Leitsatz (amtlich)
a) Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.
b) Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung erfasst Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.
Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 9.9.2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.
Streitwert: bis 7.000 EUR
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger beauftragte am 14.1.2015 die S. GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, mit Fassadenarbeiten. Nach Abschlagszahlungen i.H.v. 13.000 EUR und ergebnislosen Fristsetzungen zur Erbringung der Werkleistung kündigte der Kläger den Vertrag mit Schreiben vom 22.8.2016 und forderte unter Fristsetzung zum 29.8.2016 die Beseitigung mehrerer behaupteter Mängel sowie die Rückzahlung von 11.000 EUR entsprechend dem seiner Ansicht nach erreichten Leistungsstand. Die Aufforderung blieb ohne Ergebnis.
Rz. 2
Mit Schriftsatz vom 30.8.2016 beantragte der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren gegen die S. GmbH mit Beweisfragen zum Leistungsstand und dem darauf entfallenden Werklohn, zu behaupteten Mängeln der bislang erbrachten Werkleistungen und zu Gebäudeschäden. Das LG ordnete mit Beschluss vom 16.11.2016 eine sachverständige Begutachtung an.
Rz. 3
Am 5.12.2016 erging gegen den Beklagten ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Den dagegen eingelegten Einspruch hat der Beklagte auf die Rechtsfolgen beschränkt. Nach Eigenantrag vom 14.12.2016 wurde über das Vermögen der S. GmbH am 21.3.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt.
Rz. 4
Am 11.5.2017 erstattete der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Gutachten, in dem er eine Leistungserbringung von lediglich ca. 5 % (900 EUR einschließlich Umsatzsteuer) und Mängel feststellte, deren Beseitigungskosten er auf 6.400 EUR schätzte.
Rz. 5
Mit Schreiben vom 9.6.2017 äußerte sich erstmals der Insolvenzverwalter der S. GmbH im selbständigen Beweisverfahren und gab bekannt, dass die Insolvenzmasse nicht in der Lage sei, Kosten für die Vergütung eines Sachverständigen zu tragen.
Rz. 6
Der Kläger verlangt die Erstattung von Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens, die er mit 317 EUR angibt, Kosten der gerichtlich angeordneten Begutachtung durch den Sachverständigen, deren Höhe er mit 2.606,02 EUR beziffert, und Rechtsanwaltskosten i.H.v. 2.935,49 EUR. Daneben begehrt er die Feststellung, dass dem Zahlungsanspruch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Beklagten zugrunde liegt. Das LG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.
Rz. 8
I. Das Berufungsgericht (OLG Karlsruhe ZIP 2021, 1396) hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 9
Dem Kläger stehe ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO zu. Ohne Verletzung des Rechts habe das LG festgestellt, dass für die S. GmbH seit dem 1.12.2015 der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit bestanden habe, mit der Folge der Pflicht des Beklagten, unverzüglich, spätestens nach drei Wochen einen Eröffnungsantrag zu stellen. Zutreffend und von der Berufung nicht angegriffenen habe das LG auch die weiteren haftungsbegründenden Voraussetzungen, nämlich die schuldhaft unterlassene Antragstellung durch den Beklagten, bejaht.
Rz. 10
Nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO könne der Ersatz solcher freiwilligen Aufwendungen verlangt werden, die nach Verletzung der Insolvenzantragspflicht in dem Vertrauen auf die Solvenz des Schuldners und der vernünftigen Erwartung gemacht würden, einen vor Insolvenzreife gegen den Schuldner begründeten Anspruch durchzusetzen. Ein solcher Schaden sei vom Schutzzweck der Norm umfasst.
Rz. 11
Zu Unrecht beanstande die Berufung, dass das LG ohne Prüfung die Berechtigung des Gewährleistungsverlangens des Klägers unterstellt habe. Maßgeblich für die haftungsausfüllende Kausalität sei zunächst, ob dem Kläger die Aufwendungen ohne die Pflichtverletzung des Beklagten, also bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags, erspart geblieben wären, weil er von den kostenauslösenden Maßnahmen, nämlich der Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens und der Einleitung dieses Verfahrens sowie den Zahlungen der Vorschüsse abgesehen hätte. Dabei komme es für die Kausalität im Sinn der Äquivalenz nicht darauf an, ob das Gewährleistungsverlangen berechtigt gewesen sei. Im Streitfall sei anzunehmen, dass der Kläger von erheblichen Kosten auslösenden Beweissicherungsmaßnahmen abgesehen hätte. Ob dies vom Beklagten überhaupt bestritten gewesen sei, könne dahinstehen. Jedenfalls könne der Senat davon ausgehen, dass der Kläger im Fall eines pflichtgemäß bereits Ende 2015 gestellten Insolvenzantrags auf die kostenauslösenden Maßnahmen ab August 2016 verzichtet hätte. Denn diese Maßnahmen könnten nicht als sinnvoll zur Durchsetzung von Forderungen, die wirtschaftlich letztlich allenfalls zu einer ungewissen Quote zu realisieren gewesen wären, erscheinen, insb. zumal die Erstattung der dafür aufgewandten Kosten über den Umweg des erhofften Erfolgs in der Hauptsache mangels Solvenz nicht zu erwarten gewesen sei. Es spreche ein unter Berücksichtigung aller Umstände für die Schadensschätzung nach § 287 ZPO ausreichend starkes Indiz dafür, dass der Kläger in Kenntnis eines Insolvenzantrags kein selbständiges Beweisverfahren angestrebt hätte.
Rz. 12
Das LG habe nachvollziehbar festgestellt, dass der Beklagte die Zahlungsunfähigkeit der S. GmbH erkannt, dennoch keinen Insolvenzantrag gestellt und so billigend in Kauf genommen habe, dass der Kläger einen kostenauslösenden "Prozess" (d.h. etwa ein selbständiges Beweisverfahren) anstrenge. Dagegen bringe die Berufung auch nichts vor, die insb. keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung hinsichtlich des dolus eventualis des Klägers aufzeige. Dies rechtfertige den vom LG mit zutreffender Begründung für nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig erachteten Feststellungsantrag.
Rz. 13
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Es kann dahinstehen, ob, wie das Berufungsgericht meint, der Anspruch des Klägers auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO in der Fassung des Gesetzes vom 15.7.2013 (im Folgenden: a.F.) gestützt werden kann. Das Berufungsurteil stellt sich jedenfalls aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Insolvenzverschleppung aus § 826 BGB zu.
Rz. 14
1. Der Senat ist durch die vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage nicht daran gehindert, den Anspruch auf § 826 BGB zu stützen.
Rz. 15
a) Die Zulassung der Revision kann auf einen selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden. Die Eingrenzung der Rechtsmittelzulassung kann sich bei uneingeschränkter Zulassung im Tenor auch aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergeben. Dies kann der Fall sein, wenn die Zulassung nur wegen einer bestimmten Rechtsfrage ausgesprochen wird. Bezieht sich die Rechtsfrage, zu deren Klärung das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, auf einen abtrennbaren Teil des Streitstoffs, ist die Entscheidung grundsätzlich so auszulegen, dass die Revision lediglich beschränkt auf diesen Teil des Streitgegenstands zugelassen worden ist (BGH, Urt. v. 13.8.2020 - III ZR 148/19 WM 2020, 1862 Rz. 13 m.w.N.). Demgegenüber ist eine Beschränkung der Zulassung auf Anspruchselemente oder einzelne von mehreren miteinander konkurrierenden Anspruchsgrundlagen nicht zulässig (BGH, Urt. v. 7.7.1983 - III ZR 119/82 NJW 1984, 615, insoweit in BGHZ 88, 85 nicht abgedruckt; Urt. v. 15.12.1992 - VI ZR 115/92 NJW 1993, 655, 656; Urt. v. 24.8.2017 - III ZR 574/16 MDR 2018, 27 Rz. 11; Urt. v. 27.6.2019 - III ZR 93/18, MDR 2019, 1183 Rz. 7; Urt. v. 13.8.2020 - III ZR 148/19 WM 2020, 1862 Rz. 13 m.w.N.).
Rz. 16
b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Zulassung der Revision nicht auf den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. beschränkt.
Rz. 17
Eine Begrenzung der Revision im Urteilsausspruch fehlt. In seinen Entscheidungsgründen hat das Berufungsgericht formuliert, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, wegen der sich stellenden Rechtsfrage:
"ob der Gläubiger im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO solche Aufwendungen, die er nach Insolvenzreife und Verletzung der Insolvenzantragspflicht in der vernünftigen Erwartung gemacht hat, gegen den Insolvenzschuldner vor Insolvenzreife begründete Ansprüche durchzusetzen, erstattet verlangen kann (insoweit also Neugläubiger im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist)."
Rz. 18
Eine hierin liegende Beschränkung der Revisionszulassung wäre jedenfalls insoweit unzulässig, als sie einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Insolvenzverschleppung nach § 826 BGB ausschließen würde. Dieser Anspruch und der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. konkurrieren auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts, weil sie sich im Wesentlichen lediglich im Grad des Verschuldens unterscheiden, im Übrigen aber auf demselben Verhaltensstandard beruhen (vgl. BGH, Urt. v. 9.7.1979 - II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 114; in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 826 Rz. 172; MünchKomm/InsO/, 4. Aufl., § 15a Rz. 296, 298).
Rz. 19
2. Der Kläger kann von dem Beklagten Ersatz der ihm durch das gegen die insolvente S. GmbH als Gegner geführte selbständige Beweisverfahren entstandenen Kosten nach § 826 BGB verlangen, weil der Beklagte als Geschäftsführer der Gesellschaft die ihn treffende Insolvenzantragspflicht vorsätzlich verletzt und den Kläger dadurch sittenwidrig geschädigt hat.
Rz. 20
a) Der Beklagte haftet nach § 826 BGB, weil er vorsätzlich die Insolvenz der S. GmbH verschleppt hat. Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird (vgl. BGH, Urt. v. 26.6.1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 142; Urt. v. 18.12.2007 - VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 Rz. 15).
Rz. 21
aa) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die S. GmbH seit dem 1.12.2015 zahlungsunfähig i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO war und der Beklagte seiner aus § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. folgenden Insolvenzantragspflicht nicht nachgekommen ist. Die Revision greift das nicht an.
Rz. 22
bb) Der Beklagte hat vorsätzlich gehandelt, insb. ist der vom Kläger geltend gemachte Schaden vom Vorsatz des Beklagten umfasst.
Rz. 23
Der gem. § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Dabei braucht der Täter nicht zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 26.6.1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 143; Urt. v. 19.7.2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160, 149 Rz. 47; Urt. v. 18.12.2007 - VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 Rz. 16; Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 61).
Rz. 24
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe die Schädigung der Gläubiger der S. GmbH durch deren Fortführung trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit billigend in Kauf genommen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Fortführung des Geschäftsbetriebs der S. GmbH musste zu Schädigungen Dritter führen, die mit der Gesellschaft anspruchsbegründend in Kontakt traten und deren Forderungen jedenfalls nicht mehr vollständig beglichen werden konnten (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2007 - VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 Rz. 15). In gleicher Weise musste die Fortführung des Geschäftsbetriebs zur Schädigung von Vertragspartnern der GmbH führen, welche in dem Vertragsverhältnis gründende kostenauslösende Maßnahmen ergriffen, die sich wegen der Insolvenz der Gesellschaft nachträglich als wirtschaftlich unsinnig erwiesen und für die von der Gesellschaft keine Erstattung erlangt werden konnte. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem LG festgestellt, der Beklagte habe die Zahlungsunfähigkeit der S. GmbH erkannt, dennoch keinen Insolvenzantrag gestellt und so billigend in Kauf genommen, dass der Kläger einen kostenauslösenden Prozess, hier ein selbständiges Beweisverfahren, anstrenge.
Rz. 25
Die Revision greift dies, wie schon die Berufungsbegründung, nicht an. Sie wendet sich lediglich ohne Erfolg gegen das vom Berufungsgericht bejahte Feststellungsinteresse. Das Feststellungsinteresse ergibt sich bei einem Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aus den erweiterten Vollstreckungsmöglichkeiten des § 850 f Abs. 2 ZPO (BGH, Urteil vom 30.11.1989 - III ZR 215/88, BGHZ 109, 275, 280 f.; Beschl. v. 26.9.2002 - IX ZB 180/02, BGHZ 152, 166, 171 f.; Beschl. v. 5.4.2005 - VII ZB 17/05 NJW 2005, 1663; Beschl. v. 20.10.2009 - VI ZR 281/08, juris; Beschl. v. 3.3.2016 - IX ZB 33/14, BGHZ 209, 168 Rz. 23).
Rz. 26
cc) Die Sittenwidrigkeit der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung folgt regelmäßig bereits aus dem vorsätzlichen Verstoß des Antragspflichtigen gegen seine Pflicht (vgl. BGH, Urt. v. 26.6.1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144 f.; Urt. v. 18.12.2007 - VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 Rz. 15; OLG Frankfurt, NZG 1999, 947, 948; OLG Saarbrücken, ZIP 2007, 328, 329; EWiR 2002, 623, 624; MünchKomm/InsO/, 4. Aufl., § 15a Rz. 298). Wenn der Geschäftsführer die Insolvenzreife der Gesellschaft erkennt und das Unternehmen dennoch weiterführt, lässt das darauf schließen, dass er das unabweisbare Ende des Unternehmens zum Nachteil der Gläubiger nur hinauszögern will. Für Umstände, nach denen ein Verstoß gegen die guten Sitten ausnahmsweise ausscheidet, ist der beklagte Geschäftsführer darlegungsbelastet (BGH, Urt. v. 26.6.1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144 f.; Urt. v. 18.12.2007 - VI ZR 231/06 ZIP 2008, 361 Rz. 17, insoweit in BGHZ 175, 58 nicht abgedruckt; OLG Saarbrücken, NZG 2007, 105, 106). Die Sittenwidrigkeit kann etwa dann entfallen, wenn der Geschäftsführer den Antrag unterlassen hat, weil er die Krise den Umständen nach als überwindbar und darum Bemühungen um ihre Behebung durch einen Sanierungsversuch als lohnend und berechtigt ansehen durfte (vgl. BGH, Urt. v. 9.7.1979 - II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 114; Urt. v. 26.6.1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144 f.; OLG Frankfurt, NZG 1999, 947, 948). Solche Umstände sind nicht geltend gemacht.
Rz. 27
b) Dem Kläger ist durch die vorsätzliche Verschleppung des Insolvenzantrags bis zum 14.12.2016 durch den Beklagten als Geschäftsführer der seit 1.12.2015 insolvenzreifen S. GmbH ein nach §§ 826, 249 BGB ersatzfähiger Schaden entstanden.
Rz. 28
aa) Ein Schaden i.S.d. §§ 826, 249 BGB ist dem Kläger durch die verspätete Stellung des Insolvenzantrags dann entstanden, wenn die rechtzeitige Antragstellung dazu geführt hätte, dass er das kostenauslösende selbständige Beweisverfahren gegen die S. GmbH nicht eingeleitet hätte (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2007 - VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 Rz. 22; Urt. v. 13.10.2009 - VI ZR 288/08 ZIP 2009, 2439 Rz. 10; OLG Saarbrücken, ZIP 2007, 328, 329).
Rz. 29
Das Berufungsgericht hat aufgrund seiner revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden tatrichterlichen Würdigung festgestellt, der Kläger hätte im Fall eines pflichtgemäß bereits Ende 2015 gestellten Insolvenzantrags auf die kostenauslösenden Maßnahmen ab August 2016 verzichtet. Dem setzt die Revision nichts entgegen. Sie verweist lediglich darauf, der Beklagte habe erstinstanzlich das Vorbringen des Klägers zur Kausalität bestritten. Dies hat aber auch das Berufungsgericht seiner Würdigung zugrunde gelegt.
Rz. 30
bb) Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Insolvenzverschleppung des Beklagten und den durch das selbständige Beweisverfahren dem Kläger entstandenen Kosten entfällt auch dann nicht, wenn das Gewährleistungsverlangen des Klägers in der Sache nicht berechtigt war. Entgegen der Auffassung der Revision durfte das Berufungsgericht diese Frage daher offenlassen. Der nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Insolvenzverschleppung verantwortliche Geschäftsleiter einer GmbH haftet für solche Rechtsverfolgungskosten, für deren Verursachung ein rechtfertigender Anlass bestand oder die durch die Insolvenzverschleppung herausgefordert wurden und die sich weder als ungewöhnlich noch als gänzlich unangemessen darstellen.
Rz. 31
Eine für den Schaden mitursächliche willentliche Handlung des Verletzten schließt nicht ohne Weiteres aus, den Schaden demjenigen zuzurechnen, der die schädigende Kausalkette in Gang gesetzt hat, wenn für die Zweithandlung des Geschädigten ein rechtfertigender Anlass bestand oder sie durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert wurde. Wenn sich dann die Reaktion auch nicht als ungewöhnlich oder gänzlich unangemessen erweist, so bleibt der Zurechnungszusammenhang mit dem Verhalten des Schädigers bestehen (BGH, Urt. v. 3.12.1992 - IX ZR 61/92 NJW 1993, 1139, 1141 m.w.N.; Urt. v. 4.7.1994 - II ZR 126/93 NJW 1995, 126, 127; Urteil vom 20.10.1994 - IX ZR 116/93 NJW 1995, 449, 451; Urt. v. 14.6.2012 - IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 Rz. 44; Urt. v. 13.10.2016 - IX ZR 149/15 NJW 2017, 1600 Rz. 11). So liegt es nach den von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts hier.
Rz. 32
Die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aus objektiver Sicht gerechtfertigt und der Kläger wurde durch den vom Beklagten zu verantwortenden Fortbestand der insolventen S. GmbH herausgefordert, das Verfahren überhaupt noch einzuleiten. Da der Kläger schon zuvor Verzögerungen gerügt und Mängelbeseitigung sowie teilweise Rückzahlung seiner Abschlagszahlungen, jeweils unter Setzung einer fruchtlos verstrichenen Frist, verlangt hat, war die Einleitung und Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens eine nachvollziehbare Maßnahme. Dies gilt insb. mit Blick auf das Bedürfnis des Klägers, vor der weiteren Werkausführung Beweise über den durch die S. GmbH erreichten Stand zu sichern. Es ist nicht ersichtlich, dass die in der Sache behaupteten Ansprüche aus Sicht des Klägers vernünftigerweise nicht anzunehmen waren. Die Maßnahme war danach weder ungewöhnlich noch gänzlich unangemessen.
Rz. 33
cc) Der Schutzbereich des § 826 BGB erfasst den Ersatz der Kosten, die dem Vertragspartner einer GmbH dadurch entstehen, dass er zur Feststellung von das vor der Insolvenzreife begründete Vertragsverhältnis betreffende Tatsachen gegen die unerkannt insolvenzreife Gesellschaft ein selbständiges Beweisverfahren führt.
Rz. 34
(1) Der Senat hat bereits entschieden, dass der Schutzzweck der Norm des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. den Ersatz solcher (Rechtsverfolgungs-)Kosten umfasst, die dem Gläubiger, der nach Insolvenzreife der GmbH einen Vertrag mit dieser abgeschlossen hat, wegen der Verfolgung seiner Zahlungsansprüche gegen die Gesellschaft entstanden sind. Die Insolvenzantragspflicht soll den Vertragspartner einer GmbH davor schützen, dass er sich durch die Prozessführung mit der unerkannt insolvenzreifen Gesellschaft mit Kosten belastet, die er bei der Gesellschaft als Kostenschuldnerin nicht mehr realisieren kann (BGH, Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07 ZIP 2009, 1220 Rz. 19; Urt. v. 14.5.2012 - II ZR 130/10 ZIP 2012, 1455 Rz. 26; Urt. v. 21.10.2014 - II ZR 113/13 ZIP 2015, 267 Rz. 23 f.). Zu den Rechtsverfolgungskosten in diesem Sinn gehören auch die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens (vgl. BGH, Urt. v. 14.5.2012 - II ZR 130/10 ZIP 2012, 1455). Dieser Schaden ist auch nach einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung nach § 826 BGB ersatzfähig.
Rz. 35
(2) Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung i.S.d. § 826 BGB erfasst darüber hinaus Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.
Rz. 36
Auch bei § 826 BGB wird der Haftungsumfang nach Maßgabe des Schutzzwecks der Norm beschränkt. Es muss ein innerer Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage bestehen, nicht nur eine bloße zufällige äußere Verbindung. Abzustellen ist auf den Schutzzweck der konkret verletzten Verhaltensnorm, wie hier des Verbots der Insolvenzverschleppung (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.1971 - VII ZR 313/69, BGHZ 57, 137, 142; Urt. v. 11.11.1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 236 f.; in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 826 Rz. 49).
Rz. 37
Als Ausgangspunkt zur Bemessung des Schutzbereichs dient daher auch hier der Schutzzweck des Verbots der Insolvenzverschleppung. Das Verbot dient nicht nur der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens, sondern hat auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 194 ff.; Urt. v. 25.7.2005 - II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 60; Urt. v. 15.3.2011 - II ZR 204/09 ZIP 2011, 1007 Rz. 20; Urt. v. 14.5.2012 - II ZR 130/10 ZIP 2012, 1455 Rz. 12 f.; Urt. v. 22.10.2013 - II ZR 394/12 ZIP 2014, 23 Rz. 7; Urt. v. 21.10.2014 - II ZR 113/13 ZIP 2015, 267 Rz. 13). Der Schutzbereich des § 826 BGB ist im Hinblick auf die aus der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung regelmäßig folgenden Sittenwidrigkeit weiter als der des § 15a Abs. 1 InsO. Der Geschäftsführer einer GmbH, der durch eine Insolvenzverschleppung einen nicht vom Schutzbereich des § 15a Abs. 1 InsO abgedeckten Vermögensschaden verursacht, kann daher aus § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein, was insb. Bedeutung im Hinblick auf den geschützten Personenkreis erlangen kann (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2007 - VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 Rz. 14; Urt. v. 13.10.2009 - VI ZR 288/08 ZIP 2009, 2439 Rz. 7 m.w.N.). In den Schutzbereich der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung können selbst zuvor mit der Gesellschaft vertraglich nicht gebundene Dritte einbezogen sein (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 236 ff.; Urt. v. 26.6.1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 141 f.; Urt. v. 18.12.2007 - VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 Rz. 14; Urt. v. 13.10.2009 - VI ZR 288/08 ZIP 2009, 2439 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 38
Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden, insb. auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen, als sittlich anstößig zu werten sein, während ihm diese Qualifikation hinsichtlich anderer, wenn auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in einem solchen Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen (BGH, Urt. v. 11.11.1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 236 f.; Urt. v. 7.5.2019 - VI ZR 512/17 ZIP 2019, 1325 Rz. 8). Ein solcher Schaden liegt vor, wenn eine Person vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit der GmbH getreten ist und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet wird, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen kann. Die Schädigung der Vertragspartner der Gesellschaft durch weitere im Vertragsverhältnis wurzelnde, aber wirtschaftlich unsinnige und ohne durchsetzbaren Erstattungsanspruch gegenüber der Gesellschaft bleibende Aufwendungen ist die zwangsläufige Folge der Insolvenzverschleppung und liegt auch unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens, weil der Schädiger nur unter Inkaufnahme dieser Schäden die Insolvenz verschleppen kann (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 237). Eine Ausuferung der Haftung des Geschäftsführers steht nicht zu befürchten, da nicht jeder beliebige Dritte geschützt ist, sondern in Sachverhalten wie dem vorliegenden die Haftung an die vor Insolvenzreife bereits bestehende Rechtsbeziehung zur Gesellschaft anknüpft (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 237).
Rz. 39
c) Die Angriffe der Revision gegen die Höhe des Anspruchs bleiben ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die vom LG festgestellte Höhe der Aufwendungen des Klägers greife die Berufung nicht an. Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, dass das Berufungsgericht alle konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen, berücksichtigen muss, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, auch wenn das Übergehen dieses Vortrags von dem Berufungskläger nicht zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht worden ist (BGH, Urt. v. 12.3.2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 279; Beschl. v. 28.4.2020 - VI ZR 347/19 WM 2020, 1152 Rz. 8). Das Berufungsgericht hat dieses Erfordernis indes nicht übersehen und Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des LG verneint. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Tatsachenfeststellungen begründen, zeigt auch die Revision nicht auf.
Rz. 40
aa) Soweit die Revision einwendet, der Kläger hätte in der entsprechenden Situation, in der Baumängel und die Rückzahlung von Vorschüssen in Höhe eines fünfstelligen Betrags sowie ein Insolvenzverfahren im Raum stehen, ohnehin die Dienste eines Rechtsanwalts in Anspruch genommen, stellt dies die tatrichterliche Feststellung nicht in Frage. Es kommt allein darauf an, ob die dem Kläger entstandenen Rechtsanwaltskosten auch bei rechtzeitiger Stellung eines Insolvenzantrags angefallen wären. Das ist nicht der Fall, weil diese Kosten nach den Feststellungen der Vorinstanzen gerade für diejenigen Beweissicherungsmaßnahmen angefallen sind, die der Kläger bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags nicht ergriffen hätte. Sollte die Revision darauf hinauswollen, dass etwa bei pflichtgemäßem Handeln des Beklagten Rechtsanwaltskosten für anderweitige anwaltliche Tätigkeiten, etwa für eine Beratung, angefallen wären, ist das eine Frage, die den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens betrifft, für den der Beklagte darlegungs- und beweisbelastet ist. Die Revision zeigt jedoch bereits nicht auf, dass der Beklagte in den Vorinstanzen diesen Einwand erhoben hat.
Rz. 41
bb) Die Rüge der Revision, das LG habe sich wegen der Höhe der Sachverständigenkosten nicht auf eine elektronische Akte berufen dürfen, deren Inhalt nicht zu den Gerichtsakten gelangt sei, bleibt ohne Erfolg.
Rz. 42
Das Gericht ist nach § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bzw. nach § 432 ZPO befugt Gerichtsakten aus anderen Verfahren beizuziehen. Zur Wahrung des Beibringungsgrundsatzes ist es erforderlich, dass sich eine Partei unter Angabe der erheblichen Aktenteile auf diese Akten bezogen hat (BGH, Urt. v. 9.6.1994 - IX ZR 125/93 ZIP 1994, 1555, insoweit in BGHZ 126, 217 nicht abgedruckt; Urt. v. 12.11.2003 - XII ZR 109/01 NJW 2004, 1324, 1325; BVerfG, NJW 2014, 1581, 1582). Der Kläger hat zum Beweis für die Höhe der Sachverständigenkosten die Beiziehung der Akten des vor einer anderen Kammer desselben LG geführten selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Die Beiziehung der Akten war nicht möglich, weil, worauf das LG die Parteien mit Verfügung vom 28.6.2019 und in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, die entsprechende Akte laut Registratur nicht auffindbar war. Deshalb hat das LG die Angaben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Daten über das Softwareprogramm ForumStar überprüft.
Rz. 43
Es kann dahinstehen, ob in dem Umstand, dass das LG, bevor es sein Urteil anstatt auf die schriftliche Akte auf digitale Informationen gestützt hat, dem Beklagten keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und diese auch nicht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beklagten liegt (vgl. BGH, Urt. v. 20.9.1978 - IV ZR 57/77, VersR 1978, 1105; Urt. v. 8.1.1985 - VI ZR 15/83 NJW 1985, 1399, 1400; Beschl. v. 18.7.2006 - XI ZB 28/05, juris Rz. 5; Beschl. v. 23.11.2011 - IV ZR 49/11, FamRZ 2012, 297 Rz. 8, 13; Beschl. v. 5.10.2016 - XII ZB 152/16, NJOZ 2017, 842 Rz. 8 m.w.N.; Beschl. v. 14.11.2017 - VIII ZR 101/17 NJW 2018, 1171 Rz. 19). Darauf könnte sich der Beklagte in der Revisionsinstanz nicht mehr berufen.
Rz. 44
Der Beklagte hat sich in der Berufungsbegründung mit der Höhe der Sachverständigenkosten wie auch mit den anderen Schadenspositionen nicht befasst. Es ist naheliegend, darin eine Aufgabe des erstinstanzlichen Bestreitens mit Nichtwissen, dass Sachverständigenkosten in der geltend gemachten Höhe angefallen seien, zu sehen, nachdem das LG nach Überprüfung anhand elektronisch gespeicherter Daten die Richtigkeit des klägerischen Vortrags als bestätigt angesehen hat. Jedenfalls ist eine entsprechende Revisionsrüge nach dem allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität ausgeschlossen. Nach dem Inhalt des in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens kann eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen, wenn sie die ihr nach Kenntnis des Verstoßes verbliebenen Möglichkeiten einer Äußerung nicht genutzt hat. Ist gegen die gehörsverletzende Entscheidung - wie hier mit der Berufung - ein Rechtsmittel gegeben, das (auch) zur Überprüfung dieser Verletzung führen kann, so ist den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung getragen. Eine erstmalige Überprüfung des Gehörsverstoßes in der letzten Instanz scheidet unter diesen Umständen aus (BGH, Urt. v. 9.2.2011 - VIII ZR 285/09, NZM 2011, 274 Rz. 10).
Rz. 45
cc) Der weitere Einwand der Revision, der Sachverständige sei nach Aktenlage erst nach Stellung des Insolvenzantrags tätig geworden, beeinträchtigt den Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung nicht.
Rz. 46
Der Kläger beantragte mit Schriftsatz vom 30.8.2016 die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens, dessen Kosten er ersetzt verlangt. Das LG ordnete mit Beschluss vom 16.11.2016 die sachverständige Begutachtung an. Die dadurch begründete Kausalität der Verletzung der Insolvenzantragspflicht für die Sachverständigenkosten wird nicht dadurch unterbrochen, dass der Beklagte am 14.12.2016 Insolvenzantrag stellte und das Insolvenzverfahren am 21.3.2017 eröffnet wurde. Zum einen wird ein selbständiges Beweisverfahren nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer der Parteien unterbrochen (BGH, Beschl. v. 11.12.2003 - VII ZB 14/03 ZIP 2004, 186). Zum anderen wird von der Revision nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger vor der erstmaligen Meldung des Insolvenzverwalters im selbständigen Beweisverfahren mit Schreiben vom 9.6.2017 Kenntnis von der Insolvenzreife der S. GmbH erlangte. Ihm fehlte daher die rechtzeitige Information, um die Entscheidung zu treffen, ob er angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation der S. GmbH das Beweisverfahren vor Erstattung des schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen am 11.5.2017 beendet.
Rz. 47
Abgesehen davon, dass die Revision nicht aufzeigt, der Beklagte hätte geltend gemacht, der Kläger habe es unter Verstoß gegen seine Schadensminderungsobliegenheit unterlassen, den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zurückzunehmen, wäre der Beklagte mit diesem Einwand ausgeschlossen. Denn fahrlässiges Verhalten des Geschädigten, wie es hier allenfalls in Betracht käme, bleibt gegenüber vorsätzlichem Handeln des Schädigers grundsätzlich unberücksichtigt (BGH, Urt. v. 14.10.1971 - VII ZR 313/69, BGHZ 57, 137, 145 f.; Urt. v. 6.12.1983 - VI ZR 60/82 ZIP 1984, 160, 161; Urt. v. 8.7.1986 - VI ZR 47/85, BGHZ 98, 148, 158; Urt. v. 1.7.1991 - II ZR 180/90 ZIP 1991, 1140, 1145; Urt. v. 9.10.1991 - VIII ZR 19/91 VersR 1992, 106; Urteil vom 10.11.2016 - III ZR 235/15, BGHZ 213, 1 Rz. 42).
Rz. 48
dd) Bezüglich der Rechtsanwaltskosten erweist sich die Beurteilung der Vorinstanzen gleichfalls als rechtsfehlerfrei. Zu Unrecht rügt die Beschwerde, dem Vortrag des Klägers und den vorgelegten Unterlagen sei nicht zu entnehmen, für welches Mandat und für welche Tätigkeit die Kosten angefallen seien.
Rz. 49
Der Kläger hat vorgetragen, dass die Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit dem selbständigen Beweisverfahren entstanden seien und dies durch Vorlage der Kostennoten seines Rechtsanwalts unter Beweis gestellt. Das LG hat die vom Kläger vorgelegten Kostennoten diesem selbständigen Beweisverfahren zugeordnet. An diese vom Berufungsgericht geteilte Würdigung ist der Senat gebunden. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (statt anderer Nachweise BGH, Urt. v. 25.3.2021 - IX ZR 70/20 ZIP 2021, 967 Rz. 22). Die Revision zeigt solche Fehler nicht auf. Sie zeigt auch nicht auf, dass der Beklagte die Zugehörigkeit der Kostennoten zu dem gegen die S. GmbH geführten selbständigen Beweisverfahren in Frage gestellt hätte. In der Berufungsbegründung hat der Beklagte vielmehr selbst ausgeführt, die vom Kläger geltend gemachten Kosten seien aus der Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens entstanden, das noch überhaupt nicht abgeschlossen sei.
Rz. 50
3. Für die von der Revision befürwortete Zug-um-Zug-Einschränkung ist kein Raum.
Rz. 51
Zutreffend weist die Revision allerdings darauf hin, dass, jedenfalls bei der Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO a.F., dem in voller Höhe ersatzpflichtigen Geschäftsführer entsprechend § 255 BGB ein Anspruch auf Abtretung der Insolvenzforderung des Neugläubigers gegen die Gesellschaft zuzubilligen sei, um dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot Rechnung zu tragen (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 201; Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07 ZIP 2009, 1220 Rz. 21; Urt. v. 21.10.2014 - II ZR 113/13 ZIP 2015, 267 Rz. 28). Diesen Anspruch muss der Geschäftsführer im Haftungsprozess allerdings mit der Einrede des Zurückbehaltungsrechts nach §§ 273, 274 BGB geltend machen (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.1952 - II ZR 143/51, BGHZ 6, 55, 61 f.; Urt. v. 25.1.1990 - IX ZR 65/89 VersR 1990, 541; Urt. v. 5.2.2007 - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 20; Urt. v. 15.4.2010 - IX ZR 223/07 NJW 2010, 1961 Rz. 31, 35; , ZIP 1997, 1173, 1182; , BGB, Neubearb. 2019, § 255 Rz. 40).
Rz. 52
Die Revision zeigt nicht auf, dass der Beklagte sich in den Tatsacheninstanzen auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen hätte. Die Revision erhebt auch selbst nicht ausdrücklich die Einrede des Zurückbehaltungsrechts. Es reicht allerdings aus, dass das Zurückbehaltungsrecht konkludent geltend gemacht wird (vgl. BGH, Urt. v. 27.3.1985 - VIII ZR 75/84 NJW 1985, 2417, 2418). Hiervon ist angesichts der Rechtsausführungen der Revision auszugehen. Das von der Beklagten erstmals in der Revisionsinstanz geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht kann indes aus prozessualen Gründen nicht berücksichtigt werden. Die in den Tatsacheninstanzen versäumte Einrede kann im Revisionsrechtszug nicht nachgeholt werden (vgl. BGH, Urt. v. 1.3.1951 - III ZR 205/50, BGHZ 1, 234, 239; Urt. v. 1.2.1993 - II ZR 106/92 NJW-RR 1993, 774, 776; Urt. v. 26.1.2005 - VIII ZR 79/04 ZIP 2005, 531 Rz. 18; Urt. v. 24.11.2006 - LwZR 6/05 NJW 2007, 1269 Rz. 37). In der Revisionsinstanz ist kein Raum mehr für die Würdigung eines Sachverhaltes, welcher der Prüfung und Beurteilung durch den Tatrichter noch nicht unterlag. Das Berufungsgericht konnte den Sachvortrag der Parteien bisher insb. nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Insolvenzforderung des Klägers gegen die S. GmbH auf Erstattung der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens würdigen.
Fundstellen
Haufe-Index 14709519 |
DB 2021, 2074 |
DStR 2021, 12 |
DStR 2021, 2600 |
NJW 2021, 10 |
NJW 2021, 3330 |
EWiR 2021, 643 |
IBR 2021, 626 |
IBR 2021, 627 |
NZG 2021, 1406 |
WM 2021, 1635 |
WuB 2021, 480 |
ZAP 2021, 1002 |
ZIP 2021, 1856 |
ZIP 2021, 65 |
DZWir 2022, 112 |
MDR 2021, 1218 |
MDR 2021, 279 |
NZI 2021, 7 |
NZI 2021, 8 |
NZI 2021, 940 |
GWR 2021, 389 |
GmbHR 2021, 1147 |
InsbürO 2022, 47 |
KSI 2021, 295 |
NJW-Spezial 2021, 631 |
RENOpraxis 2021, 271 |
AR 2021, 180 |
AnwaltSpiegel 2022, 13 |
GmbH-Stpr 2021, 343 |
NWB Sanieren 2021, 50 |
WiJ 2021, 196 |
ZRI 2021, 763 |