Leitsatz (amtlich)
Zur Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung der gezogenen Nutzungsvorteile.
Normenkette
ZPO § 287
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 30.04.2020; Aktenzeichen 25 U 53/18) |
LG Aachen (Urteil vom 26.10.2018; Aktenzeichen 7 O 115/18) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 25. Zivilsenats des OLG Köln vom 30.4.2020 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin des in ihrem Fahrzeug eingebauten Dieselmotors auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
Rz. 2
Die Klägerin erwarb am 13.4.2011 von einem Autohaus einen neuen Skoda Yeti Greenline 1.6 TDI zum Kaufpreis von 23.000 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 EU 5 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Prüfzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.
Rz. 3
Nachdem das Kraftfahrtbundesamt diese Abgassteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hatte, rief die Beklagte Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA189 zurück, um eine geänderte Software aufzuspielen. Das Fahrzeug der Klägerin wurde nicht nachgerüstet.
Rz. 4
Mit Rechtsanwaltsschreiben forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises abzgl. gezogener Nutzungen gegen Rückgabe des Fahrzeugs bis 29.3.2018 auf.
Rz. 5
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz i.H.v. 21.689 EUR (Kaufpreis i.H.v. 23.000 EUR abzgl. Nutzungsvorteilen zzgl. ausgerechneter Deliktszinsen) nebst Zinsen i.H.v. 4 % aus 23.000 EUR seit 1.4.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs, Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung, dass der Klägerin weitere Schäden zu ersetzen sind, die ihr aus der Manipulation des Motors oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen am Fahrzeug entstehen.
Rz. 6
Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG - unter Abweisung der Klage im Übrigen und Zurückweisung der weitergehenden Berufung - das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 7.963,52 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 % aus 11.407,82 EUR vom 30.3.2018 bis 20.4.2020 und aus 7.963,52 EUR seit dem 21.4.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Es hat den Annahmeverzug festgestellt und die Beklagte zur Zahlung von Rechtsanwaltskosten verurteilt.
Rz. 7
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, das Urteil des Berufungsgerichts teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.469,60 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 % aus 13.339,85 EUR vom 30.3.2018 bis 20.4.2020 und aus 10.469,60 EUR seit dem 21.4.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 8
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Rz. 9
Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Beklagte habe die Klägerin durch das Inverkehrbringen des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet gewesen sei, vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Auf den zu erstattenden Kaufpreis müsse sich die Klägerin allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen. Angesichts einer für das streitgegenständliche Fahrzeug zu schätzenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km und der mit dem Fahrzeug gefahrenen Strecke von 163.440 km ergebe sich eine vom Kaufpreis abzuziehende Nutzungsentschädigung von 15.036,48 EUR. Es verbleibe daher eine Restforderung von 7.963,52 EUR.
II.
Rz. 10
Die Revision der Klägerin, die sich allein gegen die tatrichterliche Schätzung der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 250.000 km statt - so die Klägerin - 300.000 km richtet, ist unbegründet.
Rz. 11
1. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es ist insb. nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungsmethode vorzuschreiben (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 79 m.w.N.).
Rz. 12
2. Rechtlich erhebliche Fehler der tatrichterlichen Schätzung zeigt die Revision nicht auf.
Rz. 13
a) Bei der gem. § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile ist das Berufungsgericht von folgender Berechnungsformel ausgegangen:Nutzungsvorteil = Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb)/erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt
Rz. 14
Diese Berechnungsmethode ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urt. v. 30.7.2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rz. 12).
Rz. 15
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Schätzung der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km durch das Berufungsgericht nicht deshalb zu beanstanden, weil es an Anhaltspunkten für die Annahme einer solchen Gesamtlaufleistung durch das Berufungsgericht fehle und das Berufungsgericht sich nicht mit Vortrag der Klägerin zur Gesamtlaufleistung befasst habe.
Rz. 16
aa) Umstände, die für die Prognose der Gesamtlaufleistung in erster Linie maßgeblich sind, nämlich Fahrzeugtyp und Baujahr, hat das Berufungsgericht in seinem Urteil festgestellt. Auf dieser Grundlage hat es in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km geschätzt. Mit dieser Schätzung bewegt sich das Berufungsgericht innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung und zwar nicht am unteren Rand (vgl. hierzu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl., Rz. 3574; Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearbeitung 2012, § 346 Rz. 261). Einer näheren Begründung des Berufungsgerichts für seine Schätzung der Gesamtlaufleistung hätte es danach nur bedurft, hätte die Klägerin weitere aussagekräftige Umstände, die die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, dargetan (vgl. Senat, Urt. v. 23.3.2021 - VI ZR 3/20, juris Rz. 11). Solchen Vortrag zeigt die Revision nicht auf.
Rz. 17
bb) Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift lediglich vorgetragen, die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs sei auf 300.000 km zu schätzen, wobei die von der Rechtsprechung angenommene zu erwartende Gesamtlaufleistung für Pkw zwischen 100.000 und 400.000 km schwanke. Sie hat die aus ihrer Sicht im Streitfall anzunehmende Gesamtlaufleistung von 300.000 km damit begründet, dass bei einer an einem nicht näher benannten Tag durchgeführten Recherche auf einer Internetplattform über 5.000 Pkw der Marken Volkswagen, Skoda und Seat mit mehr als 300.000 km Laufleistung erhältlich gewesen seien, davon über 4.000 Fahrzeuge mit Dieselmotor.
Rz. 18
Dieser Vortrag enthält jedoch keine die Prognose der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs beeinflussenden Umstände, mit denen sich das Berufungsgericht als Grundlage seiner Schätzung hätte auseinandersetzen müssen. Dem Vortrag ist weder zu entnehmen, in welchem Zustand die Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller waren, die angeboten wurden, noch, um welche Fahrzeugtypen und Baujahre es sich handelte. Das Berufungsgericht war - entgegen der Ansicht der Revision - angesichts dieses Vortrags nicht gehalten, auf eine Schätzung zu verzichten und zur Frage der zu prognostizierenden Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Fundstellen