Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 24.06.2015) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 24. Juni 2015 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, jeweils in vier tateinheitlichen Fällen, weiter in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
Rz. 2
1. Die Anklageschrift wirft dem Angeklagten vor, er habe am 9. Dezember 2014 gegen 03.30 Uhr im Wohnhaus der Nebenkläger durch eine fehlende Glasscheibe an der Haustür eine dahinter als Windschutz aufgehängte Jacke angezündet, um die, wie er gewusst habe, in dem Gebäude schlafenden Nebenkläger mittels Feuer oder Rauch zu töten. Die Flammen hätten unter anderem die hölzerne Haustür erfasst, die schließlich selbständig gebrannt habe. Den erwachenden Nebenklägern, die Rauchvergiftungen erlitten hätten, sei es aber gelungen, den Brand zu löschen.
Rz. 3
2. Das Landgericht hat das objektive Brandgeschehen wie in der Anklageschrift angenommen festgestellt, sich aber von der Täterschaft des Angeklagten nicht überzeugen können. Es hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 4
a) Zwar seien mögliche Motive des Angeklagten für die Brandlegung nicht zu verkennen. Die Nebenklägerin T. S. habe im September 2014 eine persönliche Beziehung zum Angeklagten beendet und ihre Anstellung in dessen Betrieb gekündigt. Mangels weiteren Einkommens habe sie gleichzeitig die Mietzahlungen für das von ihr angemietete spätere Brandobjekt eingestellt, so dass der Vermieter den Mietvertrag am 12. November 2014 fristlos gekündigt habe. Dies habe zu zusätzlichem Streit geführt, denn der Angeklagte habe sich dem ihm bekannten Vermieter gegenüber für die Zahlungen verantwortlich gefühlt; dieser habe sich zur Vermietung nur aufgrund seiner Bestätigung bereit gefunden, die Nebenklägerin könne mit dem bei ihm erzielten Arbeitseinkommen die Miete bezahlen. In der Folge habe der Angeklagte deshalb die Nebenklägerin und ihren Lebensgefährten, den Nebenkläger K., mehrfach aufgefordert, das Anwesen zu räumen. Die noch nicht ersetzte Glasscheibe an der Haustür habe er am 30. Oktober 2014 gegen 23.30 Uhr selbst eingeschlagen, um in das Haus einzudringen und die Genannten wegen der Mietrückstände zur Rede zu stellen.
Rz. 5
b) Diese Motivlage sei jedoch nicht ausreichend, um den bestreitenden Angeklagten der Brandlegung zu überführen; weitere für seine Täterschaft sprechende Indizien hätten sich nicht ergeben.
Rz. 6
Zwar sei der im Nachbarhaus wohnende Angeklagte nach dem Löschen des Brandes am Tatort erschienen, jedoch könne ihm seine Einlassung nicht widerlegt werden, er sei nur zufällig beim – von einer Zeugin auch an anderen Tagen beobachteten – nächtlichen Ausführen seines Hundes vorbeigekommen. Soweit er anschließend in einem weiteren Streitgespräch mit der Nebenklägerin T. S. sinngemäß geäußert habe, die Nebenkläger das nächste Mal „richtig abfackeln” zu wollen, habe er nach dem Gesprächszusammenhang lediglich provozieren wollen.
Rz. 7
Ebenso wenig führe ein von der Staatsanwaltschaft vorgelegtes Foto der Bildschirmanzeige eines Internet-Chats weiter, in dem sich einer der beiden Teilnehmer offenbar zur Tat bekenne. Der Wortlaut lasse keine Rückschlüsse auf die Identität der Chatteilnehmer zu. Zwar sei den Beiträgen des Bekenners jeweils ein „Miniatur-Lichtbild” zugeordnet. Es sei aber nicht zu erkennen, ob es sich bei der abgebildeten Person um den Angeklagten oder um einen der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen handele.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 8
1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es zur Ermittlung der Partner des abgelichteten Internet-Chats nicht (nochmals) die Nebenkläger K. und T. S. als Zeugen vernommen habe, ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unzulässig. Zwar hätte es sich in Anbetracht der Schwere des Tatvorwurfs – auch bereits der Staatsanwaltschaft – aufgedrängt, die Identität der Chat-Teilnehmer durch Lokalisierung des Chatraums, entsprechende Ermittlungen beim Anbieter und gegebenenfalls Auswertung beim Angeklagten vorhandener elektronischer Speichermedien zu klären. Eine dahingehende Aufklärungsrüge ist jedoch nicht erhoben.
Rz. 9
2. Soweit die Revision Verstöße des Landgerichts gegen § 261 StPO rügt, wendet sie sich in der Sache gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Diese weist indes keine Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.
Rz. 10
a) Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters, dem allein es obliegt, sich unter dem Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht kann demgegenüber nur prüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. August 2015 – 3 StR 226/15, juris Rn. 5). Lückenhaft ist die Würdigung der Beweise insbesondere dann, wenn das Urteil nicht erkennen lässt, dass der Tatrichter alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2015 – 3 StR 635/14, juris Rn. 3). Liegt ein solcher Rechtsfehler nicht vor, ist die tatrichterliche Würdigung auch dann hinzunehmen, wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich gewesen wäre oder gar näher gelegen hätte (BGH, Urteil vom 17. April 2014 – 3 StR 27/14, NStZ-RR 2014, 279, 280).
Rz. 11
b) Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Näherer Erörterung bedarf – im Einklang mit der Antragsschrift des Generalbundesanwalts – nur Folgendes:
Rz. 12
c) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht die Umstände, die aus seiner Sicht geeignet waren, die Entscheidung zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, nicht nur jeweils isoliert für sich gewertet, sondern auch in eine hinreichende Gesamtwürdigung einbezogen. Es hat dargelegt, dass die der beendeten Beziehung zur Nebenklägerin und der Sorge um die Mietzahlungen entspringende Motivlage des Angeklagten mangels weiterer für die Täterschaft des Angeklagten sprechender Beweisanzeichen nicht ausreiche. Dabei nochmals näher auf das Erscheinen des Angeklagten am Tatort und die gegenüber der Nebenklägerin ausgesprochene Drohung einzugehen, als dies auf UA S. 12 und 16 unter Hinweis auf die übrige Beweislage geschehen ist, war das Landgericht nicht gehalten, denn diesen Umständen hat es wegen ihrer weitgehenden Ambivalenz rechtsfehlerfrei eine wesentliche Indizwirkung zu Lasten des Angeklagten abgesprochen.
Rz. 13
d) Unbegründet ist auch die weitere materiellrechtliche Beanstandung der Beschwerdeführerin, das Urteil enthalte weder eine den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO genügende Verweisung auf das Bildschirmfoto noch eine zureichende Beschreibung der darauf erkennbaren „Miniatur-Lichtbilder” und erlaube deshalb keine revisionsgerichtliche Überprüfung, ob der Tatrichter diese rechtsfehlerfrei als für die Identifizierung des Chat-Teilnehmers unergiebig angesehen habe.
Rz. 14
aa) Das Urteil verweist in zulässiger Weise auf die zu den Akten genommene, die „Miniatur-Lichtbilder” enthaltende Ablichtung. Mit dem Klammerzusatz „Anlage 2 zum Protokoll vom 24. Juni 2015” ist der Inhalt der Verweisung eindeutig bestimmt. Auch die Art und Weise genügt den Anforderungen von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO.
Rz. 15
Will der Tatrichter bei der Abfassung der Urteilsgründe im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf eine bei den Akten befindliche Abbildung verweisen, so hat er dies deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck zu bringen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95, BGHSt 41, 376, 382). Dem hieraus von der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung und der strafrechtlichen Literatur gezogenen Schluss, eine bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten genüge dafür nicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 267 Rn. 8 mwN), kann sich der Senat jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht anschließen. Eine besondere Form schreibt die genannte Vorschrift für die Verweisung nicht vor. So wird teilweise auch die Notwendigkeit verneint, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen oder mitzuteilen, die Verweisung geschehe „wegen der Einzelheiten” (hierzu OLG Brandenburg, Beschluss vom 8. Dezember 1997 – 1 Ss (OWi) 96B/97, NStZ-RR 1998, 240 mwN). Darüber, ob der Tatrichter deutlich und zweifelsfrei erklärt hat, er wolle die Abbildung zum Bestandteil der Urteilsgründe machen (OLG Brandenburg aaO), ist deshalb stets im Einzelfall unter Heranziehung seiner Darlegungen insgesamt zu entscheiden. Insoweit gilt nichts anderes als für die Feststellungen und Wertungen des Tatrichters im Übrigen, die, um rechtlich Bestand zu haben, ebenfalls die Gebote der Eindeutigkeit und der Bestimmtheit wahren müssen.
Rz. 16
Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht dadurch, dass es bei der Nennung und der nachfolgenden inhaltlichen Erörterung der Ablichtung einen Klammerzusatz mit dessen genauer Fundstelle angebracht hat, deutlich und zweifelsfrei erklärt, es wolle die Ablichtung zum Gegenstand der Urteilsgründe machen. Schon nach allgemeiner Lebensanschauung enthält ein unter solchen Umständen hinzugefügter Klammerzusatz die Aufforderung an den Adressaten, nicht nur die Beschreibung des Gegenstands zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich darüber hinaus durch dessen Betrachtung auch einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Wird dergestalt bei der Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe verfahren, so drängt sich diese Auslegung in besonderem Maße auf, denn dem Tatrichter kann das Bewusstsein unterstellt werden, dass eine bloße Fundstellenangabe ohne Sinn bliebe.
Rz. 17
bb) Das Landgericht hat sich auch hinreichend mit der Ergiebigkeit der „Miniatur-Lichtbilder” auseinandergesetzt. Nachvollziehbar hat es den Lichtbildern nach deren Inhalt und Qualität nicht von vornherein die Eignung als Grundlage für eine Identifizierung der abgebildeten Person abgesprochen. Vielmehr hat es unter Berücksichtigung der darauf erkennbaren individuellen Merkmale lediglich nicht ausschließen können, dass es sich bei dieser Person statt um den Angeklagten um einen in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen handelt. Dagegen ist nichts zu erinnern. Nähere Darlegungen zu den Merkmalen, welche die Ähnlichkeit der abgebildeten Person auch zu dem unmittelbar vor der Strafkammer aufgetretenen Zeugen begründen, sind bei dieser Sachlage von Rechts wegen nicht zu verlangen (vgl. zum umgekehrten Fall der Identifizierung des Abgebildeten BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95, BGHSt 41, 376, 382 ff.; s. auch BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 21 ff.).
Unterschriften
Becker, Hubert, Schäfer, Mayer, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 9174339 |
NStZ-RR 2016, 178 |
StV 2016, 778 |
StraFo 2016, 155 |