Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 22.02.2010) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 22. Februar 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte im Fall II. 7. der Urteilsgründe freigesprochen worden ist,
- im Strafausspruch.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von dem Vorwurf, in sieben weiteren Fällen unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Rz. 2
Mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Teilfreispruchs und – wegen Rechtsfehlern zu Gunsten des Angeklagten – des Strafausspruchs. Außerdem rügt sie, dass das Landgericht keine Entscheidung über den Verfall von Wertersatz getroffen hat. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision das Verfahren und erhebt die Sachrüge. Die Rechtsmittel haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
Rz. 3
A. Revision der Staatsanwaltschaft
Rz. 4
I. Der Freispruch im Fall II. 7. der Urteilsgründe war wegen eines durchgreifenden Beweiswürdigungsfehlers aufzuheben. In den übrigen Fällen II. 1. bis 6. der Urteilsgründe, in denen der Angeklagte freigesprochen worden ist, hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten ergeben.
Rz. 5
1. Mit der – unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen – Anklageschrift vom 11. Mai 2009 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten u.a. sieben Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt. Er soll Anfang März 2007 mit den gesondert Verfolgten Waldemar und Jakob B. die Lieferung von 2,2 Kilogramm Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 40 % HHC sowie von 1,5 Kilogramm Streckmittel verabredet haben, wobei es zu der geplanten Auslieferung des bereits bezahlten Rauschgifts nach dessen Sicherstellung durch die Polizei nicht gekommen sein soll. In sechs weiteren Fällen, nämlich am 3. April 2007, 6. November 2007, 14. Januar 2008, 25. Januar/5. Februar 2008, 19. März 2008 und 21. September 2008, soll er jeweils ca. 500 Gramm Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 40 % HHC an den gesondert Verfolgten S. verkauft haben. S. soll jeweils das Rauschgift beim Angeklagten bestellt und diesem den Kaufpreis im Voraus übergeben haben. Anschließend soll der Angeklagte seinen „Bunkerhalter”, der spätestens ab November 2007 der gesondert Verfolgte Mitangeklagte W. gewesen sein soll, angewiesen haben, das gekaufte Heroin aus einem zwischengelagerten Vorrat an den Käufer auszuliefern.
Rz. 6
2. Zum Fall II. 7. der Urteilsgründe ist die Beweiswürdigung widersprüchlich und lückenhaft. Die Ausführungen des Landgerichts, es hätten keine Feststellungen dazu getroffen werden können, dass das Rauschgift, das der Mitangeklagte W. an den Käufer S. übergeben habe, für den Angeklagten bestimmt gewesen sei, sind angesichts des Vorwurfs, Heroin in nicht geringer Menge verkauft zu haben, unverständlich. Zudem lässt sich ihnen nicht entnehmen, ob und gegebenenfalls wie sich der wegen dieser Tat verurteilte Mitangeklagte W. zu diesem Anklagepunkt eingelassen hat. Dies wäre aber jedenfalls deswegen erforderlich gewesen, weil das Landgericht bei der Erörterung der Fälle II. 1. bis 6. ausdrücklich mitteilt, der Mitangeklagte W. habe sich zu diesen Anklagepunkten nicht geäußert, während es zum Fall II. 7. lediglich ausführt, der Mitangeklagte W. sei wegen seiner Beteiligung an diesem Geschehen bereits durch Urteil vom 28. Januar 2010 verurteilt worden. Diese differenzierende Darstellung des Landgerichts deutet darauf hin, dass sich der Mitangeklagte W. zu dem Anklagevorwurf im Fall II. 7. eingelassen hat.
Rz. 7
3. In den übrigen Fällen, in denen der Angeklagte freigesprochen worden ist, liegt weder ein durchgreifender Darstellungsmangel noch ein Fehler in der Beweiswürdigung vor, der sich aus den Urteilsgründen ergibt, die allein Grundlage der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht aufgrund der erhobenen Sachrüge sind (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 337 Rn. 22).
Rz. 8
a) Zu diesen Taten, zu denen sich der Angeklagte nicht eingelassen hat, hat das Landgericht ausgeführt: „Die unter II. 1. bis 6. dargestellten Taten konnten dem Angeklagten nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit nachgewiesen werden. Der Mitangeklagte W. hat sich zu diesen Fällen, soweit er nach der Anklage daran beteiligt sein sollte, nicht geäußert. Die gesondert Verfolgten Waldemar und Jakob B. sowie S. haben von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch gemacht. Diese Beweiswürdigung hat sich die Staatsanwaltschaft mit ihrem Antrag auf Teilfreispruch hinsichtlich dieser Anklagevorwürfe selbst zu eigen gemacht.”
Rz. 9
b) Diese Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Nach den Urteilsgründen ist davon auszugehen, dass sämtliche Beweiserhebungen, die das Landgericht zu den Tatvorwürfen in den Fällen II. 1. bis 6. versucht hat, keine Erkenntnisse erbracht haben, da die dazu gehörten Zeugen sowie der Mitangeklagte W. von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben. Dies trägt den Freispruch in materiell-rechtlicher Hinsicht. Insbesondere kann bei dieser Beweislage nicht beanstandet werden, das Landgericht habe fehlerhaft den für erwiesen erachteten Sachverhalt nicht dargestellt, um erst daran anschließend darzulegen, weswegen dem Angeklagten für eine Verurteilung erforderliche weitere Tatsachen nicht nachweisbar gewesen sind (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 267 Rn. 33); denn hierfür ist von vorneherein kein Raum, wenn sich nach den Urteilsgründen keinerlei Beweisertrag ergeben hat.
Rz. 10
Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts, im Hinblick auf die äußerst knappen, in Teilen ohne die gebotene Sorgfalt abgefassten Urteilsgründe Mutmaßungen darüber anzustellen, ob nicht naheliegend weitere Beweismittel zur Aufklärung der Tatvorwürfe zur Verfügung gestanden hätten oder weitere Beweise erhoben und im Urteil lediglich nicht gewürdigt worden sind. Schon gar nicht kann das Revisionsgericht aufgrund derartiger Mutmaßungen das Urteil auf die Sachrüge hin aufheben. Vielmehr wäre es Sache der Staatsanwaltschaft gewesen, entweder durch Erhebung der Aufklärungsrüge geltend zu machen, dass das Landgericht weitere mögliche Beweise zur Erforschung des Sachverhalts unter Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO nicht erhoben hat, oder zu beanstanden, dass es hierzu erhobene Beweise nicht in seine Würdigung einbezogen und daher zu seiner Überzeugungsbildung den Inbegriff der Hauptverhandlung nicht ausgeschöpft hat (§ 261 StPO). Wenn sie sich demgegenüber mit der Erhebung der Sachrüge begnügt, muss sie die Konsequenzen ihres unzureichenden prozessualen Verhaltens tragen und die Bestätigung des Teilfreispruchs durch das Revisionsgericht akzeptieren.
Rz. 11
II. Die hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Strafausspruchs allein zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).
Rz. 12
1. Nach den Feststellungen organisierte der Angeklagte in leitender Funktion eine Lieferung von ca. 14 Kilogramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von ca. 85 % KHC, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war, auf dem Seeweg von Ecuador nach Montenegro. Im Widerspruch dazu hat das Landgericht der Strafzumessung die Lieferung von ca. 14 Kilogramm Heroin zu Grunde gelegt und strafschärfend gewertet, dass die Grenzmenge der nicht geringen Menge „an Heroin als einer der gefährlichsten Hartdrogen um mehr als das 7.900-fache überschritten” worden sei. Daraus ergibt sich, dass es von dem für Heroin geltenden Grenzwert der nicht geringen Menge von 1,5 Gramm anstatt von 5 Gramm Wirkstoff für Kokain ausgegangen ist und deshalb einen zu großen Schuldumfang angenommen hat. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler auf die verhängte Strafe ausgewirkt hat.
Rz. 13
2. Der Strafausspruch war aufgrund des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft nicht zum Nachteil des Angeklagten aufzuheben. Strafzumessungsfehler zu Gunsten des Angeklagten liegen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht vor.
Rz. 14
Ergänzend bemerkt der Senat: Soweit der Angeklagte den Mitangeklagten K. als Hauptorganisator des Betäubungsmittelhandels belastet hat, handelt es sich um ein zulässiges Verteidigungsverhalten (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 46 Rn. 53). Die Formulierung im angefochtenen Urteil, die Tat sei von der Polizei überwacht worden, bezieht sich erkennbar auf das Geschehen nach der Entdeckung des Kokains durch die kroatischen Zollbehörden. Dass der Rauschgifttransport mit einem erheblichen Aufwand vorbereitet und der Tatplan nahezu perfekt umgesetzt wurde, hat das Landgericht gesehen, wie sich aus den Ausführungen ergibt, mit denen es einen minder schweren Fall verneint hat. Die behaupteten Angaben des Mitangeklagten K. über die zugesagte Abnahme einer großen Menge Kokain durch den Chef der Familie M. aus Montenegro sind urteilsfremd und können auf die Sachrüge hin nicht berücksichtigt werden.
Rz. 15
Die von der Staatsanwalt vermisste Anordnung des Verfalls von Wertersatz (§ 73 Abs. 1, § 73a StGB) kam schon deshalb nicht in Betracht, weil der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen aus der Tat, wegen der er verurteilt worden ist, weder Geld noch einen sonstigen Vermögensvorteil erlangte.
Rz. 16
Entscheidungsgründe
B. Revision des Angeklagten
Rz. 17
I. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten hat zum Schuldspruch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Ergänzend bemerkt der Senat, dass die Aufklärungsrüge auch deswegen unzulässig ist, weil das von der Vernehmung des Zeugen … Sch. erwartete Beweisergebnis lediglich pauschal mit „legalen Geschäften” bezeichnet wird, ohne diese zu benennen.
Rz. 18
II. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat zum Strafausspruch Erfolg, weil aus den oben dargestellten Gründen das Landgericht von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist.
Unterschriften
Becker, Pfister, von Lienen, Hubert, Schäfer
Fundstellen
Haufe-Index 2590081 |
NStZ-RR 2011, 88 |