehmen gebeten. Daß ein entgegenstehender Wille des Patienten berücksichtigt werden könne, komme damit für den Kreis der Empfänger hinreichend klar zum Ausdruck, denn den niedergelassenen Ärzten müßten die sie betreffenden Rechtsfragen aus dem Sozialrecht bekannt sein. Für die Empfehlung der vorrangigen Beauftragung der Vertragsunternehmen der Beklagten spreche auch das erleichterte Abrechnungssystem nach § 5 Abs. 1 der Transportvereinbarung, das gleichermaßen der Beklagten wie den Patienten zugute komme. Die Beklagte habe aufgrund der monatlichen Abrechnung eine geringere Anzahl von Erstattungsanträgen zu bearbeiten, was zu einer Verschlankung ihres Verwaltungsapparates führe. Der Patient müsse nur noch seinen Eigenanteil an den Transportkosten bezahlen und darüber hinaus weder in Vorleistung treten noch sich um Kostenerstattung kümmern.
Das Schreiben der Beklagten sei auch keine unlautere boykottähnliche Maßnahme. Dem Kläger stehe es frei, mit der Beklagten eine gleichlautende Transportvereinbarung abzuschließen. Wenn der Kläger dies aus wirtschaftlichen Erwägungen ablehne, sei die Bevorzugung seiner Konkurrenten lediglich Folge des Leistungswettbewerbs.
Die Transportvereinbarung verstoße schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbswidrigkeit durch Rechtsbruch gegen die guten Sitten im geschäftlichen Verkehr im Sinne des § 1 UWG. Ein Verstoß gegen den Wortlaut des § 8 der Taxiverordnung des Landkreises A. sei nicht gegeben, da diese Bestimmung zwingende Tarife nur für Fahrten im Pflichtfahrgebiet vorsehe und die Transportvereinbarung in § 4 Abs. 1 hiervon nicht abweiche. Allerdings liege es nahe, daß die Vertragsunternehmen der Beklagten ihre Angebote für Fahrten außerhalb des Pflichtfahrgebietes in der Erwartung kalkuliert hätten, aufgrund entsprechender Mitteilung der Beklagten an die niedergelassenen Ärzte vermehrt mit Fahrten innerhalb des Pflichtfahrgebietes beauftragt zu werden. Es sei daher zu vermuten, daß der für Fahrten außerhalb des Pflichtfahrgebietes gebotene Preis unwirtschaftlich wäre, wenn die betreffenden Taxiunternehmen nur für solche Fahrten herangezogen würden. Daraus folge, daß ein Teil der Einnahmen aus den Fahrten im Pflichtfahrgebiet für die Subventionierung der Fahrten außerhalb desselben benötigt werde, so daß kalkulatorisch auf Veranlassung der Beklagten unter Tarif gefahren werde. Wenn darin ein Rechtsbruch läge und die Beklagte sich diesen zunutze machen würde, verstieße die Versendung der Rundschreiben an die niedergelassenen Ärzte gegen die guten Sitten im geschäftlichen Verkehr. Das Vorgehen der Beklagten sei jedoch dadurch gerechtfertigt, daß sie sich nach § 133 Abs. 1 Satz 5, Abs. 3, § 12 SGB V zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen den Wettbewerb auf dem relevanten Markt der Krankentransportleistungen zunutze machen solle. Die Beklagte dürfe daher aufgrund unbeeinflußter Angebote entsprechende Vereinbarungen schließen, soweit darin kein unmittelbarer Verstoß gegen das Tarifrecht liege.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.
1. Keine Bedenken bestehen gegen die Zulässigkeit der Klage. Insbesondere fehlt es nicht an der erforderlichen Bestimmtheit des mit der Klage unter anderem verfolgten Unterlassungsantrags. Mit diesem Antrag hat der Kläger erkennbar an die konkrete Verletzungsform angeknüpft und diese zum Gegenstand seines Unterlassungsbegehrens gemacht. Ob dies auch insoweit angenommen werden kann, als der Kläger in erster Instanz beantragt hatte, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Rundschreiben des beanstandeten Inhalts „an Dritte” zu versenden, bedarf keiner Entscheidung. Das Landgericht hat dem Unterlassungsbegehren nur in eingeschränktem Umfang entsprochen; es hat der Beklagten die Versendung des beanstandeten Rundschreibens nur „an Ärzte” untersagt und die weitergehende Klage abgewiesen. Der Kläger hat die Teilabweisung der Klage nicht angegriffen, im zweiten Rechtszug vielmehr nur die Zurückweisung der Berufung der Beklagten beantragt und dadurch das Unterlassungsbegehren nur noch in dem eingeschränkten Umfang der erstinstanzlichen Verurteilung der Beklagten weiterverfolgt.
2. Die an die niedergelassenen Ärzte im Landkreis A. gerichtete Bitte der Beklagten, bei der Verordnung von Krankentransporten mit Taxi- und Mietwagen vorrangig ihre Vertragsunternehmen zu berücksichtigen, stellt, soweit sie Fahrten innerhalb des Pflichtfahrgebiets betrifft, einen nach § 21 Abs. 1 GWB (§ 26 Abs. 1 GWB a.F.) unzulässigen Boykottaufruf dar. Nach diesen Bestimmungen dürfen Unternehmen nicht ein anderes Unternehmen in der Absicht, bestimmte Unternehmen unbillig zu beeinträchtigen, zu Liefersperren oder Bezugssperren auffordern. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, welches das Verhalten der Beklagten insoweit unter dem im wesentlichen gleichartigen Gesichtspunkt einer nach § 1 UWG wettbewerbswidrigen boykottähnlichen Maßnahme geprüft hat, erfüllt.
a) Ein Boykottaufruf im Sinne der genannten Bestimmungen setzt die Beteiligung dreier Unternehmen (oder Unternehmensvereinigungen) – den Verrufer oder Boykottierer, den Adressaten oder Ausführer des Boykottaufrufs und den Verrufenen oder Boykottierten – voraus (BGH, Urt. v. 10.10.1989 - KZR 22/88, WuW/E 2603, 2605 - Neugeborenentransporte; Markert in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 26 Rdn. 7; Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht, 8. Aufl., § 26 GWB Rdn. 5). Diese Dreizahl der beteiligten Unternehmen ist hier gegeben.
aa) Die Unternehmenseigenschaft des Klägers als des Verrufenen steht außer Frage. Dasselbe gilt für die übrigen Taxiunternehmer im Landkreis A., die ebenso wie der Kläger nicht durch eine Transportvereinbarung mit der Beklagten verbunden und deshalb gleichfalls von dem Boykottaufruf der Beklagten betroffen sind. Unternehmen im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sind aber auch die Beklagte als Auffordernde und die niedergelassenen Ärzte als Aufforderungsadressaten. Der weite Unternehmensbegriff des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen umfaßt jedwede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr, unabhängig davon, welche Rechtsform der so Handelnde hat und ob er daneben auch noch in anderer Weise, z.B. hoheitlich, tätig wird (BGH WuW/E 2603, 2605). Unternehmen sind daher auch die Allgemeinen Ortskrankenkassen, soweit sie zur Beschaffung von Krankentransportleistungen für ihre Mitglieder in den Wettbewerb privater Mitbewerber eingreifen (BGH WuW/E 2603, 2605; BGHZ 107, 40, 42 – Krankentransportbestellung). Unternehmen in diesem Sinne sind schließlich auch die niedergelassenen Ärzte, soweit sie – als Nachfragedisponenten – Krankentransportfahrten vermitteln und dadurch im geschäftlichen Verkehr tätig werden.
bb) An der nach § 21 Abs. 1 GWB (§ 26 Abs. 1 GWB a.F.) erforderlichen Dreizahl der beteiligten Unternehmen würde es allerdings fehlen, wenn die Beklagte selbst als Nachfrager der vom Kläger und von den mit ihm konkurrierenden Taxiunternehmern angebotenen Krankentransportleistungen auftreten würde (vgl. BGH, Urt. v. 10.2.1987 - KZR 1/86, WuW/E 2370, 2373 - Importierte Fertigarzneimittel) und die niedergelassenen Ärzte hinsichtlich der Auswahl des Transportunternehmens im Auftrag der Krankenkasse und damit weisungsgebunden und ohne eigenen Entscheidungsspielraum handeln würden (vgl. BGH WuW/E 2603, 2605). Das ist indessen nicht der Fall.
Offenbleiben kann in diesem Zusammenhang, ob die Beklagte den bei ihr gesetzlich Versicherten die hier in Rede stehenden Transportleistungen als Sachleistungen zu gewähren hat oder ob insoweit – jedenfalls im Verhältnis zu Transportunternehmern, mit denen die Beklagte keine Rahmenvereinbarung getroffen hat – das Kostenerstattungsprinzip gilt (vgl. dazu einerseits BGH WuW/E 2603, 2606 f., andererseits BGH, Urt. v. 26.11.1998 - III ZR 223/97, VersR 1999, 339 = JZ 1999, 361 m. Anm. Eichenhofer, unter 2 c im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSGE 73, 271, 273; 77, 119, 128 f.). Selbst bei Zugrundelegung des Sachleistungsprinzips werden die Interessen der Krankenkassen an einer möglichst preisgünstigen Versorgung von dem Recht der Versicherten überlagert, sich grundsätzlich den Lieferanten des jeweiligen Heil- oder Hilfsmittels oder der Krankentransportleistung frei auswählen zu können (BGHZ 101, 72, 83 - Krankentransporte I; 107, 40, 44 - Krankentransportbestellung; BGH WuW/E 2603, 2605; vgl. auch BSGE 77, 119, 124). Angesichts des auch von der Beklagten eingeräumten Wahlrechts ihrer Versicherten kommt es für die Beurteilung des Rundschreibens der Beklagten unter dem Gesichtspunkt eines unzulässigen Boykottaufrufs nicht darauf an, ob bei der Ausführung eines Krankentransportes vertragliche Beziehungen zwischen dem Transportunternehmer und dem Versicherten zustande kommen, so daß letzterer Schuldner der Transportvergütung wird und die Krankenkasse ihm lediglich Kostenerstattung schuldet, oder ob die Krankenkasse selbst unmittelbar Vertragspartner und Vergütungsschuldner im Verhältnis zu dem Transportunternehmer wird, ihren Versicherten die Transportleistung also auch in diesen Fällen als Sachleistung zur Verfügung stellt. Entscheidend ist in beiden Fällen vielmehr, wer die Auswahl unter mehreren Leistungserbringern zu treffen hat, denn vom Willen des „Nachfragedisponenten” hängt es ab, welchem unter mehreren Leistungserbringern der anstehende Auftrag erteilt wird.
Auch die Beklagte sieht dies nicht anders. Sie hat in den Tatsacheninstanzen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der bei ihr versicherte Patient frei entscheiden könne, mit welchem Taxi er zu fahren wünsche. Daß die Beklagte sich gleichwohl nicht an ihre Versicherten, sondern an die niedergelassenen Ärzte gewandt hat, um auf eine bevorzugte Berücksichtigung der vertraglich mit ihr verbundenen Transportunternehmer hinzuwirken, beruht auf der – vom Berufungsgericht unbeanstandet festgestellten – Erfahrungstatsache, daß Patienten, denen der Arzt einen Krankentransport verordnet, die Auswahl des Taxiunternehmers regelmäßig dem Arzt überlassen, dieser also zumeist anstelle des Patienten die Rolle des „Nachfragedisponenten” übernimmt.
b) Inhaltlich ist das Rundschreiben der Beklagten als Aufforderung zu einer Bezugssperre im Sinne des Gesetzes zu werten.
Gegenstand einer Liefer- oder Bezugssperre kann jede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr sein. Dazu zählen auch Dienst- oder Werkleistungen (vgl. BGH, Beschl. v. 5.7.1995 - KRB 8/95, WuW/E 3006, 3008 - Handelsvertretersperre) eines Taxiunternehmers. Unter einer Aufforderung zur Bezugssperre ist jeder Versuch zu verstehen, einen anderen Unternehmer dahin zu beeinflussen, daß er bestimmte Lieferbeziehungen nicht eingeht oder nicht aufrechterhält (BGH WuW/E 2370, 2372; WuW/E 2603, 2606; Markert aaO § 26 Rdn. 25; Schultz aaO § 26 GWB Rdn. 17 ff.). Ein solcher Versuch ist in der von der Beklagten geäußerten Bitte zu sehen, Patienten vorrangig an die mit ihr verbundenen Taxiunternehmer zu verweisen. Diese Bitte der Beklagten geht weiter als die bloße Information der niedergelassenen Ärzte über die mit verschiedenen Taxiunternehmern getroffene Transportvereinbarung. Sie ist auch nicht lediglich als unverbindliche Anregung (dazu Markert aaO § 26 Rdn. 30; Schultz aaO § 26 GWB Rdn. 17, je m. w. Nachw.) zu verstehen. Wie das Berufungsgericht – in der Revisionsinstanz unbeanstandet – festgestellt hat, werden die angeschriebenen Ärzte und ihr Personal bei entsprechendem Bedarf nach der Lebenserfahrung die ihnen von der Beklagten benannten Taxiunternehmer anrufen, um ihren Patienten Abrechnungsschwierigkeiten zu ersparen. Dies reicht aus, um die von der Beklagten geäußerte Bitte als Aufforderung zu einer Bezugssperre im Verhältnis zum Kläger und zu den übrigen, nicht vertraglich mit ihr verbundenen Taxiunternehmern zu werten. Die Anwendung von Druckmitteln zur Durchsetzung des angestrebten Verhaltens setzt der Begriff der Aufforderung im Sinne des Gesetzes nicht voraus (BGH, Urt. v. 22.1.1985 - KZR 4/84, WuW/E 2137, 2139 - markt intern/Sanitär-Installation; Markert aaO § 26 Rdn. 24; Schultz aaO § 26 GWB Rdn. 19).
c) Die Beklagte handelte schließlich in der Absicht, bestimmte Unternehmen – den Kläger und die übrigen nicht vertraglich mit ihr verbundenen Taxiunternehmer des Landkreises A. – unbillig zu beeinträchtigen. Dies kann der erkennende Senat auf der Grundlage der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen selbst beurteilen.
aa) Daß der Aufruf der Beklagten darauf angelegt war, den Konkurrenten ihrer Vertragsunternehmen Nachteile im geschäftlichen Verkehr als Anbieter von Krankentransportleistungen zuzufügen, folgt denknotwendig aus dem Bestreben der Beklagten, eine bevorzugte, also überproportionale Berücksichtigung ihrer Vertragsunternehmen bei der Vergabe von Krankentransportaufträgen zu erreichen.
bb) Ob die beabsichtigte Beeinträchtigung unbillig ist, ist aufgrund einer Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu beurteilen (BGH, Beschl. v. 25.10.1988 - KRB 4/88, WuW/E 2562, 2563 - markt-intern-Dienst; Markert aaO § 26 Rdn. 37 m. w. Nachw.). Entscheidend ist hierfür, ob das Anliegen, das der Verrufer verfolgt, rechtmäßig ist (vgl. BGH WuW/E 2562, 2563 f.; WuW/E 2603, 2606 f.; Urt. v. 2.7.1996 - KZR 20/91, WuW/E 3067, 3071 - Fremdleasingboykott II; von Gamm, Kartellrecht, 2. Aufl., § 26 GWB Rdn. 17). An einer Rechtfertigung des Verhaltens der Beklagten fehlt es, soweit diese zu einer bevorzugten Berücksichtigung ihrer Vertragsunternehmen für Fahrten im Pflichtfahrgebiet aufruft.
(1) Das Wirtschaftlichkeitsgebot, dem die Beklagte nach §§ 12, 133 SGB V unterliegt, rechtfertigt den Aufruf zu einer Bezugssperre gegenüber nicht vertraglich gebundenen Taxiunternehmern für Fahrten im Pflichtfahrgebiet nicht. Zwar ist die Beklagte durch die genannten Bestimmungen vom Gesetzgeber aufgerufen, im Interesse der Kostendämpfung im Gesundheitswesen Verträge über die Vergütung von Leistungen des Rettungsdienstes und über das Entgelt für andere Krankentransporte, auch solche im Rahmen des Personenbeförderungsgesetzes (§ 133 Abs. 3 SGB V), zu treffen und Preisvereinbarungen an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten. Dieser Auftrag stößt indessen dort an seine Grenzen, wo das Gesetz die Vereinbarung von Beförderungsentgelten verbietet. Das ist für Fahrten innerhalb des Pflichtfahrgebietes des Landkreises A. der Fall. Nach §§ 7, 8 der Taxiverordnung des Landkreises, die sich auf § 47 Abs. 3, § 51 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz stützt, gelten für solche Fahrten die vom Landkreis jeweils festgesetzten Beförderungsentgelte, von denen nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde abgewichen werden kann. Dementsprechend hat die Beklagte in der Transportvereinbarung mit den vier beteiligten Taxiunternehmern für Fahrten innerhalb des Pflichtfahrgebietes auch kein Entgelt vereinbart (§ 4 Abs. 1 der Transportvereinbarung). Die Vergütungsvereinbarung beschränkt sich auf Fahrten außerhalb des Pflichtfahrgebietes (§ 4 Abs. 2 der Transportvereinbarung), für die der Fahrpreis nach § 8 Abs. 2 der Taxiverordnung frei vereinbart werden kann, und auf Krankentransportfahrten über 150 (und mehr) Entfernungskilometer (§ 4 Abs. 3 der Transportvereinbarung), die in Anbetracht der Größe des Landkreises A. regelmäßig außerhalb des Pflichtfahrgebietes, das sich mit dem Territorium des Landkreises deckt (§ 7 Abs. 1 der Taxiverordnung), beginnen oder enden werden und für die infolgedessen nach § 8 Abs. 2 der Taxiverordnung der Fahrpreis jeweils frei vereinbart werden kann.
Beschränkt sich somit die mit den vier Taxiunternehmern getroffene Preisvereinbarung auf Krankentransportfahrten, die außerhalb des Pflichtfahrgebietes beginnen oder enden, so durfte die Beklagte auch allenfalls für diese Fahrten auf eine bevorzugte Berücksichtigung der vertraglich mit ihr verbundenen Taxiunternehmer hinwirken. Für Taxifahrten innerhalb des Pflichtfahrgebietes schließen die erwähnten personenbeförderungsrechtlichen Bestimmungen einen Preiswettbewerb unter den Taxiunternehmern aus. Unter diesen Umständen ist es der Beklagten verwehrt, Preisvergünstigungen, die ihr von einzelnen Taxiunternehmern für Fahrten außerhalb des Pflichtfahrgebietes zugestanden werden, zum Anlaß zu nehmen, die übrigen Taxiunternehmer bei Fahrten innerhalb des Pflichtfahrgebietes zu beeinträchtigen.
(2) Der Ausschluß des Klägers und anderer Taxiunternehmer von Krankentransportfahrten im Pflichtfahrgebiet läßt sich auch nicht damit rechtfertigen, daß das mit den vier Vertragsunternehmen der Beklagten vereinbarte Abrechnungsverfahren sowohl für die Beklagte als auch für ihre Versicherten Vorteile mit sich bringt. Diese Vorteile bestehen zwar auch bei der Abrechnung von Fahrten im Pflichtfahrgebiet; sie sind indessen nicht von solchem Gewicht, daß sie den Ausschluß der übrigen Taxiunternehmer von Krankentransportfahrten im Pflichtfahrgebiet rechtfertigen könnten.
cc) Für die Bejahung der Absicht der Beklagten, den Kläger und die übrigen nicht vertraglich mit ihr verbundenen Taxiunternehmer im Landkreis A. unbillig zu benachteiligen, genügt es, daß dieser Zweck mitbestimmend war und gegenüber sonstigen Zielen nicht völlig zurücktritt (BGH WuW/E 3067, 3072). Hinsichtlich der Unbilligkeit der Beeinträchtigung ist die Kenntnis der Umstände ausreichend, die den Ausschluß des Klägers und anderer Taxiunternehmer vom Geschäftsverkehr unbillig erscheinen lassen. Ob die Beklagte ihr Verhalten für rechtmäßig hielt und ob sie die zur Feststellung der Unbilligkeit führende Interessenabwägung zutreffend vorgenommen hat, ist unerheblich (BGH WuW/E 3067, 3072 m. w. Nachw.).
3. Neben der Unterlassung der angegriffenen Boykottaufforderung schuldet die Beklagte dem Kläger nach §§ 33, 21 Abs. 1 GWB (§ 35 Abs. 1, § 26 Abs. 1 GWB a.F.) Ersatz des Schadens, der dem Kläger durch den Ausschluß von Krankentransportfahrten im Pflichtfahrgebiet entstanden ist. Angesichts der zumindest zweifelhaften Rechtmäßigkeit ihrer Boykottaufforderung war das Vorgehen der Beklagten jedenfalls fahrlässig. Die darüber hinaus begehrte Auskunft, deren der Kläger zur Durchsetzung seines Schadensersatzanspruchs bedarf, schuldet die Beklagte nach § 242 BGB (Emmerich in Immenga/Mestmäcker aaO § 35 Rdn. 127; von Gamm aaO § 35 GWB Rdn. 14). Die Zulässigkeit der auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichteten Klage ergibt sich daraus, daß die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist.
Unterschriften
Geiß, Melullis, Goette, Ball, Bornkamm
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 27.04.1999 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539812 |
DB 1999, 1901 |
BGHR |
GRUR 1999, 1031 |
Nachschlagewerk BGH |
MedR 2000, 591 |
NZS 1999, 495 |
SGb 1999, 626 |
VRS 1999, 342 |
VersR 1999, 1167 |
WRP 1999, 941 |
NJWE-WettbR 1999, 212 |
KVuSR 2000, 27 |
WuW 1999, 725 |