Leitsatz (amtlich)
Ein Lebensversicherungsvertrag mit Einmalprämie ist nicht vom Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 VVG ausgenommen. Falls dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, richtet sich die Rückabwicklung des Versicherungsvertrages nach dieser Vorschrift in Verbindung mit § 152 Abs. 2 VVG.
Normenkette
VVG § 9 Abs. 1, § 152 Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. Januar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage unter Abänderung des Urteils der 23. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. August 2019 wegen eines Betrages von 458.341,28 € nebst Zinsen abgewiesen worden ist.
Die Klägerin wird, nachdem sie die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das vorbezeichnete Urteil zurückgenommen hat, dieses Rechtsmittels für verlustig erklärt.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisions- und Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisions- und Beschwerdeverfahren wird auf 458.341,28 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung einer fondsgebundenen Lebensversicherung.
Rz. 2
Die Beklagte übersandte der Klägerin am 23. Juli 2013 einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung mit einer Einmalprämie von 500.000 €. Als Versicherungsnehmerin war die Klägerin, als Vertragsdauer "unbegrenzt" angegeben. Der Antrag sah eine Leistung von 110 % der Deckungsrückstellung nach dem Tod der letzten von zwei versicherten Personen vor. Als Versicherungsbeginn war der 1. Oktober 2013 genannt; unterzeichnet wurde der Antrag am 3. Oktober 2013. Unmittelbar über der Unterschriftszeile im Antragsformular befindet sich in einer Umrahmung die fettgedruckte Überschrift "Widerrufsrecht". Es schließt sich folgender Text an:
"Gemäß § 8 VVG steht mir ein gesetzliches Widerrufsrecht vom Vertrag zu. Ich kann innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Abschluss des Vertrages d.h. nach Zusendung der Police vom Vertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung an den Versicherer. Die Frist beginnt zu laufen, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer über sein Widerrufsrecht belehrt und der Versicherungsnehmer die Belehrung durch Unterschrift bestätigt hat. Unterbleibt die Belehrung, so erlischt das Widerrufsrecht einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie."
Rz. 3
In einem Datenverarbeitungsblatt, das dem Antrag beilag, heißt es vor der Unterschriftszeile:
"[…]. Außerdem stimmen Sie mit Ihrer Unterschrift zu, dass der Versicherungsschutz ggf. vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt."
Rz. 4
Die Klägerin zahlte die Einmalprämie am 21. Oktober 2013. Die Beklagte stellte am 22. Oktober 2013 den Versicherungsschein mit dem Versicherungsbeginn 1. November 2013 aus. Der Sparanteil der Prämie belief sich auf 489.106,21 €. Abschlusskosten fielen in Höhe von 1.500 € und Verwaltungskosten in Höhe von 8.980,89 € an. Die Risikokosten betrugen 412,90 €.
Rz. 5
Die Beklagte erwarb in Höhe des Sparanteils im eigenen Namen auf Rechnung der Klägerin Kapitalanlagen. Mit Anwaltsschreiben vom 4. Januar 2017 widerrief die Klägerin den Versicherungsvertrag, was die Beklagte mit Schreiben vom 19. Januar 2017 zurückwies. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatten die erworbenen Anlagen zum Zeitpunkt des Widerrufs keinen Wert mehr.
Rz. 6
Soweit für die Revision noch von Interesse hat die Klägerin mit ihrer Klage die Rückerstattung der gezahlten Einmalprämie nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 468.822,17 € nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagte 10.480,89 € nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen hat.
Rz. 7
Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die außerdem erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat sie zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils im angefochtenen Umfang und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 9
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Klägerin habe ihre auf das Zustandekommen des Versicherungsvertrages gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen. Die Widerrufsfrist sei nicht in Gang gesetzt worden, da sie nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sei. Ungeachtet der Frage, ob die Klägerin einem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ablauf der Widerrufsfrist - konkludent - zugestimmt habe, richteten sich die Rechtsfolgen des Widerrufs im vorliegenden Fall nicht nach § 9 VVG, sondern nach §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 BGB. § 9 VVG sei auf den hier gegebenen Sachverhalt, in dem eine Einmalprämie gezahlt und der Sparanteil der Prämie vertragsgemäß in Anlagen investiert worden sei, nicht anwendbar. Die Klägerin habe danach grundsätzlich Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämie bzw. auf Wertersatz in gleicher Höhe. Zu berücksichtigen sei indes, dass die Anlagen, in die die Beklagte mit Billigung der Klägerin den Sparanteil investiert habe, zum Zeitpunkt des Widerrufs keinen Wert mehr gehabt hätten. Diese Verluste müsse sich die Klägerin anrechnen lassen, so dass im Ergebnis kein Anspruch auf Wertersatz für die geleistete Prämie bestehe. Die Beklagte habe nur die Abschluss- und Verwaltungskosten herauszugeben.
Rz. 10
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Mit der gegebenen Begründung hätte das Berufungsgericht die Klage nicht teilweise abweisen dürfen.
Rz. 11
1. Noch zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin ihre Vertragserklärung mit Schreiben vom 4. Januar 2017 wirksam widerrufen hat. Die Widerrufsfrist begann gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG nicht zu laufen, weil die Beklagte die Klägerin nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt hatte. Die Belehrung enthält keine Angaben über die Rechtsfolgen des Widerrufs.
Rz. 12
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist aber ein Lebensversicherungsvertrag mit Einmalprämie nicht vom Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 VVG ausgenommen. Falls dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, richtet sich die Rückabwicklung des Versicherungsvertrages nach dieser Vorschrift in Verbindung mit § 152 Abs. 2 VVG.
Rz. 13
a) Die herrschende Meinung wendet § 9 Abs. 1 VVG auch auf Versicherungsverträge an, die die Zahlung einer Einmalprämie vorsehen (vgl. OLG Stuttgart r+s 2019, 313 Rn. 35 ff.; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. § 9 Rn. 23; Schneider in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. § 152 Rn. 14; MünchKomm-VVG/Heiss, 2. Aufl. § 152 Rn. 14 f.; Krause in Looschelders/Pohlmann, VVG 5. Aufl. § 152 Rn. 6; HK-VVG/Brambach, 4. Aufl. § 152 Rn. 24; Grote in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 152 Rn. 16; BeckOK-VVG/Brand, § 9 Rn. 26a [Stand: 2. Mai 2022]; PK-VVG/Ebers, 4. Aufl. § 9 Rn. 21; PK-VVG/Ortmann, 4. Aufl. § 152 Rn. 11; a.A. Garbe-Emden, VersR 2013, 1213, 1215). Diese Ansicht entspricht einer Auslegung der Vorschrift.
Rz. 14
aa) Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 VVG nimmt Versicherungsverträge mit Einmalprämienzahlung nicht von seinem Anwendungsbereich aus. Die Vorschrift geht zwar vom Regelfall der laufenden Prämienzahlung aus, denn die dort vorgesehenen Ansprüche auf Rückerstattung der "auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Prämien" und "für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Prämien" richten sich grundsätzlich nach Zeitabschnitten. Dies schließt aber eine Anwendung auf Vertragsgestaltungen wie die Einmalprämienzahlung, die die Besonderheiten des jeweiligen Vertrages berücksichtigt, nicht aus.
Rz. 15
bb) Vielmehr spricht die Systematik der gesetzlichen Regelungen für das Verständnis, dass § 9 Abs. 1 VVG auch auf Einmalprämienverträge anwendbar ist. Wie die Stellung des § 9 VVG bei den "Allgemeinen Vorschriften" des Versicherungsvertragsgesetzes zeigt, soll diese Vorschrift für alle Versicherungsverträge gelten. Das schließt eine Formulierung, die die vielfältigen Vertragsgestaltungen aller Versicherungszweige in ihren Einzelheiten erfasst, praktisch aus. Als allgemeine Vorschrift muss die Norm daher vom Regelfall ausgehen und dennoch auf die Vielfalt der Versicherungsverträge eine jeweils angepasste Anwendung finden. Eine Sonderregelung hat der Gesetzgeber in § 152 VVG lediglich für Lebensversicherungsverträge vorgesehen.
Rz. 16
cc) Auch die Gesetzesbegründung enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Vorschrift in der vom Berufungsgericht angenommenen Weise beschränken wollte. Die ersatzweise Anwendung der Widerrufsregeln des BGB ist vielmehr (nur) für den Fall vorgesehen, dass der Versicherungsschutz nicht vor Ende der Widerrufsfrist beginnt (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 62). Eine Unanwendbarkeit für bestimmte Versicherungsverträge beabsichtigte der Gesetz-geber demnach nicht. Zudem übernahm er in § 9 VVG sachlich unver-ändert die Vorschrift des § 48c Abs. 5 VVG a.F. (vgl. aaO). Diese Vorgängerregelung diente der Umsetzung von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG für den Bereich des Versicherungsvertragsrechts (vgl. BT-Drucks. 15/2946, S. 30). Auch insoweit bietet die Gesetzesbegründung keinen Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber durch eine in der Richtlinie nicht vorgesehene Ausnahme für Versicherungsverträge mit Einmalprämien hinter diesem Umsetzungsziel zurückbleiben wollte.
Rz. 17
dd) Der Zweck des § 9 Abs. 1 VVG streitet ebenfalls für einen umfassenden Anwendungsbereich ohne Ausnahme für Verträge mit Einmalprämie. Die Regelung soll einen angemessenen Schutz der Interessen des Versicherungsnehmers gewährleisten (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 62), berücksichtigt aber auch die Interessen des Versicherers (vgl. BT-Drucks. 15/2946, S. 30 f. zur sachlich unverändert übernommenen Vorgängerregelung des § 48c Abs. 5 VVG a.F.). Daher beschränkt die Vorschrift einerseits den Rückerstattungsanspruch des Versicherungsnehmers im Fall des Widerrufs; es sind danach nicht - wie etwa nach § 346 Abs. 1 BGB - alle empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Insbesondere dann, wenn der Versicherungsnehmer seinen Versicherungsvertrag erst nach vielen Monaten oder gar Jahren widerruft, wäre es nach Ansicht des Gesetzgebers nicht zu rechtfertigen, dass der Versicherer sämtliche gezahlten Prämien zurückzahlen muss, obwohl er seine Leistung erbracht hat und im Schadenfall sehr wahrscheinlich trotz einer nicht vollständigen Erfüllung der Informationspflicht in Anspruch genommen worden wäre (vgl. BT-Drucks. aaO). Andererseits soll aber die in § 9 Abs. 1 Satz 2 VVG vorgesehene Rückerstattung der Prämien für das erste Versicherungsjahr - obwohl der Versicherer auch insoweit seine Leistung erbracht hat - eine Sanktion dafür darstellen, dass der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß informiert worden ist (vgl. BT-Drucks. aaO S. 31).
Rz. 18
Dieser Interessenausgleich kann und soll nach der gesetzlichen Regelung für alle Versicherungsverträge erreicht werden. Die nach §§ 9 Abs. 1 Satz 2, 152 Abs. 2 Satz 2 VVG ggf. zu erstattenden Prämien "für das erste Jahr" des Versicherungsschutzes können im Fall einer Einmalprämie zwar nur fiktiv berechnet werden; der Sparanteil der Prämie wird nicht für bestimmte Zeiträume, sondern nach dem Vertragsinhalt anfangs gezahlt und umgehend in voller Höhe in Kapitalanlagen investiert. Der Sanktionscharakter der Vorschrift für den Fall einer nicht ausreichenden Information des Versicherungsnehmers erlaubt aber eine solche fiktive Berechnung, die auch abhängig vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu unterschiedlichen Jahresbeträgen führen kann. Es kann daher jener Prämienanteil zurückgefordert werden, der rein rechnerisch auf das erste Jahr des Versicherungszeitraums entfällt (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. § 9 Rn. 23; MünchKomm-VVG/Heiss, 2. Aufl. § 152 Rn. 17; Grote in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 152 Rn. 16; PK-VVG/Ebers, 4. Aufl. § 9 Rn. 21; PK-VVG/Ortmann, 4. Aufl. § 152 Rn. 11; HK-VVG/Brambach, 4. Aufl. § 152 Rn. 24; BeckOK-VVG/Brand, § 9 Rn. 26a [Stand: 2. Mai 2022]). Zur Ermittlung der Gesamtlaufzeit des Versicherungsvertrages kann auf die bei Vertragsschluss zu erwartende Vertragsdauer abgestellt werden, die sich aus der statistischen Lebenserwartung der versicherten Personen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ergibt (vgl. OLG Stuttgart, r+s 2019, 313 Rn. 42; Grote in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 152 Rn. 16). Denn obgleich der hier geschlossene Versicherungsvertrag eine "unbegrenzte" Vertragsdauer - mit Kündigungsrecht - vorsieht, endet der Vertrag faktisch mit dem Tod der letztversterbenden versicherten Person. Damit wird die Todesfallleistung fällig, so dass 110 % der Deckungsrückstellung an den Versicherungsnehmer auszuzahlen sind; deren Geldwert entspricht nach dem Vertrag dem Wert des Portfolios abzüglich Verwaltungs- und Risikokosten. Von diesem Zeitpunkt an gibt es daher das mit der Einmalprämie erworbene Anlagevermögen nicht mehr; der Versicherungsvertrag ist damit gegenstandslos geworden.
Rz. 19
ee) Zu Unrecht geht demgegenüber das Berufungsgericht davon aus, dass die Anwendung von §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 2 VVG auf eine fondsgebundene Lebensversicherung mit Einmalprämie der von den Parteien gewollten Gefahrverteilung widerspricht.
Rz. 20
(1) Das Berufungsgericht nimmt dabei noch zutreffend an, dass bei der fondsgebundenen Lebensversicherung der Versicherungsnehmer unmittelbar die Chancen und Risiken der Anlage am Kapitalmarkt trägt (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 53; Senatsurteil vom 21. März 2018 - IV ZR 353/16, NJW 2018, 1817 Rn. 16). Dem stehen die Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes zu den Rechtsfolgen des Widerrufs aber nicht entgegen. §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 152 Abs. 2 Satz 1 VVG sehen einen Anspruch auf den Rückkaufswert nach § 169 VVG und den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien vor; nach §§ 9 Abs. 1 Satz 2, 152 Abs. 2 Satz 2 VVG kann, wenn der in § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG genannte Hinweis unterblieben ist, an die Stelle des Rückkaufswerts ein Anspruch auf die für das erste Jahr gezahlten Prämien treten, wenn dies für den Versicherungsnehmer günstiger ist. Da bei fondsgebundenen Versicherungen der Rückkaufswert gemäß § 169 Abs. 4 Satz 1 VVG als Zeitwert der Versicherung zu berechnen ist, ist auf das dem Vertrag zugeordnete Fondsguthaben abzustellen (vgl. Grote in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl., § 152 Rn. 13; vgl. MünchKomm-VVG/Mönnich, 2. Aufl. § 169 Rn. 111; BeckOK-VVG/Binz, § 169 Rn. 41 [Stand: 1. Mai 2023]). Fondsverluste schlagen sich daher unmittelbar im Rückkaufswert nieder (vgl. BeckOK-VVG/Binz aaO; ähnlich Grote in Langheid/Rixecker aaO). Bei der fondsgebundenen Lebensversicherung entscheidet sich der Versicherungsnehmer für ein Produkt, bei dem die Höhe der Versicherungsleistung - abgesehen von der Todesfallleistung - nicht von vorneherein betragsmäßig festgelegt ist, sondern vom schwankenden Wert des Fondsguthabens abhängt (Senatsurteil vom 21. März 2018 - IV ZR 353/16, NJW 2018, 1817 Rn. 16). Die - mit Gewinnchancen, aber auch mit Verlustrisiken behaftete - Kapitalanlage ist für den Versicherungsnehmer neben der Risikoabsicherung ein wesentlicher Gesichtspunkt, wenn er sich für eine fondsgebundene Lebensversicherung entscheidet. Dies rechtfertigt es grundsätzlich, ihm das Verlustrisiko zuzuweisen, wenn der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande kommt und rückabgewickelt werden muss (Senatsurteil vom 21. März 2018 aaO).
Rz. 21
(2) Einen auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien, der nach §§ 9 Abs. 1 Satz 1 und 2, 152 Abs. 2 Satz 2 VVG zurückzuerstatten wäre, gibt es bei der fondsgebundenen Lebensversicherung mit Einmalprämie nur in Gestalt der Risikoprämie, nicht dagegen hinsichtlich des Sparanteils. Der Sparanteil der Einmalprämie "entfällt" nicht (teilweise) auf die Zeit nach dem Widerruf. § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG sieht die Rückgewähr von Prämien vor, die noch nicht verbraucht, sondern für die Zukunft gezahlt wurden (vgl. BT-Drucks. 15/2946, S. 31 zur Vorgängerregelung in § 48c Abs. 5 VVG a.F.). Das trifft auf den Sparanteil der Einmalprämie nicht zu. Diese wird vielmehr vereinbarungsgemäß zu Vertragsbeginn in voller Höhe in Kapitalanlageprodukte investiert. Die Einmalzahlung zu Vertragsbeginn ist bei dieser Form der Lebensversicherung daher nicht nur eine Zahlungsmodalität, sondern wesentlicher Vertragsinhalt, der die Anlage des Gesamtbetrages zu Vertragsbeginn mit entsprechenden Gewinnchancen ermöglicht. Die mit der Einmalprämie erworbenen Kapitalanlageprodukte stellen daher von Anfang an den Zeitwert und damit den Rückkaufswert dieser Versicherung dar. Da die im Wege der Einmalzahlung geleistete Prämie damit im vollen Umfang in den Rückkaufswert eingeflossen ist, kann nicht ein Anteil dieser Prämie zusätzlich der Zeit zwischen Zugang des Widerrufs und voraussichtlichem Ende des Versicherungsvertrages zugeordnet werden und zurückzuerstatten sein. Dieser Teil der Prämie wäre sonst doppelt zu erstatten. Der Anspruch beschränkt sich daher - abgesehen von der Risikoprämie - auf den Rückkaufswert in Form des Fondswerts oder - im Fall des § 152 Abs. 2 Satz 2 VVG - die (fiktiv) zu berechnende Prämie für das erste Versicherungsjahr, wenn dies für den Versicherungsnehmer günstiger ist (vgl. MünchKomm-VVG/Heiss, 2. Aufl. § 152 Rn. 15 in Verbindung mit 19; a.A. OLG Stuttgart, r+s 2019, 313 Rn. 43 ff.; Grote in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 152 Rn. 16; Schneider in Prölss/Martin, 31. Aufl. § 152 Rn. 14).
Rz. 22
(3) Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich weder aus Art. 33 noch aus Art. 35 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. L 345 S. 1) eine darüber hinausgehende Pflicht zur Prämienerstattung.
Rz. 23
(a) Anders als die Revision annimmt, enthalten Art. 33 oder andere Regelungen der Richtlinie keine Vorgaben zur Ermittlung der Prämie, insbesondere nicht zu einer Gleichsetzung von laufenden Prämien und Einmalzahlungen. Zudem entspricht die hier in Rede stehende Sparprämie bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung mit Einmalzahlung dem vom Versicherungsnehmer gewählten Anlagebetrag und ist nicht vom Versicherer nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu kalkulieren.
Rz. 24
(b) Art. 35 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie betrifft den Sparanteil der Einmalprämie schon seinem Wortlaut nach nicht. Danach befreit die Rücktrittserklärung den Versicherungsnehmer "für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen". Der Sparanteil der Einmalprämie ist aber - wie dargelegt - nicht (teilweise) für die Zukunft zu zahlen; das trifft nur auf die Risikoprämie zu, die das Todesfallrisiko während der gesamten Vertragslaufzeit absichert. Eine Rückabwicklung ex tunc mit einer Rückgewähr aller in der Vergangenheit ausgetauschter Leistungen schreibt Art. 35 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie aber gerade nicht vor. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits entschieden, dass die nicht ordnungsgemäße Erfüllung einer Informationspflicht aus der Richtlinie dem Versicherungsnehmer keinen Anspruch auf Erstattung der gezahlten Versicherungsprämien verleiht, sofern die im nationalen Recht für die Ausübung des Rechts auf Geltendmachung dieser Mitteilungspflicht vorgesehenen Verfahrensvorschriften nicht geeignet sind, die Wirksamkeit dieses Rechts dadurch in Frage zu stellen, dass sie den Verbraucher davon abhalten, es auszuüben (vgl. EuGH NJW 2022, 1513 Rn. 126).
Rz. 25
Dabei ist es Sache der nationalen Gerichte zu prüfen, ob die im nationalen Recht vorgesehenen Verfahrensvorschriften nicht geeignet sind, die Wirksamkeit des in Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie niedergelegten Rücktrittsrechts dadurch in Frage zu stellen, dass sie den Versicherungsnehmer davon abhalten, es auszuüben (vgl. EuGH NJW 2022, 1513 Rn. 123; NJW 2020, 667 Rn. 100, 104, 117). Dem Versicherungsnehmer soll mit dem Rücktrittsrecht ermöglicht werden, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen. Er soll deshalb von einem Vertrag zurücktreten können, bei dem sich nach dessen Abschluss innerhalb der für die Ausübung des Rücktrittsrechts vorgesehenen Überlegungsfrist herausstellt, dass er nicht seinen Bedürfnissen entspricht (EuGH NJW 2020, 667 Rn. 101). Dem Erfordernis, eine solche Wahlfreiheit zu gewährleisten, trägt Art. 35 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie Rechnung (vgl. EuGH aaO Rn. 102). Bliebe der Versicherungsnehmer auch nach dem Rücktritt für die Zukunft an den Vertrag gebunden, würde er von der Ausübung seines Rücktrittsrechts abgehalten. Ihm würde dadurch die Möglichkeit genommen, den Vertrag zu wählen, der seinen Bedürfnissen am ehesten entspricht (EuGH aaO Rn. 103). Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist aber auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen; er muss die Möglichkeit haben, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben (vgl. EuGH aaO Rn. 109).
Rz. 26
Der Umstand, dass die Sparprämie bei einem Vertrag mit Einmalprämie nicht teilweise auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfällt und daher nicht insoweit zu erstatten ist, beeinträchtigt aber diese Wahlfreiheit und damit den Zweck des Art. 35 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie nicht, denn dies gilt für den ordnungsgemäß belehrten wie den nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer gleichermaßen. Mit dem vereinbarungsgemäß zu Vertragsbeginn geleisteten und investierten Sparanteil hat der Versicherungsnehmer in jedem Fall eine vergangene Leistungspflicht erfüllt; eine Verpflichtung für die Zukunft, von der der Versicherungsnehmer im Falle eines Rücktritts zu befreien wäre, folgt daraus nicht.
Rz. 27
Da der diesbezügliche Inhalt des Art. 35 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bereits geklärt ist, ist eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht veranlasst. Im Übrigen trifft der Senat noch keine abschließende Entscheidung; es ist derzeit noch offen, ob sich die Rückabwicklung dieses Versicherungsvertrages nach den §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 2 VVG richtet und es damit auf diese Vorschriften ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - I ZR 46/12, GRUR 2016, 171 Rn. 49 m.w.N.).
Rz. 28
b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung setzt die Anwendung von §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 2 VVG nicht voraus, dass dem Grunde nach ein Rückzahlungsanspruch nach § 357 BGB in der vom 4. August 2011 bis zum 12. Juni 2014 gültigen Fassung (im Folgenden: § 357 BGB a.F.) in Verbindung mit § 346 BGB besteht. Die §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 2 VVG begründen nicht nur eine Einrede, die der Versicherer einem Rückforderungsanspruch des Versicherungsnehmers aus §§ 346, 357 BGB a.F. entgegenhalten könnte. Sind §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 2 VVG anwendbar, verdrängen sie vielmehr die im BGB enthaltenen allgemeinen Vorschriften über die Widerrufsfolgen (vgl. Senatsurteil vom 13. September 2017 - IV ZR 445/14, BGHZ 216, 1 Rn. 20 m.w.N.).
Rz. 29
III. Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das zu prüfen haben wird, ob die Voraussetzungen für eine Anwendung von §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 2 VVG vorliegen.
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Fundstellen
Haufe-Index 15765103 |
NJW 2023, 2567 |
WM 2023, 1453 |
WuB 2023, 421 |
JZ 2023, 480 |
MDR 2023, 1118 |
VuR 2023, 398 |
r+s 2024, 515 |