Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 15.10.2007) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 15. Oktober 2007 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erpressung in 364 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Außerdem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Maßregel ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel die Verletzung materiellen Rechts. Einwände werden im Wesentlichen gegen die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erhoben. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts weist der vielfach vorbestrafte Angeklagte eine intellektuelle Minderbegabung auf, die im Bereich des Schwachsinns liegt. Von 1992 bis 2001 befand er sich aufgrund einer Verurteilung unter anderem wegen Raubes und Körperverletzung im geschlossenen Maßregelvollzug. Ab Juli 2001 lebte der Angeklagte – zunächst im Wege der Vollzugslockerung, ab April 2002 aufgrund einer entsprechenden Weisung nach bedingter Entlassung aus dem Maßregelvollzug – in einem offenen Heim für psychisch behinderte und kranke Menschen. Dort zwang der Angeklagte spätestens ab Juni 2004 bis Juli 2006 durch Drohungen Mitpatienten, die er aufgrund seiner vergleichsweise gut entwickelten sozialen Intelligenz als ihm psychisch unterlegen erkannte, ihm kleinere Geldbeträge bis maximal 7 Euro, Kaffee oder Zigaretten zu überlassen. Die ausgesprochenen Drohungen waren überwiegend so harmlos, dass sie nur subjektiv von den Tatopfern vor dem Hintergrund ihrer Erkrankung als empfindliches Übel angesehen wurden. Während er einem Patienten gegenüber eine drohende Haltung einnahm, drohte er weiteren damit, anderen Personen von ihren Ängsten bzw. von ihrer Weigerung zu erzählen, ihm Bargeld, Kaffee oder Zigaretten zu geben. Nachdem er wegen dieser Straftaten aus dem offenen Heim entlassen worden war, befand er sich knapp ein Jahr in einer betreuten Wohneinrichtung, wo er sich „sehr kooperativ” verhielt. Vom 12. Juli 2007 bis zur Urteilsverkündung am 15. Oktober 2007 war er in einer psychiatrischen Klinik einstweilig untergebracht.
Rz. 3
2. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Insbesondere halten die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es eine Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe und der Maßregel begründet hat, rechtlicher Nachprüfung stand. Dem Tatrichter steht bei den Aussetzungsentscheidungen nach § 56 StGB und nach § 67 b StGB ein weiter Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 303, 304; Fischer StGB 55. Aufl. § 56 Rdn. 25 und § 67 b Rdn. 3). Diesen hat das Landgericht nicht überschritten. Es hat die Aussetzungsentscheidungen auf der Grundlage vertretbarer Erwägungen getroffen, die dem sich aus § 67 b Abs. 1 Satz 2 StGB ergebenden inneren Zusammenhang zwischen der Straf- und Maßregelaussetzung gerecht werden (vgl. BGHR StGB § 67 b Abs. 1 Gesamtwürdigung 1).
Rz. 4
a) Die Aussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ist rechtsfehlerfrei begründet. Das Landgericht hat sich zunächst bei der nach § 56 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung ausreichend mit den einer positiven Prognose widerstreitenden Faktoren auseinandergesetzt, in dem es auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen und seiner Ausführungen in der Strafzumessung davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte „Wiederholungstäter und Bewährungsversager” ist. Es ist entgegen der Auffassung der Revision nicht zu beanstanden, dass das Landgericht diesen Umstand als durch den langen Zeitraum zwischen der letzten Verurteilung im Jahre 1992 und der abgeurteilten, im Jahre 2004 beginnenden Tatserie relativiert gesehen hat. Die Kammer hat insoweit ersichtlich lediglich auf die mit Zeitablauf nachlassende warnende Wirkung der Verurteilung als solcher abgehoben und dabei nicht übersehen, dass sich der Angeklagte in dem betreffenden Zeitraum neun Jahre im geschlossenen Maßregelvollzug befunden hat. Dies zeigt die mehrfache Bezugnahme in den Urteilsgründen auf die exakten Zeiträume, während derer sich der Angeklagte „auch außerhalb” des geschlossenen Maßregelvollzugs über längere Phasen strafrechtlich unauffällig verhalten hat.
Rz. 5
Anders als die Revision meint hat sich das Landgericht zur Begründung der positiven Prognose auch nicht mit der formelhaften Feststellung begnügt, der Angeklagte sei durch das vorliegende neue Verfahren und den Vollzug der einstweiligen Unterbringung „tief beeindruckt” und ihm sei die Konsequenz eines drohenden Widerrufs klar. Vielmehr hat es vor allem darauf abgestellt, dass der Angeklagte nach seinem Aufenthalt im geschlossenen Maßregelvollzug anfangs fast drei Jahre in dem offenen Heim und danach bis zum Beginn des Vollzugs der einstweiligen Unterbringung nahezu ein Jahr lang in der betreuten Wohneinrichtung in Freiheit gelebt hat, ohne straffällig zu werden. Angesichts dessen durfte das Landgericht ohne Überschreitung des ihm zugebilligten weiten Beurteilungsspielraums die für eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 StGB erforderliche positive Prognose bejahen.
Rz. 6
Darüber hinaus hat das Landgericht ohne Rechtsfehler „besondere Umstände” im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB angenommen, welche ebenfalls eine hinreichende Wahrscheinlichkeit straffreier Lebensführung begründen (vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit dieser Umstände bei der Sozialprognose BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9). Die Kammer durfte es als besonderen Umstand werten, dass sich die maßgeblichen Lebensverhältnisse, aus denen heraus der Angeklagte die Taten beging, grundlegend geändert haben. Das Landgericht hat im Ausgangspunkt darauf abgestellt, dass der Angeklagte die Tatserie nur begehen konnte, weil er in dem Heim ständigen Kontakt und unmittelbaren Zugang zu den Tatopfern hatte, die ihm nicht ausweichen konnten. Die daran anknüpfende Annahme des Landgerichts, mit dem Verlassen des Heimes und der Möglichkeit, unter davon abweichenden Gegebenheiten in der betreuten Wohneinrichtung zu leben, sei die besondere Lebenssituation entfallen, welche die Straftaten ermöglichte, liegt nahe und ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat auch ersichtlich nicht übersehen, dass der Angeklagte in der Vergangenheit nicht nur Straftaten gegenüber Mitbewohnern begangen hat.
Rz. 7
b) Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer das Vorliegen besonderer Umstände bejaht, die nach § 67 b StGB Voraussetzung einer Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel sind, lassen Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen. Das sachverständig beratene Landgericht durfte es in diesem rechtlichen Zusammenhang auch als besonderen Umstand werten, dass sich der Angeklagte in den letzten Jahren außerhalb des geschlossenen Maßregelvollzuges über längere Phasen, insbesondere in dem Jahr vor seiner einstweiligen Unterbringung, strafrechtlich unauffällig verhalten hat. Ebenso wenig ist die Annahme rechtlich zu beanstanden, der Angeklagte verfüge mit der betreuten Wohneinrichtung über einen geeigneten sozialen Empfangsraum, der in Verbindung mit der Betreuung und Aufsicht durch die ihm bestellte Berufsbetreuerin und den Bewährungshelfer die gebotene engmaschige Kontrolle ermögliche. Soweit die Revision meint, diese Umstände könnten die bei dem Angeklagten erforderliche Kontrolldichte nicht gewährleisten, weil ihm die neuen Lebensverhältnisse nicht weniger, sondern mehr Gelegenheit zu weiteren Straftaten böten, kann ihr nicht gefolgt werden. Dies wird von den Feststellungen des Landgerichts zu den unterschiedlichen Lebensumständen in der betreuten Wohneinrichtung, zu denen es den Zeugen P. und die Zeugin C. gehört hat, und dem offenen Heim, in dem es zu den Straftaten gekommen ist, nicht belegt. Dass – wie der Generalbundesanwalt ergänzend hervorhebt – die Kammer die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus für erforderlich gehalten hat, weil er behinderungsbedingt „bei sich bietender Gelegenheit” erneut entsprechende Straftaten begehen werde, ist nach § 63 StGB Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Als ein für die Anordnung der Maßregel erforderlicher Umstand kann die Gefährlichkeit des Täters aber nicht zugleich hinreichender Grund für die Versagung der Aussetzung des Vollzuges zur Bewährung sein, da sonst für eine Aussetzung zugleich mit der Anordnung gemäß § 67 b StGB kein Anwendungsbereich bliebe (siehe BGH RuP 2002, 192).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Fischer, Roggenbuck, Cierniak, Schmitt
Fundstellen
Haufe-Index 2564361 |
NStZ-RR 2008, 276 |
R&P 2009, 58 |