Verfahrensgang
LG Stendal (Entscheidung vom 21.11.2022; Aktenzeichen 501 KLs 15/22) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten H. und M. wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 21. November 2022
a) dahin geändert, dass schuldig sind
aa) diese Angeklagten des vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Diebstahl in acht Fällen und des vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl in zwei Fällen;
bb) der nichtrevidierende Angeklagte I. des vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Diebstahl in zehn Fällen und des vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl in fünf Fällen;
b) aufgehoben im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen betreffend
aa) die Angeklagten H. und M. und den nichtrevidierenden Angeklagten G.;
bb) den nichtrevidierenden Angeklagten I. in den Fällen II.1, II.3 bis II.5, II.7 und II.10 der Urteilsgründe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
- Von Rechts wegen -
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten H. und M. jeweils des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Diebstahl in neun Fällen und des vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl schuldig gesprochen und sie zu Gesamtfreiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten (H. ) sowie drei Jahren und neun Monaten (M. ) verurteilt. Ferner hat es gegen sie jeweils die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 23.614 Euro als Gesamtschuldner angeordnet. Ihre auf die Sachrüge gestützten Revisionen erzielen den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen trafen sich die Angeklagten H. und M. mit den nichtrevidierenden Angeklagten I. und G. in der Nacht auf den 22. Oktober 2021. Angesichts ihrer Schulden kamen sie überein, Fahrkartenautomaten mit sogenannten Polenböllern zu sprengen und das darin befindliche Geld zu entwenden. Entsprechend ihrer Planung begingen die Angeklagten bis zum 26. November 2021 zehn Taten, zum Teil mit den nichtrevidierenden Angeklagten. Die aus den Automaten entnommenen Geldbeträge teilten sie regelmäßig unter sich auf. In den Fällen II.8 und II.9 erzielten sie keine Beute, da der eine Automat kein Geld enthielt und bei dem anderen sich die Tür zu den Geldkassetten nicht weit genug öffnen ließ.
II.
Rz. 3
1. Die Schuldsprüche haben im Wesentlichen Bestand.
Rz. 4
a) Die Angeklagten haben sich durch das Aufsprengen der Automaten nach § 308 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Die Vorschrift setzt zunächst voraus, dass der Täter eine Explosion herbeiführt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Unter einer Explosion ist ein Vorgang zu verstehen, bei dem es zu einer plötzlichen Volumenvergrößerung und dadurch zu Druckwellen mit außergewöhnlicher Beschleunigung kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2021 - 4 StR 19/20, NStZ 2022, 102; Urteil vom 10. Februar 2015 - 1 StR 488/14; MüKo-StGB/Krack, 4. Aufl., § 308 Rn. 3 mwN). Das war bei dem Einsatz der „Polenböller“ der Fall. Diese entfalteten vorliegend eine solche Sprengkraft, dass sie die Automaten entweder zerstörten oder aber erheblich beschädigten. Die Sprengwirkung der verwendeten Böller war so groß, dass einzelne Automaten sogar aus ihren Betonfundamenten gerissen und Einzelteile über eine größere Fläche verteilt wurden. Es kann danach offenbleiben, ob der Tatbestand des § 308 Abs. 1 StGB einschränkend auszulegen ist, wenn es lediglich zum Einsatz von handelsüblichen Feuerwerkskörpern kommt (vgl. Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 308 Rn. 4 ff. mwN). Ebenso wenig kommt es entgegen der Ansicht der Revision darauf an, dass die verwendeten „Polenböller“ im europäischen Ausland frei erworben werden konnten. Denn jedenfalls bei der vorsätzlichen Verwendung eines Feuerwerkskörpers, der in seiner Explosionswirkung in Deutschland zugelassene Erzeugnisse erheblich übertrifft, kommt eine Restriktion des Tatbestandes nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 - 1 StR 488/14 Rn. 27).
Rz. 5
Schließlich haben die Angeklagten durch die Taten auch Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. So hat das Landgericht auf Grundlage entsprechender Mitteilungen der Deutschen Bahn AG den Schaden an den zerstörten Automaten mit jeweils 20.532 Euro beziffert; er liegt damit deutlich über der maßgeblichen Wertgrenze von 1.500 Euro (vgl. BGH, Urteile vom 10. Februar 2015 - 1 StR 488/14 Rn. 58; vom 13. Oktober 2016 - 4 StR 239/16, NJW 2017, 743).
Rz. 6
b) Mit Blick auf die jeweiligen Diebstahlstaten ist dem Landgericht bei der Fassung des Tenors indes ein Zählfehler unterlaufen. Da die Angeklagten in den Fällen II.8 und II.9 kein Geld erbeuteten, haben sie sich insgesamt des vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Diebstahl in acht (nicht neun) Fällen und des vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl nicht nur in einem Fall, sondern in zwei Fällen schuldig gemacht. Ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB vom Versuch des Diebstahls war in beiden Fällen nicht mehr möglich, weil nach dem maßgeblichen Rücktrittshorizont die Tat jeweils fehlgeschlagen war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2023 - 6 StR 549/22; vom 18. Oktober 2022 - 6 StR 379/22). Der Senat hat die Schuldsprüche in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.
Rz. 7
c) Die Schuldspruchkorrektur war nach § 357 Satz 1 StPO auf den nichtrevidierenden Angeklagten I. zu erstrecken, da er von dem Zählfehler gleichermaßen betroffen ist.
Rz. 8
d) Im Übrigen enthält die tateinheitliche Verurteilung wegen § 242 StGB keinen durchgreifenden Rechtsfehler. Zwar weist der Generalbundesanwalt zu Recht darauf hin, dass das Urteil eine eingehende Auseinandersetzung mit den Einlassungen der Angeklagten vermissen lässt. Diese hatten in einzelnen Fällen divergierende Angaben zur Höhe der Beute und zu deren späterer Verteilung untereinander gemacht. Keine Zweifel bestehen indes, dass die Angeklagten bei den Taten II.1 bis II.7 und II.10 den Tatbestand des § 242 StGB vollendet haben. Denn in all diesen Fällen haben die Angeklagten aus den Automaten Geld entwendet. Die entsprechenden Feststellungen beruhen auf den Schadensmitteilungen der Deutschen Bahn AG; die Angeklagten haben diese dem Grunde nach bestätigt.
Rz. 9
2. Die Strafaussprüche haben Bestand.
Rz. 10
Schon angesichts der identischen Strafen für die Taten II.8 und II.9 ist auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Fassung des Schuldspruchs in diesen Fällen abweichende Strafen festgesetzt hätte. Soweit das Landgericht zu von den Einlassungen der Angeklagten abweichenden Feststellungen zum Umfang der Beute gelangt ist, beruht dies darauf, dass es die Mitteilungen der Deutschen Bahn AG als zuverlässiger bewertet hat als die Angaben der Angeklagten, die zum Teil nur noch vage Erinnerungen an die aus den einzelnen Automaten entwendeten Geldbeträge hatten.
Rz. 11
Mit Blick auf die nur geringfügig voneinander abweichenden Einlassungen der Angeklagten zur Verteilung der Beute untereinander ist auszuschließen, dass das Tatgericht andere Strafen verhängt hätte. Hinzu kommt, dass ausweislich der Urteilsgründe der jeweilige Beuteanteil für die Bemessung der Strafen kein bestimmender Umstand im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO war.
Rz. 12
3. Hingegen halten die gegen die Angeklagten gerichteten Einziehungsentscheidungen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn gegen sie ist jeweils die Einziehung des Wertes von Taterträgen der gesamten Beute aus den Fällen II.1 bis II.7 und II.10 in Höhe von 23.614 Euro angeordnet worden. Die Urteilsgründe belegen indes nicht, dass die Angeklagten - wie erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2021 - 6 StR 61/21; Urteil vom 13. November 2019 - 5 StR 343/19 mwN) - vor der Aufteilung tatsächliche Mitverfügungsgewalt über die Gesamtsumme hatten. Hierfür genügt es nicht, dass die Angeklagten mittäterschaftlich handelten (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. April 2021 - 6 StR 61/21; Urteil vom 7. Juni 2018 - 4 StR 63/18, BGHR StGB § 73c Abs. 1 Erlangtes 1).
Rz. 13
Auch insoweit war die Urteilsaufhebung gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die Nichtrevidenten zu erstrecken. Die Vorschrift findet Anwendung auch bei Fehlern der Rechtsfolgenentscheidung, wenn diese nicht spezifisch in der Person des Revidenten oder dessen Tatbeitrag gründen (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 357 Rn. 13; BeckOK-StPO/Wiedner, 47. Ed., § 357 Rn. 17; zur Anwendbarkeit des § 357 StPO bei Einziehungsanordnungen vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 StR 52/13, NStZ 2013, 403; MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 357 Rn. 28 mwN). Dies ist hier der Fall, weil nach den Feststellungen unklar bleibt, welcher der Tatbeteiligten Verfügungsgewalt an den jeweils entwendeten Geldern hatte.
Rz. 14
4. Eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Angeklagten H. gegen die Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Sander |
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Feilcke |
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Tiemann |
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Fritsche |
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Arnoldi |
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Fundstellen
Haufe-Index 15765068 |
NStZ 2023, 8 |
NStZ 2024, 172 |