Entscheidungsstichwort (Thema)
vorsätzlicher Körperverletzung
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 10. Mai 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Jedoch werden die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen rügen die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte jeweils die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft beanstandet, daß der Angeklagte nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt wurde, der Angeklagte erhebt die Sachrüge in allgemeiner Form. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang, das des Angeklagten lediglich zum Strafausspruch Erfolg.
1. Nach den Feststellungen traf der Angeklagte, dessen Steuerungsfähigkeit aufgrund vorangegangenen Alkoholgenusses erheblich vermindert war, in der Tatnacht am Treppenabgang zu einem S-Bahn-Tunnel auf die Eheleute J. und deren Sohn, die er mit den Worten ansprach: „Hey, habt ihr auch schön gefeiert?” Nachdem sie dies bejaht und erklärt hatten, sie wollten nun nach Hause gehen, stiegen die Eheleute J. die Treppe zu dem 50 – 60 m langen Tunnel hinab, während der Angeklagte zunächst am Eingang stehen blieb. Als sie nur noch wenige Schritte vom gegenüberliegenden Tunnelausgang entfernt waren und ihr Sohn bereits sein Fahrrad über die neben der dortigen Treppe gelegene Schräge hinaufschob, entschloß sich der Angeklagte aus einer alkoholbedingten Laune heraus, Herrn J. anzugreifen. Er lief die Treppe in den Tunnel hinunter und rannte auf Herrn J. zu, der ihn nicht bemerkte. Erst als er ihn fast erreicht hatte, wurde dessen Sohn auf den Angeklagten aufmerksam und rief seinem Vater zu: „Paß auf, der kommt.” Ohne daß Herrn J. noch Zeit zum Ausweichen blieb, sprang der Angeklagte mit angewinkeltem Bein und den Armen voraus auf ihn zu. Da dieser sich keines Angriffs versehen hatte, zeigte er keine oder aufgrund vorangegangenen eigenen Alkoholgenusses nur verzögerte Abwehr- oder Schutzreaktionen. Er geriet durch den Stoß des Angeklagten aus dem Gleichgewicht, prallte mit dem Kopf gegen die 1 – 2 m entfernte, gekachelte Stirnwand des Tunnels und sackte bewußtlos zu Boden. Daraufhin wandte sich der Angeklagte lachend ab und flüchtete durch den entgegengesetzten Tunnelausgang. Der Geschädigte erwachte zunächst wieder aus der Bewußtlosigkeit, klagte nur über Schmerzen im Ellbogen und begab sich zu Hause zu Bett. Am nächsten Tag war er nicht mehr ansprechbar. Aufgrund des Anstoßes an der Tunnelwand war es zu einer Hirnblutung gekommen, an deren Folgen der Geschädigte trotz einer noch durchgeführten Operation verstarb.
II. Revision der Staatsanwaltschaft
Obwohl der Angeklagte nach den Feststellungen durch seinen Angriff den Tod des Geschädigten verursachte, hat das Landgericht den Angeklagten lediglich der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) schuldig gesprochen. An einer Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) hat es sich gehindert gesehen, weil „fraglich” sei, ob der Angeklagte aufgrund seiner Alkoholisierung erkennen und überschauen konnte, daß der Geschädigte durch den „Stoß mit den Händen” gegen die 1 – 2 m entfernte Tunnelwand prallen und sich hierbei schwere Gehirnverletzungen zuziehen würde. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit Recht.
1. Des Verbrechens der Körperverletzung mit Todesfolge macht sich schuldig, wer eine vorsätzliche (BGH NJW 1985, 2958) Körperverletzungshandlung begeht, der das Risiko eines tödlichen Ausganges anhaftet, sofern sich das der Handlung eigentümliche Risiko im Eintritt des Todes des Angegriffenen verwirklicht (st. Rspr.; s. nur BGHSt 31, 96, 99; BGHR StGB § 226 Todesfolge 6 m.w.Nachw.) und dem Täter hinsichtlich der Verursachung des Todes zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 18 StGB). Da der Täter schon durch die schuldhafte Verwirklichung eines der Grunddelikte der §§ 223 bis 226 StGB stets objektiv und subjektiv pflichtwidrig handelt, ist dabei alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge die Vorhersehbarkeit des Todes des Opfers (BGHSt 24, 213, 215; BGH NStZ 1982, 27; weitergehend Horn in SK-StGB 44. Lfg. § 227 Rdn. 4 und Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 227 Rdn. 7 m.w.Nachw., die eine selbständige Prüfung der Sorgfaltswidrigkeit in bezug auf die Todesverursachung verlangen). Hierfür ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Eintritt des Todes des Opfers – im Ergebnis und nicht in den Einzelheiten des dahin führenden Kausalverlaufes (BGH NStZ 1992, 333, 335 m.w.Nachw.) – vorausgesehen werden konnte (BGHR StGB § 226 Todesfolge 6). Dabei ist eine mögliche Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten des Angeklagten aufgrund vorangegangenen Alkoholgenusses zu berücksichtigen (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1973, 18; BGHR StGB § 226 Todesfolge 6 und 7).
Diesen Maßstäben wird das Urteil des Landgerichts nicht gerecht.
a) Zutreffend weist die Beschwerdeführerin zunächst darauf hin, daß die Beweiswürdigung der Strafkammer zur subjektiven Tatseite lücken- und damit rechtsfehlerhaft ist, weil sie wesentliche Umstände des Geschehens nicht in die Überzeugungsbildung miteinbezieht. Die Strafkammer vermag sich nicht davon zu überzeugen, daß der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in der Lage war, den durch seinen „Stoß mit den Händen” in Gang gesetzten und zum Tod des Geschädigten führenden Geschehensablauf vorauszusehen, weil es fraglich sei, ob der Angeklagte diesen Ablauf aufgrund seiner Alkoholisierung erkennen und überschauen konnte.
Hierbei hat das Landgericht bereits unberücksichtigt gelassen, daß der Angeklagte dem Geschädigten nach den Feststellungen nicht lediglich einen Stoß mit den Händen versetzte, sondern über eine längere Strecke auf ihn zurannte und schließlich mit angewinkeltem Bein und den Armen voraus auf ihn zusprang (UA S. 7). Außerdem hat es sich nicht damit auseinandergesetzt, daß der Geschädigte sich keines Angriffs versah, daher von der Attacke des Angeklagten überrascht wurde und keine rechtzeitige Abwehr- oder Ausweichreaktion zeigte. Wird eine nicht abwehrbereite überraschte Person aus vollem Lauf angesprungen, läßt das Maß der Gewalteinwirkung jedoch wesentlich schwerere Auswirkungen erwarten als ein bloßer Stoß mit den Händen. Es hätte daher der Erörterung bedurft, ob die Alkoholisierung des Angeklagten geeignet war, dessen kognitive Fähigkeiten derart zu beeinträchtigen, daß er nicht mehr in der Lage war vorauszusehen, sein massiver Angriff auf den überraschten Geschädigten könne dazu führen, daß dieser gegen die 1 – 2 m entfernte Wand des Tunnels geschleudert werde und sich dabei lebensgefährdende Hirnverletzungen zuziehe.
Dabei hätte das Landgericht auch beachten müssen, daß die Alkoholisierung des Angeklagten dessen Steuerungs-, nicht aber die Einsichtsfähigkeit erheblich vermindert hatte. Ist die Unrechtseinsicht des Täters trotz erheblicher Alkoholisierung jedoch uneingeschränkt erhalten geblieben, so kann dies darauf hindeuten, daß auch die Fähigkeit zur zutreffenden Wahrnehmung und Bewertung der Umstände des Tatablaufs nicht wesentlich herabgesetzt ist. Die Annahme, der Täter habe möglicherweise dennoch die schweren Folgen seines Tuns alkoholbedingt nicht voraussehen können und müssen, bedarf daher näherer Begründung (vgl. auch BGHSt 24, 213, 215).
Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht, die sich lediglich damit befassen, daß der Angeklagte keine direkte Gewalt gegen den Kopf des Geschädigten richtete und möglicherweise dessen eigene Alkoholisierung zu einer Reflexverzögerung führte und zu dem Anprall an die Tunnelwand mit beitrug. Es hätte demgegenüber nahe gelegen, den zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten hinzugezogenen Sachverständigen auf Grundlage des festgestellten Verhaltens des Angeklagten vor, während und nach der Tat auch dazu zu befragen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang aus medizinischer Sicht die Alkoholisierung des Angeklagten seine kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt haben kann, um hierdurch eine tragfähige naturwissenschaftliche Grundlage für die Bewertung der Voraussehbarkeit der Todesfolge für den Angeklagten zu gewinnen.
b) Darüber hinaus hat das Landgericht aber auch seine Prüfung, ob der Angeklagte die tödlichen Folgen seines Handelns voraussehen konnte und mußte, auf den konkreten Geschehensablauf verengt, wie er tatsächlich zum Tod des Geschädigten führte. Allein durch die vom Landgericht nicht auszuschließende Möglichkeit, der Angeklagte könnte aufgrund der Alkoholisierung nicht in der Lage gewesen sein zu erkennen, daß aufgrund seines Angriffs die Gefahr bestand, der Geschädigte werde das Gleichgewicht verlieren, mit dem Kopf gegen die Tunnelwand prallen und sich hierdurch lebensgefährdende Verletzungen zuziehen, ist der Vorwurf fahrlässiger Herbeiführung der Todesfolge nicht ausgeschlossen. Denn da es gerade nicht auf die Einzelheiten des zum Tod des Opfers führenden Kausalverlaufs ankommt, ist allein entscheidend, ob für den Angeklagten voraussehbar war, daß der dem Geschädigten versetzte Stoß in irgendeiner nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung liegenden Weise den Tod des Angegriffenen herbeiführen könnte. Mit derartigen anderen denkbaren Kausalverläufen und ihrer Voraussehbarkeit für den Angeklagten hat sich das Landgericht nicht befaßt. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, kommt insoweit etwa die nicht fernliegende Möglichkeit eines Sturzes des durch den Angriff überraschten Tatopfers auf den Tunnelboden mit der Gefahr vergleichbar schwerwiegender Verletzungen und Verletzungsfolgen in Betracht.
2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Auszunehmen hiervon sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, denn diese wurden rechtsfehlerfrei getroffen. Dies schließt nicht aus, daß die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer ergänzende Feststellungen zum Tatablauf trifft, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat im Hinblick auf die im Terminsantrag des Generalbundesanwaltes zitierte Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft noch darauf hin, daß eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung aufgrund der Tatbestandsalternative eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nicht schon dann in Betracht kommt, wenn der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt. Hinterlist setzt vielmehr voraus, daß der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und eine Vorbereitung auf die Verteidigung auszuschließen (BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Hinterlist 1 m.w.Nachw.). Dafür ergeben die Feststellungen hier keinen Anhaltspunkt.
III. Revision des Angeklagten
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat lediglich zum Strafausspruch Erfolg.
Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei der Bemessung der wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu verhängenden Strafe zu Lasten des Angeklagten den Tod des Geschädigten und die hierdurch für dessen Familie entstandenen schwerwiegenden persönlichen und wirtschaftlichen Folgen berücksichtigt. Dies ist rechtsfehlerhaft. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB dürfen dem Angeklagten nur verschuldete Auswirkungen seiner Tat straferschwerend angelastet werden. Außertatbestandliche Folgen der Tat können daher nur dann strafschärfend bewertet werden, wenn er sie zumindest voraussehen konnte und sie ihm vorzuwerfen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 37, 179, 180 und die weiteren Nachweise bei Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 46 Rdn. 34). Dies war hier hinsichtlich des Todes des Geschädigten und damit auch der hierdurch bewirkten Folgen für dessen Familie nach Ansicht des Landgerichts aber nicht der Fall. Gerade aus diesem Grunde hat es sich an einer Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gehindert gesehen.
Unterschriften
Kutzer, Miebach, Winkler, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 584833 |
NStZ 2001, 478 |