Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 18.09.2001) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 18. September 2001 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die gegen diese Verurteilung gerichtete, auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge und eine den Strafausspruch betreffende Verfahrensrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
Rechtsfehler zum Schuldspruch sind nicht ersichtlich. Lediglich der Strafausspruch bedarf der Erörterung.
Die Jugendkammer hat auf den zur Tatzeit 20 Jahre und neun Monate alten Angeklagten allgemeines Strafrecht angewendet. Sowohl die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG als auch des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG hat sie verneint. Dies ist sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die gegen die Ablehnung von § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG gerichtete Verfahrensrüge versagt.
1. a) Für die Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist nicht entscheidend, ob er das Bild eines noch nicht 18-jährigen bietet; vielmehr ist maßgebend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (st. Rspr. BGHSt 12, 116; 22, 41; 36, 37). Dies hat die Jugendkammer aufgrund einer ausführlichen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Umweltbedingungen und unter Berücksichtigung der Ausführungen der Jugendgerichtshilfe für den Angeklagten im Ergebnis zutreffend verneint.
Die Kammer bringt zwar zum Ausdruck, daß der Angeklagte zur Tatzeit nicht mehr einem 17-jährigen gleichgestanden habe; sie macht aber auch deutlich, daß er über eine dem Erwachsenen gleichstehende Persönlichkeitsreife und Selbständigkeit verfügte, wenn sie darauf abstellt, daß es im Werdegang des Angeklagten keine Brüche gebe, er im Alter von 19 Jahren nach Erreichen eines dem Fachabitur vergleichbaren Abschlusses den autonomen Entschluß faßte, sein Heimatland Jugoslawien zu verlassen, um dem Kriegsdienst zu entgehen, zunächst zu Verwandten nach Deutschland zog, aber schon nach acht Monaten in Deutschland den Familienverbund verließ, in einer anderen Stadt ein Appartement bezog und trotz fehlender Arbeitserlaubnis zumindest aushilfsweise als Türsteher in einer Diskothek arbeitete. Die Kammer hat damit nicht ein bestimmtes Alter als unverrückbaren Maßstab genommen, sondern im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung die maßgebenden Gesichtspunkte erkannt und berücksichtigt. Sie ist davon ausgegangen, daß bei ihm im Zusammenhang mit der Flucht nach Deutschland und der Eingewöhnung in die neue Umgebung Reifeverzögerungen eingetreten sind, beurteilt aber gleichwohl aus vorgenannten Gründen gegen die Empfehlung der Jugendgerichtshilfe den Angeklagten als eine zur Tatzeit ausgereifte, gefestigte Persönlichkeit. Daß sie wesentliche Gesichtspunkte übersehen hätte, ist nicht ersichtlich. Der Jugendkammer steht hier ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH NJW 2002, 73; BGH, Urt. v. 22. Dezember 1992 – 1 StR 586/92). Das vom Tatrichter rechtsfehlerfrei gefundene Ergebnis hat das Revisionsgericht hinzunehmen.
b) Die Jugendkammer war auch nicht im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gedrängt, das von der Verteidigung beantragte Sachverständigengutachten zum Reifegrad des Angeklagten einzuholen, sondern durfte aufgrund eigener Sachkunde (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) über die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht auf den Heranwachsenden entscheiden und den Antrag ablehnen.
Bei Reifeentscheidungen ist in der Regel die Anhörung eines Sachverständigen nicht geboten (vgl. BGH NStZ 1984, 467; BGH, Urt. v. 1. Juli 1998 – 1 StR 182/98). Da hier nach beanstandungsfreier Auffassung der Kammer Auffälligkeiten in der sittlichen und geistigen Entwicklung des Angeklagten zur Tatzeit nicht zutage getreten sind und die Jugendkammer naturgemäß sich selbst aus zahlreichen vorangegangenen Verfahren Sachkunde erworben hatte, war auch bei Abweichung von der Einschätzung der Jugendgerichtshilfe entgegen der Meinung der Revision die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens nach § 244 Abs. 2 StPO nicht erforderlich. Weder der Sachverständige noch die Jugendgerichtshilfe sind dazu berufen, dem Richter die Verantwortung für die Urteilsfeststellungen abzunehmen. Das Revisionsvorbringen erschöpft sich im übrigen in dem Versuch, die Feststellungen des Tatrichters und die von ihm hieraus gezogenen Schlußfolgerungen durch eigene zu ersetzen.
2. Die Jugendkammer gelangt ebenfalls ohne Rechtsfehler zu der Annahme, es liege keine Jugendverfehlung vor (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG).
Entscheidend hierfür ist, ob unabhängig vom generellen Reifegrad des Angeklagten, die konkrete Tat auf jugendlichen Leichtsinn, Unüberlegtheit oder soziale Unreife zurückgeht (BGH NStZ 2001, 102). Die abgeurteilte gefährliche Körperverletzung wurde zwischen rivalisierenden Gruppen begangen, zu denen auf der einen Seite die beiden Geschädigten und auf der anderen Seite der Angeklagte und seine beiden Mittäter – sämtliche Mittäter mit gefährlichen Werkzeugen bewaffnet – gehörten. Da es sich um ein geplantes und koordiniertes Vorgehen des Angeklagten mit seinen erwachsenen Mittätern handelte, um den Geschädigten einen Denkzettel zu verpassen, verneint die Kammer unter Beachtung des angeführten Maßstabes rechtsfehlerfrei eine jugendtümliche Verfehlung.
3. Auch im übrigen ist der Strafausspruch nicht zu beanstanden.
Unterschriften
Jähnke, Otten, Rothfuß, Fischer, Elf
Fundstellen