Verfahrensgang
OLG Köln (Entscheidung vom 29.04.2022; Aktenzeichen 20 U 8/22) |
LG Köln (Entscheidung vom 15.12.2021; Aktenzeichen 23 O 402/20) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 29. April 2022 aufgehoben und das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 15. Dezember 2021 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 3.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.
Rz. 2
Die Klägerin hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenvollversicherung (im Folgenden: AVB) zugrunde, die folgende Regelung enthalten:
"§ 23 Unter welchen Voraussetzungen können Beitrag, Selbstbehalt und ein vereinbarter Beitragszuschlag angepasst werden?
(1) Voraussetzungen
Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich unsere Leistungen z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleichen wir zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit von uns überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit von uns überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Sterbewahrscheinlichkeiten für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit von uns überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]
(2) Absehen von einer Beitragsanpassung
Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch uns und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
[…]"
Rz. 3
Die Beklagte teilte der Klägerin unter anderem eine Beitragserhöhung zum 1. Januar 2019 im Tarif A um 40,54 € und für den gesetzlichen Beitragszuschlag um 4,06 € mit.
Rz. 4
Soweit für die Revision noch von Interesse, hat die Klägerin mit ihrer Klage die Rückzahlung der auf die genannte sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 4.979,09 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, herauszugeben und zu verzinsen hat. Außerdem hat sie die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen nicht wirksam geworden sind und sie nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 928,48 € nebst Zinsen verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass die Beitragserhöhung nicht wirksam geworden und die Klägerin nicht zur Tragung des Erhöhungsbetrages - bezüglich der Erhöhung des gesetzlichen Beitragszuschlags jedoch nur bis zum 31. Juli 2020 - verpflichtet ist. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 21. Dezember 2020 aus den gezahlten Prämienerhöhungsanteilen gezogen hat. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Rz. 6
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision hat Erfolg.
Rz. 8
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Erhöhung zum 1. Januar 2019 unwirksam sei. Da die Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen bei dieser Beitragsanpassung unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, könne diese nur dann wirksam sein, wenn sie auf der Grundlage von § 23 AVB hätte erfolgen können. Dessen Unwirksamkeit ergebe sich daraus, dass nach den gesetzlichen Vorschriften eine Beitragsanpassung nur zulässig sei, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei. Unabhängig davon räume § 23 Abs. 1 AVB bei einer Abweichung im Bereich zwischen "mehr als 5 %" und bis zu 10 % dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner der Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige. Aus der Unwirksamkeit dieser Erhöhung folge die Verpflichtung zur Rückzahlung der darauf gezahlten Beiträge sowie zur Herausgabe der hieraus im genannten Zeitraum gezogenen Nutzungen.
Rz. 9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhung mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.
Rz. 10
1. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - insoweit den hier zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen vergleichbaren - Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich § 23 Abs. 2 AVB entspricht, unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 - und ebenso von Absatz 1 der hier zugrundeliegenden Klausel - unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 ff.).
Rz. 11
2. Der Senat hat außerdem mit Urteil vom 12. Juli 2023 (IV ZR 347/22, WM 2023, 1496) entschieden und im Einzelnen begründet, dass eine Prämienanpassungsklausel, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und diesen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2023 aaO Rn. 16, 20).
Prof. Dr. Karczewski |
|
Harsdorf-Gebhardt |
|
Dr. Brockmöller |
|
Dr. Bußmann |
|
Dr. Bommel |
|
Fundstellen
Dokument-Index HI16009848 |