Leitsatz (amtlich)
Der Charakter einer Kanalanschlußgebühr als öffentliche Last wird nicht dadurch beseitigt, daß die Gemeinde, die den Heranziehungsbescheid erlassen hat, in dem gegen diesen gerichteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Gebühr im Wege eines Vergleichs herabgesetzt hat.
Normenkette
ZVG § 10 Abs. 1 Nr. 3; OldAG-ZPO-ZVG § 14; OldAG-ZPO-ZVG § 15 v. 15. Mai 1899, GBl 427; VerwaltungsgerichtsO (VwGO) § 106
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 07.02.1968) |
LG Oldenburg |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Oldenburg vom 7. Februar 1968 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Nachdem über das im Grundbuch von D. Band … Blatt … eingetragene Grundstück des Alois H., damals Inhaber einer Versandschlachterei, die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung angeordnet worden war, nahm die beklagte Stadtgemeinde den Eigentümer mit Bescheid vom 13. August 1965 zur Zahlung einer einmaligen Gebühr in Höhe von 229.844,50 DM für den Anschluß des Grundstücks an die örtliche Entwässerungsanlage in Anspruch. Die von H. hiergegen erhobene verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage endete am 24. Mai 1966 mit einem gerichtlichen Vergleich, dem der Zwangsverwalter beigetreten war und in welchem sich H. zur Zahlung einer „einmaligen Gebühr von 115.000 DM verpflichtete” und die Beklagte ihren Heranziehungsbescheid vom 13. August 1965 zurücknahm. Die Zwangsversteigerung erfolgte am 13. Januar 1967.
Den im Zwangsverwaltungsverfahren nicht befriedigten Teil des Gebührenanspruches der Beklagten in Höhe von 27.692,43 DM teilte das Versteigerungsgericht im Verteilungstermin bedingt der Beklagten zu. Der Betrag wurde bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Vechta hinterlegt.
Die Klägerin, der das Grundstück zugeschlagen wurde, nimmt diesen Betrag als dingliche Gläubigerin für sich in Anspruch, Sie meint, daß eine einmalige Abgabe nicht zu den bevorrechtigten Ansprüchen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG gehöre. Jedenfalls sei die Ortssatzung vom 25. Mai 1965, auf der der Heranziehungsbescheid beruhe, unwirksam, da sie nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei. Der Bescheid, der auf dieser unwirksamen Satzung beruhe, sei überdies durch den Vergleich aufgehoben worden. Ein Vergleich könne aber eine dingliche Last am Grundstück nicht begründen.
Das Landgericht hat die Klage auf Ausführung der Eventualzuteilung von 27.692,43 DM an die Klägerin abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben; mit ihrer Revision verfolgt sie ihr Klagbegehren weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I.
1. Zu Recht haben Landgericht und Oberlandesgericht die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bejaht. Diese gilt für die Widerspruchsklage des § 878 ZPO auch dann, wenn für die dem Gegner zustehende Forderung (Gebührenanspruch der Gemeinde) der Rechtsweg unzulässig wäre (Stein/Jonas/Pohle, ZPO 18. Aufl. § 878 Anm. III; Baumbach/Lauterbach, ZPO 30. Aufl. § 878 Anm. 2 A; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts 9. Aufl. § 196 IV S. 1036 und Ruhl/Drischler/Mohrbutter, Die Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungspraxis 4. Aufl. S. 492). Hiergegen werden auch von der Revision keine Einwendungen erhoben.
2. Unter Anwendung der §§ 14, 15 des Oldenburgischen Ausführungsgesetzes zum Zwangsversteigerungsgesetz vom 15. Mai 1899 (OldGBl 1899, 427) kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß die von der beklagten Gemeinde als Entgelt für die Benutzung ihrer in Form einer öffentlichen Anstalt betriebenen Abwasserbeseitigungsanlage von dem Grundstückseigentümer H. geforderte Gebühr in Form einer einmaligen Kanalanschlußgebühr im Landesteil Oldenburg als eine öffentliche Last des Grundstücks im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG anzusehen ist.
Dem ist im Ergebnis beizutreten.
Soweit die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts bekämpft, daß die Frage nach dem rechtswirksamen Zustandekommen der Ortssatzungen der Beklagten vom 25. Mai 1965 und 28. Februar 1967 offen bleiben könne und die Meinung vertritt, die Ausführungen des Berufungsgerichts beträfen nur die Begründung einer Gebührenpflicht Hönemanns, ohne daß diese eine öffentliche Last sein müsse, da eine solche einer gesetzlichen Grundlage bedurft hätte, kann ihr nicht gefolgt werden.
Für den Rechtsbegriff der öffentlichen Lasten an Grundstücken im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG gibt es keine gesetzliche Begriffsbestimmung. Sie sind, da sich ihre Entstehung nach öffentlichem Recht richtet, im öffentlichen Recht geschaffene Abgabenverpflichtungen, die in Geld durch wiederkehrende oder einmalige Leistungen zu erfüllen sind und bei denen neben der persönlichen Haftung des Schuldners die dingliche Haftung des Grundstücks besteht (vgl. Zeller, ZVG 7. Aufl. § 10 Anm. 37 mit weiteren Nachweisen). Dabei ist nicht erforderlich, daß die Verpflichtung im Einzelfall als öffentliche Grundstückslast bezeichnet wird; es muß aber in jedem Fall geprüft werden, ob sich dies aus ihrer rechtlichen Gestaltung und ihrer Beziehung zum Grundstück ergibt (vgl. Fischer, Rechtliche Gestaltung und Probleme der öffentlichen Grundstückslast, NJW 1955, 1583; s. auch Ruhl/Drischler/Mohrbutter, a.a.O. Anm. 2 zu Muster 63).
Eine solche Prüfung hat das Berufungsgericht auch vorgenommen.
Nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 des Oldenburgischen Ausführungsgesetzes zum Zwangsversteigerungsgesetz sind öffentliche Lasten eines Grundstücks im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG u.a. die gemeinen Lasten. Dazu gehören nach § 15 des genannten Gesetzes „namentlich alle nach Gesetz, Verfassung oder Herkommen auf dem Grundstück ruhenden aus dem Gemeindeverband … entspringenden Abgaben und Leistungen …”, wobei durch das „namentlich” zum Ausdruck kommt, daß die Aufzählung des Gesetzes: „nach Gesetz, Verfassung oder Herkommen” nicht erschöpfend gemeint ist.
Dazu hat das Berufungsgericht, was die Revision übersieht, ausgeführt, daß es sich bei der Kanalanschlußgebühr um eine solche gemeindliche Abgabe im Sinne des Oldenburgischen Ausführungsgesetzes zum Zwangsversteigerungsgesetz handle und daß diese Abgabe auch auf dem Grundstück ruhe, da sie ihrer Natur nach das Entgelt für die Möglichkeit der Nutzung einer gemeindlichen Anlage durch das angeschlossene Grundstück darstelle.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen.
Daß der Betrieb der von der Beklagten errichteten und unterhaltenen Kanalisation eine Betätigung schlicht hoheitlicher Verwaltung ist und die Gemeinde insoweit dem einzelnen Grundstückseigentümer öffentlich-rechtlich handelnd gegenübersteht, kann im Hinblick auf den Heranziehungsbescheid vom 13. August 1965 in Verbindung mit den darin in Bezug genommenen Ortssatzungen nicht in Zweifel gezogen werden. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Satzungen berechtigt sind, denn entscheidend ist, daß die beklagte Gemeinde in einer Weise aufgetreten ist, als ob die Satzung gültig wäre, und hoheitlich handelnd in Ausübung ihrer in der Satzung niedergelegten Rechte vorgegangen ist (siehe dazu das für die Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes vorgesehene Urteil vom 30. September 1970, III ZR 87/69 S. 5). Keineswegs folgt aus einer etwaigen Unwirksamkeit der hoheitlich gewollten und durchgeführten Regelung, daß nunmehr die Rechtsbeziehungen, auf die sich die Regelung bezieht, nach bürgerlichem Recht zu beurteilen wären und deshalb eine öffentliche Last im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG nicht vorliege.
Bei derart öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung – ortsstatutarischer Benutzungszwang, Entgelt nach allgemeinem Maßstab zu bemessende Gebühr (Gebührenordnung) – wird die Kanalanschlußgebühr auch allgemein als öffentliche Grundstückslast angesehen (Zeller a.a.O. § 10 Anm. 37 Stichwort „Kanalanschluß und Kanalbenutzung”; Ruhl/Drischler/Mohrbutter a.a.O. Anm. 2 zu Muster 5; Steiner/Riedel, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung 7. Aufl. § 10 Anm. 8 a bb; Jäckel/Güthe, ZVG 7. Aufl. S. 840 zu Art. 1 PrAGZVG und Vogel, DVBl 1953 S. 549). Daß diese öffentliche Grundstückslast auch in einer einmaligen Leistung bestehen kann, ist allgemein anerkannt (z.B. Jäckel/Güthe, a.a.O. § 10 Rdn. 14 S. 69 unter Hinweis auf die Motive; RGZ 42, 276, 279; 56, 396, 398; 83, 87, 89; 86, 357, 362 u.a.). Ob die von der Revision bekämpfte und auf verschiedene Entscheidungen gestützte Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, in der einmaligen Kanalanschlußgebühr sei nur ein vorweggenommener Aufschlag auf die laufenden Kanalbenutzungsgebühren zu erblicken, kann sonach dahingestellt bleiben.
II.
Vom Boden der oben gewonnenen Beurteilung aus ist die so entstandene öffentliche Last, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, durch den Heranziehungsbescheid lediglich konkretisiert worden. Nach Aufhebung dieses Bescheides ist an seine Stelle der verwaltungsgerichtliche Vergleich vom 24. Mai 1966 getreten.
1. Der Meinung der Revision, die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hätten den Vergleich auf eine bürgerlich-rechtliche Grundlage gestellt, und die Beklagte habe sich damit von der Geltendmachung einer Öffentlichen Benutzungsgebühr getrennt, kann nicht gefolgt werden. Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, daß durch den Abschluß des Vergleichs und die in ihm erfolgte Aufhebung des Heranziehungsbescheides die Rechtsnatur der zugrunde liegenden Abgabeschuld nicht verändert worden ist. Gegenstand des Vergleichs blieb die im Heranziehungsbescheid enthaltene Gebührenforderung der Gemeinde, also eine öffentlich-rechtliche Abgabeschuld. Dies kommt auch im Wortlaut des Vergleichs zum Ausdruck, der von einer „einmaligen Gebühr für den Anschluß an die Entwässerungsanlage” spricht. Zutreffend hat das Berufungsgericht in dem Vergleich einen öffentlich-rechtlichen Vertrag erblickt, in welchem die Vertragschließenden die im Heranziehungsbescheid festgelegte Abgabeschuld nur hinsichtlich ihrer Höhe neu festgesetzt haben. Eine Novation bezüglich des Leistungsgrundes – Kanalanschlußgebühr – hat hingegen nicht stattgefunden.
2. Bedenken gegen die Gültigkeit des verwaltungsgerichtlichen Vergleichs vom 24. Mai 1966 sind nicht begründet. § 106 VwGO gestattet den Beteiligten den Abschluß eines Vergleichs soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können; insoweit ist auch in Anfechtungs- und Verpflichtungssachen ein Vergleich zulässig (Eyermann/Fröhler, VwGO 4. Aufl. § 106 Rdn. 4). Wieweit diese Verfügungsbefugnis reicht, kann nicht generell gesagt, es muß vielmehr im Einzelfall nach Sinn und Zweck des gewährten Rechts ermittelt werden. Der Revision ist zuzugeben, daß eine Gemeinde ihre Gebühren nicht willkürlich festsetzen kann; sie kann auf ihr Recht, Gebühren zu erheben, auch nicht generell verzichten oder Vereinbarungen darüber treffen. Dagegen ist es ihr unbenommen, im Einzelfall von der tatsächlichen Erhebung ganz oder zu einem Teil abzusehen, denn Verzicht und Erlaß im Einzelfall sind auf dem Gebiet des Gemeindeabgabenrechts das Vorrecht der Verwaltung (vgl. dazu Peters, Handbuch der Kommunalen Wissenschaft und Praxis Band II, S. 871 und OVG Münster, VerwRspr. 7 Nr. 15).
3. Rechtsirrtumsfrei wertet das Berufungsgerichrt den im Vergleich enthaltenen öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht als eine dem betreibenden Gläubiger gegenüber unwirksame Verfügung im Sinn des § 23 ZVG. Denn einmal ermäßigt die beklagte Gemeinde darin ihre Forderung gegenüber dem Heranziehungsbescheid erheblich, der Vergleich stellt also keine neue „Verfügung” in diesem Sinne dar, und zum anderen ergibt sich aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG, daß das Vorrecht auch für laufende, d.h. nach der Beschlagnahme fällig gewordene Leistungen gilt.
4. Ob das Berufungsgericht tatsächlich die Auffassung vertreten wollte, daß eine Konkretisierung der öffentlichen Last noch bis zum Verteilungstermin möglich gewesen sei, kann dahingestellt bleiben, denn der Vergleich wurde am 24. Mai 1966 geschlossen, während die Versteigerung erst am 13. Januar 1967 erfolgt ist.
5. Auch soweit die Revision befürchtet, daß mittels eines solchen Vergleichs die Höhe einer öffentlichen Last „manipuliert” und der Wert der Grundpfandrechte beeinträchtigt werden könnte, kann ihr nicht gefolgt werden. Am Vergleich ist ebenso wie beim Verwaltungsakt die Behörde, hier die Gemeinde, beteiligt. Außerdem erfolgt die Beurkundung durch das Gericht, dem insoweit eine kontrollierende Punktion zukommt. Schließlich ist nicht ersichtlich, welches Interesse der Eigentümer daran haben könnte, die Grundpfandgläubiger zugunsten der Gemeinde zu benachteiligen.
6. Dem in § 4 der Ortssatzung vom 28. Februar 1957 enthaltenen Verbot, Schlachtabfälle in das Abwassernetz einzuleiten, kommt ebensowenig Bedeutung zu wie der Revisionsrüge, das Vordergericht habe die Frage nach dem Zeitpunkt der Anschlußmöglichkeit ungeprüft gelassen, denn aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils ergibt sich, daß das Grundstück Hönemanns tatsächlich an die Kanalisation der beklagten Gemeinde angeschlossen worden ist, und die Revision trägt selbst vor, daß der Anschluß im August 1965, also lange vor der Zwangsversteigerung möglich gewesen wäre.
III.
Nach alledem ist die Klägerin mit ihrem Anspruch, ihrem Widerspruch im Zwangsversteigerungsverfahren stattzugeben, zu Recht abgewiesen worden, so daß der Revision der Erfolg versagt bleiben muß.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Dr. Augustin, Dr. Freitag, Hill, Offterdinger, Dr. Grell
Fundstellen
Haufe-Index 1530781 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1971, 205 |
VerwRspr 1971, 179 |
VerwRspr 1971, 740 |