Leitsatz (amtlich)
Die in Nr. III.4.3.1. der Rahmenbedingungen der Regionalliga des Niedersächsischen Fußballverbandes (i.d. im Juli 1996 geltenden Fassung) vorgesehene Verpflichtung zur Zahlung einer Ausbildungs- und Förderungsentschädigung bei der Verpflichtung eines Amateurspielers als sog. Vertragsamateur durch einen Verein der Regionalliga ist wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG nichtig.
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Aktenzeichen 11 U 18/98) |
LG Osnabrück (Aktenzeichen 7 O 340/97) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 25. September 1998 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind Mitglieder des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV), der seinerseits Mitglied des Deutschen Fußballbundes (DFB) ist. Sie streiten um die Zahlung einer Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für den Wechsel zweier Fußballspieler vom Kläger zum Beklagten.
In den Rahmenbedingungen der Regionalliga des NFV in der zum maßgeblichen Zeitpunkt – Juli 1996 – geltenden Fassung (im folgenden: R.R. NFV) heißt es in Abschnitt III hierzu:
„4.3. Ausbildungs- und Förderungsentschädigung
Verpflichtet ein Verein der Regionalligen … einen Amateur … eines anderen Vereins durch Vertrag (§ 15 Nr. 2 DFB - Spielordnung), so ist er unter nachstehenden Voraussetzungen zur Zahlung einer Ausbildungs- und Förderungsentschädigung an den abgebenden Verein verpflichtet, sobald der Vertrag wirksam geworden ist.
…
4.3.1. Verpflichtung eines Amateurs … durch einen Verein der Regionalliga …
Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für den abgebenden Verein ohne Rücksicht auf die Spielklasse des abgebenden Vereins DM 25.000,–, es sei denn, die beteiligten Vereine treffen einvernehmlich eine abweichende schriftliche Vereinbarung.
…
4.5. Nichtzahlung einer geschuldeten Ausbildungs- und Förderungsentschädigung
Wird eine fällige Ausbildungs- und Förderungsentschädigung nicht, nur teilweise oder verspätet gezahlt, wird dies als unsportliches Verhalten geahndet.”
Die beiden Fußballspieler spielten seit ihrer Kindheit beim Kläger als Amateure, zuletzt während der Spielzeit 1995/1996 in dessen 1. Mannschaft in der Landesliga. Für die folgende Spielzeit wechselten sie nach entsprechender Freigabeerklärung des Klägers zum Beklagten. Für diesen sollten sie aufgrund entsprechender Verträge als sogenannte Vertragsamateure vom 1. Juli 1996 bis 30. Juni 1998 in der Regionalliga spielen.
Nachdem der Beklagte sich geweigert hatte, die satzungsmäßige Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für die beiden Fußballspieler zu zahlen, wurde er durch das Oberste Verbandssportgericht des NFV, bestätigt durch das Berufungsgericht des DFB, wegen unsportlichen Verhaltens zu einer Geldstrafe von 750,– DM verurteilt.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger vom Beklagten Zahlung der Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für die beiden Fußballspieler in Höhe von insgesamt 50.000,– DM zuzüglich Mehrwertsteuer und Zinsen. Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme der Mehrwertsteuer stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie insgesamt abgewiesen. Mit der – zugelassenen – Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Mit Recht hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Zahlung der Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für die beiden Fußballspieler gemäß Nr. III 4.3.1. R.R. NFV verneint.
I.
Nr. III 4.3.1. R.R. NFV unterliegt als Verbandsnorm der gerichtlichen Inhaltskontrolle gemäß §§ 138, 242 BGB. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist eine derartige Kontrolle verbandsinterner, die Rechtsstellung der Mitglieder regelnder Normen jedenfalls für Vereine oder Verbände mit überragender Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich zulässig und erforderlich (BGHZ 105, 306, 318; 128, 93, 101, 102 f.). Der NFV hat als einer der Landesverbände des DFB eine derartige Machtstellung. Beim Fußballsport handelt es sich um eine der besonders populären Massensportarten. Für die Organisation und Durchführung von Wettkämpfen sowie insbesondere für die Möglichkeit, das Fußballspielen als Beruf zu erlernen und zu betreiben, nehmen der DFB und seine Landesverbände, die über beträchtliche Mitgliederzahlen verfügen und erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben, eine Monopolstellung ein.
II.
Die in Nr. III 4.3.1. R.R. NFV (in der im Juli 1996 geltenden Fassung) getroffene Regelung zur Ausbildungs- und Förderungsentschädigung bei der Verpflichtung eines Amateurs durch einen Verein der Regionalliga hält der Inhaltskontrolle nicht stand. Sie verstößt gegen § 138 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG und ist daher nichtig.
1. Bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln, vor allem der §§ 138 und 242 BGB, ist zu beachten, daß das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts enthält. Diese Grundentscheidungen entfalten sich durch das Medium derjenigen Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, und haben vor allem auch Bedeutung bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln (BVerfGE 7, 198, 205; 42, 143, 148). Indem § 138 BGB und § 242 BGB ganz allgemein auf die guten Sitten, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben verweisen, verlangen sie von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden. Deshalb sind die Zivilgerichte von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln die Grundrechte als „Richtlinien” zu beachten (BVerfGE 89, 214, 229; so auch BGH in st. Rspr., vgl. z.B.: Sen.Urt. v. 28. April 1986 - II ZR 254/85, NJW 1986, 2944 m.w.N.).
2. Die Berufsfreiheit kann nach Art. 12 Abs. 1 GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Solche Regelungen können auch durch Satzungen getroffen werden, wenn eine hierzu ermächtigende Norm vorliegt (BVerfGE 98, 106, 117). Satzungsbestimmungen ohne Ermächtigungsnorm genügen dann, wenn sie innerhalb bestimmter Grenzen von einer mit Autonomie begabten Körperschaft erlassen werden (BVerfGE 33, 125, 155 f.; 54, 224, 234). Diese Grenzen werden durch Nr. III 4.3.1. R.R. NFV in bezug auf die betroffenen Amateurfußballspieler überschritten.
a) Das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als „Beruf” zu ergreifen, das heißt, zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen (BVerfGE 7, 377, 397; 54, 301, 313; 97, 228, 253). Der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG umfaßt die Tätigkeit nicht nur von professionellen Sportlern (Fritzweiler/Pfister/Summerer, PHB Sport 1/6; Turner MDR 1991, 570; Krogmann, Grundrechte im Sport 1998, S. 36 f.), sondern – jedenfalls im Bereich des Fußballsports – auch von sogenannten Vertragsamateuren. Diese erhalten für ihre Tätigkeit – anders als „reine” Amateure nicht lediglich eine Aufwandsentschädigung (§ 15 Nr. 1 DFB-Spielordnung); vielmehr üben Vertragsamateure „das Fußballspiel mit vertraglicher Bindung gegen Entgelt” aus (§ 15 Nr. 2 DFB-Spielordnung; Nr. II 1 b Abs. 1 R.R. NFV) und erzielen damit Einkommen für den Lebensunterhalt. So verhält es sich auch bei den beiden hier betroffenen Spielern. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bezogen sie aufgrund ihrer – als unstreitig geltenden (§ 138 Abs. 3 ZPO) – Arbeitsverträge mit dem Beklagten ein monatliches Grundgehalt von 1.000,– DM, eine Punktprämie gemäß Prämienordnung sowie eine Zusatzprämie in Höhe von 250,– DM brutto pro Einsatz.
b) Nr. III 4.3.1. R.R. NFV schränkt die Möglichkeit der betroffenen Amateure unzulässig ein, den Beruf des Fußballspielers sowie einen entsprechenden Arbeitsplatz zu wählen.
aa) Diese Verbandsnorm führt dazu, daß Amateurspieler den Beruf des Fußballspielers nur ergreifen und ausüben können, wenn sie einen Verein finden, der sie nicht nur hinsichtlich ihrer spielerischen (sportlichen) Fähigkeiten akzeptiert und ihnen dafür Gehalt zahlt, sondern der darüber hinaus bereit ist, für sie eine Ausbildungs- und Förderungsentschädigung zu leisten. Finden die betroffenen Amateure lediglich interessierte Vereine, denen die in Nr. III 4.3.1. R.R. NFV vorgesehene Entschädigung vom Ansatz her unangemessen oder zu hoch erscheint oder die sie nicht zahlen können, besteht für sie im Geltungsbereich der Rahmenbedingungen für die Regionalliga des NFV keine Möglichkeit, als Fußballspieler berufstätig zu werden.
bb) Die in Nr. III 4.3.1. R.R. NFV vorgesehene Entschädigung ist mit der erheblichen Höhe von 25.000,– DM geeignet, einen interessierten Verein davon abzuhalten, Amateure eines anderen Vereins als Vertragsamateure zu übernehmen. Bereits ein Vergleich mit dem für die hier betroffenen Spieler in ihren Arbeitsverträgen vorgesehenen Gehalt zeigt, daß dem Entschädigungsbetrag bei der Entscheidung des übernehmenden Vereins wesentliche Bedeutung zukommt. Die Entschädigung ist nämlich um 1.000,– DM höher als das Bruttogehalt, das die Spieler für die zweijährige Vertragsdauer insgesamt als festes Basiseinkommen neben den variablen Zusatzprämien beanspruchen konnten.
cc) Die einschränkende Wirkung des Entschädigungsbetrages auf die Möglichkeiten der Berufs- und Arbeitsplatzwahl von Amateuren wird nicht dadurch abgemildert oder gar beseitigt, daß die Erteilung der Spielerlaubnis für den übernehmenden Verein rechtlich unabhängig von der Entschädigungszahlung erfolgt. Insoweit kommt es nämlich entscheidend auf die faktische Wirkung des Entschädigungsbetrages an. Für die Entscheidung des übernehmenden Vereins ist es unabhängig von einer rechtlichen Verknüpfung zwischen Spielerlaubnis und Entschädigungszahlung von maßgeblicher Bedeutung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er finanzielle Verpflichtungen eingeht, wenn er einen Amateurspieler eines anderen Vereins als Vertragsamateur übernimmt (vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 15. Dezember 1995 - C - 415/93 - Bosman - EuGHE I 1995, 4921 - 5082 = NJW 1996, 505, 510; BAGE 84, 344, 355). In diesem Zusammenhang spielt es für den übernehmenden Verein zudem eine Rolle, daß er bei Verweigerung der Entschädigung einer Ahndung durch die Verbandsgerichte wegen unsportlichen Verhaltens ausgesetzt ist – wie hier durch Auferlegung einer Geldbuße geschehen.
dd) Soweit die Revision meint, die Berufsfreiheit der betroffenen Spieler werde durch die Entschädigungsverpflichtung nicht eingeschränkt, weil die an der Übernahme interessierten Vereine ausnahmslos bei jeder Verpflichtung eines Vertragsamateurs eine Entschädigung an einen anderen Verein zu zahlen hätten und dadurch ein globaler Ausgleich stattfinde, trifft das bereits tatsächlich nicht zu. Die interessierten Vereine haben nämlich im Einzelfall die Möglichkeit, auch ohne Entschädigung Vertragsamateure einzustellen. Dies gilt etwa – wie sich aus Nr. III 4.4.1. Abs. 1 R.R. NFV ergibt – für die Verpflichtung von Amateuren, die länger als drei Jahre zum eigenen Mitgliederkreis gehören, sowie – seit der Entscheidung des EuGH im Falle Bosman (EuGH aaO S. 505 ff.) – für die Verpflichtung von Amateuren aus einem anderen EU-Staat. Abgesehen davon würde eine „flächendeckende” Entschädigungspflicht – wie behauptet – die dadurch bewirkte einschneidende Beschränkung der Berufsfreiheit gerade nicht beseitigen.
ee) Die mit Nr. III 4.3.1. R.R. NFV verbundene Einschränkung der Möglichkeit, den Beruf des Fußballspielers zu ergreifen und einen entsprechenden Arbeitsplatz zu wählen, ist nicht gerechtfertigt. Sie wirkt wie eine objektive Zulassungsschranke. Solche Einschränkungen der Berufsfreiheit sind grundsätzlich nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut gerechtfertigt (BVerfGE 7, 377, 408/409; 84, 133, 148). Diese Voraussetzungen liegen für die Verbandsnorm der Nr. III 4.3.1. R.R. NFV nicht vor.
Die Massensportart Fußball kann angesichts ihrer beträchtlichen Popularität und sozialen Bedeutung in der heutigen Zeit zwar als ein wichtiges Gemeinschaftsgut angesehen werden; die Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit, insbesondere durch Förderung und Sicherung einer guten Jugendarbeit und Jugendausbildung, ist auch im Interesse der Allgemeinheit sinnvoll. Ob darüber hinaus diese Sportart gar von überragender Bedeutung für die Gemeinschaft ist und zur Sicherung und Förderung der genannten Ziele geeignete Maßnahmen im Interesse der Allgemeinheit notwendig sind, kann offenbleiben. Selbst wenn man dies annehmen wollte, so stellten die in Nr. III 4.3.1. R.R. NFV vorgesehenen Entschädigungen hierfür keine hinreichende Grundlage dar. Da die sportliche Zukunft junger Amateurspieler nicht mit Sicherheit vorhersehbar ist und sich nur eine begrenzte Anzahl von ihnen einer entsprechenden beruflichen Tätigkeit widmet, sind die Entschädigungen durch einen Eventualitäts- und Zufallscharakter gekennzeichnet; entsprechende Zahlungen an die in der Jugendarbeit tätigen Vereine sind nämlich davon abhängig, daß sich unter ihren Mitgliedern mit Blick auf eine Berufstätigkeit förderungsgeeignete Talente befinden. Der Entschädigungsbetrag ist zudem pauschal und ohne Anknüpfung oder Anpassungsmöglichkeit an die finanziellen Gegebenheiten und Bedürfnisse der betroffenen Vereine festgelegt; er bezieht sich auch nicht konkret auf die dem betroffenen Spieler zuteil gewordene Ausbildung und Förderung (vgl. auch: EuGH aaO S. 510 unter Nr. 109). Maßnahmen in diesem Zusammenhang vermögen jedenfalls dann Eingriffe in die Berufsfreiheit betroffener Spieler durch objektive Zulassungsschranken nicht zu rechtfertigen, wenn sie eher wirtschaftlichen Zielen einzelner Vereine als ideellen Zwecken und der Gemeinschaft dienen (vgl. hierzu: PHB Sport/Fritzweiler, 1/8). Nr. III 4.3.1. R.R. NFV dient aber – zumindest in erster Linie – nicht ideellen Zielen und der Gemeinschaft, sondern wirtschaftlichen Zwecken.
Letztlich erscheint es nicht einleuchtend, zur Sicherung und Förderung der Jugendarbeit eine Maßnahme wie die der Ausbildungs- und Förderungsentschädigungsregelung zu ergreifen, die dazu führt, daß ein möglicher Erfolg besonders gut gelungener Jugendarbeit, nämlich die Wahl des Fußballspielens als Beruf und eine entsprechende Arbeitsplatzwahl, eingeschränkt wird.
3. Dem Kläger stehen keine Grundrechte zu, die mit der Freiheit der Berufswahl der durch die Entschädigungsregelung in Nr. III 4.3.1. R.R. NFV tangierten Spieler konkurrieren könnten.
a) Auf das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen.
Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechts zusammenzuschließen. Mit dem Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, garantiert Art. 9 Abs. 1 GG das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung. Der Schutz des Grundrechts umfaßt sowohl für Mitglieder als auch für die Vereinigung die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte sowie – unbeschadet der Frage der Rechtsfähigkeit – das Recht auf Entstehen und Bestehen (BVerfGE 80, 244, 252 f.; 84, 372, 378).
Dieses Grundrecht des Klägers ist nicht tangiert.
Zwar wird die Jugendarbeit und die Heranbildung fähiger Sportler bei einem Sportverein regelmäßig in den Bereich der grundrechtlich geschützten Vereinigungsfreiheit fallen. Anders liegt es aber, wenn es darum geht, ob und von wem der Verein für seine Bemühungen ein Entgelt verlangen kann. Eine solche „Aufwandsentschädigung” mag für den Verein wirtschaftliche Bedeutung haben; mit dem Vereinszweck ist sie jedoch nicht notwendigerweise verbunden. Eine Forderung dieser Art knüpft nicht an die Intensität und Qualität der Jugendarbeit an. Es ist vielmehr weitgehend dem Zufall überlassen, ob ein Jugendspieler, auch wenn er das Trainingsprogramm mit großem Einsatz absolviert, den Sprung in das sogenannte „Profilager” schafft.
Im übrigen kommt der Vereinsautonomie nicht derselbe Stellenwert zu wie der Berufsfreiheit. Dem gemeinsam verfolgten Vereinszweck wird durch die Vereinsautonomie kein weiterreichender Schutz vermittelt als einem individuell verfolgten Zweck (BVerfGE 54, 237, 251). Privatrechtliche Beziehungen eines Vereins zu anderen Privatrechtssubjekten sind nicht anders zu beurteilen als entsprechende Beziehungen unter natürlichen Personen (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 12. Oktober 1995 - 1 BvR 1938/93, NJW 1996, 1203). Nimmt eine Vereinigung wie jedermann am Rechtsverkehr teil, so ist für den Grundrechtsschutz dieser Betätigung nicht Art. 9 Abs. 1 GG maßgebend; die Vereinigung und ihre Tätigkeit bedürfen insoweit nicht als solche des Grundrechtsschutzes. Dieser richtet sich vielmehr nach den materiellen (Individual-)Grundrechten (BVerfGE 70, 1, 25). Die „Ausbildungsentschädigung” hat eine solche vereinszweckrealisierende Außenwirkung.
Selbst wenn Art. 9 Abs. 1 GG zugunsten des Klägers Anwendung fände, würde dies ihm nicht weiterhelfen. Der Freiheit der Berufswahl käme eindeutig der Vorrang zu, weil sie nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich schwerwiegender Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut eingeschränkt werden könnte (BVerfGE 7, 377, 408; 85, 360, 374; vgl. auch oben II. 2 b, ee).
b) Auch Art. 12 Abs. 1 GG kommt nicht zugunsten des Klägers zum Zuge.
Die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit umfaßt jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient. Beruf ist danach nicht nur die aufgrund einer persönlichen „Berufung” ausgewählte und aufgenommene Tätigkeit, sondern jede auf Erwerb gerichtete Beschäftigung, die sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft. Bei diesem weiten, nicht personal gebundenen Berufsbegriff ist das Grundrecht gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen des Privatrechts anwendbar. Handelt es sich bei der juristischen Person um einen Verein, schützt Art. 12 Abs. 1 GG dessen Tätigkeit allerdings nur dann, wenn die Führung des Geschäftsbetriebes zu seinen satzungsmäßigen Zwecken gehört (BVerfGE 97, 228, 253 = NJW 1998, 1627 f. m.w.N.). Ein solcher satzungsmäßig geführter Geschäftsbetrieb scheidet im vorliegenden Fall schon deshalb aus, weil es sich beim Kläger um einen Amateurverein handelt. Ein derartiger Verein ist ein Idealverein im Sinne des § 21 BGB, sein (Haupt-)Zweck ist nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet, sondern darauf, den Mitgliedern die geeigneten Bedingungen für die sportliche Betätigung zu schaffen. Soweit es sein Nebenzweck ist, Einnahmen aus Punkt- und Freundschaftsspielen zu erzielen, nimmt ihm dies nicht die Eigenschaft als Idealverein (MünchKomm/Reuter, BGB 3. Aufl. Rdn. 17 ff. zu §§ 21, 22; vgl. dort auch Rdn. 36 a zu den Bundesligavereinen).
Ob es sich bei einem Amateurverein um eine Ausbildungsstätte im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG handeln könnte, bedarf keiner näheren Erörterung. Träger des Grundrechts ist nur der Auszubildende, nicht aber der Inhaber der Ausbildungseinrichtung (Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG-Kommentar 3. Aufl. Art. 12 Rdn. 27; Jarass/Pieroth, GG-Kommentar 3. Aufl. Art. 12 Rdn. 45; Tettinger in: Sachs, GG-Kommentar 2. Aufl. Art. 12 Rdn. 58; vgl. auch Krogmann aaO, S. 42 f.).
c) Endlich scheidet auch Art. 2 Abs. 1 GG aus.
Zwar schützt dieses Grundrecht als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die Freiheit im wirtschaftlichen Verkehr und die Vertragsfreiheit (BVerfGE 98, 218, 259 m.w.N.). Doch schließen die besonderen Grundrechtsnormen für ihren Bereich die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG aus (BVerfGE 67, 157, 171 m.w.N.). Eine Norm, die Art. 12 Abs. 1 GG verletzt, kann daher nicht unter Hinweis auf Art. 2 Abs. 1 GG aufrechterhalten werden.
4. An dieser am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG ausgerichteten Bewertung der Entschädigungsregelung in Nr. III 4.3.1. R.R. NFV als nichtig sieht sich der Senat nicht durch die Entscheidung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 13. November 1975 (III ZR 106/72, NJW 1976, 565 ff.) gehindert. Die dortigen Ausführungen zu einer Ablöseentschädigung im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlage für den Transfer eines in den sogenannten Bundesligaskandal verwickelten Lizenzspielers bezogen sich ohne nähere Auseinandersetzung und insbesondere ohne grundrechtliche Überprüfung auf die inzwischen nicht mehr aktuellen damaligen Statuten des DFB sowie die ebenfalls nicht mehr aktuellen Anschauungen und Begleitumstände des damaligen Profi-Spielertransfers; sie sind bereits deshalb nicht auf die hier zur Entscheidung anstehenden Fragen übertragbar.
Die am Maßstab des Art. 12 GG vorgenommene Bewertung der vorliegenden Verbandsnorm steht im übrigen in Einklang mit den Wertmaßstäben, die sich aus der in Art. 48 EGV a.F. [= Art. 39 EGV i.d.F.d. Amsterdamer Vertrages v. 2. Oktober 1997 (BGBl. 1998 II S. 387)] gewährleisteten Freizügigkeit innerhalb der europäischen Gemeinschaft ergeben (so auch: BAGE 84, 344, 359). Nach der vom EuGH im Fall Bosman (aaO) getroffenen Entscheidung steht Art. 48 EGV a.F. der Anwendung von durch Sportverbände aufgestellten Regeln entgegen, nach denen ein Berufsfußballspieler, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, bei Ablauf seines Vertrages nur dann von einem anderen Verein beschäftigt werden kann, wenn dieser dem bisherigen eine Transfer-, Ausbildungs- oder Förderungsentschädigung gezahlt hat. Diese Wertentscheidung läßt sich auf die am Maßstab des Art. 12 GG orientierte Bewertung der in Nr. III 4.3.1. R.R. NFV (mit-)geregelten Fallkonstellation des jungen Amateurs übertragen: So wie der Berufsspieler durch eine Entschädigungsregelung an der Möglichkeit des Arbeitsplatzwechsels gehindert wird, wird der Amateur in seiner durch Art. 12 GG geschützten Berufswahl und der Wahl seines ersten Arbeitsplatzes unzulässig beeinträchtigt.
III.
Da Nr. III 4.3.1. R.R. NFV bereits wegen Verstoßes gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommende Wertentscheidung des Grundgesetzes sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB und damit nichtig ist, bedarf die Frage, ob diese Verbandsnorm zudem mit dem im Art. 3 GG verankerten Diskriminierungsverbot unvereinbar ist sowie wettbewerbsrechtlichen Bedenken begegnet und auch deshalb unwirksam ist, keiner Entscheidung.
Unterschriften
Röhricht, Hesselberger, Henze, Goette, Kurzwelly
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 27.09.1999 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538675 |
BGHZ |
BGHZ, 304 |
DStR 1999, 1781 |
NJW 1999, 3552 |
BGHR |
EWiR 2000, 27 |
NZA 2000, 263 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 2164 |
ZIP 1999, 1807 |
AuA 1999, 565 |
SpuRt 1999, 236 |
VersR 1999, 1504 |
JURAtelegramm 2001, 23 |
VA 2000, 55 |
Wüterich / Breucker 2006 2006, 330 |