Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung einer Vereinbarung, durch die sich die Kommanditisten einer GmbH & Co. KG verpflichten, die Komplementär-GmbH von deren Haftung im Innenverhältnis freizustellen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 14.10.1993) |
LG Trier |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 14. Oktober 1993 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagten sind Gesellschafter der im Jahre 1983 in Konkurs gefallenen A. B. GmbH & Co. (im folgenden: KG) und der Komplementär-GmbH dieser Gesellschaft, der A. B. GmbH i.L. (im folgenden: GmbH). Die Beklagten waren der KG im Jahre 1977 im Zuge der Umwandlung der damals sanierungsbedürftigen Gesellschaft in eine GmbH & Co. KG mit Kommanditeinlagen von zusammen 3,25 Mio. DM bei gleichzeitigem Ausscheiden des damaligen persönlich haftenden Gesellschafters, A. B., beigetreten. In einem diese Maßnahmen vorbereitenden „Vorvertrag” vom 24. August 1977 sowie im Vertrag vom 29. August 1977, in dem die Beklagten ihren Beitritt als Kommanditisten erklärten, war u.a. – gleichlautend – folgendes vereinbart:
„Herr A. B. haftet für die am Stichtag – 31. August 1977 – bestehenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft als atypischer stiller Gesellschafter auch künftig in gleicher Weise, wie er zuvor als persönlich haftender Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gehaftet hat.
Alle Gesellschafter stellen die persönlich haftende Gesellschafterin, Firma A. B. G.m.b.H., im Innenverhältnis von der Haftung frei. Die A. B. G.m.b.H. nimmt an etwaigen künftigen Verlusten der Gesellschaft nicht teil.”
Die Unterstreichung der Sätze 2 und 3 des vorstehenden Textes findet sich nur im Vertrag vom 29. August 1977.
Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, deren Gesellschafter teilweise mit den Mitgesellschaftern der Beklagten in der oben genannten KG identisch sind, erwirkte im Jahre 1989 einen Zahlungstitel über 1.996.289,15 DM nebst Zinsen gegen die ebenfalls oben näher bezeichnete GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin der KG sowie einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß hinsichtlich des angeblich der GmbH gegen die Beklagten aufgrund der Vereinbarung vom 24./29. August 1977 zustehenden Anspruchs, sie von der gegen sie gerichteten Forderung der Klägerin freizustellen.
Auf dieser Grundlage nimmt die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit die Beklagten entsprechend ihrer jeweiligen Beteiligung an der KG auf Zahlung von 1.097.959,50 DM (Beklagte zu 1) bzw. 199.628,90 DM (Beklagter zu 2), jeweils nebst Zinsen, in Anspruch. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin die Klageansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
Das Berufungsgericht hat die in den Verträgen vom 24. und 29. August 1977 enthaltene Freistellungsvereinbarung in dem Sinne ausgelegt, daß sie nur für die bis zum 31. August 1977 begründeten Verbindlichkeiten, also die Altschulden, habe gelten sollen. Dabei hat es, wie die Revision zu Recht rügt, Verfahrensfehler begangen, die zur Aufhebung des Berufungsurteils zwingen.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend (BGH, Urt. v. 4. Dezember 1986 – III ZR 95/84, NJW 1987, 1458, 1459) vom Wortlaut des Vertragstextes ausgegangen. Es hat dabei nicht verkannt, daß der Satz „alle Gesellschafter stellen die persönlich haftende Gesellschafterin … von der Haftung frei” keine Beschränkung auf die Altschulden enthält. Es hat jedoch aus der Stellung dieses Satzes hinter der Aussage, daß der ausscheidende persönlich haftende Gesellschafter B. für die am 31. August 1977 bestehenden Verbindlichkeiten – als atypischer stiller Gesellschafter – weiterhin hafte, geschlossen, daß sich die Freistellungsverpflichtung ebenfalls nur auf diese Altschulden habe beziehen sollen. Die Revision weist indessen zutreffend darauf hin, daß in unmittelbarem Anschluß an die Freistellungsklausel der Ausschluß der GmbH von den Verlusten der KG geregelt ist; der Verlustausschluß bezieht sich aber ausschließlich auf etwaige künftige Verluste. Zwar ist das ebenfalls kein zwingendes Argument für ein von der Auslegung durch das Berufungsgericht abweichendes Verständnis der Regelung. Dem angefochtenen Urteil ist aber nicht zu entnehmen, welche Erwägungen das Berufungsgericht veranlaßt haben, einen Zusammenhang der Freistellungspflicht gerade mit der Haftung des früheren persönlich haftenden Gesellschafters – diese bestand im übrigen im Außenverhältnis auch unabhängig von der Vereinbarung –, nicht dagegen mit dem Verlustausschluß anzunehmen. Immerhin ist im Zusammenhang mit steuerlichen Erwägungen (siehe dazu unten 3) früher von einem Teil des Schrifttums die Auffassung vertreten worden, der Ausschluß der Komplementär-GmbH von der Beteiligung am Verlust habe ohne weiteres zur Folge, daß die Kommanditisten (und nicht nur die Kommanditgesellschaft) sie im Innenverhältnis von ihrer Außenhaftung freizustellen hätten (Weber/Jansen, NJW 1971, 1678 ff.; Klamroth, BB 1972, 428, 429).
2. Das Berufungsgericht hat dem Gesamtzusammenhang der Verträge, die zum Zweck der Sanierung der KG unter deren Umwandlung in eine GmbH & Co. KG geschlossen worden sind, entnommen, daß mit der Freistellungsverpflichtung der Kommanditisten die sofortige Überschuldung der GmbH habe vermieden werden sollen. Da die KG – vor der Sanierung – hoch verschuldet gewesen sei, hätte, so hat es gemeint, die GmbH wegen ihrer persönlichen Haftung bereits am Tage ihrer Gründung Konkursantrag stellen müssen. Dabei hat das Berufungsgericht jedoch, wie die Revision zu Recht rügt, nicht erkennbar bedacht, daß die GmbH einen gesetzlichen Freistellungsanspruch gegen die KG hatte (§§ 161 Abs. 2, 110 Abs. 1 HGB). Solange dieser nicht gefährdet war, trat bei der GmbH keine Überschuldung ein. Daß die KG ihrerseits nach der mit den Sanierungsmaßnahmen verbundenen Zuführung von neuem Kapital in Höhe von, wie dem Tatbestand des Berufungsurteils zu entnehmen ist, 4,75 Mio. DM – noch – überschuldet war, hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt.
3. Für das Berufungsgericht war letztlich entscheidend, daß die Beteiligten die bis dahin „normale” KG im Zuge der Sanierungsmaßnahmen in eine GmbH & Co. KG umgewandelt haben. Wenn sie sich, so hat es ausgeführt, für die mit dieser Gesellschaftsform verbundene beschränkte Haftung entschieden, dann könne nicht angenommen werden, daß sie die Haftungsbeschränkung durch eine der persönlich haftenden Gesellschafterin gegenüber abgegebene Freistellungsverpflichtung praktisch in einem Zuge wieder hätten beseitigen wollen. Daran ist richtig, daß eine derartige unbegrenzte Freistellungsverpflichtung eine klare Abbedingung der für den Regelfall in § 167 Abs. 3 HGB bestimmten Begrenzung der Verlustbeteiligung des Kommanditisten auf seine Einlage voraussetzt (Baumbach/Duden/Hopt, HGB 28. Aufl. § 177 a Anm. IV 3 B; Schlegelberger/Martens, HGB 5, Aufl. § 167 Rdn. 19; vgl. auch Sen.Urt. v. 27. September 1982 – II ZR 241/81, WM 1982, 1311, 1312). Das Berufungsgericht hat auch nicht übersehen, daß in den Prüfungsberichten zu der Bilanz auf den 1. September 1977 und den Jahresabschlüssen für 1977 bis 1979 jeweils vermerkt ist, daß die persönlich haftende Gesellschafterin im Innenverhältnis von der Haftung ausgeschlossen sei; erst ab 1980 ist dieser Vermerk inhaltlich (aber nicht etwa hinsichtlich der Altschulden, sondern in Richtung auf eine Begrenzung auf die Stammkapitalziffer) eingeschränkt worden. Es hat diesen Vermerken aber im Hinblick auf die mit der Wahl der Gesellschaftsform bewußt herbeigeführte Haftungsbeschränkung kein Gewicht beigemessen; denn im Prüfungsbericht zum Abschluß auf den 1. September 1977 sei ausdrücklich festgehalten, daß es den Gesellschaftern bei der Umwandlung der Gesellschaft in eine GmbH & Co. KG wegen der unübersichtlichen Vermögenslage der Gesellschaft darauf angekommen sei, die Haftung „wie bei Kapitalgesellschaften” zu beschränken.
Diese Würdigung ist, wie die Revision zutreffend beanstandet, trotz des richtigen Ausgangspunkts rechtlich nicht haltbar. Die Darlegungen des Berufungsgerichts lassen jede Erklärung dafür vermissen, warum in demselben Prüfungsbericht, in dem auf die beschränkte Haftung der Gesellschafter einer GmbH & Co. KG hingewiesen wird, – und in den Prüfungsberichten für die folgenden Jahre – gleichwohl der auf die Zukunft bezogene Vermerk über den Haftungsausschluß der GmbH im Innenverhältnis enthalten ist und was die zunehmende Abschwächung dieser Vermerke in den Prüfungsberichten für 1980 und 1981 besagen sollte. Wenn auch eine Freistellungspflicht der Kommanditisten gegenüber der Komplementär-GmbH die Haftungsbeschränkung nach § 161 Abs. 1 HGB im praktischen Ergebnis außer Kraft setzt, so ist eine solche Gestaltung doch nicht ausgeschlossen und war jedenfalls in den Jahren vor 1977 nicht ganz selten anzutreffen. Diese Praxis hatte einen wesentlichen Grund in der damaligen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die die Zahlung einer Risikoprämie an die GmbH für die Übernahme der unbeschränkten Haftung verlangte und damit wegen der damaligen Doppelbelastung durch Körperschaft- und Einkommensteuer zu einer unerwünscht hohen Besteuerung führte (vgl. dazu Heinze/Rieker, NJW 1972, 472; Klamroth, BB 1972, 428, 429; Sudhoff, DB 1973, 2175; Hesselmann, Hdb. d. GmbH & Co. KG, 4. Aufl. Rz. 240; Zusammenstellung der BFH-Rechtsprechung bei Weber/Jansen, NJW 1971, 1671, 1678 f.). Daneben sollte mit einer derartigen Freistellungsverpflichtung wohl auch manchmal erreicht werden, daß das Unternehmen auch bei Überschuldung der KG fortgeführt werden konnte (Staub/Schilling, HGB 4. Aufl. § 168 Rdn. 6). Beide Gründe waren allerdings nach Einführung der §§ 130 a, 177 a HGB durch Art. 4 des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29. Juli 1976 (BGBl. I S. 2034) und Änderung des Körperschaftsteuersystems durch das erstmals für den Veranlagungszeitraum 1977 geltende Körperschaftsteuerreformgesetz vom 31. August 1976 (BGBl. I S. 2597; vgl. dazu Hennerkes/Binz, Die GmbH & Co., 7. Aufl. S. 91) weitgehend weggefallen. Das ändert aber nicht ohne weiteres etwas daran, daß derartige Erwägungen bei der Vereinbarung der Freistellungsverpflichtung gegenüber der GmbH eine Rolle gespielt haben können. In dem vom Berufungsgericht zitierten Prüfungsbericht zum 1. September 1977 ist erwähnt, daß es den Gesellschaftern auch darum gegangen sei, „die nachteiligen Wirkungen der ertragsteuerlichen Belastungen, denen Kapitalgesellschaften auch nach der Einführung des Körperschaftsteuergesetzes 1977 noch unterworfen sind”, zu vermeiden.
Eine vielleicht vornehmlich aus steuerlichen Gründen gewährte – und schon deshalb zivilrechtlich beachtliche (vgl. BGHZ 67, 334, 337; Sen.Urt. v. 5. Juli 1993 – II ZR 114/92, ZIP 1993, 1158, 1159) – Freistellung der Komplementär-GmbH von der Haftung und damit verbundene Einstandspflicht der Kommanditisten wurde manchmal auch als Sicherungsmittel für größere Kreditaufnahmen genutzt (Buchheister, BB 1973, 687). Das soll nach dem Vortrag der Klägerin auch hier so gewesen sein. In dem von der Klägerin vorgelegten Rechtsgutachten, das Prof. H. für die Kreissparkasse B.-W. (im folgenden: KSK) erstattet hat, ist festgehalten, daß diese der KG Kredite in einer Gesamthöhe von rund 7 Mio. DM gewährt hat, ohne sich offenbar sonstige Sicherheiten durch die Gesellschafter einräumen zu lassen (vgl. dazu den folgenden Abschnitt 4).
4. Auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft entscheidungserhebliche Beweisangebote der Klägerin übergangen, ist begründet. Die Klägerin hat in beiden Tatsacheninstanzen vorgetragen, die Beteiligten einschließlich der Beklagten seien sich bei Abschluß der Verträge Ende August/Anfang September 1977 darüber einig gewesen, daß die Freistellungsverpflichtung gegenüber der GmbH auch für die Zukunft gelten solle, weil die KSK eine dahingehende Vertragsklausel zur Bedingung für die Gewährung von Krediten an die GmbH & Co. KG gemacht habe. Das Berufungsgericht hat die hierzu beantragte Beweiserhebung mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe keine Einzelheiten zu den Verhandlungen mit der KSK. mitgeteilt und es sei offengeblieben, ob und wie die Beklagten an den Gesprächen mit der Bank beteiligt gewesen seien und wie sie deren Begehren hätten verstehen müssen. Damit hat es die Anforderungen an die Substantiierungspflicht einer Prozeßpartei überspannt. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergab sich ohne weiteres, daß die Gesellschafter sich darüber einig gewesen seien, daß die Haftungsfreistellung der GmbH auch für die Zukunft gelten solle, weil die KSK davon die Kreditgewährung abhängig gemacht habe. Bestand ein solcher übereinstimmender Wille der Gesellschafter, so war er für die Auslegung der Freistellungsklausel in den Verträgen vom 24. und 29. August 1977 maßgebend (vgl. BGH, Urt. v. 30. April 1992 – VIII ZR 78/91, NJW 1992, 2489). Der Vortrag der Klägerin war für eine Stellungnahme der Beklagten und für eine Beweiserhebung konkret genug (vgl. zu den insoweit geltenden Anforderungen BGH, Urt. v. 30. April 1992 a.a.O. u. v. 25. Februar 1992 – X ZR 88/90, NJW 1992, 1967, 1968). Ob und in welcher Form gerade die Beklagten an den Verhandlungen mit der KSK beteiligt waren, ist dafür nicht von entscheidender Bedeutung. Das Berufungsgericht hätte daher die insoweit angetretenen Beweise erheben müssen.
5. Die Revision rügt noch, das Berufungsgericht hätte nach Ergänzung des Vortrags der Klägerin zu dem Verlangen der KSK nach Aufnahme der Freistellungsklausel nach Schluß der mündlichen Verhandlung diese wiedereröffnen müssen. Darauf kommt es nicht an, weil das Berufungsurteil schon aus den oben dargelegten Gründen aufgehoben werden muß. Das Berufungsgericht wird die Freistellungsvereinbarung unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte erneut tatrichterlich zu würdigen haben.
Unterschriften
Boujong, Dr. Hesselberger, Röhricht, Stodolkowitz, Dr. Goette
Fundstellen
Haufe-Index 1130992 |
BB 1995, 324 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1995, 115 |
DNotZ 1995, 958 |
GmbHR 1995, 128 |