Leitsatz (amtlich)
Hat der Arzt bei der Sterilisation eines Mannes nicht ausreichend über die Notwendigkeit eines Spermiogrammes aufgeklärt, so kann – wenn es trotz des Eingriffs zur Geburt eines Kindes kommt – dessen Unterhaltsbedarf im Weg des Schadensersatzes und daneben auch ein Schmerzensgeld für die Mutter verlangt werden (Ergänzung zum Senatsurteil BGHZ 124, 128 ff.).
Normenkette
BGB §§ 249, 847
Verfahrensgang
LG Kassel |
OLG Frankfurt am Main |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird unter Zurückweisung der Anschlußrevision des Beklagten das Urteil des 27. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Dezember 1993 teilweise aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 9. November 1992 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz von Unterhaltsaufwand für ihren Sohn Christopher sowie auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch.
Am 29. Januar 1990 hat der Zeuge Dr. P., der als Chefarzt in einem von der Beklagten getragenen Bezirkskrankenhaus tätig ist, auf Wunsch der Klägerin und ihres Ehemannes, des Zeugen M., bei diesem eine Sterilisation in Form der Vasektomie (Samenleiterdurchtrennung) vorgenommen. Da der Ehemann trotz des Eingriffs weiterhin zeugungsfähig war, kam es am 15. Januar 1991 zur Geburt dieses Sohnes als des 6. Kindes der Klägerin und ihres Ehemanns.
Die Klägerin, die zugleich aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes klagt, macht geltend, daß dessen Aufklärung durch den Zeugen Dr. P. bzw. den Assistenzarzt Dr. G. über die Möglichkeit eines Fehlschlagens der Sterilisation unzureichend gewesen sei. Sie meint, er hätte darauf hingewiesen werden müssen, daß der Erfolg der Operation endgültig erst nach Durchführung eines Spermiogramms 4 Wochen nach dem Eingriff beurteilt werden könne.
Neben monatlichem Unterhalt von 430 DM für das Kind hat die Klägerin für sich selbst ein Schmerzensgeld von DM 1.000 beantragt, weil sie schon vom 3. Monat der Schwangerschaft an heftigen Wehen ausgesetzt gewesen sei.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie bezüglich des Unterhaltsschadens abgewiesen. Die Klägerin erstrebt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Beklagte hat sich der Revision mit dem Ziel vollständiger Klagabweisung angeschlossen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht im Grundsatz von einer Haftung der Beklagten aus, weil der Zeuge Dr. P. den Ehemann der Klägerin nicht hinreichend über das nach dem Sterilisationseingriff erforderliche Verhalten aufgeklärt habe. Es meint, eine solche Aufklärungspflicht habe nicht nur gegenüber dem Ehemann, sondern auch gegenüber der Klägerin bestanden, weil diese in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages einbezogen gewesen sei. Dr. P., für welchen die Beklagte als ihr Organ hafte, hätte den Ehemann der Klägerin wegen des nie auszuschließenden Mißerfolgs einer Sterilisation nachdrücklich über das Erfordernis eines Spermiogramms 4 Wochen nach dem Eingriff und das andernfalls bestehende Risiko einer Empfängnis belehren und sich vergewissern müssen, daß der Patient diese Belehrung verstanden habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne nicht festgestellt werden, daß eine hinreichende Aufklärung erfolgt sei. Im übrigen bestanden Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen Dr. P. und Dr. G.
Infolgedessen stehe der Klägerin wegen der mit Schwangerschaft und Geburt verbundenen körperlichen Beschwerden das beantragte Schmerzensgeld zu.
Ein Anspruch auf Ersatz von Unterhaltsschaden sei jedoch nicht gerechtfertigt. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 – BVerfGE 88, 203 ff. – ausgeführt, die rechtliche Qualifikation des Daseins eines Menschen als Schadensquelle komme von Verfassungs wegen nicht in Betracht. Im Hinblick auf die Menschenwürde des Kindes verbiete es sich, die Unterhaltspflicht als Schaden zu begreifen.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht durchweg stand.
1. Ohne Erfolg bleibt allerdings die Anschlußrevision der Beklagten. Sie wendet sich gegen die Auffassung der Vorinstanzen, daß die dem Ehemann der Klägerin erteilte Aufklärung nicht ausreichend gewesen sei. Daneben rügt sie die Verkennung der Beweislast durch das Landgericht und beanstandet, das Berufungsgericht habe die Glaubwürdigkeit der Zeugen ohne eigene Anhörung nicht abweichend vom Landgericht beurteilen können. Schließlich stellt sie zur Überprüfung, ob auch bei Sterilisation des Ehemannes ein Schmerzensgeldanspruch der ungewollt schwangeren Frau in Betracht komme.
a) Die Einwendungen der Anschlußrevision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Zeuge Dr. P. eine ihm gegenüber dem Ehemann der Klägerin und dieser selbst obliegende Aufklärungspflicht verletzt habe, erweisen sich nicht als stichhaltig. Sie räumt ein, daß bei Eingriffen der vorliegenden Art eine Aufklärung dahin erforderlich ist, daß ungeschützter Geschlechtsverkehr erst nach Erstellung eines negativen Spermiogramms stattfinden dürfe, um das Risiko einer ungewollten Empfängnis zu vermeiden. Sie meint jedoch, hierüber sei der Ehemann der Klägerin ausreichend belehrt worden.
Insoweit ist von der Auffassung des Berufungsgerichts auszugehen, daß die Aussagen der Zeugen Dr. P. und Dr. G. auch bei Unterstellung ihrer Richtigkeit keine gründliche Beratung über die unbedingte Notwendigkeit eines Spermiogramms erkennen ließen.
Zu Unrecht meint die Anschlußrevision, die Ausführungen des Berufungsgerichts ließen nicht erkennen, was Dr. P. dem Ehemann der Klägerin zusätzlich zu dem von beiden Ärzten bekundeten Hinweis, es solle zur Sicherheit ein Spermiogramm angefertigt werden, hätte erläutern müssen. Das Berufungsgericht legt im einzelnen dar, daß dieser Hinweis aus der Sicht des Ehemanns als reine Vorsichtsmaßnahme verstanden werden konnte, welcher er als medizinischer Laie keine entscheidende Bedeutung beimessen mußte. Jedenfalls hätten die behandelnden Ärzte nicht dem beim Ehemann der Klägerin als medizinischem Laien entstandenen Eindruck entgegengewirkt, daß es sich um einen Routineeingriff handele, der praktisch immer zum Erfolg führe. Ausschlaggebend ist hiernach, daß die Zeugen Dr. P. und Dr. G. davon ausgegangen sind, daß der Ehemann der Klägerin den Hinweis auf die Notwendigkeit eines negativen Spermiogramms verstanden habe und deshalb eine nähere Erläuterung unterblieben sei. Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, daß dieser in der medizinischen Fachsprache gehaltene Hinweis dem Zeugen M. als medizinischen Laien nicht mit der nötigen Deutlichkeit zu Bewußtsein bringen mußte, daß auch nach Ablauf von 4 Wochen nach dem Eingriff die ernstzunehmende Möglichkeit einer Empfängnis bestand. Deshalb durfte sich der Zeuge Dr. P. ohne Rückfrage – die er unstreitig nicht gestellt hat keineswegs sicher sein, daß M. die Tragweite seiner Erklärungen verstanden hatte. Indessen wird, wie der erkennende Senat schon im Urteil vom 2. Dezember 1980 – VI ZR 175/78 VersR 1981, 278, 279 für einen ähnlich gelagerten Fall ausgeführt hat, der Arzt seiner vertraglich geschuldeten Beratungspflicht nur dann gerecht, wenn er nach den Umständen sicher sein darf, daß der Patient die fraglichen Hinweise auch verstanden hat und sich des möglicherweise fortbestehenden Risikos einer Zeugung bzw. Empfängnis bewußt geworden ist (vgl. auch OLG Schleswig, VersR 1987, 419, 420 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 18. März 1986 – VI ZR 129/85 – sowie OLG Düsseldorf, AHRS 3120/5; zur Belehrung über ein Spermiogramm vgl. auch Senatsurteil vom 30. Juni 1992 – VI ZR 337/91 – VersR 1992, 1229 f.).
b) Hat mithin die Aufklärung durch Dr. P. schon nach dessen eigener Aussage diesen Anforderungen nicht entsprochen, so kommt es nicht darauf an, daß das Landgericht die Beweislast für eine vollständige Aufklärung bei der Beklagten gesehen hat, während es sich tatsächlich insoweit um eine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag handelt, deren Verletzung einen Behandlungsfehler darstellt und deshalb zur Beweislast der Klagepartei steht (Senatsurteile vom 2. Dezember 1980 – aaO – sowie vom 10. März 1981 – VI ZR 202/79 – VersR 1981, 730, 731). Auch kommt es nicht darauf an, ob das Berufungsgericht das Gewicht und die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen abweichend vom Landgericht beurteilen durfte, ohne die Zeugen – wie dies bei abweichender Würdigung grundsätzlich geboten ist – selbst zu vernehmen (Senatsurteil vom 12. November 1991 – VI ZR 389/90 – VersR 1992, 237, 238 m.w.N.). Selbst wenn dem Berufungsgericht insoweit ein Verfahrensfehler unterlaufen wäre, würde das angefochtene Urteil hierauf nicht beruhen (§ 549 Abs. 1 ZPO), weil auch bei Unterstellung der Aussagen der Zeugen Dr. P. und Dr. G. als richtig die Aufklärung den dargelegten Anforderungen nicht entsprochen hat.
Bei dieser Sachlage bedürfen die Einwendungen der Anschlußrevision gegen die zusätzlichen Erwägungen des Berufungsgerichts, daß Dr. P. den Ehemann der Klägerin nicht zur Durchführung eines Spermiogramms einbestellt habe und daß im Bericht an den einweisenden Arzt vom 30. Januar 1991 der Hinweis auf ein Spermiogramm fehle, keiner Erörterung.
c) Liegt mithin eine schuldhafte Pflichtverletzung des Zeugen Dr. P. vor, für welche die Beklagte nach § 31 BGB einzustehen hat, so bestehen gegen die Zuerkennung des beantragten Schmerzensgeldes aus revisionsrechtlicher Sicht keine Bedenken.
Der erkennende Senat hat einen solchen Anspruch in ständiger Rechtsprechung bejaht, weil die Herbeiführung einer Schwangerschaft gegen den Willen der betroffenen Frau eine Körperverletzung darstellt. Auch wenn es sich bei einer Schwangerschaft um einen normalen physiologischen Vorgang handelt, stellt doch jeglicher unbefugte Eingriff in das körperliche Befinden eine Körperverletzung dar, da bei anderer Sichtweise das Recht am eigenen Körper als gesetzlich ausgeformter Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht hinreichend geschützt wäre (Senatsurteile vom 18. März 1980 – VI ZR 247/78 – VersR 1980, 558, 559 – insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 76, 259 ff; vom 10. März 1981 – VI ZR 202/79 – VersR 1981, 730 und vom 27. November 1984 – VI ZR 43/83 – VersR 1984, 240, 243; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 86, 240, 248). Die Anschlußrevision will einen grundlegenden Unterschied zu den vom Senat entschiedenen Fällen, die sämtlich einen Sterilisationseingriff bei der Frau zum Gegenstand hatten, darin sehen, daß der Eingriff vorliegend am Ehemann vorgenommen worden ist. Das rechtfertigt jedoch keine abweichende Beurteilung. Vielmehr kann nach den aufgezeigten Grundsätzen eine Körperverletzung der Ehefrau auch dann nicht verneint werden, wenn die Schwangerschaft infolge fehlgeschlagener Sterilisation ihres Ehemannes eintritt (vgl. OLG Braunschweig, NJW 1980, 643).
aa) Soweit hierzu im Schrifttum die Frage erörtert worden ist, ob nicht die Schwangerschaft außerhalb des Schutzbereichs der deliktischen Verhaltensnorm liege, weil sie zum allgemeinen Lebensrisiko der den Geschlechtsverkehr ausübenden Partner zu rechnen sei (Schiemann, JuS 1980, 709, 710; vgl. auch Roth, NJW 1994, 2402, 2404), teilt der erkennende Senat diese Bedenken nicht. Vielmehr wird der Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtwidrigkeit des Arztes und dem Eintritt der Körperverletzung nicht deshalb unterbrochen, weil der Verletzungserfolg beim schließlich Verletzten erst durch eine zusätzliche Ursache, nämlich den Geschlechtsverkehr mit dem fehlerhaft behandelten Patienten, eintritt. So hat der erkennende Senat auch eine dem Arzt zuzurechnende schmerzensgeldfähige Gesundheitsbeeinträchtigung des Ehegatten angenommen, wenn der Patient unter Verletzung ärztlicher Sorgfaltspflichten mit dem HIV-Virus infiziert wurde und diesen auf den Ehegatten übertragen hat (Senatsurteil BGHZ 114, 284, 290 ff). Nichts anderes gilt, wenn aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens des Arztes bei der Sterilisation des Ehemannes eine Schwangerschaft eintritt. Dies liegt gerade bei Fällen fehlerhafter Beratung auf der Hand, weil in der Regel Eheleute im Vertrauen auf den Erfolg der Sterilisationsmaßnahme auf anderweitige Maßnahmen zur Empfängnisverhütung verzichten werden. Deshalb wäre es widersprüchlich, den Zurechnungszusammenhang zwischen Arztfehler und Körperverletzung wegen des dazwischen geschalteten Geschlechtsverkehrs entfallen zu lassen, wenn die Sterilisation gerade dessen folgenlose Ausübung und damit die Unterbrechung des Funktionszusammenhanges zwischen Geschlechtsverkehr und Zeugung ermöglichen sollte (OLG Braunschweig, aaO).
bb) Soweit die Anschlußrevision darauf hinweist, daß die Sterilisation des Ehemannes nicht darauf gerichtet sein konnte, eine Schwangerschaft der Klägerin aus rein körperlicher Sicht auszuschließen, rechtfertigt das keine andere Beurteilung. Auch die Anschlußrevision verkennt nämlich nicht, daß die Arztleistung von ihrer Schutzrichtung her auf die wirtschaftliche Familienplanung der Eheleute und damit darauf gerichtet war, daß diese keine gemeinsamen Kinder mehr bekommen sollten (vgl. Senatsurteile BGHZ 76, 259, 262; 86, 240, 249; und 89, 95, 98). Damit war die Sterilisation des Ehemannes dazu bestimmt, weitere Schwangerschaften der Klägerin von ihrem Ehemann zu verhindern. Gegen diesen Schutzzweck der ärztlichen Pflichten auf Beklagtenseite, nämlich ein weiteres gemeinsames Kind der Eheleute zu vermeiden, ist durch das ärztliche Fehlverhalten verstoßen worden, so daß der Einwand der Anschlußrevision, die Klägerin sei in ihrer Familienplanung nicht betroffen worden, nicht stichhaltig ist. Eine Erörterung der Frage, ob dieser Schutzzweck sich auch auf eine andere Frau als die Ehefrau des Zeugen M. erstrecken könnte, ist vom Sachverhalt her nicht veranlaßt (vgl. zu dieser Problematik, Schlund, JR 1980, 369, 370).
2. Die Revision der Klägerin hat Erfolg, weil das Berufungsgericht den auf Ersatz von Unterhaltsschaden gerichteten Anspruch zu Unrecht abgewiesen hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats umfaßt der vertragliche Schadensersatzanspruch gegen den Arzt, der für eine fehlgeschlagene Sterilisation verantwortlich ist, im Grundsatz auch den Unterhaltsaufwand für ein Kind, welches infolge dieses Fehlers gezeugt und geboren wird (Senatsurteile BGHZ 76, 249 ff. und 259 ff.; ferner Senatsurteile vom 2. Dezember 1980 und 10. März 1981 – aaO –; vom 19. Juni 1984 – VI ZR 76/83 – VersR 1984, 864 und vom 30. Juni 1992 – aaO; vgl. zur fehlerhaften genetischen Beratung Senatsurteil BGHZ 124, 128 ff.). Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in Leitsatz 14 sowie in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 28. Mai 1993 (BVerfGE 88, 203, 296) für überprüfungsbedürftig erklärt, weil die Verpflichtung der staatlichen Gewalt, jeden Menschen um seiner selbst willen zu achten, es verbiete, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen. Wie der erkennende Senat bereits in dem in BGHZ 124, 128, 136 abgedruckten Urteil ausgeführt hat, sieht er sich an diese Ausführungen nicht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden, hat aber sowohl in jenem Urteil wie auch in dem ebenfalls zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung bestimmten Urteil vom 28. März 1995 – VI ZR 356/93 – NJW 1995, 1609 f. seine Rechtsprechung erneut einer eingehenden Prüfung unterzogen. Während der Senat in dem zuletzt genannten Urteil zum Ergebnis gelangt ist, daß der Unterhaltsaufwand für ein nach einem fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruch geborenes Kind dann nicht mehr vom Schutzzweck des Arztvertrages umfaßt wird, wenn der Abbruch sich nach den vom Bundesverfassungsgericht (aaO 256 ff., 272 ff., 299) entwickelten Kriterien nicht als rechtmäßig, sondern lediglich als straffrei erweist, hat er im Senatsurteil BGHZ 124, 128, 137 ff. für Fälle eines zweifellos rechtmäßigen Behandlungsvertrages wie etwa der genetischen Beratung zur Vermeidung der Zeugung schwerstgeschädigter Kinder daran festgehalten, daß die ganze oder teilweise Verlagerung des Unterhaltsaufwandes auf den verantwortlichen Arzt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Das gilt auch für den vorliegenden Fall.
a) Zwar ist der abweichenden Betrachtungsweise, wonach der Unterhaltsaufwand für ein Kind kein Schaden sein könne, zuzugeben, daß die Einordnung der wirtschaftlichen Belastungen, die sich aus der Geburt des Kindes für seine Eltern ergeben, als Schaden im haftungsrechtlichen Sinn dem allgemeinen Verständnis und auch der Rechtsordnung so lange fremd sein mußte, als die zur Geburt eines Kindes führenden Vorgänge der Disposition der Eltern weitgehend entzogen waren. Das hat sich erst geändert, nachdem der medizinische Fortschritt es ermöglicht hat, diese Vorgänge zuverlässiger zu steuern und durch empfängnisverhütende Maßnahmen oder Sterilisation bereits die Zeugung eines Kindes zu verhindern. Unabweisbare Folge dieser Entwicklung ist es, daß die potentiellen Eltern selbst bestimmen können, in welchem Umfang sie sich dem finanziellen Aufwand aussetzen wollen. den Kinder mit sich bringen.
Mithin sind also erst durch den medizinischen Fortschritt Verträge mit einem Arzt denkbar geworden, die auf die Unfruchtbarmachung eines Elternteils und damit auf die Vermeidung der Zeugung und Geburt von Kindern gerichtet sind. Allerdings soll der Hinweis auf den medizinischen Fortschritt nicht besagen, daß jegliche Entwicklung innerhalb der Medizin dazu führen müßte, ihre Folgen bereits als rechtlich erlaubt anzusehen und alle insoweit denkbaren Verträge ohne nähere Prüfung dem Schutz der Rechtsordnung zu unterstellen. Indessen lösen Verträge, mit welchen ein geschäftsfähiger Mensch die Ausschaltung seiner Fortpflanzungsfähigkeit durch einen medizinischen Eingriff erreichen will, keine Bedenken hinsichtlich ihrer Rechtswirksamkeit aus (Senatsurteile BGHZ 67, 48, 49 ff.; 76, 249, 253; 124, 128, 137). Insbesondere kann sich bei solchen Verträgen – anders als etwa beim Schwangerschaftsabbruch – kein Konflikt mit dem Lebensrecht eines bereits gezeugten Kindes ergeben (dazu BVerfGE 88, 203, 251 ff. sowie Senatsurteil vom 28. März 1995 – aaO). Vielmehr entspricht es nach Auffassung des erkennenden Senats dem verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen, daß ihm die Entscheidung über die Beendigung der eigenen Fortpflanzung freigestellt sein muß. Die Ausübung dieses Rechts mag zwar dem Einzelnen aus persönlichen, ethischen oder religiösen Gründen verwehrt sein, so wie andererseits der Staat auch niemanden zwingen dürfte, von diesem Recht Gebrauch zu machen oder – auf den Arzt bezogen – einen solchen Vertrag im Widerspruch zu seinen persönlichen Wertvorstellungen abzuschließen.
Wird dieses Recht auf Beendigung der eigenen Fortpflanzungsfähigkeit jedoch vom Patienten in Anspruch genommen und läßt der Arzt sich hierauf ein, so muß er diesen Vertrag nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen erfüllen (so auch Senatsurteil BGHZ 124, 128, 138 m.w.N.). Unterläuft ihm dabei ein Fehler, durch den es entgegen dem Vertragszweck zur Geburt eines Kindes kommt, so hat der Arzt haftungsrechtlich für die Vertragserfüllung einzustehen und deshalb gemäß § 249 BGB den Vertragspartner im Grundsatz so zu stellen, als ob er den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Da es im Streitfall wie häufig in Fällen der Sterilisation auf der Hand liegt, daß durch den Vertrag mit dem Arzt gerade die wirtschaftlichen Belastungen durch ein Kind vermieden werden sollten (hierzu bereits Senatsurteil BGHZ 124, 128, 138 f.), erstreckt sich seine Haftung auf die Freistellung des Vertragspartners von den wirtschaftlichen Belastungen, die durch die Vertragserfüllung vermieden werden sollten, also auf den Unterhaltsbedarf, welchen der Senat aus den in BGHZ 76, 259, 270 ff. dargelegten Gründen an den Regelunterhalt für nichteheliche Kinder angelehnt hat, erhöht durch einen vom Tatrichter zu bemessenden angemessenen Zuschlag, der den Wert der pflegerischen Dienstleistungen ausgleicht, welche dem Kind zusätzlich zugutekommen. Insoweit ist es gerade bei Verträgen, die auf Sterilisation aus wirtschaftlichen Gründen gerichtet sind, vom Vertragszweck her bedingt, daß bei Nichterreichung des Vertragszwecks der Schaden im wesentlichen im Unterhaltsaufwand für ein Kind besteht.
b) Die verfassungsrechtlichen Bedenken, welche das Berufungsgericht insoweit in Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 – aaO – aufwirft, teilt der erkennende Senat nicht. Er hat hierzu bereits in dem in BGHZ 124, 128 ff. abgedruckten Urteil vom 16. November 1993 ausführlich Stellung genommen und nimmt hierauf Bezug. Lediglich ergänzend soll auf die Ausführungen des Berufungsgerichts eingegangen werden, daß ein Mensch, dessen Eltern wegen der Unterhaltsaufwendungen für ihn Schadensersatz verlangten, sich nicht mehr um seiner selbst willen begreifen könne, sondern sich als Existenz verstehen müsse, „deren Dasein ähnlich makelbehaftet ist wie ein Unfall, eine Verletzungshandlung oder irgend ein anderer von der menschlichen Gesellschaft mißbilligten Vorgang”. Diese Betrachtungsweise wird weder dem Schadensbegriff noch der Grund-Folge-Beziehung zwischen der Geburt des Kindes und der Schadensersatzpflicht des Arztes gerecht. Zum Schadensbegriff hat der erkennende Senat unter dem hier gebotenen verfassungsrechtlichen Blickpunkt bereits im Urteil vom 16. November 1993 – aaO – ausführlich Stellung genommen, so daß hier nur eine kurze Zusammenfassung veranlaßt ist. Nicht das Kind oder seine Existenz stellt einen Schaden dar (Senatsurteile BGHZ 76, 249, 252 ff; 124, 128, 139; vom 19. Juni 1984 und 28. März 1995 – jeweils aaO). Ein Schaden ergibt sich vielmehr erst und allein aus der Unterhaltsbelastung durch das Kind. Insoweit beruht die Ermittlung eines Schadens nach der Differenztheorie (BGHZ 98, 212, 217 f.) auf dem Vergleich zwischen der Vermögenslage der Eltern mit und ohne Unterhaltsbelastung. Diese schadensrechtlich-wirtschaftliche Betrachtungsweise ist durch die Grundprinzipien des Schadensrechts bedingt und stellt keine Mißachtung des Kindes dar. Der Schadensbegriff als solcher, ist wertfrei und enthält insbesondere, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Unwerturteil über das Kind (Senatsurteil BGHZ 124, 128, 142). Auch werden nicht Existenz und Nichtexistenz des Kindes in herabwürdigender Weise miteinander verglichen. Vielmehr erfolgt lediglich unter schadensrechtlichem Blickpunkt eine Beurteilung der wirtschaftlichen Seite eines sehr komplexen Lebenssachverhalts, der in diesem Punkt durch die Vertragsbeziehung der Eltern zum behandelnden Arzt geprägt ist (Senatsurteil BGHZ 124, 128, 141). Auch wenn die Unterhaltspflicht für ein Kind begrifflich dessen Existenz und die Vermeidung dieser Unterhaltspflicht die Verhinderung seiner Existenz voraussetzt, handelt es sich lediglich um einen für sich wertfreien naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhang (so BGHZ 124, 128, 140), der eine untrennbare Einheit zwischen dem Unterhaltsanspruch eines Kindes und seiner Menschenwürde nicht zu begründen vermag.
Folglich stellt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässige Mißachtung des Kindes dar, wenn der fehlerhaft handelnde Arzt auf Ersatz des Unterhaltsschadens in Anspruch genommen wird. Deshalb erweist sich das Urteil des Landgerichts, welches den der Höhe nach unstreitigen Unterhaltsschaden zugebilligt hat, im Ergebnis als richtig.
Fundstellen
Haufe-Index 604944 |
NJW 1995, 2407 |
JuS 1996, 71 |