Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Krankenversicherung. Gruppenversicherung. Wirksamer Leistungsausschluss. Logopädenklausel
Leitsatz (amtlich)
Zur Wirksamkeit von Leistungsbeschränkungen in den Tarifbedingungen einer Krankheitskostenversicherung (hier: Beschränkung der Erstattungsfähigkeit auf Aufwendungen für ärztliche Behandler im Bereich der Stimm-, Sprach- und Sprachübungsbehandlung.
Normenkette
AVB - Krankheitskostenversicherung; AGBG §§ 3, 9
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 15.05.2003; Aktenzeichen 315 S 3/02) |
AG Hamburg |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 15, v. 15.5.2003 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte als seinen privaten Krankenversicherer auf Erstattung der Kosten einer stimm- und sprechtherapeutischen Behandlung durch eine Atem-, Stimm- und Sprechlehrerin nach der Methode Schlaffhorst-Andersen (ASSL) i.H.v. 2.500 DM (1.278,33 EUR) in Anspruch.
Die Beklagte und der Hamburgische Anwaltverein e.V. schlossen 1986 einen Gruppenversicherungsvertrag über eine Krankheitskosten-, Krankentagegeld- und Krankenhaustagegeldversicherung. Der Kläger trat diesem Gruppenversicherungsvertrag als Versicherter bei. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (AVB-G) der Beklagten zu Grunde, in denen u.a. Folgendes geregelt ist:
"§ 3 - Gegenstand und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes
(1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung genannte Ereignisse.
Er gewährt im Versicherungsfall
a) in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. ...
(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit und Unfallfolgen. ...
§ 4 - Umfang des Versicherungsschutzes
(1) Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich aus dem Gruppenversicherungsvertrag, den hierfür geltenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung, dem jeweiligen Versicherungsausweis sowie den gesetzlichen Vorschriften. ...
§ 6 - Umfang der Leistungspflicht
(1) Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit Tarifbedingungen.
(2) Dem Versicherten ... steht die Wahl unter den niedergelassenen approbierten Ärzten und Zahnärzten frei. ...
(3) Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel müssen von den in Abs. 2 genannten Behandlern verordnet, Arzneimittel außerdem aus der Apotheke bezogen werden. ...
Als Heilmittel gelten
a) physikalisch-medizinische Leistungen ..., wenn sie vom in eigener Praxis tätigen Masseur, Masseur und medizinischen Bademeister, Krankengymnasten oder Physiotherapeuten ausgeführt worden sind.
b) Stimm-, Sprech- und Sprachübungsbehandlung, wenn sie vom Logopäden ausgeführt worden ist. ...
Als Hilfsmittel gelten... ."
Aus den "Tarifen 80" der Beklagten ist der Kläger für die ambulante Heilbehandlung nach dem Tarif AD 1 versichert, nach dem Aufwendungen für ärztliche Leistungen, Arznei- und Verbandmittel, Leistungen des Masseurs, des medizinischen Bademeisters oder des Krankengymnasten, Hilfsmittel i.S.d. § 6 (3) AVB-G und Leistungen der Hebamme erstattungsfähig sind.
Der Kläger erkrankte an einer hyperfunktionellen Dysphonie. Sein Facharzt u.a. für Stimm- und Sprechstörungen verordnete ihm deshalb Anfang 1999 eine stimm- und sprechtherapeutische Behandlung, zu deren Durchführung er ihn an eine ASSL - die nicht zugleich Logopädin ist - überwies. Für die erfolgreiche Therapie berechnete ihm diese 2.500 DM.
Die Beklagte verweigert die Erstattung unter Hinweis auf die "Logopädenklausel" in § 6 (3) Unterabs. b AVB-G, da die Behandlung nicht durch einen Logopäden vorgenommen worden sei. Der Kläger ist der Ansicht, die in den AVB-G enthaltene Beschränkung auf Logopäden sei unwirksam, weil sie gegen die §§ 3 und 9 Abs. 2 AGBG verstoße.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein in den Vorinstanzen erfolglos gebliebenes Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Der Kläger hat nach dem von ihm genommenen Tarif keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die erfolgte Stimm- und Sprechbehandlung. Sein Zahlungsbegehren ist daher unbegründet.
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch wegen des Leistungsausschlusses in § 6 (3) Unterabs. 2b AVB-G nicht zu. Diese Klausel sei weder überraschend i.S.d. § 3 AGBG noch benachteilige sie Versicherte entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 AGBG).
II. Das Ergebnis des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Frage der Vereinbarkeit der so genannten Logopädenklausel mit § 9 AGBG höchstrichterlicher Klärung bedürfe. Diese Frage stellt sich hier indes nicht. Gleichwohl ist der Senat an die Zulassung gebunden (§ 543 Abs. 2 ZPO).
1. Gemäß § 2 (1) b des Gruppenversicherungsvertrages sind Vertragsgrundlage - woraus sich der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt - die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung für die Krankheitskostenversicherung "Teil I Allgemeine Bedingungen" und "Teil II M-Tarife", zu denen u.a. die "Tarife 80" der Beklagten gehören, die die Tarife AD enthalten. Nach § 3 (1) a AVB-G gewährt der Versicherer im Versicherungsfall ("medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen"; § 3 (2) S. 1 AVB-G) Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich nach § 6 (1) AVB-G aus dem Tarif mit Tarifbedingungen.
Für den Kläger bestand bei der Beklagten nach übereinstimmendem Parteivortrag im streitgegenständlichen Zeitraum eine Krankheitskostenversicherung nach dem Tarif AD 1. Nach Nr. 1.1 der dazu vorgelegten Tarifbedingungen sind zwar Aufwendungen für alle in den AVB-G aufgelisteten Hilfsmittel erstattungsfähig. Das gilt aber nicht für die in § 6 (3) AVB-G aufgezählten Heilmittel, zu denen auch die Stimm-, Sprech- und Sprachübungsbehandlung durch einen nichtärztlichen Behandler gehört. Von den Heilmitteln sind unter Nr. 1.1 der Tarifbedingungen ausdrücklich nur Aufwendungen für Leistungen des Masseurs, des medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten als erstattungsfähig aufgeführt. Der vom Kläger gewählte und von der Beklagten zugesagte Versicherungsschutz erstreckt sich mithin von vorneherein nicht auf die Erstattung der Aufwendungen für eine nicht vom Arzt durchgeführte Stimm-, Sprech- und Sprachübungsbehandlung, um deren Kostenersatz die Parteien streiten. Auf den Leistungsausschluss in § 6 (3) Unterabs. b AVB-G kommt es daher nicht an.
Das hat auch der Kläger nach entsprechendem Hinweis des Senats eingeräumt. Er hält dagegen in der Revisionsinstanz nunmehr eine solche Vertragsgestaltung selbst gem. §§ 3 und 9 AGBG für unwirksam.
2. Eine Beschränkung der Erstattungsfähigkeit auf Aufwendungen für ärztliche Behandler im Bereich der Stimm-, Sprech- und Sprachübungsbehandlung, wie sie der vom Kläger gewählte Tarif vorsieht, begegnet aber keinen rechtlichen Bedenken. Die Vertragsparteien bestimmen - wie allgemein im Vertragsrecht - auch im Versicherungsvertragsrecht den Inhalt des Versicherungsvertrages. Soweit der Versicherer verschiedene Tarife mit unterschiedlichen Leistungsinhalten vorhält, kann der potenzielle Versicherungsnehmer auswählen, welche Leistungen zu welchen Konditionen er benötigt. Allerdings müssen solche vorformuliert durch Allgemeine Geschäftsbedingungen vorgegebenen Vertragsbedingungen vor allem mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbar sein. Das ist hier der Fall. Die Bedingungen der von der Beklagten angebotenen Krankheitskostenversicherung zu der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für stimm- und sprechtherapeutische Behandlungen im Tarif AD 1 verstoßen insb. nicht gegen § 3 AGBG (jetzt: § 305c BGB) und § 9 AGBG (jetzt: § 307 BGB).
a) Ein überraschenden Klauseln i.S.v. § 3 AGBG innewohnender Überrumpelungseffekt scheidet aus, weil keine Regelungen enthalten sind, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweichen und mit denen er nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Gerade in Anbetracht des mit dem Hauptleistungsversprechen in § 3 (1) a AVB-G weit gesteckten Leistungsrahmens, alle mit der Heilbehandlung zusammenhängenden Aufwendungen zu übernehmen, wird der Versicherte davon ausgehen, dass dieses Leistungsversprechen näherer Ausgestaltung bedarf, die auch Einschränkungen nicht ausschließt (BGH, Urt. v. 19.5.2004 - IV ZR 29/03, VersR 2004, 1035, unter II 3a; Urt. v. 17.3.1999 - IV ZR 137/98, MDR 1999, 1065 = VersR 1999, 745, unter II 3a, 4a). Darauf wird der Versicherte - wie zuvor ausgeführt - mit § 6 AVB-G ("Umfang der Leistungspflicht") ausdrücklich hingewiesen, aus dessen Abs. 1 sich die Bedeutung des Tarifs für die Erstattungsfähigkeit deutlich ergibt (BGH, Urt. v. 19.5.2004 - IV ZR 29/03, VersR 2004, 1035, unter II 3a; Urt. v. 17.3.1999 - IV ZR 137/98, MDR 1999, 1065 = VersR 1999, 745, unter II 4a). Wenn die Beklagte in Teilbereichen nur die Erstattung von Aufwendungen für die Behandlung durch einen Arzt verspricht und sie bei nichtärztlichen Behandlern dagegen nicht vorsieht, einschränkt oder ausschließt, ist das nicht so ungewöhnlich, dass darauf der Vorwurf einer "Überrumpelung" gestützt werden kann. Eine Erwartungshaltung, ihm würden die Aufwendungen für jedwede Behandler ersetzt, kann der Versicherte daraus vernünftigerweise nicht entwickeln; sie fände in der Vertragsgestaltung keinen Anhalt.
b) Auch eine Vertragszweckgefährdung i.S.d. § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG liegt nicht vor. Die Begrenzung der Erstattungspflicht im Bereich der Stimm-, Sprech- und Sprachübungstherapie auf ärztliche Behandlung führt nicht zu einer Aushöhlung des Vertrages und damit dazu, dass der Versicherungsvertrag in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird (BGH v. 19.11.1997 - IV ZR 348/96, BGHZ 137, 174 [176] = MDR 1998, 284). Es wird insb. keine bestimmte Behandlungsmethode vom Leistungsumfang ausgenommen, sondern über § 6 (2) AVB-G wird die Erstattungsfähigkeit lediglich auf die Behandlung durch niedergelassene approbierte Ärzte beschränkt. Das primäre Leistungsversprechen der Kostenübernahme für die medizinisch notwendige ärztliche Heilbehandlung bleibt unangetastet. Soweit es die nichtärztlichen sonstigen Leistungen wie z.B. die Heilmittel anlangt, steht die Leistungszusage ohnehin unter dem Vorbehalt des entsprechend Vereinbarten (BGH, Urt. v. 19.5.2004 - IV ZR 29/03, VersR 2004, 1035, unter II 3b aa). Dass eine Behandlung durch einen Arzt nicht oder zumindest nicht in angemessener Zeit zu erhalten wäre und der Versicherungsschutz deshalb leer liefe, hat der Kläger nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.
c) Fehl geht schließlich der weitere Einwand des Klägers, die Vertragsgestaltung genüge nicht dem sich aus § 9 AGBG ergebenden Transparenzgebot (jetzt: § 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Bedeutung des Tarifs für die Erstattungsfähigkeit kommt in den AVB-G ausreichend klar und verständlich zum Ausdruck (§ 6 (1)). Ein schlichtes Abgleichen der rasch überschaubaren Auflistung in Nr. 1.1 des Tarifs mit den in den AVB-G erwähnten Heilmitteln ergibt, dass Stimm-, Sprech- und Sprachübungsbehandlungen durch Logopäden ebenso wenig wie durch sonstige nichtärztliche Behandler vom gewählten Tarif erfasst sind. Damit werden dem verständigen Versicherungsnehmer zugleich die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen, die diese Versicherungsbedingungen nach den für ihn erkennbaren Umständen mit sich bringen, deutlich erkennbar vor Augen geführt (BGH v. 9.5.2001 - IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354 [362] = MDR 2001, 1055 = BGHReport 2001, 542).
Fundstellen
Haufe-Index 1261654 |
BGHR 2005, 231 |
NJW-RR 2005, 175 |
MDR 2005, 271 |
MedR 2005, 90 |
VersR 2005, 64 |
r+s 2005, 113 |
JWO-VerbrR 2004, 386 |