Leitsatz (amtlich)
›1. Sehen die Polizeibehörden davon ab, nur vage Angaben eines Angeklagten über andere Tatbeteiligte zu überprüfen, dann ist ihre Untätigkeit für die Entscheidung nach § 31 Nr. 1 BtMG ohne Bedeutung.
2. Trägt ein Angeklagter zur Aufdeckung einer anderen, ihm nicht angelasteten Tat bei, dann kommt § 31 Nr. 1 BtMG nur zur Anwendung, wenn der Aufklärungserfolg, gemessen an der ihm vorgeworfenen Tat, nicht ohne Gewicht ist.‹
Verfahrensgang
Gründe
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und das sichergestellte Kokain eingezogen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die auf den Strafausspruch beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten.
Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet mit der Verfahrensrüge, das Gericht habe durch Zeugenvernehmungen aufklären müssen, ob die von dem Angeklagten über seine Kokainlieferanten gemachten Angaben zu deren Identifizierung geführt haben.
Die Staatsanwaltschaft erhebt mit ihrer - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Revision zugunsten des Angeklagten die gleiche Verfahrensrüge und beanstandet mit der Sachrüge die Nichtanwendung von § 31 Nr. 1 BtMG. Zu Lasten des Angeklagten macht sie geltend, die Strafkammer habe mit rechtlich unzutreffender Begründung die Einziehung des für die Tat verwendeten Kraftfahrzeuges abgelehnt.
Die Rechtsmittel haben im Ergebnis Erfolg.
II. Zu Unrecht wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte allerdings gegen die Versagung einer Strafrahmenmilderung nach § 31 Nr. 1 BtMG i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB.
1. Das Landgericht hat folgende für die Frage der Anwendbarkeit von § 31 Nr. 1 BtMG relevanten Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte kaufte in Miami (USA) von Unbekannten 997,8 g eines Kokaingemischs und führte es am 15. August 1986 über den Frankfurter Flughafen in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er behauptete zunächst, unter Druck Dritter gehandelt zu haben. In einer Vernehmung vom 10. September 1986 gab er zu seinen Kokainlieferanten an, er habe im März 1986 von einem C etwa 20 g Kokain erhalten. Dieser C verkehre mit einer anderen Person namens "Lu ". Über einen "J " habe er einen "F " kennengelernt, der ihm vor seiner Rückkehr nach Frankfurt zunächst 1 kg Kokain schlechter Qualität angeboten und auf seine - des Angeklagten - Beanstandungen gesagt habe, er gehe zu "Luiz" und hole anderes Kokain. Nach ca. einer Stunde sei "F ' mit dem später sichergestellten Kokain zurückgekehrt. Er - der Angeklagte - habe "F " 18.000 US-Dollar für das Kokain bezahlt.
Diese im Beisein eines Beamten der amerikanischen Rauschgiftbehörde DEA gemachten Angaben führten bislang nicht zur Identifizierung der Lieferanten des Angeklagten.
2. Nach Ansicht der Strafkammer sind die Angaben über die Verkäufer des Rauschgiftes zu vage, um als wesentlicher Beitrag zur Tataufklärung im Sinne von § 31 Nr. 1 BtMG gelten zu können.
Bei der Strafbemessung im engeren Sinne führt die Strafkammer weiter aus, infolge der "ausgesprochen vagen" Angaben des Angeklagten sei ungeklärt, wer sein Lieferant sei und an wen er liefern wollte (UA S. 13).
3. Die Staatsanwaltschaft vertritt demgegenüber die Auffassung, da der Angeklagte über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus die wesentlichen Hinterleute preisgegeben habe, müsse § 31 Nr. 1 BtMG zur Anwendung kommen. Es dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn eine ausländische Dienststelle keine Erkenntnisse über ihre Bemühungen mitteile. Auf Grund der lückenhaften Feststellungen im angefochtenen Urteil bleibe offen, ob die Angaben des Angeklagten bereits ohne Erfolg überprüft worden oder ob die Strafverfolgungsbehörden untätig geblieben seien. Sollte letzteres der Fall gewesen sein, könne dies dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen.
III. Dem kann nicht gefolgt werden.
1. Eine Strafrahmenverschiebung nach § 31 Nr. 1 BtMG kommt nur in Betracht, wenn der Angeklagte wesentlich dazu beigetragen hat, daß die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufgeklärt werden konnte. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Täter Personen benennt, die nach seiner nicht bewiesenen Darstellung als Mittäter (oder Gehilfen) in Frage kommen; andererseits ist aber auch nicht erforderlich, daß die Genannten bereits auf Grund seiner Angaben verurteilt wurden. Voraussetzung ist vielmehr die Überzeugung des Tatrichters, daß der Angeklagte die Beteiligung anderer an der Tat zutreffend geschildert hat (BGHSt 31, 163, 166; BGH Strafverteidiger 1983, 505; 1984, 287) und dadurch wesentlich zu einem - nach Überzeugung des Gerichts - voraussichtlich erfolgreichen Abschluß der Strafverfolgung beiträgt (BGH Strafverteidiger 1985, 14).
Der Angeklagte hat die in den USA lebenden Lieferanten und Vermittler der 997,8 g Kokain nur mit ihren Vor- oder Spitznamen benannt (UA S. 7). Sie wurden daher bislang nicht identifiziert (UA S. 7, 13). Wenn die Strafkammer unter diesen Umständen feststellt, der Angeklagte habe das Kokain von Unbekannten erworben (UA S. 6), und seine Angaben nicht als wesentlichen Beitrag zur Tataufklärung bewertet, so ist das rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Ein sachlich-rechtlicher Fehler liegt hier auch nicht darin begründet, daß dem Urteil nicht zu entnehmen ist, ob und in welchem Umfang sich die Strafverfolgungsbehörden darum bemüht haben, die Angaben des Angeklagten zu überprüfen. Als lückenhaft könnten die Urteilsgründe insoweit nur dann beanstandet werden, wenn ein Untätigbleiben der Ermittlungsbehörden für die Frage nach der Anwendbarkeit von § 31 Nr. 1 BtMG hier bedeutsam wäre und darüberhinaus Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß in der Hauptverhandlung geklärt wurde, wie sich die (ausländischen) Ermittlungsbehörden verhalten haben. Beides ist indessen nicht der Fall.
a) Bleibt ein Ermittlungserfolg bis zur Entscheidung des Tatgerichts aus, weil die Behörden hinreichend konkrete Angaben des Angeklagten nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Eile überprüften, dann darf der Tatrichter daraus zumindest keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben und ihrer Eignung zur Überführung anderer Tatbeteiligter ableiten. Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Die Beschreibung der Lieferanten und Vermittler der 997,8 g eines Kokaingemischs war so allgemein gehalten und unzureichend, daß die Polizeibehörden von Ermittlungen absehen konnten, ohne daß ihre Untätigkeit für die Entscheidung des Tatrichters über die Anwendung von § 31 Nr. 1 BtMG Bedeutung erlangte (vgl. BGH, Strafverteidiger 1983, 505).
b) Bei dem kurzen zeitlichen Abstand von sieben Wochen, der zwischen den Angaben des Angeklagten und der Hauptverhandlung lag, drängt auch nichts zu der Annahme, die Strafkammer könnte bereits über die Reaktion der amerikanischen Rauschgiftbehörde DEA auf die Angaben des Angeklagten informiert gewesen sein.
c) Daß der Angeklagte den Verkäufer von 20 g Kokain - die deshalb nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, weil die Tat insoweit nicht hinreichend genau bestimmt werden konnte - mit vollem Namen benannte, ändert an der Sach- und Rechtslage nichts. Deckt ein Angeklagter mit seiner strafbaren Einfuhr- oder Handelstätigkeit im Zusammenhang stehende Bezugsquellen oder Vertriebswege und strafbare Handlungen anderer Personen auf, dann muß die Anwendung des § 31 Nr. 1 BtMG zwar nicht daran scheitern, daß die aufgedeckten Taten (trotz des genannten Zusammenhanges) als rechtlich selbständig zu bewerten sind, aus dem Verfahren ausgeschieden oder gar ohne Beteiligung des Angeklagten begangen wurden (BGH Strafverteidiger 1985, 415, 416). Der Aufklärungserfolg für die anderen Taten muß jedoch an der dem Angeklagten angelasteten Tat gemessen werden und darf im Vergleich zu ihr nicht ohne Gewicht sein. Selbst wenn die Angaben des Angeklagten den Lieferanten der von ihm früher erworbenen 20 g Kokain überführt hätten, wäre eine Strafrahmenmilderung gemäß § 31 Nr. 1 BtMG bei der Beurteilung der dem Angeklagten hier angelasteten Einfuhr (in Tateinheit mit Handeltreiben) von 997, 8 g Kokain nicht geboten.
3. Die Aufklärungsrügen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten haben ebenfalls keinen Erfolg.
Dem Landgericht mußte sich im vorliegenden Falle, in dem der Angeklagte vor sieben Wochen sehr unbestimmte Angaben über Vermittler und Lieferanten in den USA gemacht hatte, nicht der Schluß aufdrängen, der Beamte der amerikanischen Rauschgiftbehörde DEA, der an der Vernehmung des Angeklagten vom 19. September 1986 teilgenommen hatte, könnte bereits über wesentliche Ermittlungsergebnisse aus den USA berichten, die geeignet wären, den Tatrichter davon zu überzeugen, daß der Angeklagte durch seine Angaben einen wesentlichen Beitrag zur - voraussichtlichen - Überführung der Kokainlieferanten geleistet hat. Eine Ladung und Vernehmung des Beamten der DEA war deshalb nicht geboten.
IV. Die Strafzumessung im engeren Sinne und die Entscheidung der Strafkammer, das zum Transport des vermeintlichen Kokains verwendete Fahrzeug nicht einzuziehen, halten hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das Landgericht wertet strafmildernd, daß die Erkrankung des Angeklagten an "AIDS" der auslösende Faktor dafür gewesen sei, daß er überhaupt mit Kokain in Kontakt gekommen sei. Seine Erkrankung wirke sich aber in erster Linie insoweit strafmildernd aus, als sich sein Umgang mit Kokain auf seine eigene Person erstrecke. Ein Strafmilderungsgrund für die Abgabe oder das Handeltreiben mit Kokain könne hierin nicht gesehen werden.
Diese Wertung läßt einen wesentlichen Umstand außer acht. Die Strafkammer hätte prüfen müssen, welche besonderen Wirkungen von der Strafe insgesamt für das künftige Leben des Angeklagten zu erwarten sind. Leidet ein Angeklagter unter einer schweren Erkrankung und hat er nur noch eine geringe Lebenserwartung (UA S. 8), dann kann ihn eine Freiheitsstrafe besonders hart treffen und ein Ausgleich der Schuld unter Umständen auch durch eine geringere als die sonst schuldangemessene Strafe erreicht werden (BGHR, StGB § 46 I Schuldausgleich). Das Landgericht hätte diesen Gesichtspunkt bei Beachtung auch der anderen Strafzwecke hier besonders erörtern müssen.
2. Mit Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft die Ablehnung der Einziehung des Kraftfahrzeuges (Jeep) des Angeklagten, mit dem er den Ersatzstoff transportierte, gegen den die Polizei das von ihm eingeführte Kokain ausgetauscht hatte. Das Fahrzeug war zum Transport von Kokain vorgesehen. Dem Angeklagten war außerdem nicht bekannt, daß die Polizei das Rauschgift gegen einen Ersatzstoff ausgetauscht hatte, er glaubte vielmehr, sein strafbares Tun mit Hilfe des Kraftfahrzeuges erfolgreich weiter vorantreiben zu können. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Ansicht war der Jeep deshalb Tatwerkzeug im Sinne von § 74 Abs. 1 StGB.
Der neu entscheidende Tatrichter wird den Wert des Fahrzeuges zu ermitteln und zu prüfen haben, ob eine Einziehung neben der Freiheitsstrafe geboten ist (BGH Strafverteidiger 1986, 58). Eine Einziehung als Nebenstrafe kann auch Einfluß auf die Höhe der Freiheitsstrafe haben (vgl. BGH Strafverteidiger 1983, 327, 328; Beschluß vom 2. Juli 1985 - 4 StR 300/85 und Beschluß vom 12. März 1987 - 1 StR 83/87).
Der Schuldspruch des Urteilstenors läßt nicht eindeutig erkennen, daß der Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt wurde. Der Senat hat von einer Klarstellung abgesehen und sie dem neu entscheidenden Tatrichter überlassen, der im Zusammenhang mit dem Strafausspruch ohnehin einen vollständigen Urteilstenor bilden muß.
Fundstellen
Haufe-Index 2992899 |
NJW 1987, 2882 |
BGHR BtMG § 31 Nr. 1 - Aufdeckung 1/2 |
BGHR StGB § 46 Abs. 1 - Schuldausgle |
DRsp III(380)227c-d |
NStZ 1988, 505 |
EzSt BtMG § 31 Nr. 8 |
MDR 1987, 778 |
NStE Nr. 6 zu § 31 BtMG |
EBE 1987, 246 |
StV 1987, 345 |