Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 13.12.2004) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 13. Dezember 2004 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Körperverletzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Bedrohung und wegen versuchter Nötigung unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er Verfahrensrügen und die Sachrüge erhebt.
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte und die fünf Jahre jüngere, damals 15-jährige Nebenklägerin lernten sich 1995 kennen und verliebten sich ineinander. 1996 wurde die Nebenklägerin schwanger, im November 1996 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Obwohl der Angeklagte und die Nebenklägerin nicht zusammenzogen, setzten sie ihre Beziehung fort, in der der Angeklagte die zunächst noch sehr junge und selbstunsichere Nebenklägerin dominierte. Als die Nebenklägerin zunehmend selbstständiger wurde und eigene Wünsche äußerte, kam es seit Ende 1998 zu Gewalttätigkeiten des Angeklagten, der seinen Willen – auch in sexueller Hinsicht – gegenüber der ihm körperlich weit unterlegenen Nebenklägerin durchzusetzen suchte.
So hat der Angeklagte im Jahre 1999 nach einem Streit mit der Nebenklägerin, die zu Fuß nach Hause laufen wollte, dieser im Laufen von der Seite derart in die Beine getreten, dass sie stürzte und sich verletzte (II. 1.). Ende 2000 setzte sich der Angeklagte auf den Oberkörper der Nebenklägerin, die den Geschlechtsverkehr verweigert hatte, masturbierte und ejakulierte in ihr Gesicht (II. 2.). Im April oder Mai 2001 erzwang der Angeklagte gegen den Willen der Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr, indem er sie festhielt und würgte (II. 3.). Im November 2001 schlug er der Nebenklägerin während eines Streites ins Gesicht und stieß sie in den Rücken (II. 4.). Im Januar 2002 schlug er ihr mit der Faust mehrfach auf den Oberarm (II. 5.). Am 5. Juni 2002 schlug er auf die Nebenklägerin ein, versuchte sie mit einem Kabelbinder zu fesseln und drohte, dass er Stellen im Wald kenne, wo sie niemand finden werde (II. 6.). Am 7. Juli 2002 versuchte der Angeklagte die Nebenklägerin zu bewegen, abends zu ihm zu kommen. Als sie ablehnte, drohte er, er werde einen Schlussstrich ziehen, sie werde ihren 22. Geburtstag nicht erleben (II. 7.). Die Nebenklägerin geriet über die Drohung in große Angst. Nachdem sie dies zunächst – auch nach polizeilicher Beratung – abgelehnt hatte, erstattete sie am 8. Juli 2002 Strafanzeige und beantragte eine einstweilige Verfügung, nach der dem Angeklagten untersagt werden sollte, sich ihr zu nähern.
Das Landgericht hat den Angeklagten, der die Tatvorwürfe bestritten hat, insbesondere auf Grund der Angaben der Nebenklägerin für überführt angesehen. Die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sah es durch ein Glaubwürdigkeitsgutachten, das auch auf die „bemerkenswerte” Konstanz ihrer Angaben im Ermittlungsverfahren – Vernehmungen am 8. Juli 2002, 30. Oktober 2002, 8. Dezember 2002 – und anlässlich der Explorationen am 21. Mai 2004 und 29. Juni 2004 verwies, bestätigt. Die Einholung des Gutachtens erachtete das Landgericht auf Grund der Besonderheiten des Falls für geboten, da die Nebenklägerin trotz der jahrelangen Misshandlungen und sexuellen Übergriffe eine endgültige Trennung von dem Angeklagten nicht durchsetzte und immer wieder zu ihm zurückkehrte. Im Anschluss an den Sachverständigen hat das Landgericht ausgeführt, dass auch die Regelung des Umgangsrechts des Angeklagten mit dem gemeinsamen Kind kein überzeugendes Motiv für eine Falschaussage der Nebenklägerin biete, da das Umgangsrecht geregelt sei und die Nebenklägerin gerade nicht bestrebt sei, dem Angeklagten das Kind vorzuenthalten.
2. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Eine Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot gerügt wird, ist aus den Erwägungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 11. Mai 2005 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Entscheidung des EGMR, StV 2005, 136 f. zu Art. 5 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 EMRK ist hier nicht einschlägig. Sie betrifft eine Haftsache, die mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar ist.
Näherer Erörterung bedarf jedoch die Verfahrensrüge, mit der die Revision eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten wegen der Sexualdelikte (II. 2. und II. 3.) behauptet.
a) Die Revision meint, das Gericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es verschiedene Zeugen, die im Ermittlungsverfahren und in den beiden zivilrechtlichen Verfahren tätig geworden sind, nicht gehört und verschiedene Urkunden nicht eingeführt habe. Das Gericht wäre bei Erhebung dieser Beweise „zwingend” zu dem Ergebnis gekommen, dass die Nebenklägerin wegen ihrer Misserfolge im Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts, im einstweiligen Verfügungsverfahren und im Ermittlungsverfahren den Angeklagten erstmals am 28. August 2002 auch sexueller Straftaten beschuldigt habe und eine Falschbelastung jedenfalls hinsichtlich der Sexualdelikte nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne.
Im Einzelnen hätten folgende Zeugen gehört werden müssen:
– der POK B.: Dieser hätte bekunden können, dass die Nebenklägerin bei ihrer Anzeigeerstattung am 8. Juli 2002 nur Körperverletzungsdelikte nicht Sexualdelikte des Angeklagten angegeben habe,
– die Rechtspflegerin S.: Sie hätte bekunden können, dass die Nebenklägerin ihren Antrag vom 8. Juli 2002 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Angeklagten, mit dem Ziel, dass dieser von ihr bis auf 50 m Abstand fern zu bleiben habe, nur mit dem Vorfall vom 7. Juli 2002 (Fall II. 7. der Urteilsgründe) begründet habe,
– der Dipl. Sozialarbeiter U.: Über seine Stellungnahme vom 2. August 2002 im Streit um das Umgangsrecht des Angeklagten mit seiner Tochter, nach der als vorläufige Regelung an ein Besuchsrecht alle zwei Wochen samstags und einen Wochentag zwischendurch gedacht werden könne,
– der Richter am Amtsgericht (Familiengericht) Se.: Dieser hätte bekunden können, dass er die vorerwähnte Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten der Nebenklägerin zustellen ließ und diese mit Schriftsatz vom 22. August 2002 einen zweimonatigen Ausschluss des Besuchsrechts für den Angeklagten und danach nur einen vom Jugendamt überwachten Kontakt vorgeschlagen habe. Die Nebenklägerin sei über die Entscheidung des Zeugen vom 26. August 2002, mit der diesem Antrag nicht voll gefolgt worden sei, erkennbar enttäuscht gewesen,
– den Richter am Amtsgericht K.: Dieser hätte bekunden können, dass die Nebenklägerin die Aufrechterhaltung der erwähnten einstweiligen Verfügung bei der Verhandlung am 22. August 2002 energisch erstrebt habe und dem dann abgeschlossenen Vergleich nur zugestimmt habe, weil man sie darauf hingewiesen habe, dass die Anordnung eines Sicherheitsabstandes nicht in Betracht komme,
– den Amtsanwalt G.: Dieser hätte bekunden können, dass er die Nebenklägerin für unglaubhaft gehalten habe und laut seinem Vermerk vom 26. August 2002 keinen hinreichenden Tatverdacht gesehen habe,
– die Kriminalkommissarin Ke.: Diese hätte bekunden können, dass die Nebenklägerin bei ihrer Vernehmung am 30. Oktober 2002 die Fälle II. 2. und II. 3. der Urteilsgründe nur knapp beschrieben habe und zum Fall II. 2. angegeben habe, dass der Angeklagte vor ihr, nicht jedoch auf ihrem Oberkörper sitzend masturbiert habe,
– den in der Hauptverhandlung nur als Sachverständigen, nicht als Zeugen vernommenen Prof. Dr. … Sc.: Dieser hätte bekunden können, dass er bei Erstellung seines Gutachtens keine Kenntnis von den Akten des familiengerichtlichen Verfahrens über den Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Umgangsrecht und über das einstweilige Verfügungsverfahren hatte und auch in der Hauptverhandlung keine Angaben über den genauen Verlauf dieser Verfahren erhalten habe.
Die sich auf diese Zeugen bzw. auf die erwähnten Verfahren beziehenden, von der Revision näher bezeichneten Urkunden hätten verlesen werden müssen. Sie seien auch sonst nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden.
Nach Auffassung der Revision hätten sich dem Landgericht diese Beweiserhebungen aufdrängen müssen, wenn es die Koinzidenz zwischen dem relativen Misserfolg der Nebenklägerin in dem einstweiligen Verfügungsverfahren, dem Umgangsverfahren, dem Stand des Ermittlungsverfahrens, wie er sich Ende August 2002 darstellte, und der Erweiterung der Strafanzeige am 28. August 2002 durch die Nebenklägerin auf die bisher nicht erwähnten Sexualdelikte berücksichtigt hätte. Die Feststellung des Landgerichts im Urteil, das Umgangsrecht sei befriedigend für die Nebenklägerin geregelt und scheide deshalb als Motiv für eine mögliche Falschbelastung aus, treffe für den Zeitpunkt der Anzeigeerstattung und der Erweiterung der Anzeige nicht zu. In diesem Zusammenhang hätte das Landgericht, das in den Urteilsgründen von der Konstanz der Angaben der Nebenklägerin ausgegangen sei, den Widerspruch zwischen ihrer Erstaussage am 8. Juli 2002 bei ihrer polizeilichen Vernehmung sowie den Angaben im einstweiligen Verfügungsverfahren, bei denen sie jeweils nur die Körperverletzungsdelikte angegeben habe, und der Erweiterung ihrer Anzeige auf die Sexualdelikte am 28. August 2002 klären müssen.
b) Die Rüge greift nicht durch.
aa) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge bestehen bereits deswegen, weil die Revision zwar eine Vielzahl von Urkunden aus den verschiedenen Verfahren (Ermittlungsverfahren, Umgangsverfahren, einstweilige Verfügungsverfahren) vorgetragen hat, der Vortrag aber teilweise unvollständig, teilweise unzutreffend ist. So hatte der Sachverständige entgegen den schriftlichen Ausführungen der Revision die Beiakten 5 C … AG Bitburg (einstweiliges Verfügungsverfahren) und 2 F … AG Bitburg (Verfahren über das Umgangsrecht des Angeklagten mit der Tochter Natascha) zur Erstattung seines Gutachtens erhalten. Diese Akten, wie auch die Ermittlungsakten einschließlich der Vernehmungen der Nebenklägerin vom 8. Juli 2002 und 30. Oktober 2002, sind – wie auch von der Revision in der Revisionshauptverhandlung berichtigend klargestellt worden ist – von dem Sachverständigen zur Grundlage seines schriftlichen Gutachtens (vgl. Bl. 17 f. d. Gutachtens) gemacht und inhaltlich referiert worden. Weiter ist das schriftliche Gutachten des Prof. Dr. Sc. nur auszugsweise – II Bl. 63/64 und 68 des Wortprotokolls zum Gutachten – vorgetragen und das Ergebnis des Sachverständigen zur Hypothese einer bewussten Falschaussage auf Grund der jedenfalls zunächst streitigen Regelung des Umgangsrechts des Angeklagten mit der Tochter in seinem schriftlichen Gutachten (Bl. 60 des Gutachtens) nicht mitgeteilt worden. Desgleichen hat die Revision die Ausführungen des Sachverständigen zur Konstanzprüfung nicht wiedergegeben. Aus ihnen ergibt sich aber, dass die Konstanz der Aussagen der Nebenklägerin in den gleichlautenden Schilderungen der jeweiligen Tatvorwürfe gesehen, nicht jedoch unter dem Gesichtspunkt untersucht wurde, ob in jeder Vernehmung oder Exploration jeweils alle Tatvorwürfe angegeben wurden.
Dass sich die vermisste zeugenschaftliche Vernehmung des Sachverständigen, der sein Gutachten u.a. auf der Grundlage vollständiger Aktenkenntnis erstattet hat, dem Landgericht nicht aufdrängen musste, hat die Revision in der Revisionshauptverhandlung selbst nicht mehr in Frage gestellt. Unter Berücksichtigung des genannten Umstands mussten sich aber auch die weiteren von der Revision vermissten Beweiserhebungen, mit denen in einer Gesamtschau die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin erschüttert werden soll, dem Landgericht nicht mehr aufdrängen. Der Sachverständige hat die Nebenklägerin auf der dargelegten Tatsachengrundlage für glaubhaft erachtet und einen Zusammenhang der Streitigkeiten über das Besuchsrecht mit ihrer den Angeklagten belastenden Aussage verneint. Zudem sind die Angaben der Nebenklägerin in weiteren Punkten durch Aussagen von unabhängigen Zeugen bestätigt worden. Auch die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung keinen Anlass gesehen, entsprechende Beweisanträge zu stellen.
bb) Soweit beanstandet wird, die Strafkammer hätte zur Frage der Konstanz der Aussagen der Nebenklägerin die polizeilichen Vernehmungsbeamten hören müssen, diesbezüglich seien der Nebenklägerin auch keine Vorhalte gemacht worden, ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll anderes, nämlich dass der Nebenklägerin bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung u.a. aus ihrer ersten Vernehmung vom 8. Juli 2002 Vorhalte gemacht worden sind. Unter diesen Umständen kann nicht nur nicht ausgeschlossen werden, sondern ist es sogar nahe liegend, dass die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung insbesondere auch Angaben zur Aussageentwicklung und der späten Anzeigeerstattung der Sexualdelikte gemacht und dies so begründet hat, dass sie für alle Verfahrensbeteiligten zum Zeitpunkt der Entscheidung befriedigend geklärt war.
cc) Ob dies tatsächlich der Fall war, lässt sich zwar den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen. Aus dem Schweigen der Urteilsgründe zur Aussageentwicklung allein kann aber nicht geschlossen werden, dass die Strafkammer diesen Punkt als erörterungsbedürftig ansehen musste. War er zu ihrer Überzeugung geklärt, bestand kein Anlass, ihn als wesentlichen Punkt in der Beweiswürdigung abzuhandeln (vgl. auch BGH NJW 1992, 2838, 2840). Ein sachlich-rechtlicher Erörterungsmangel liegt ebenfalls nicht vor, weil sich aus dem Urteil selbst keine Lücke und keine Widersprüche ergeben.
Die Frage ließe sich deshalb nur durch eine Rekonstruktion der Hauptverhandlung klären, die dem Revisionsgericht grundsätzlich verwehrt ist. Die Rüge läuft, auch wenn eine ausdrückliche Verknüpfung im Sinne einer Alternativität zwischen einer Verletzung der Aufklärungspflicht oder einem Verstoß gegen § 261 StPO nicht vorgenommen worden ist, deshalb im Ergebnis auf die Rüge der „Aktenwidrigkeit” der Urteilsgründe hinaus, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich unzulässig ist (BGH NJW 1992, 2840; BGH NStZ 1997, 294; BGH NStZ 1999, 423; BGH NStZ 2000, 156; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 337 Rdn. 15 a m.w.N.). Ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall (etwa bei wörtlich protokollierter Aussage) liegt nicht vor.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Roggenbuck, Appl
Fundstellen
Haufe-Index 2556551 |
NStZ 2006, 55 |