Leitsatz (amtlich)
Hält der Eigentümer eines Hofes seine Schwiegertöchter nicht für würdig, Bäuerinnen auf dem Hofe zu werden, weil sie seinen Söhnen während deren Gefangenschaft nicht die eheliche Treue gehalten hätten, und setzt er deshalb seine Söhne nur unter der Bedingung als Erben ein, daß sie sich scheiden lassen, so braucht die Erbeinsetzung nicht schon aus diesem Grunde unsittlich zu sein.
Normenkette
BGB § 2329
Verfahrensgang
OLG Celle (Entscheidung vom 05.04.1955) |
LG Verden (Aller) (Entscheidung vom 14.10.1954) |
Tenor
Das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Celle vom 5. April 1955 wird aufgehoben.
Das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts in Verden/Aller vom 14. Oktober 1954 wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, daß das Testament vom 7. Februar 1948 nichtig sei.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung und der Revision.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind Kinder des Landwirts Heinrich B. (im folgenden Erblasser genannt). Der Erblasser war mit Anna geb. K. verheiratet. Aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen, neben den Parteien eine Tochter Ella und ein Sohn Heinrich. Heinrich B. jun. ist verschollen; er ist - mit Todeszeitpunkt vom 25. Januar 1945 - für tot erklärt worden.
Der Erblasser war Eigentümer eines 4.22,05 ha großen Hofes. Am 7. Februar 1948 errichtete er folgendes eigenhändige Testament:
"Mein letzter Wille.
Hierdurch erkläre ich, daß im Falle meines Todes meine Ehefrau, Anna B., geborene K., geboren am ... 1885 die Nutznießung meines gesamten Besitzes der Hofstelle Nr. ... in D. mit sämtlichen lebenden und totem Inventar Ernte und Geräte, bis zu ihrem Tode haben soll. Das vorhandene Bargeld und Sparkassenguthaben soll als ihr Eigentum gelten. Ferner ist meine Frau berechtigt für Gebäudereparaturen oder größere Anschaffungen wenn kein Geld dafür vorhanden ist, Anleihen bis zum Betrage von 2.000 Mark (Zweitausend Mark) zu machen. Nach dem Tode meiner Frau soll mein zur Zeit im Osten vermißter ältester Sohn Heinrich B., geboren am 12. Juni 1910 in D. Erbe meines gesamten Besitzes mit Zubehör sein, unter der Bedingung, daß er sich von seiner jetzigen Frau, Mathilde (genannt Hilde) scheiden läßt, da dieselbe ihm während seiner Gefangenschaft nicht die Treue gehalten hat. Sollte aber mein oben genannter Sohn nicht zurückkommen, oder sollte die Ehe nicht geschieden werden, alsdann kommt als Erbe mein jüngster Sohn Johann B. geboren am 26. Mai 1912 in D., zur Zeit in französischer Gefangenschaft in Frage, aber auch nur wenn er sein mir gegebenes Versprechen hält und sich von seiner jetzigen Frau Gerda B, geb. Sch. scheiden läßt, da dieselbe während seiner Gefangenschaft schon zweimal ihm nicht gehörige Kinder geboren hat. Sollte mein Sohn Johann B. nicht die Scheidung durchführen, so kommt als Erbe mein Großkind Sohn meiner ältesten Tochter, Heinz Günther B. geboren am ... 1931 in D. in Frage. Wer von den dreien das Erbe übernimmt hat 1. Fünfhundert Reichsmark an meine Tochter Dora W. geborene B., geboren am 28. Mai 1911 als Abfindung vom Erbe zu zahlen.
D., den 7. Februar 1948
gez. Heinrich B. Fortsetzung II. Blatt
Fortsetzung:
Mein letzter Wille.
2. An meinen Sohn Johann B. geboren am 26. Mai 1912, wenn derselbe das Erbe nicht übernimmt, auch 500 Reichsmark (in Worten Fünfhundert) als Abfindung.
3. An meine älteste Tochter Ella B. in D. geboren am 26. Dezember 1908 in D. auch als Abfindung vom Erbe 500 Reichsmark in Worten Fünfhundert.
4. Wenn mein ältester Sohn Heinrich B. sich nicht von seiner Frau scheiden läßt, so soll der Erbe ihm auch 500 Reichsmark in Worten Fünfhundert Reichsmark als Abfindung zahlen. Wenn oben genannter Sohn nicht wiederkehren sollte, so sind nicht seiner jetzigen Frau Hilde B. die Fünfhundert Mark als Erbschaft auszuzahlen, sondern dann sind seinem Sohn Klaus B., geboren am 12. Juni 1941 in T., welcher von uns betreut und auferzogen wird, an dessen 21. Geburtstage, die Fünfhundert Reichsmark auszuzahlen, das Geld ist vom Antritt des Erbes, bis zur Auszahlung zum ortsüblichen Zinssatz zu verzinsen. Außerdem sind, wenn mein Sohn Heinrich B. nicht wiederkehren sollte, vom Anerben an seinen Sohn Klaus B., Eintausend Mark zu Lehr- und Ausbildungszwecken Bezahlt werden, zahlbar in kleinen Raten nach Gutdünken des später eingesetzten Vormunds.
5. Auch sind an meinem Großkind, Heinz Günter B., geboren am ... 1931, wenn derselbe nicht als Anerbe in Frage kommt, Fünfhundert Reichsmark für dauernde Hilfeleistung vom Anerben bei Übernahme des Erbes zu zahlen. - Falls einer von meinen beiden Söhnen meine Anordnungen umgehen sollte, und sich vorerst scheiden ließe, später aber eine neue Ehe mit der geschiedenen Frau einginge, soll ihm sein ganzes Anrecht am Erbe verlorengehen und der nächstberechtigte das Erbe übernehmen.
D., den 7. Februar 1948
gez. Heinrich B.."
Der Erblasser ist am 8. Juni 1948 gestorben. Seine Witwe folgte ihm am 15. April 1953 nach.
Die Klägerin hat mit Schreiben an den Beklagten vom 2. Juli 1953 das Vermächtnis, das der Erblasser ihr ausgesetzt hat, ausgeschlagen und den Pflichtteil verlangt. Auf Grund eines Hinweises des Berichterstatters des Landgerichts vom 15. April 1954 vertritt sie jetzt in erster Linie die Ansicht, das Testament sei nichtig.
Nachdem sie folgende Anträge angekündigt hatte:
1.
festzustellen, daß das Testament des Erblassers nichtig ist,
2.
hilfsweise:
den Beklagten zu verurteilen, über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu erteilen, sowie ein Nachlaßverzeichnis durch einen zuständigen Beamten oder Notar, unter Zuziehung der Klägerin, aufnehmen zu lassen,
hat sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nur den Hauptantrag gestellt.
Das Landgericht hat festgestellt, das Testament sei nichtig, soweit es die Verfügungen hinsichtlich der beiden Söhne des Erblassers betreffe; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten hiergegen zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Der Beklagte verfolgt mit der Revision seinen Antrag weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision zieht die Voraussetzungen für eine Feststellungsklage (§256 ZPO) zu Unrecht in Zweifel. Sie meint, die Klägerin könne sofort auf Leistung dessen klagen, was ihr zustehe, wenn ihre Ansicht richtig sei. Sie könne auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragen, den zugunsten des Beklagten erlassenen Erbschein einzuziehen.
Die Feststellungsklage ist gleichwohl gerechtfertigt.
Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage ist, auch wenn eine Leistungsklage erhoben werden könnte, dann zu bejahen, wenn das Feststellungsverfahren prozeßwirtschaftlich günstiger ist, insbesondere voraussichtlich die bestehenden Streitpunkte einfacher erledigt (vgl. BGHZ 2, 250 [253]). Das gilt für Klagen, welche die Erbauseinandersetzung vorbereiten sollen, in besonderem Maße. Sie sollen die Grundlagen klären, die für die Auseinandersetzung maßgebend sind (RG Warn Rspr 1909 Nr. 375; BGHZ 1, 65 [74]) und damit erst die Möglichkeit geben, wirklich sachdienliche Leistungsanträge zu stellen. Das trifft auch hier zu. Die Klägerin will zunächst klären, wer Erbe geworden ist, damit sie ihre Leistungsanträge alsdann gegen den richtigen Erben weiterverfolgen kann.
Soweit die Revision auf das Erbscheinseinziehungsverfahren hinweist, verkennt sie, daß die Entscheidung des Nachlaßgerichts das Prozeßgericht nicht bindet; eine vom Nachlaßgericht getroffene Entscheidung würde also keine der Parteien hindern, auf eine gegenteilige Feststellung zu klagen.
II.
Die Revision hat sachlich Erfolg.
1.
Der Senat vermag sich der Ansicht der Tatsachengerichte, das Testament enthalte in seinen Verfügungen zugunsten der beiden Söhne unsittliche Bedingungen, nicht auszuschließen.
Das Berufungsgericht hat seine Rechtsauffassung im wesentlichen wie folgt begründet: Der Erblasser habe die Erbeinsetzung seiner Söhne davon abhängig gemacht, daß sie sich von ihren Ehefrauen scheiden ließen, und er habe sogleich einen weiteren Ersatzerben für den Fall bestimmt, daß die Söhne seinem Verlangen nicht nachkämen. Damit habe der Erblasser seinen Söhnen materielle Vorteile für die Durchführung eines Entschlusses versprochen, den sie nach sittlicher Anschauung frei von jedem Zwang und jeder Beeinflussung durch einen Dritten, sei es auch durch den eigenen Vater, zu treffen hätten und bei dem sie sich auch nicht von materiellen Erwägungen leiten lassen dürften. Die Ehe sei die engste Lebensgemeinschaft. Sie werde durch das feierliche Gelöbnis, durch die auf höherer Ebene als bei anderen Verträgen gelegene gegenseitige Verpflichtung zu lebenslänglicher Verbundenheit, begründet. Sie gewinne dann noch an Tiefe und innerer Verbundenheit der Ehegatten, wenn aus ihr Kinder hervorgegangen seien Ihre Aufrechterhaltung sei ein sittliches Gebot. Die Ehe stehe in der sittlichen Wertung so hoch, daß von jedem Ehegatten, selbst dann, wenn er durch Verfehlungen des anderen Teils schwer getroffen sei, eine ernsthafte Prüfung erwartet werde, ob er nicht verzeihen und die Ehe fortsetzen könne. Es widerspreche dem Wesen der Ehe gröblich, wenn sich der Ehegatte bei dieser Prüfung von materiellen Erwägungen leiten lasse. Dritte - seien es auch die nächsten Angehörigen des Ehegatten - verstießen gegen das Sittengesetz, wenn sie ihren Einfluß auf den Ehegatten mit dem Ziel geltend machten, die Ehe aufzulösen; das gelte jedenfalls dann, wenn das unter dem Versprechen materieller Vorteile und der Androhung materieller Nachteile geschehe.
Es seien allerdings Fälle denkbar, in denen die Beweggründe des Erblassers für die Abfassung der letztwilligen Verfügung so achtenswert und ehrenhaft seien, daß der an sich gegen die guten Sitten verstoßende Inhalt in einem anderen Licht erscheine und daß dann der Gesamtcharakter der Verfügung nicht gegen die guten Sitten verstoße. Allein so liege der Fall hier nicht. Es möge sein, daß der Erblasser geglaubt habe, die von ihm gesetzte Bedingung schlage zum Wohl seiner Söhne und seiner Familie aus. Auch werde es sicher zutreffen, daß er das Verhalten der Schwiegertöchter als eine schwere Kränkung seiner und der Familie Ehre angesehen und die Schwiegertöchter nicht für wert erachtet habe, einmal Bäuerinnen auf dem Hof zu werden. Auch ein durchaus achtenswerter Beweggrund und eine ehrenswerte Gesinnung könnten jedoch dem Gesamtcharakter einer letztwilligen Verfügung dann nicht den Makel der Sittenwidrigkeit nehmen, wenn der Erblasser zu einem verwerflichen Mittel greife, indem er versuche, die Ehe des Bedachten zum Scheitern zu bringen. Die Ehe sei ein so hohes Gut, daß gegenüber einem Angriff auf ihren Bestand weder die Beweggründe des Erblassers noch seine Gesinnung von ausschlaggebender Bedeutung sein könnten.
2.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts entsprechen weitgehend der Würdigung, die der erkennende Senat der Ehe in seiner Rechtsprechung in Ehescheidungssachen zukommen läßt. Das Berufungsgericht hat jedoch zu einseitig auf diese Frage abgestellt. Die Testierfreiheit, die dem Erblasser grundsätzlich zusteht, gestattet es ihm, die Nachfolge in seinen Nachlaß weitgehend nach Gutdünken und freiem Ermessen zu regeln. Setzt er einen Erben unter einer Bedingung ein, so müssen bei der Frage, ob die Erbeinsetzung - unter einer solchen Bedingung sittenwidrig ist, alle Umstände des Falles, insbesondere auch die vom Erblasser verfolgten Zwecke berücksichtigt werden (RGRK BGB 10. Aufl. Vorbem 1, 4 c Abs. 3 vor §2064).
Das Berufungsgericht stellt nun selbst fest, daß der Erblasser das Verhalten seiner beiden Schwiegertöchter als eine schwere Kränkung seiner eigenen Ehre und der Ehre seiner Familie angesehen und die Schwiegertochter nicht für wert gehalten habe, einmal Bäuerinnen auf seinem Hof zu werden. Es mißt diesem Gesichtspunkt zu Unrecht zu geringe Bedeutung zu. Die Revision weist zutreffend darauf hin, ein Ehebruch der Frau insbesondere der Ehebruch der Frau eines im Felde stehenden oder in Gefangenschaft befindlichen Soldaten - werde in ländlichen Kreisen besonders schwer genommen; es werde darin eine Familienschande gesehen; dieser Gesinnung entspreche es, unwürdige Familienmitglieder von der Nachfolge in den Hof auszuschließen, zumal da die Hoferbfolge auf dem Lande eine besondere Rolle spiele. Geht man von dieser allgemeinen Erfahrung und den eigenen Feststellungen des Berufungsgerichts aus, dann steht der Wunsch des Erblassers im Vordergrunde, seinen Erben die Hofstelle nicht an der Seite einer - nach seiner Überzeugung - unwürdigen Frau übernehmen zu lassen, nicht jedoch der Gedanke, die Ehe des Erben "zum Scheitern zu bringen", wie das Berufungsgericht annimmt. Der Umstand, daß jener berechtigte Wunsch hinsichtlich seiner Söhne nur dann verwirklicht werden konnte, wenn sich der eine oder andere von seiner Frau scheiden ließ, läßt - angesichts der notwendigen Verknüpfung von Zweck und Mittel nicht den Vorwurf zu, der Erblasser habe zu einem verwerflichen Mittel gegriffen.
3.
Soweit das Berufungsgericht sich für seine Ansicht auf früher entschiedene Fälle gestützt hat, lag der Sachverhalt anders. In dem einen hatte der Erblasser seiner Haushälterin sein Wohnhaus unter der Bedingung vermacht, daß sie nicht heirate (Urteil des OLG Rostock vom 8. Dezember 1890 - SeuffArch 49 Nr. 4). In dem zweiten hatte der Erblasser, ein Pfarrer, seinem Neffen ein erhebliches Legat unter der Bedingung zugewendet, daß er in den geistlichen (katholischen) Stand eintrete (Urteil des ObLG für Bayern vom 29. Oktober 1894 - SeuffArch 50 Nr. 97). Im dritten Falle hatte die Erblasserin ihre gesetzlichen Erbinnen auf den Pflichtteil gesetzt, wenn sie "vor erreichtem 24. Lebensjahre ihren Glauben wechselten" (Urteil des RG vom 18. September 1913 - SeuffArch 69 Nr. 48). In jenen Fällen hatten die Erblasser die Entschließungsfreiheit des Bedachten in Fragen beeinträchtigt, die allein von ihrem freien sittlichen Entschluß abhängen und nicht mit Vermögensvorteilen verquickt werden sollten. Grundsätzlich gehört zwar auch die Frage, ob jemand seine Ehe aufrechterhalten will oder nicht, in den gleichen Bereich (Coing NJW 1947/48, 213 [216] unter IV c). Anders als im vorliegenden Falle hing aber in den aufgeführten Fällen der vom Erblasser jeweils verfolgte Zweck nicht so eng und untrennbar mit dem Nachlaß selbst zusammen, wie es hier bei der Regelung der Hofnachfolge der Fall ist. Es braucht daher nicht erörtert zu werden, inwieweit die erwähnten Entscheidungen den heutigen Anschauungen darüber entsprechen, was sittenwidrig ist.
III.
Hiernach waren die Urteile der Tatsachengerichte zu ändern und es war die Klage hinsichtlich des bisher allein gestellten Hauptantrages abzuweisen.
Soweit die Klägerin einen Hilfsantrag angekündigt hat, läßt die Niederschrift des Landgerichts vom 30. September 1954 (Bl 35 GA) die Frage offen, ob die Klage insoweit zurückgenommen worden oder noch anhängig geblieben ist. Hierüber hat das Landgericht noch zu befinden. Es kann alsdann auch nur einheitlich über die Kosten des ersten Rechtszuges entscheiden.
Über die Kosten der Berufung und der Revision konnte schon jetzt entschieden werden, weil die Klage nur mit dem Hauptantrag in die Rechtsmittelzüge gelangt ist. Insoweit trägt die Klägerin die Kosten nach §91 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 3018530 |
JZ 1956, 279 |
JZ 1956, 279-280 |