Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsrecht bei Versicherungsverhältnissen. Beginn der Kündigungsfrist. Monatsfrist. Erfüllung des objektiven Eigentumserwerbstatbestands. Spätere Kenntnis des Erwerbers. Erwerb in der Zwangsversteigerung
Leitsatz (amtlich)
a) Die Monatsfrist, innerhalb deren der Erwerber einer versicherten Sache die bestehenden Versicherungen kündigen kann (§ 70 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 VVG), beginnt grundsätzlich mit der Erfüllung des Eigentumserwerbstatbestandes, im Fall des Erwerbs eines Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung mit dem Zuschlagsbeschluss.
b) Soweit der Erwerber erst später Kenntnis von der Versicherung erlangt hat und die Kündigungsfrist erst von dieser Kenntnis an läuft (§ 70 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 VVG), genügt für den Fristbeginn die Kenntnis davon, dass bestimmte Risiken bei einem bestimmten Versicherer gedeckt sind.
Normenkette
VVG § 70 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main |
AG Bad Vilbel |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des LG Frankfurt am Main -- 8. Zivilkammer -- v. 11.2.2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin fordert Prämien für eine Gebäude-, Glas- und Mietverlustversicherung eines Wohn- und Geschäftshauses, das die Beklagte durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung am 17.9.1999 erwarb. Die sofortige Beschwerde des früheren Eigentümers gegen den Zuschlagsbeschluss wurde am 14.10.1999 zurückgewiesen.
Der frühere Eigentümer unterrichtete die Beklagte am 27.10.1999 über das Bestehen von Versicherungsverträgen. Darauf bat der Ehemann der Beklagten bei der Klägerin um nähere Informationen. Mit Fax v. 28.10.1999 teilte die Klägerin mit, welche Versicherungen bei ihr bestanden und wie hoch die Prämien waren. Erst mit der Übermittlung dieses Schreibens per Post, das am 12.11.1999 eintraf, erhielt die Beklagte auch die bereits im Fax in Bezug genommenen Versicherungspolicen. Nachdem sie am 6.12.1999 Nachträge zu den Versicherungsscheinen erhalten hatte, kündigte sie die Verträge mit Schreiben v. 7.12.1999, das am 9.12.1999 bei der Klägerin einging.
Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam, weil die Monatsfrist des § 70 Abs. 2 S. 2 VVG nicht gewahrt sei. Die Beklagte habe die für eine Kündigung erforderliche Kenntnis jedenfalls durch das Fax v. 28.10.1999 erlangt. Nach Ansicht der Beklagten ist sie erst durch Übersendung der Policen hinreichend informiert worden, so dass die Frist erst am 12.11.1999 in Lauf gesetzt worden sei.
Das AG hat die Klage abgewiesen; das LG hat ihr auf Berufung der Klägerin - bis auf einen Teil des Zinsanspruchs - stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I. Das LG hält den geltend gemachten Anspruch gem. § 1 Abs. 2 S. 1 VVG für begründet, weil die Beklagte das Kündigungsrecht nicht rechtzeitig innerhalb eines Monats nach dem Erwerb ausgeübt habe. Erworben habe die Beklagte das Grundstück hier im Zeitpunkt der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses (§§ 89, 90 ZVG). Es komme nicht darauf an, wann die Beklagte Kenntnis vom Eigentumsübergang erlangt habe und wann der Zuschlagsbeschluss rechtskräftig geworden sei. Allerdings bleibe das Kündigungsrecht auch länger als einen Monat nach Erwerb bestehen, wenn der Erwerber von der Versicherung keine Kenntnis hatte (§ 70 Abs. 2 S. 2, Halbs. 2 VVG). Hier habe die Beklagte durch das Fax v. 28.10.1999 vom Bestehen der Versicherungen Kenntnis erlangt. Sie sei danach zur Ausübung des Kündigungsrechts in der Lage gewesen. Auf die Kenntnis des Inhalts der Versicherungsverträge komme es nicht an. Dem Interesse des Erwerbers an einer Prüfung, ob die bestehende Versicherung für ihn günstig sei oder nicht, trage die Monatsfrist für die Ausübung des Kündigungsrechts hinreichend Rechnung. Die Beklagte habe nach Erhalt des Fax v. 28.10.1999 bei der Klägerin wegen der Policen nachfragen können; dies habe sie jedoch nicht getan.
II. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
1. a) Auf der Grundlage des insoweit übereinstimmenden Parteivortrags geht das LG davon aus, dass die Beklagte vor Erhalt des Fax der Klägerin v. 28.10.1999 keine Kenntnis vom Bestehen der Versicherungen hatte, sie also nicht zu einer Kündigung in der Lage gewesen wäre. Danach kommt es auf die von der Revision erörterten Fragen, ob die Kündigungsfrist des § 70 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 VVG schon durch den objektiven Erwerbstatbestand in Lauf gesetzt werde oder aber erst durch die Kenntnis des Erwerbs beziehungsweise -- wenn der Erwerb wie hier auf einer anfechtbaren gerichtlichen Entscheidung beruht -- durch Kenntnis der Rechtskraft des Erwerbs, hier nicht an. Denn die sofortige Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss war bereits am 14.10.1999 zurückgewiesen worden.
b) Allerdings macht der Wortlaut des § 70 Abs. 2 S. 2 VVG deutlich, dass es hinsichtlich des Eigentumsübergangs (anders als im Hinblick auf die Versicherung) gerade nicht auf die Kenntnis des Erwerbers ankommt. Vielmehr erlischt das Kündigungsrecht, wenn es nicht innerhalb eines Monats "nach dem Erwerb" ausgeübt wird; nur wenn der Erwerber von der Versicherung keine Kenntnis hatte, bleibt es bis zum Ablauf eines Monats von dem Zeitpunkt an bestehen, in welchem der Erwerber von der Versicherung Kenntnis erlangt. Dass es bezüglich des Erwerbs lediglich auf das Vorliegen der dafür bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen ankommt, dient dem Interesse einer möglichst einfachen und zuverlässigen Berechnung der Frist und damit der Rechtssicherheit (vgl. zum Begriff der Veräußerung in § 71 Abs. 1 S. 1 VVG: BGH v. 11.2.1987 - IVa ZR 194/85, BGHZ 100, 60 [61] = MDR 1987, 745).
c) Erworben hat die Beklagte das versicherte Gebäude nach § 90 Abs. 1 ZVG durch den Zuschlag in der Zwangsversteigerung (vgl. OLG Hamm v. 6.3.1992 -- 20 U 239/91, NJW-RR 1992, 1121, zu § 71 Abs. 1 S. 1 VVG). Damit ist die Frist des § 70 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 VVG grundsätzlich in Lauf gesetzt worden ohne Rücksicht darauf, dass der Zuschlag später hätte aufgehoben werden können (zu den Folgen für eine bereits ausgesprochene Kündigung des Erwerbers in einem solchen Fall vgl. Bruck/Möller/Sieg, VVG, 8. Aufl., § 73 Anm. 10; Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz 17. Aufl. § 90 Anm. 8.2., a. E.). Hier ist die sofortige Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss jedoch zurückgewiesen worden. Die durch den Zuschlag in Lauf gesetzte Kündigungsfrist hat sich aber deshalb verlängert, weil die Beklagte vor dem 28.10.1999 keine Kenntnis vom Bestehen der Versicherungen bei der Klägerin hatte.
2. Die Revision macht geltend, um eine ausreichend sichere Kenntnis "von der Versicherung" i. S. d. § 70 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 VVG zu haben, reiche es nicht aus, dass dem Erwerber das Bestehen eines Versicherungsvertrages bei einem bestimmten Versicherer bekannt sei. Im Lichte heutiger Verhältnisse und Anschauungen sollten die §§ 69 ff. VVG verhindern, dass der Erwerber unmittelbar nach dem Erwerb ohne Schutz gegen möglicherweise existenzbedrohende Gefahren sei. Dieser Schutz erfordere aber nicht, ihm ein Vertragsverhältnis auf Dauer aufzudrängen (BGH v. 30.5.1990 -- IV ZR 266/89, BGHZ 111, 295 [298] = MDR 1990, 993). Vielmehr stehe dem Erwerber, soweit es nicht um Pflichtversicherungen gehe, frei, ob er das Risiko überhaupt weiter versichern wolle, jedenfalls aber, wie das Versicherungsverhältnis ausgestaltet werden solle (OLG Dresden NVersZ 2002, 472). Um dieser Entscheidungsfreiheit Rechnung zu tragen, müsse der Erwerber über die zur Ausübung seines Kündigungsrechts notwendigen Tatsachen hinaus die bestehenden Versicherungsverträge kennen und einen Monat Zeit zur deren Prüfung haben.
Dem folgt der Senat nicht.
a) Schon aus dem Wortlaut des § 70 Abs. 2 VVG ist zu entnehmen, dass mit "der Versicherung", von der der Erwerber nach S. 2 dieser Vorschrift Kenntnis haben muss, damit die Kündigungsfrist in Lauf gesetzt wird, etwas Anderes gemeint ist als das "Versicherungsverhältnis", von dessen Kündigung in S. 1 die Rede ist. Das Gesetz geht grundsätzlich von einem Beginn der Kündigungsfrist beim Erwerb der versicherten Sache aus; die Frist wird lediglich für den - vom Erwerber nachzuweisenden - besonderen Fall verlängert, dass er beim Erwerb von der Versicherung keine Kenntnis hatte. Auch dieser systematische Zusammenhang der Regelung legt den Gedanken nahe, dass mit einer "Kenntnis der Versicherung" nicht mehr gemeint ist, als regelmäßig beim Erwerb der Sache bekannt wird, nämlich dass bestimmte Risiken bei einem bestimmten Versicherer gedeckt sind. Diese Kenntnisse genügen, um das Kündigungsrecht wahrzunehmen.
b) Darüber hinaus hat das LG mit Recht darauf hingewiesen, dass die Frist von einem Monat dem Erwerber ausreichend Zeit lässt, sich nach weiteren Einzelheiten der bestehenden Versicherungsverträge zu erkundigen, auf die es ihm möglicherweise ankommt. Es mag auch Erwerber geben, die das Risiko in Zukunft überhaupt nicht mehr versichern wollen oder von vornherein anderweit bei einem Versicherer ihres Vertrauens. Aber auch Erwerber, denen es auf einen Vergleich von Versicherungsbedingungen und Prämien ankommt, haben hierzu im Allgemeinen während der vom Gesetz eingeräumten Monatsfrist hinreichend Gelegenheit. Danach ist es nicht gerechtfertigt, den Beginn der Monatsfrist von zusätzlichen, über die zur Ausübung des Kündigungsrechts notwendigen Kenntnisse hinausgehenden Anforderungen abhängig zu machen (so auch OGH VersR 1990, 551 [552]; Bruck/Möller/Sieg, VVG, 8. Aufl., § 70 Anm. 33; Prölss/Martin/Kollhosser, VVG, 26. Aufl., § 70 Rz. 4; Langheid in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 70 Rz. 2; a. A. Dörner BerlinerKomm./VVG, § 70 Rz. 36).
c) Im vorliegenden Fall ist die Monatsfrist also durch das Fax der Beklagten v. 28.10.1999 in Lauf gesetzt worden. Die darin in Bezug genommenen Policen, auf die es der Beklagten ankam, trafen am 12.11.1999 per Post bei ihr ein. Mithin blieben ihr bis zum Ablauf der Kündigungsfrist noch mehr als zwei Wochen Zeit. Das reichte für eine Prüfung und Entscheidung darüber, ob die Versicherungen fortgesetzt oder gekündigt werden sollten, aus. Es ist deshalb nicht treuwidrig, dass sich die Klägerin gegenüber der bei ihr erst am 9.12.1999 eingegangenen Kündigung auf den Ablauf der dafür vom Gesetz eingeräumten Frist beruft.
Fundstellen
Haufe-Index 1159872 |
BuW 2004, 473 |
BGHR 2004, 1075 |
NJW-RR 2004, 968 |
NZM 2005, 320 |
DNotZ 2004, 792 |
MDR 2004, 1117 |
VersR 2004, 765 |
ZfS 2004, 369 |
GuT 2004, 188 |
IVH 2004, 149 |
NJW-Spezial 2004, 146 |
BBV 2004, 39 |
IWR 2004, 76 |
JWO-VerbrR 2004, 187 |