Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 11.11.2014) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11. November 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
A.
Rz. 2
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 3
Dem Beschuldigten war die Geschädigte bereits seit etwa 20 Jahren vom Sehen und von flüchtigen Gesprächen bekannt. Im Sommer 2013 kam es zum Ausbruch einer psychotischen Erkrankung beim Beschuldigten, in deren Zuge er einen auf die Geschädigte bezogenen Liebeswahn entwickelte. Im Sommer 2013 kam es zu einem Treffen zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten in einem Café, bei dem sie ihm erklärte, nichts mit ihm zu tun haben zu wollen. Dies konnte der Beschuldigte nicht akzeptieren. An einem Tag im September 2013 packte er die Geschädigte mit schmerzhaften Folgen am Handgelenk, um mit ihr reden zu können. In der Folgezeit passte er sie täglich an ihrer Arbeitsstelle – die in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung lag – oder auf ihrem Nachhauseweg ab. Deswegen beantragte die Geschädigte im Februar 2014 den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 1 GewSchG, die am 10. Februar 2014 erging. Mit diesem dem Beschuldigten am 13. Februar 2014 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts München wurde ihm untersagt, mit der Geschädigten Kontakt aufzunehmen.
Rz. 4
Der Beschuldigte suchte in 14 Fällen zur Geschädigten Kontakt, indem er sie an ihrer Arbeitsstelle aufsuchte oder sie dort anzurufen versuchte. Zehn dieser Fälle ereigneten sich nach dem 13. Februar 2014, wobei er trotz Kenntnis des Beschlusses des Amtsgerichts München vom 10. Februar 2014 handelte. In dem letzten dieser Fälle versuchte er am 26. Februar 2014, sie „gewaltsam aus der Praxis zu zerren”, in der sie als Arzthelferin arbeitete. Die Geschädigte versetzte dem Beschuldigten eine Ohrfeige. Sie selber erlitt dabei Schmerzen.
Rz. 5
Die Geschädigte ist aufgrund dieser Vorfälle psychisch stark angeschlagen. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Angstzuständen.
Rz. 6
Der Beschuldigte litt zu den Tatzeitpunkten an einer paranoiden Schizophrenie, was zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung des Motivationsgefüges führte und die Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aufhob. Nachdem während der vorläufigen Unterbringung der Beschuldigte erstmals auf ein geeignetes Medikament eingestellt worden war, zeigte er sich behandlungseinsichtig und erschüttert über die Folgen seines Verhaltens.
Rz. 7
II. 1. Das Landgericht hat die Taten als vorsätzliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit 14 Fällen der Nachstellung, diese in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, und in einem Fall weiter in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 230 Abs. 1, § 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 4, §§ 52, 53 StGB, §§ 1, 4 GewSchG gewertet, die der Beschuldigte rechtswidrig, aber im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat.
Rz. 8
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB zur Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es nicht angenommen. Zwar gingen die Taten auf einen dauerhaften Zustand, nämlich die paranoide Schizophrenie, zurück. Jedoch ergebe die Gefahrenprognose, dass von dem Beschuldigten infolge dieser Erkrankung keine erheblichen rechtswidrigen Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten seien. Hierzu hat es darauf abgestellt, dass der Beschuldigte zwar aufdringlich und lästig gehandelt habe, was zu erheblichen psychischen Folgen bei der Geschädigten geführt habe, jedoch habe er über das beharrliche Nachstellen hinaus keine gesteigerte kriminelle Energie aufgewandt und keine gesteigerte körperliche Aggressivität gezeigt. Die Schwelle zur Vollendung der Körperverletzungsdelikte sei nur deswegen überschritten worden, weil sich die Geschädigte nachvollziehbarerweise aus dem Griff des Beschuldigten herausgewunden und deswegen Schmerzen erlitten hätte. Selbst die Ohrfeige der Geschädigten habe zu keiner weiteren Gewaltanwendung durch ihn geführt. Unter Berücksichtigung auch weiterer Umstände aus seinem Vorleben könne aus seinem bisherigen Verhalten nicht auf die zukünftige Begehung solcher Taten geschlossen werden, die die Grenze zur Erheblichkeit überschreiten.
Entscheidungsgründe
B.
Rz. 9
Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 10
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571; vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 mwN; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15). Die sich hieraus ergebenden Darlegungserfordernisse hat das Landgericht eingehalten.
Rz. 11
a) Zwar versäumt es, das Eingangsmerkmal des § 20 StGB für den Zustand des Beschuldigten ausdrücklich zu benennen, worauf grundsätzlich nicht verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15). Jedoch ist neben der psychiatrischen Diagnose ausführlich dargelegt, dass bei dem Beschuldigten eine dauerhafte Erkrankung vorliegt, wie die daraus resultierenden psychischen Symptome sich auf die Schuldfähigkeit ausgewirkt haben und warum die Anlasstaten auf diesen Zustand zurückzuführen sind. Danach ist nicht nur hinreichend klar, dass das Landgericht vom Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung ausgegangen ist, sondern auch belegt, dass es für die Gefährlichkeitsprognose den Defektzustand des Beschuldigten mit dem angemessenen Gewicht eingestellt hat.
Rz. 12
b) Das sachverständig beratene Landgericht hat die Gefährlichkeitsprognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände entwickelt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 29; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571). Hierbei hat es keine relevanten Aspekte außer Acht gelassen oder nur verkürzt in die Würdigung eingestellt.
Rz. 13
So hat es den Umstand der nur losen Bekanntschaft zwischen Täter und Opfer in den Blick genommen, wie die Darstellung der Entwicklung der Bekanntschaft zwischen beiden belegt. Auch die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten hat es ausreichend dargelegt und erwogen. Hierbei durfte es das konkrete Gewicht und die Besonderheiten der Entwicklung der begangenen Körperverletzungsdelikte berücksichtigen. Es hat dabei auch eine Verstärkung der zu erwartenden Aggressivität aufgrund des möglichen Opferverhaltens bedacht, aber im Hinblick auf die Reaktion des Beschuldigten auf die Ohrfeige der Geschädigten nicht für wahrscheinlich gehalten. Die erheblichen psychischen Auswirkungen hat es in die Abwägung eingestellt, die ausführlichen Darlegungen hierzu lassen nicht besorgen, dass es diese zu gering gewichtet haben könnte. Dass das Landgericht auf dieser Grundlage keine konkreten Anhaltspunkte für die Erwartung künftiger Taten in ihrer jeweils für ausreichend wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität gefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571), ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Unterschriften
Raum, Jäger, Cirener, Mosbacher, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 8736503 |
NStZ-RR 2016, 40 |
NStZ-RR 2016, 7 |
RPsych 2016, 242 |