Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur förmlichen Verpflichtung nichtbeamteter Personen
Leitsatz (redaktionell)
Zu den Anforderungen an eine förmliche Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz.
Normenkette
StPO § 54 Abs. 1; VerpflG § 1 Abs. 2 Fassung 1974-03-02, Abs. 3 Fassung 1974-03-02, Abs. 1 Nr. 1 Fassung 1974-03
Verfahrensgang
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Steuerhehlerei zu sechs Jahren sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Mit der Revision rügt er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist nur zum Teil begründet.
I. die Verfahrensrügen
1. Die Rüge, die Strafkammer sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr 1 StPO), ist nicht genügend ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs 2 Satz 2 StPO). Aus der Revisionsbegründung läßt sich ohne Heranziehung der Akten nicht ersehen, ob der Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht rechtzeitig geltend gemacht worden ist, das heißt - bei Mitteilung der Besetzung nach § 222a StPO - spätestens bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache (§ 222b Abs 1 StPO).
Die Behauptung der Revision, das Landgericht habe den Besetzungseinwand des Angeklagten übergangen, trifft nicht zu. Nach dem Wortlaut der Entscheidungsformel, die auf den Einwand verkündet worden ist, hat die Strafkammer zwar die von den Mitangeklagten ... und ... erhobenen Besetzungsrügen zurückgewiesen. Dabei handelt es sich jedoch, soweit ... genannt wird, um ein offensichtliches Versehen. Statt seiner war der Angeklagte gemeint. Das ergibt sich zum einen daraus, daß der Mitangeklagte ... einen Besetzungseinwand überhaupt nicht erhoben hatte. Das folgt aber zum anderen auch aus den mit verkündeten Gründen des Beschlusses selbst, in denen die Strafkammer der Auffassung der Angeklagten ... und ... entgegengetreten ist, die Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden habe zu einer vorschriftswidrigen Gerichtsbesetzung geführt.
Soweit die Revision - ersichtlich hilfsweise - die Zurückweisung des Besetzungseinwands bekämpft, gibt sie die Entscheidung des Landgerichts entgegen § 344 Abs 2 Satz 2 StPO nur unvollständig wieder.
2. Mit der Aufklärungsrüge beanstandet der Angeklagte, daß es das Landgericht unterlassen hat, den Zeugen ... über die Rauschgiftgeschäfte und Rauschgiftverhandlungen ab Oktober 1978 zu vernehmen, die Gegenstand des Verfahrens sind (UA S 16). Ob die Rüge berechtigt ist, kann hier dahinstehen. Denn der angebliche Verfahrensfehler ist auf den Schuldspruch ohne Einfluß, weil der Angeklagte die Tat als solche eingestanden hat; der Strafausspruch muß aus einem anderen Grund auf die Sachrüge ohnehin aufgehoben werden.
II. Die Sachrüge
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs auf die allgemeine Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt.
2. Der Strafausspruch, dem der qualifizierte Strafrahmen des § 11 Abs 4 (Nrn 4 und 5) BetMG zugrunde liegt, hat dagegen keinen Bestand. Das Landgericht hat als besonders schwerwiegend strafschärfend berücksichtigt, daß der - selbst nicht drogenabhängige - Angeklagte nicht etwa zur Finanzierung seines Eigenkonsums, sondern "aus reiner Gewinnsucht" gewerbsmäßig mit Heroin gehandelt habe. Diese Erwägung läßt einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs 3 StGB) besorgen.
Handeltreiben im Sinne des § 11 Abs 1 Nr 1 BetMG ist seinem Wesen nach eigennütziges Verhalten (BGHSt 25, 290f). Daß sich der Täter von Gewinnstreben oder Gewinnsucht leiten läßt, ist nach der Rechtsprechung subjektives Merkmal des Handeltreibens, das nicht zusätzlich zur Strafschärfung herangezogen werden darf (BGH, Beschluß vom 14. Juni 1978 - 3 StR 190/78; Urteil vom 20. Dezember 1978 - 2 StR 191/78; Beschlüsse vom 25. April 1979 - 3 StR 85/79 - und 23. Juli 1979 - 3 StR 206/79). Daß die Strafkammer dem Angeklagten neben dem Umfang des beabsichtigten Geschäfts mit der von ihr angenommenen "reinen" Gewinnsucht nur ein besonders verwerfliches, den Rahmen des Tatbestandsmäßigen und hier überdies des Gewerbsmäßigen deutlich übersteigendes Streben nach Gewinn, etwa "Profitgier", hat anlasten wollen, ist nicht sicher, zumal er als Mittelsmann lediglich mit einer Provision nach dem von ihm erzielten Absatz am Erlös des Handels beteiligt sein sollte und ein zusätzliches Entgelt nur erwartete, um sich vom türkischen Militärdienst "freizukaufen". Da nach allgemeinen Erfahrungen nicht davon ausgegangen werden kann, daß Drogenhändler in der Regel rauschmittelabhängig sind, erweist sich auch die Erwägung des Landgerichts, eine solche Abhängigkeit des Angeklagten habe nicht bestanden, als ungeeigneter Anhaltspunkt für einen ungewöhnlich gesteigerten Erwerbssinn (BGH, Urteil vom 20. Dezember 1978 - 2 StR 191/78).
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Nach den bisher getroffenen Feststellungen hätte der Zeuge ... zum Tatgeschehen vernommen werden dürfen, obwohl er als V-Mann der Kriminalpolizei an dem Betäubungsmittelhandel beteiligt war und keine Aussagegenehmigung erhalten hat.
1. Es kann offen bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine wirksame förmliche Verpflichtung eines V-Mannes der Polizei nach dem Verpflichtungsgesetz vom 2. März 1974 (Art 42 EGStGB - BGBl I 469 - in der Fassung des Gesetzes vom 15. August 1974 - BGBl I 1942) dazu führt, daß er als "andere Person des öffentlichen Dienstes" (§ 54 Abs 1 StPO) über Angelegenheiten, auf die sich seine Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht, nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde als Zeuge vor Gericht aussagen darf. Denn eine wirksame förmliche Verpflichtung des Zeugen ... liegt nicht vor. Er ist vor seinem Einsatz zwar mündlich zur Verschwiegenheit über seine Tätigkeit als V-Mann für die Kriminalpolizei verpflichtet worden (UA S 8 und 16). Ob ihn der Kriminaloberkommissar ... dabei gemäß § 1 Abs 1 VerpflG förmlich "auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten" verpflichtet und ihn gemäß § 1 Abs 2 Satz 2 VerpflG auf die strafrechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung hingewiesen hat, ist jedoch ungewiß. Den Feststellungen des Landgerichts ist die Beachtung dieser Förmlichkeiten nicht zu entnehmen. Eine Niederschrift über die Verpflichtung ist entgegen § 1 Abs 3 Satz 1 VerpflG nicht aufgenommen worden. ... hat sie infolgedessen entgegen § 1 Abs 3 VerpflG auch weder mitunterzeichnen noch eine Abschrift davon erhalten können. Diese schweren Mängel haben, jedenfalls zusammengenommen, hier die Nichtigkeit der Verpflichtung als Verwaltungsakt zur Folge.
a) Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und den Folgen seiner Anwendung.
Die Verpflichtung gerade auf die gewissenhafte Erfüllung der Obliegenheiten (§ 1 Abs 1 Satz 1 VerpflG) und der Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung (§ 1 Abs 2 Satz 2 VerpflG) sind wesentlicher Inhalt der förmlichen Verpflichtung (vgl Begründung zum Regierungsentwurf des EGStGB, BT-Drucks 7/550 S 365). Was die Niederschrift (§ 1 Abs 3 Satz 1 VerpflG) und ihre Aushändigung (§ 1 Abs 3 Satz 2 VerpflG) anbetrifft, so ist der Gesetzgeber zwar davon ausgegangen, daß sie keine Voraussetzungen für das sofortige Wirksamwerden der Verpflichtung seien (Begründung aaO). Daß sie als Wirksamkeitsvoraussetzungen außer Betracht zu bleiben haben, gilt aber nicht uneingeschränkt. Gewiß ist es richtig, daß die Formvorschriften des § 1 Abs 3 VerpflG mit aus Gründen der Beweissicherung geschaffen worden sind. Sie dienen aber auch der Rechtssicherheit (Begründung aaO). Allerdings wäre es zu förmlich, die Verpflichtung erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem ihrer Vornahme wirksam werden zu lassen, wenn zB die Niederschrift alsbald nachträglich angefertigt, vom Verpflichteten mitunterzeichnet und in Abschrift an ihn ausgehändigt wird. Anders muß es jedoch sein, wenn alle Formerfordernisse des Verpflichtungsgesetzes - so wie hier - mißachtet werden. Daß wenigstens in einem solchen Fall nicht die Wirkung einer förmlichen Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz eintreten kann, verlangen die Rechtssicherheit und der Schutz des Verpflichteten; denn auf ihn sind bei Wirksamkeit der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zahlreiche Sonderbestimmungen des Strafrechts anwendbar (zB § 97b Abs 2, § 133 Abs 3, § 201 Abs 3, § 293 Abs 2, § 204, §§ 331 bis 335 und § 353b StGB jeweils in Verbindung mit § 11 Abs 1 Nr 4 StGB). Ein gleichwohl vorstellbares Interesse auf seiner Seite, die Verpflichtung - im Hinblick auf eine in Betracht kommende Anwendung des § 54 Abs 1 StPO - trotz schwerer Formmängel als gültig zu behandeln, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht. Denn diese Vorschrift dient nicht den Interessen der darin genannten Personengruppen, sondern ausschließlich staatlichen Geheimhaltungsbelangen. Die Behörden aber sind in der Lage, durch Beachtung der im Verpflichtungsgesetz vorgeschriebenen Förmlichkeiten für die öffentlich-rechtliche Wirksamkeit einer vorgenommenen Verpflichtung zu sorgen und damit die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Anwendung des § 54 StPO auf besonders verpflichtete V-Leute der Polizei erwogen werden kann.
b) Die Entstehungsgeschichte des Verpflichtungsgesetzes steht der dargelegten Auffassung des Senats nicht entgegen.
Ein Vorläufer dieses Gesetzes war die sogenannte Bestechungsverordnung (Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen in den Fassungen vom 3. Mai 1917/12. Februar 1920 - RGBl 1917 S 393 und 1920 S 230 - und 23. Mai 1943 - RGBl I 351). Von den nach der Verordnung zwingenden Förmlichkeiten (vgl Feisenberger in Stenglein, Kommentar zu den strafrechtlichen Nebengesetzen, 5. Aufl Bd II S 364 § 1 BestechungsVO Anm 1; Fuhrmann in Dahlke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl B IV 9 § 1 Anm 6; Baumann BB 1961, 1057, 1067) hat der Gesetzgeber im Verpflichtungsgesetz die Bekräftigung durch Handschlag beseitigt. Das ist mit der Begründung geschehen, ein solches Formerfordernis sei wenig geeignet, die Bedeutung der Verpflichtung zu unterstreichen (BT-Drucks 7/550 S 365). Gleichzeitig ist die frühere Sollvorschrift über den Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen der Verpflichtung in eine Istbestimmung umgewandelt worden. Das legt die Annahme nahe, daß sie von einer bloßen Ordnungsvorschrift - gleichsam zum Ausgleich für die Formverkürzung durch Verzicht auf den Handschlag - zu einem wesentlichen Formerfordernis aufgewertet worden ist. Dafür spricht auch die Begründung des Gesetzentwurfes, daß zum Inhalt der Verpflichtung außer der Verpflichtung auf die gewissenhafte Erfüllung der Obliegenheiten der Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung hinzutreten müsse (aaO S 365).
Die Auffassung des Senats stimmt im Kern ferner mit den Erwägungen überein, die dem § 10 Nr 7 des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs E 1962 zugrunde liegen. Nach der Begründung zu dieser Vorschrift sollte die Eigenschaft als besonders Verpflichteter von der formgerecht vorgenommenen Verpflichtung abhängen (ähnlich zur Bestechungsverordnung Feisenberger aaO Anm 1; Fuhrmann aaO Anm 5). Der Entwurf hielt eine solche Formalisierung wegen der an den Begriff geknüpften strafrechtlichen Folgen aus rechtsstaatlichen Gründen für notwendig (S 118). Daß der Gesetzgeber des EGStGB hiervon so weit hat abweichen wollen, daß auch schwersten Formfehlern des Verpflichtungsaktes keine sachliche Bedeutung zukäme, läßt sich der Begründung zum Verpflichtungsgesetz nicht entnehmen.
c) Bei dieser Sachlage und Rechtslage kann offenbleiben, ob die Verpflichtung des Zeugen ... durch den Kriminaloberkommissar ... von der Polizeidirektion ... überhaupt wirksam vorgenommen werden konnte.
Der Zeuge ... ist auch nicht etwa allein auf Grund seiner V-Mann-Tätigkeit berechtigt, das Zeugnis gemäß § 54 Abs 2 StPO zu verweigern. Da er weder Beamter noch Angestellter der Kriminalpolizei ist, sondern, soweit ersichtlich, nur in einer losen äußeren Beziehung zu ihr steht, könnte sich eine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, wie § 54 StPO sie voraussetzt, für ihn ohne förmliche Verpflichtung nur aus einer Amtsträgereigenschaft (§ 11 Abs 1 Nr 2c StGB) kraft formloser Bestellung (vgl Dreher/Tröndle, StGB 38. Aufl § 11 RdNr 20) ergeben. ... hatte aber nicht selbst (wie ein Polizeibeamter) Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im Sinne des § 11 Abs 2 Nr 2c StGB wahrzunehmen; er war nur ein Informant und Gehilfe der mit der Verbrechensbekämpfung betrauten Kriminalpolizei.
Ohne förmliche Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz ließ sich eine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit für ihn also nicht begründen.
Fundstellen
Haufe-Index 541146 |
NJW 1980, 846 |
NJW 1980, 846-847 (LT1) |
LM StPO 1975 § 54, Nr. 1 (L1) |
LM VerpflichtungsG, Nr. 1 (LT1) |
DRsp IV(448), 122 (ST) |
JR 1981, 122-122 (ST) |
NStZ 1981, 93 |
MDR 1980, 244-245 (LT1) |