Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweislast für die Werte von Leistung und Gegenleistung bei einem vom Erblasser mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrag als gemischte Schenkung
Leitsatz (amtlich)
- Der Wert einer gemischten Schenkung entspricht der Differenz derjenigen Bewertungen von Leistung und Gegenleistung durch die Vertragspartner, die bei einer verständigen, nach konkreten Umständen des Falles berücksichtigender Beurteilung (noch) vertretbar waren.
- Der Pflichtteilsberechtigte trägt die Beweislast für die Werte von Leistung und Gegenleistung, wenn er in einem vom Erblasser mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrag eine "gemischte Schenkung" sieht (Ergänzung zu BGHZ 59, 132 = NJW 1972, 1709).
- Hätte eine Schenkung geringeren Wertes einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen, so ist bei der Pflichtteilsergänzung nur der Unterschied zwischen diesem Wert und dem Wert der Schenkung zu berücksichtigen.
Normenkette
BGB §§ 2325, 2330; ZPO §§ 286, 282
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Oktober 1979 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagten Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend.
Die Klägerin und ihr (am Rechtsstreit nicht beteiligter) Bruder sind zu gleichen Teilen Erben ihres am 22. Oktober 1975 im Alter von 65 Jahren verstorbenen Vaters, des Landwirts Theodor U. Der Nachlaß bestand - abgesehen von persönlichen Gegenständen ohne besonderen Wert - aus zwei Grundstücken im Wert von zusammen rund DM 3.000,00.
Die Beklagte zu 1) war seit 1946 im Haushalt und im landwirtschaftlichen Betrieb des Vaters des Erblassers und seit 1961 als Haushälterin für den Erblasser tätig gewesen. Der Beklagte zu 2), ihr Sohn, hatte seit 1948 in diesem landwirtschaftlichen Betrieb ausgeholfen. Beide Beklagte haben den Erblasser bis zu seinem Tode gepflegt.
Der Erblasser hat mit Kaufvertrag vom 4. Juni 1970 sein mit einer alten Villa bebautes Grundstück W. straße ... in H. an den Beklagten zu 2) veräußert. Als Kaufpreis ist eine lebenslange Leibrente für den Erblasser ab 1. Juni 1970 in Höhe von monatlich DM 300,00 vereinbart worden.
Der Beklagte zu 2) hat dieses Grundstück am 24. September 1976 für DM 270.000,00 weiterverkauft.
Mit Kaufvertrag vom 30. Oktober 1972 hat der Erblasser sein übriges, aus verschiedenen landwirtschaftlichen Grundstücken bestehendes Grundvermögen an die Beklagte zu 1) veräußert. Der Kaufpreis von DM 75.000,00 sollte "durch Verrechnung" beglichen werden. Dem Erblasser ist ein lebenslanger unentgeltlicher Nießbrauch an dem verkauften Grundbesitz (ausgenommen Wohnräume, an denen die Käuferin schon vorher den Nießbrauch innehatte) eingeräumt worden, dessen Wert im Vertrag mit DM 3.000,00 jährlich angegeben ist. Die Beklagte zu 1) hat die Verpflichtung zur Pflege des Erblassers in gesunden und kranken Tagen, zu seinem Unterhalt, soweit dieser aus eigenen Mitteln nicht gesichert war, sowie zur Pflege der fünf Gräber umfassenden Grabstelle des Erblassers übernommen. Der Wert dieser Gegenleistung ist mit DM 10.000,00 angegeben.
Außerdem sollte bei der Verrechnung des Kaufpreises berücksichtigt werden, daß die Beklagte zu 1) für ihre Leistungen im Haus des Erblassers von 1961 bis 1972 keinen Lohn erhalten hatte; dieser Lohn ist pauschal mit DM 20.000,00 angesetzt worden.
Einige dieser Grundstücke hat die Beklagte zu 1) inzwischen weiterverkauft.
Die Klägerin behauptet, die beiden Verträge seien in der Absicht geschlossen worden, sie um ihren Pflichtteil zu bringen. Der Wert des an den Beklagten zu 2) veräußerten Grundstücks habe DM 270.000,00, der Wert der an die Beklagte zu 1) veräußerten Grundstücke mindestens DM 500.000,00 betragen. Eine Leibrente sei an den Erblasser nicht gezahlt worden. Gegenleistungen der Beklagten zu 1) seien in den Vertrag nur aufgenommen worden, um die tatsächlich gewollte Schenkung zu verschleiern. Die Beklagte zu 1) sei vom Erblasser während ihrer Tätigkeit für diesen vollständig unterhalten worden. Auch bei Berücksichtigung der vereinbarten Gegenleistungen bestehe zwischen dieser und der Leistung des Erblassers ein so auffälliges Mißverhältnis, daß von einer verdeckten Schenkung ausgegangen werden müsse.
Die Beklagte zu 1) bewertet dagegen ihre Arbeitsleistung für den Erblasser und dessen Vater sowie die im Kaufvertrag von ihr übernommenen Verpflichtungen mit insgesamt DM 320.000,00, der Beklagte zu 2) seine für den Erblasser und dessen Vater erbrachten Arbeitsleistungen mit DM 100.000,00. Die Beklagten sind der Auffassung, soweit der Wert der Grundstücke höher sei, könne allenfalls eine belohnende Schenkung gemäß § 2330 BGB vorliegen.
Das Landgericht hat die Beklagte zu 1) zur Zahlung von DM 30.000,00 und den Beklagten zu 2) zur Zahlung von DM 15.000,00 jeweils zur Ergänzung des Pflichtteils der Klägerin - verurteilt.
Die Berufung der Beklagten ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden.
Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihre Anträge auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
I.
Das Berufungsgericht hat die beiden Kaufverträge als gemischte Schenkungen angesehen. Es hat ausgeführt, bei solchen Verträgen bestehe nach der Rechtsprechung (BGHZ 59, 132) eine tatsächliche Vermutung dahin, daß der wahre Wert der zugewendeten Gegenstände höher liege als die erbrachte Gegenleistung. Deshalb sei die Klägerin lediglich beweispflichtig für den Wert des Zugewandten, nicht jedoch für die wahre Höhe der Gegenleistung; den ihnen obliegenden Beweis dafür, daß diese Gegenleistung dem Wert der Grundstücke entsprochen habe, hätten die Beklagten nicht erbracht.
Diese Ausführungen sind rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat das Urteil des IV. Zivilsenats vom 21. Juni 1972 (BGHZ 59, 132) offenbar mißverstanden. Dort (S. 137) ist ausdrücklich ausgeführt, daß der Tatrichter zunächst ermitteln muß, in welcher Höhe sich Leistung und Gegenleistung bei einer nach den Umständen haltbaren Bewertung gegenüberstanden. Über die Beweislast hierzu ist in Jenem Urteil nichts ausgeführt; es gelten insoweit die allgemein anerkannten Beweislastregeln. Demnach trägt Jede Partei die Beweislast für diejenigen Tatsachen, aus denen sie Rechte herleitet (BGHZ 53, 245, 250; BGH Urteil vom 3. Dezember 1958 - V ZR 98/57 = LM BGB § 242 (Ca) Nr. 13). Hier leitet die Klägerin ihre Ansprüche aus einer angeblichen Schenkung des Erblassers gemäß §§ 2325, 2329 BGB her. Sie trägt deshalb die Beweislast dafür, daß die Überlassung der Grundstücke (teilweise) unentgeltlich erfolgt ist. Sie folgert das aus einem Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Dieses Mißverhältnis ergibt sich nicht allein aus dem Wert der überlassenen Grundstücke, sondern aus einem Vergleich von deren Wert mit der Gegenleistung. Daraus folgt, daß die Klägerin auch die Beweislast für den letztgenannten Wert trägt.
Die in BGHZ 59, 132, 136 ausgesprochene Beweiserleichterung für den Pflichtteilsberechtigten bezieht sich nicht auf den Wert der Gegenleistung, sondern allein auf den subjektiven Tatbestand einer Schenkung, nämlich die Einigkeit der Vertragspartner über die Unentgeltlichkeit: Aus einem auffallenden groben Mißverhältnis zwischen den wirklichen Werten von Leistung und Gegenleistung kann im Hinblick auf den Schutzzweck des § 2325 BGB in Einklang mit der Lebenserfahrung darauf geschlossen werden, daß dies auch die Vertragspartner erkannt haben und daß sie sich in Wahrheit über die unentgeltliche Zuwendung derjenigen Bereicherung einig waren, die sich bei einer verständigen und nach den Umständen vertretbaren Bewertung der beiderseitigen Leistungen ergeben hätte.
Das Berufungsgericht hätte somit zunächst unter Berücksichtigung der Beweislast der Klägerin auch den Wert der Gegenleistungen der Beklagten feststellen müssen. Es hätte auch eine objektive Wertdifferenz nicht ohne weiteres als unentgeltlichen Teil der Zuwendung ansehen dürfen. Vielmehr wäre zu prüfen gewesen, welche Bewertung der Leistungen durch die Vertragspartner bei einer verständigen, die konkreten Umstände des Falles berücksichtigenden Wertbeurteilung (noch) vertretbar war. Nur die sich daraus ergebende Wertdifferenz hätte als vermutete unentgeltliche Zuwendung angenommen werden können. Es wäre dann Sache der Beklagten gewesen, Tatsachen darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, die diese Vermutung der Einigung der Vertragspartner über die (teilweise) Unentgeltlichkeit der Zuwendung widerlegen (BGH aaO; Johannsen in Anm. zu BGH LM BGB § 2325 Nr. 7).
Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, daß die Beklagten insoweit die Beweislast tragen, als sie behaupten, noch andere als die in den Verträgen genannten Gegenleistungen erbracht zu haben.
II.
Das Berufungsgericht hat die Veräußerung des Villengrundstücks an den Beklagten zu 2) als in vollem Umfange unentgeltlich angesehen. Es hat die von diesem Beklagten im Kaufvertrag als Gegenleistung übernommene Verpflichtung zur Zahlung einer Leibrente nicht bewertet, weil der Beklagte zu 2) nicht nachgewiesen habe, daß er nennenswerte Zahlungen zur Erfüllung dieser Pflicht geleistet hätte.
Auch gegen diese Ausführungen bestehen rechtliche Bedenken. Für die Frage, ob es sich um eine unentgeltliche Zuwendung handelte, kommt es auf den Zeitpunkt der Veräußerung an. Waren sich die Vertragspartner damals einig, daß der Beklagte zu 2) eine Gegenleistung in Form einer Leibrente zu erbringen hatte - dafür spricht zunächst der Wortlaut des Kaufvertrags -, so ist diese Verpflichtung mit dem kapitalisierten Wert dieser Leibrente als Gegenleistung der Prüfung zugrundezulegen, inwieweit etwa eine Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung vorlag und die Vermutung einer teilweisen Unentgeltlichkeit begründen könnte (vgl. oben I.). Sollte der Beklagte zu 2) seine Rentenzahlungspflicht später nicht oder nicht in vollem Umfange erfüllt haben, so berührt das grundsätzlich den Wert einer etwa ursprünglich ernsthaft übernommenen Verpflichtung nicht. Es konnte dann allenfalls ein Anspruch gegen den Beklagten zu 2) auf Erfüllung der Pflicht zur Zahlung dieser Rente bestehen; die Beweislast für ein Erlöschen dieser Schuld oder für etwa bestehende Einwendungen dagegen träfe dann die Beklagte zu 2).
Sollte allerdings die Leibrente dem Beklagten gleich im Anschluß an den Abschluß des Kaufvertrages erlassen worden sein, so könnte dieser Umstand in der Tat den Schluß rechtfertigen, daß sich die Vertragspartner von vorneherein stillschweigend darüber einig waren, daß die Leibrente vom Erblasser nicht beansprucht werden sollte (BGHZ 59, 132, 138). Für einen solchen Erlaß träfe Jedoch die Klägerin die Beweislast. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils lassen nicht erkennen, daß das Berufungsgericht dies beachtet hätte.
III.
Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, bei den Veräußerungen der Grundstücke an die Beklagten habe es sich schon deshalb nicht um Anstandsschenkungen gemäß § 2330 BGB gehandelt, weil die zugewendeten Grundstücke von ganz erheblichem Wert gewesen seien. Auch dagegen bestehen in mehrfacher Hinsicht rechtliche Bedenken.
Das Berufungsgericht hat zunächst verkannt, daß nicht auf den Wert der Grundstücke, sondern auf den Wert der Schenkung abzustellen ist. Soweit eine Schenkung anzunehmen sein sollte, läge sie nur insoweit vor, als die Zuwendungen des Erblassers die vereinbarten Gegenleistungen bei einer nach den Umständen haltbaren Bewertung überstieg (vgl. oben I).
Im übrigen ist anerkannten Rechts, daß auch eine größere Schenkung einer sittlichen Pflicht entsprechen kann, unter Umständen selbst eine solche, die den Nachlaß im wesentlichen erschöpft (BGH Urteil vom 9. Februar 1967 - III ZR 188/64 = LM BGB § 2330 Nr. 2). Den Umständen nach mögliche Feststellungen über die von den Beklagten behaupteten Tatsachen, aus denen sich eine sittliche Pflicht zu einer Schenkung von erheblichem Wert seitens des Erblassers an die beiden Beklagten - auch unter Berücksichtigung von deren Leistung für den Vater des Erblassers - ergeben könnte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen, weil es rechtsirrig annahm, eine Anstandsschenkung komme überhaupt nicht in Betracht.
Schließlich läge eine ergänzungspflichtige Schenkung allenfalls insoweit vor, als das durch eine sittliche Pflicht oder den Anstand gebotene Maß überschritten worden sein sollte. Andernfalls käme man zu dem widersinnigen Ergebnis, daß derjenige, dem aufgrund einer sittlichen Pflicht ein Geschenk in der gebotenen Höhe gemacht wird, möglicherweise besser stände als derjenige, dem mehr als das Gebotene zugewendet wurde. Deshalb ist lediglich der Mehrbetrag bei der Pflichtteilsergänzung zu berücksichtigen (BGH aaO).
IV.
Nach allem kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Da das Revisionsgericht die vom Berufungsgericht unterlassenen Feststellungen nicht selbst treffen kann, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Hoegen
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Rassow
Dr. Zopfs
Fundstellen
Haufe-Index 1456531 |
NJW 1981, 2458 |