Verfahrensgang
LG Landshut (Entscheidung vom 24.03.2022; Aktenzeichen J KLs 101 Js 35757/20 jug) |
Tenor
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 24. März 2022 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung und den Angeklagten C. wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die von beiden Angeklagten erlittene Auslieferungshaft hat es im Maßstab 1:1 angerechnet. Weiter hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 700 Euro gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner angeordnet.
Rz. 2
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten jeweils mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger machen mit ihren Revisionen ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts geltend. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung der Ausgangsentscheidung.
I.
Rz. 3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 4
1. Die beiden Angeklagten fuhren am 9. Februar 2020 gegen 23.45 Uhr gemeinsam mit dem anderweitig Verfolgten D. im PKW des Angeklagten C. zum Reiterhof des Geschädigten S. in K., um in dessen Wohnung einzubrechen und ihn zu bestehlen. Der Angeklagte P. war früher dort beschäftigt gewesen und kannte sich daher mit den zeitlichen Gewohnheiten, der Örtlichkeit und der Wohnung des Geschädigten gut aus. Sie vermuteten hohe Geldbeträge in der Wohnung, nachdem der Angeklagte P. daraus bereits im November 2019 etwa 20.000 Euro entwendet hatte. Die Angeklagten wussten, dass die Haustür des Wohnanwesens während der Nacht regelmäßig nicht versperrt und nur die Wohnungstür des Geschädigten im Obergeschoss verriegelt war; die Anschaffung eines im Wohnzimmerschrank eingebauten Tresors durch den Geschädigten nach den früheren Diebstählen war ihnen allerdings unbekannt.
Rz. 5
Der Geschädigte hatte sich am Abend des 9. Februar 2020 gegen 23.00 Uhr in sein Schlafzimmer begeben und war dort eingeschlafen. Nach Eintreffen der Angeklagten und des anderweitig Verfolgten D. auf einem Feldweg zum Anwesen am 10. Februar 2020 gegen 1.00 Uhr verblieb nicht ausschließbar der Angeklagte C. im Fahrzeug, während der ortskundige Angeklagte P. ausstieg, um in das Gebäude einzudringen und in die Wohnung des Geschädigten einzubrechen. Dabei wurde er jedenfalls von einer zweiten Person begleitet, einem der beiden Mitfahrer. Der Angeklagte P. besorgte sich mit seinem Mittäter aus einer Werkstatt des Anwesens ein Brecheisen, wobei beide bemerkten, dass die Fahrzeuge des Geschädigten hinter dem Gebäude abgestellt waren, so dass sie mit seiner Anwesenheit im Haus rechneten. Gleichwohl brachen der Angeklagte P. und sein Mittäter die versperrte Wohnungstür im Obergeschoss auf und durchsuchten das Wohnzimmer nach Wertgegenständen. Anschließend begaben sie sich ins Schlafzimmer, wo sie in einer Hose des Geschädigten in einem Geldbeutel 700 Euro vorfanden und die Geldscheine einsteckten. Als einer der Täter an der Tür stand, der andere am Bett direkt vor dem Geschädigten, wachte dieser auf. Einer der Täter schlug daraufhin mit einem größeren Gegenstand mit bedingtem Tötungsvorsatz massiv auf den Kopf des arg- und wehrlosen Geschädigten ein, um zu verhindern, dass sich dieser gegen den Diebstahl zur Wehr setzt und eine Entdeckung der Tat und der Täter ermöglicht. Der Geschädigte wurde dadurch lebensgefährlich verletzt. Sodann nahmen die beiden Täter aus dem Nachtkästchen des Geschädigten noch zwei Mobiltelefone, ein Pfefferspray und ein Elektroschockgerät mit, um sich diese Gegenstände zuzueignen. Anschließend verließen sie das Wohnhaus und flüchteten. Der Geschädigte erlitt durch den Schlag auf den Kopf ein offenes Schädel-Hirn-Trauma und war zunächst bewusstlos, konnte sich dann aber über die Treppe nach oben zu Mitbewohnern im Haus schleppen, die den Notarzt verständigten, so dass er gerettet werden konnte.
Rz. 6
2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die drei Täter geplant hatten, dem Geschädigten Gewalt anzutun oder ihn gar zu töten, sollte er sie während der Tat bemerken. Weiter hat das Landgericht offen gelassen, welcher der Täter neben dem Angeklagten P. mit in die Wohnung des Geschädigten eindrang und welcher Täter letztlich den Schlag gegen den Geschädigten ausführte. Das Landgericht hat daher den Angeklagten P. nur wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und den Angeklagten C. nur wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl schuldig gesprochen. Eine weitergehende Verurteilung wegen versuchten Mordes und schweren Raubes sowie wegen gefährlicher Körperverletzung hat es wegen eines nicht ausschließbaren Mittäterexzesses nicht vorgenommen und eine Tatbegehung durch Unterlassen verneint.
II.
Rz. 7
Die Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufgedeckt.
III.
Rz. 8
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers sind begründet und führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält einer sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
Rz. 9
1. Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Spricht es einen Angeklagten frei oder gelangt es - wie hier - nur zu einem Schuldspruch in Bezug auf einzelne der tateinheitlich angeklagten Delikte, weil es Zweifel nicht zu überwinden vermag, ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatgerichts durch seine eigene zu ersetzen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie Lücken aufweist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden. Ferner ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden. Weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst ist es geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 26. April 2023 - 5 StR 457/22 Rn. 7 und vom 10. Mai 2017 - 5 StR 19/17 Rn. 32 mwN).
Rz. 10
Rechtsfehlerhaft ist es auch, Indizien lediglich einzeln zu betrachten und isoliert den Zweifelssatz auf sie anzuwenden. Sie sind vielmehr mit vollem Gewicht in die erforderliche Gesamtwürdigung einzustellen und in diesem Rahmen in ihrem Beweiswert zu würdigen. Erst anschließend ist Platz für die Anwendung des Zweifelssatzes, der keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel ist (vgl. BGH, Urteile vom 26. April 2023 - 5 StR 457/22 Rn. 8 und vom 24. November 2022 - 5 StR 309/22 Rn. 21 mwN).
Rz. 11
2. Diesen Anforderungen an die Beweiswürdigung wird das Urteil hinsichtlich der Tatvorwürfe des versuchten Mordes, des besonders schweren Raubes und der gefährlichen Körperverletzung in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
Rz. 12
a) Im Hinblick auf die Tatbeteiligung des anderweitig Verfolgten D. erweist sich das Urteil als lückenhaft. Nach den getroffenen Feststellungen soll neben den beiden Angeklagten auch der anderweitig Verfolgte D. am Tatgeschehen beteiligt gewesen sein. Dies ist indes nicht tragfähig belegt, denn eine Beteiligung des D. haben allein die Angeklagten behauptet. In der Beweiswürdigung des Landgerichts finden sich weder Ausführungen zur Person dieses „dritten“ Täters noch konkrete, auf ihn hindeutende objektivierbare Beweisanzeichen. Weder taucht eine entsprechende weitere Rufnummer bei der Funkzellenauswertung am Tatort (UA S. 22) auf, noch wurden bei der molekulargenetischen Auswertung am Tatort weitere DNA-Spuren des anderweitig Verfolgten D. (UA S. 48 ff.) gefunden. Das Landgericht erwähnt nur beiläufig, dass die Strafkammer offensichtlich „den als Zeugen anwesenden anderweitig Verfolgten D. “ (UA S. 81), der von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht hat (UA S. 83), in Augenschein genommen hat, um die Größenverhältnisse der Tatbeteiligten gegenüber zu stellen; weitere Feststellungen hat es hierzu nicht getroffen. Ob der anderweitig Verfolgte D. vor der Hauptverhandlung Angaben gemacht hat und in welcher konkreten Beziehung er zu den beiden Angeklagten steht oder stand, bleibt offen. Damit bleibt ein wesentlicher Gesichtspunkt der Tatausführung im Rahmen der Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft unerörtert.
Rz. 13
b) Zudem hat das Landgericht den Einlassungen der Angeklagten einen zu hohen Beweiswert beigemessen. Es hat die Einlassungen der beiden Angeklagten zu Grunde gelegt, ohne zu würdigen, dass diese durch Verteidigererklärungen in der Hauptverhandlung zustande kamen und Nachfragen nicht möglich waren. Dabei hat das Landgericht zudem nicht erkennbar berücksichtigt, dass die ersichtlich auf Aktenkenntnis beruhenden, teilweise stark wechselnden Einlassungen beim Angeklagten C. auch deshalb nur einen erheblich verminderten Beweiswert haben. Es handelt sich im Ergebnis nicht um eine mündlich abgegebene Sachäußerung, aus der ein unmittelbarer Eindruck des Aussageverhaltens gewonnen werden könnte. Der Beweiswert dieses Einlassungssurrogats bleibt vielmehr substanziell hinter der dem gesetzlichen Leitbild der Einlassung entsprechenden, nicht nur persönlich und mündlich, sondern auch in freier Rede und vollständig getätigten Äußerung zurück (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. März 2020 - 2 StR 69/19 Rn. 23 mwN).
Rz. 14
c) Über diese bereits für sich die Aufhebung des Urteils nach sich ziehenden Rechtsfehler hinaus begegnet die Beweiswürdigung auch hinsichtlich der Bewertung der Aussage der Zeugin M., der früheren Verlobten des Angeklagten C., rechtlichen Bedenken. So hält das Landgericht zwar die Angaben der Zeugin hinsichtlich der Geschehnisse in der Tatnacht sowie zum Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum der beiden Angeklagten für glaubhaft. Demgegenüber meint es aber, dass sich aus den von der Zeugin gemachten Aussagen zu den Antworten des Angeklagten C. auf ihre Nachfragen nach dem Tatgeschehen, er selbst habe mit einem Brecheisen zugeschlagen, „kein klares Bild entnehmen“ (UA S. 83) lasse. Angesichts dieser unterschiedlichen Bewertung der Angaben der Zeugin hätte das Landgericht deren Angaben einer sorgfältigeren Inhaltsanalyse unterziehen müssen. Stattdessen lässt es offen, ob und wie sich die Zeugin im Ermittlungsverfahren und bei ihren beiden Vernehmungen im Rahmen der Hauptverhandlung am 28. Juli und am 2. Dezember 2021 hierzu verhalten hat.
Rz. 15
d) Schließlich fehlt es auch an einer tragfähigen Gesamtwürdigung der festgestellten Einzelindizien. Das Landgericht hat zwar eine Prüfung zahlreicher für und gegen eine Täterschaft der beiden Angeklagten sprechender Umstände (UA S. 48 ff.) vorgenommen. Dabei hat es etwa die Auswertung der Funkzellen, die molekulargenetischen Befunde am Tatort und vor allem die zahlreichen Angaben des Geschädigten in den Blick genommen. Allerdings hat es dabei jedes Indiz nur isoliert gewürdigt und die gebotene umfassende Würdigung und Gesamtbetrachtung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte unterlassen. Die bloße nochmalige Erwähnung der einzelnen Indizien (UA S. 83 f.), ohne sie mit vollem Gewicht in die erforderliche Gesamtwürdigung einzustellen und dabei in ihrem jeweiligen Beweiswert zu würdigen, genügt nicht.
Rz. 16
3. Das Urteil kann insgesamt keinen Bestand haben. Zwar ist der Schuldspruch wegen Wohnungseinbruchdiebstahls bzw. Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl rechtsfehlerfrei. Er kann jedoch im Hinblick darauf, dass im neuen Rechtsgang weitere tateinheitlich verwirklichte Tatbestände hinzukommen können, isoliert nicht aufrechterhalten werden. Der Senat hebt auch die vom Landgericht getroffenen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen.
Jäger |
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Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer ist urlaubsbedingt ortsabwesend und daher gehindert zu unterschreiben. |
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Bär |
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Allgayer |
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Munk |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15806232 |