Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitgeber, der die von ihm nach § 40 a EStG zu entrichtende Pauschalsteuer bei der Berechnung der Sozialversicherungsfreigrenze unberücksichtigt läßt und dadurch unterhalb dieser Grenze bleibt, verstößt nicht gegen die gesetzliche Sozialversicherungspflicht und handelt schon deshalb nicht unlauter i.S. des § 1 UWG. Denn die Pauschalsteuer gehört nicht zu dem für die Bemessung der Sozialversicherungsfreigrenze maßgebenden Arbeitsentgelt i.S. des § 14 Abs. 1 SGB IV.
Normenkette
UWG § 1; SGB IV § 14 Abs. 1
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 06.04.1993) |
LG Berlin (Urteil vom 18.07.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 6. April 1993 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Kammer für Handelssachen 91 des Landgerichts Berlin vom 18. Juli 1991 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.
Tatbestand
Die klagende Handwerksinnung vertritt satzungsgemäß die gewerblichen Interessen der in ihr zusammengeschlossener. Unternehmen der Gebäudereinigung in B. Ihr gehören Unternehmen mit etwa 33.000 von ca. 41.000 der in B. insgesamt in der Gebäudereinigung beschäftigten Personen an. Die Klägerin beanstandet, daß die Beklagte, ein auch in B. tätiges Gebäudereinigungsunternehmen, für Reinigungskräfte unter Verstoß gegen die gesetzliche Sozialversicherungspflicht nach dem Sozialgesetzbuch keine Sozialversicherungsbeiträge abführe, obwohl deren Bezüge die Sozialversicherungsfreigrenze, die im Oktober 1990 in B. bei 470,– DM lag, überschritten.
Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, die Beklagte habe der Reinigungskraft G. aufgrund des bestehenden Arbeitsvertrages und der geleisteten Stunden für Oktober 1990 zwar nur 465,47 DM netto ausgezahlt. Die Sozialversicherungsfreigrenze sei aber gleichwohl überschritten gewesen, weil die von der Beklagten gezahlte Einkommensteuerpauschale und die Kirchensteuer dem Nettoeinkommen hinzuzurechnen seien, so daß der maßgebende Entgeltbetrag für Oktober 1990 insgesamt 476,96 DM betragen habe, und sie damit nicht mehr von der Sozialversicherungspflicht befreit gewesen sei. Die Beklagte habe demgemäß auch in einem Schreiben vom 22. Januar 1991 zu dem ihr gegenüber geäußerten Verdacht der Tariflohnunterschreitung selber ausgeführt, daß sie von dem Bruttolohn die pauschale Lohnsteuer von 10 % und Kirchensteuer ausrechne, diese direkt „mit Wissen und Wollen” der Arbeitnehmer abführe und in den Lohnabrechnungen dann nur noch den Nettobetrag ausweise.
Die Klägerin hat weiter vorgetragen, durch das Einsparen der Sozialversicherungsbeiträge verschaffe sich die Beklagte einen nicht gerechtfertigten Vorsprung vor ihren gesetzestreuen Mitbewerbern.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
in ihrem Betrieb Arbeitnehmer zu beschäftigen, deren bei der Beklagten verdientes Bruttogehalt einschließlich der von ihnen zu tragenden Steuern die jeweils geltende Geringfügigkeitsgrenze des § 8 SGB IV übersteigt, ohne die hierauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge abzuführen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die von ihr gezahlte pauschale Einkommen- und Kirchensteuer seien bei der Bemessung der Sozialversicherungspflichtgrenze nicht zu berücksichtigen. Auch trete keine Sozialversicherungspflicht in Fällen ein, in denen – wie hier – die Grenze nur gelegentlich überschritten werde. Sie hat einen Wettbewerbsverstoß in Abrede gestellt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Mit der Revision begehrt die Beklagte, die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klage sei als zulässig erhoben anzusehen, da die Beklagte das Fehlen der Unterschrift auf der Klageschrift nicht als Mangel gerügt habe, sondern trotz Kenntnis hiervon weiterverhandelt habe. In der Sache komme es für die Bemessung der Sozialversicherungsfreigrenze auf das Bruttoarbeitsentgelt an. In ihrem Schreiben vom 22. Januar 1991 habe sie sich selbst auf einen vereinbarten Bruttostundenlohn berufen. Anders als im Falle der Erhebung der Pauschalsteuer nach § 40 Abs. 3 EStG, bei der der Arbeitgeber allein Steuerschuldner sei, habe die Beklagte vorliegend im Innenverhältnis ihre Arbeitnehmer mit der Steuer belastet, was diese so auch wollten. Wirtschaftlich betrachtet werde die Steuerschuld mit Mitteln der Arbeitnehmer erfüllt, so daß sie zur Berechnung der Sozialversicherungspflicht als Teil des Arbeitsentgelts anzusehen sei. Das nur für einen Monat (Oktober 1990) festgestellte Überschreiten der Sozialversicherungsfreigrenze rechtfertige den Unterlassungsanspruch allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Ein Verstoß gegen das Sozialgesetzbuch stehe nur in Frage, wenn regelmäßig die Freigrenzen überschritten würden, wobei die Richtlinien eine Überschreitung in zwei Monaten innerhalb eines Jahres noch als gelegentlich ansähen. Daß bei den Einkünften der Arbeitnehmerin G. regelmäßig die Geringfügigkeitsgrenze überschritten werde, könne nicht festgestellt werden. Die Beklagte habe sich aber hinsichtlich der Berechnung der Freigrenze auf einen rechtlich unzutreffenden Standpunkt gestellt und zu erkennen gegeben, daß sie diesen auch zur Richtschnur ihres Verhaltens bei allen abgeschlossenen Teilzeitarbeitsverhältnissen machen wolle. Die damit drohende Verletzung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches rechtfertige das Klagebegehren unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr. Die Beklagte wolle auch bewußt und planmäßig einen Vorsprung im Wettbewerb erzielen, weil mit einer Kosteneinsparung im Regelfall eine Verbesserung der Wettbewerbsposition des Unternehmens verbunden sei, da die Linderung des Kostendrucks eine größere Flexibilität am Markt erlaube. Die Beklagte wolle ferner einen Vorsprung im Wettbewerb erzielen, weil die Verletzung der Sozialabgabenpflicht ihr einen Vorteil im Nachfragewettbewerb um die Teilzeitarbeitskräfte, die sie benötige, um im Wettbewerb auf dem Gebäudereinigungssektor bestehen zu können, ermögliche.
II. Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
1. Bedenken gegen die Prozeßführungsbefugnis der Klägerin sind nach der Zahl ihrer Mitglieder und dem aus ihrer Satzung ersichtlichen Aufgabenfeld auch nach der Regelung lies § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG n.F., die auch auf Handwerks Innungen anzuwenden ist (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 18. Aufl., § 13 Rdn. 30 a), nicht zu erheben.
2. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe vorliegend den Verfahrensmangel, der in der fehlenden Unterzeichnung der Klageschrift liege, nicht als geheilt ansehen dürfen, ist nicht begründet. Das Berufungsgericht ist rechtlich zutreffend davon ausgegangen, daß der in der Nichtunterzeichnung einer Klageschrift liegende Verfahrensmangel nach § 295 Abs. 1 ZPO nachträglich geheilt werden kann (vgl. BGHZ 65, 46, 48 f.; 92, 251, 254; MünchKommZPO/Lüke, § 253 Rdn. 166; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., § 253 Rdn. 22, § 295 Rdn. 6). Entgegen der Ansicht der Revision ist in der Erklärung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, daß er sich außerstande sehe, einen Verzicht auszusprechen, keine (konkludente) Rüge zu sehen. Der Verzicht ist nur eine der beiden Alternativen, bei deren Vorliegen Heilung eintritt. Die andere ist erfüllt, wenn in der nächsten mündlichen Verhandlung rügelos weiterverhandelt wird. Aus dem ohne jede Einschränkung erfolgten Weiterverhandeln in Kenntnis des Mangels konnte das Berufungsgericht ungeachtet der Nichtabgabe der Verzichtserklärung rechtsfehlerfrei folgern, daß unter den hier gegebenen Umständen jedenfalls keine Rüge erhoben werden sollte.
3. In der Sache hält die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe gegen § 1 UWG unter dem allein in Betracht kommenden Gesichtspunkt des Vorsprungs durch Rechtsbruch verstoßen, der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe dadurch, daß sie für die Arbeitnehmerin G. keine Sozialversicherungsbeiträge abführte, gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, kann nicht beigetreten werden. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmerin abführen müssen, weil deren Bezüge im Oktober 1990 die Versicherungsfreigrenze von 470,– DM dadurch überschritten hätten, daß die von der Beklagten pauschal gezahlte Einkommen- und Kirchensteuer den an die Arbeitnehmerin ausgezahlten Bezügen von 465,47 DM hinzuzurechnen seien, so daß für die Berechnung der Versicherungsfreigrenze von 476,96 DM auszugehen sei.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, ist die für geringfügig Beschäftigte vom Arbeitgeber nach § 40 a EStG zu entrichtende Pauschalsteuer kein Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IV (BSGE 73, 170 unter Fortführung von BSGE 41, 16). Auch vorliegend führte die Beklagte die Einkommen- und Kirchensteuer im Pauschalsystem ab, so daß das Urteil des Bundessozialgerichts, was auch die Revisionserwiderung nicht in Frage stellt, hier einschlägig ist. Damit unterfielen diese Erträge nicht dem Entgelt, das nach § 14 Abs. 1 SGB IV für die Beitragsbemessung maßgeblich ist.
Nach dieser Vorschrift sind Arbeitsentgelte alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Dazu gehört nicht der geldwerte Vorteil, den ein Arbeitnehmer dadurch erzielt, daß der Arbeitgeber die Lohn- und Kirchensteuer pauschal nach § 40 a EStG übernimmt, weil der Arbeitnehmer diese Steuern ursprünglich schuldet. Die Übernahme der Pauschalsteuer durch den Arbeitgeber kann zwar für den Arbeitnehmer vorteilhaft sein. Ein solcher Vorteil ist aber immer nur dann zu den Einnahmen im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IV zu zählen, wenn er individuell feststeht; denn nur tatsächlich erzielte Einnahmen gehören zum Bruttoarbeitsentgelt im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IV, nicht dagegen fiktive oder pauschalierte Vorteile. Das ergibt sich auch aus einem Umkehrschluß aus § 14 Abs. 2 SGB IV. Diese Vorschrift, die nicht isoliert von Abs. 1 betrachtet werden darf, sieht, für den Fall einer Nettolohnvereinbarung eine Hochrechnung lediglich um die persönliche Steuerschuld und die auf den Arbeitnehmer konkret entfallenden Anteile der Sozialversicherung vor. Ein solcher individueller Vorteil ist in Fällen der vorliegenden Art nicht anhand des Pauschalbetrages feststellbar (vgl. zum Vorstehenden BSGE 73, 170, 171).
Die Beklagte hat vorliegend mit ihrer Arbeitnehmerin einen Bruttolohn vereinbart, wie sich aus dem Arbeitsvertrag und der Bezeichnung des ausgezahlten Geldes in der Geheltsabrechnung ergibt. Sie hat damit von der Möglichkeit einer Pauschalbesteuerung wegen geringer Höhe des Entgelts Gebrauch gemacht. Demzufolge ist auch in dem Arbeitsvertrag nicht erwähnt, daß die Arbeitnehmerin der Beklagten eine Lohnsteuerkarte übergeben hätte. Soweit das Berufungsgericht dem Schreiben der Beklagten vom 22. Januar 1991 entnommen hat, die Beklagte habe darin zum Ausdruck gebracht, daß sie im Innenverhältnis die Steuerschuld mit Mitteln der Arbeitnehmer ausgleiche, so daß eine Verlagerung der Pauschal Steuer auf die Arbeitnehmer stattfinde, hat es dem Wortlaut des Schreibens eine diesem nicht zukommende Bedeutung beigemessen und auch nicht hinreichend berücksichtigt, daß es sich um ein anwaltliches Abwehrschreiben handelt, mit dem dem gegenüber der Beklagten geäußerten Verdacht der Tariflohnunterschreitung entgegengetreten werden sollte. Daß die Beklagte die Pauschalbesteuerung „mit Wissen und Wollen” ihrer Arbeitnehmer durchführte, besagt daher und angesichts der tatsächlichen Handhabung entsprechend der vertraglichen Regelung (vgl. z.B. die Lohnabrechnung) nicht, daß eine Verlagerung stattgefunden hätte. Denn auch die von ihr gewählte Form der Pauschalbesteuerung konnte die Beklagte nur im Einverständnis mit ihren Arbeitnehmern, also mit deren „Wissen und Wollen” durchführen, weil diese andernfalls auf eine Besteuerung nach der Lohnsteuertabelle und Eintragungen auf einer eigenen Lohnsteuerkarte hätten bestehen können.
Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung besteht kein Anlaß, von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die danach auch für den vorliegenden Fall einschlägig ist, abzuweichen. Der Erwägung der Revisionserwiderung, die Auffassung des Bundessozialgerichts führe bei Mehrfacharbeitsverhältnissen des gleichen Arbeitnehmers zu steuerrechtlich nicht hinnehmbaren Ergebnissen, kann nicht beigetreten werden. Sie trägt den Unterschieden in der Beurteilung steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Sachverhalte (vgl. insoweit BSGE 73, 170, 173) nicht hinreichend Rechnung.
4. Fehlt es danach bereits an einem Gesetzesverstoß der Beklagten, bedarf es keiner Erörterung mehr, ob sich die Bejahung eines Wettbewerbsvorteils durch das Berufungsgericht mit den Anforderungen vereinbaren läßt, die der Senat in der Entscheidung „Tariflohnunterschreitung” (BGHZ 120, 320) aufgestellt hat.
III. Danach war auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufzuheben; die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, Mees, v. Ungern-Sternberg, Ullmann, Starck
Fundstellen
Haufe-Index 1683271 |
BB 1996, 382 |
NJW 1996, 317 |
GRUR 1996, 70 |
Nachschlagewerk BGH |