Leitsatz (amtlich)
Der ausgeschiedene Gesellschafter kann Gegenstände, die er der Gesellschaft zur Benutzung überlassen hat, im allgemeinen sofort zurückverlangen. Die Gesellschaft hat jedoch schon dann ein – vorübergehendes – Zurückbehaltungsrecht, wenn nur eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen von ihr behaupteten Ausgleichsanspruch gegen den Ausgeschiedenen nach BGB § 739 spricht und sie lediglich noch Zeit zu dessen genauer Feststellung durch die Abschichtungsbilanz benötigt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Betriebsgrundstücke mit Gebäuden und um einen Bootssteg, die sich gegenwärtig im Besitz der Beklagten befinden. Auf dem Betriebsgelände hatte ursprünglich der Kläger allein eine Bootswerft betrieben. Zum 1. Januar 1970 hatte er in dieses Unternehmen einen seiner Söhne, den Beklagten zu 1), und seinen Schwiegersohn als Kommanditisten aufgenommen. Der Gesellschaftsvertrag hatte unter anderem bestimmt:
§ 5: Einlagen der Gesellschafter
(1) Herr Ludwig R bringt als persönlich haftender Gesellschafter … in die Gesellschaft die gesamten betrieblichen beweglichen Anlagen, Maschinen, Fertigprodukte, Halbfertigprodukte und Rohmaterialien ein, wie sie die Handelsbilanz per 31. Dezember 1969 ausweist. Die Betriebsgrundstücke, das Wohnhaus nebst Werkstätten, Montagehalle und sonstigen baulichen Anlagen bleiben alleiniges Eigentum des Herrn Ludwig R. Herr Ludwig R stellt diese jedoch der Gesellschaft pachtweise zur Verfügung, ebenso den Bootssteg. An Stelle der Pacht hat die Kommanditgesellschaft die laufenden Unkosten der Grundstücke, die Hypothekenzinsen sowie die laufenden Instandsetzungskosten und die anteilige Vermögensabgabe zu tragen.
§ 9: Vertragsdauer und Kündigung
(1) … Jeder Gesellschafter kann das Gesellschaftsverhältnis unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf den Schluß des Geschäftsjahres … kündigen.
(2) Kündigt ein Gesellschafter, so haben die anderen Gesellschafter das Recht, die Firma ohne Liquidation mit Aktiven und Passiven unter Fortführung der bisherigen Firma zu übernehmen.
…
Der Schwiegersohn des Klägers schied im Jahre 1973 aus der Gesellschaft aus. Der Kläger selbst kündigte das Gesellschaftsverhältnis fristgemäß zum 31. Dezember 1979. Der Beklagte übte daraufhin sein Übernahmerecht aus, nahm seine Ehefrau als Kommanditistin auf und wurde selbst persönlich haftender Gesellschafter. Die Kommanditgesellschaft, die den Betrieb unter der bisherigen Firma weiterführt, ist die Beklagte zu 2). Sie benutzt weiterhin die Betriebsgrundstücke und den Bootssteg. Dafür schreibt sie dem Kläger auf einem für ihn geführten „Schuldkonto” monatlich 2.500 DM „Pacht” gut. Der Kläger verlangt Herausgabe von Grundstücken und Bootssteg. Die Beklagten halten dagegen den Kläger für verpflichtet, der Gesellschaft die Grundstücke und den Bootssteg weiterhin als Existenzgrundlage zu belassen. Hilfsweise berufen sie sich auf ein Zurückbehaltungsrecht, bis der Kläger gemäß § 739 BGB sein – angeblich negatives – Kapitalkonto ausgleiche.
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt, die Grundstücke Brunnenstraße 8 und 10 in D sowie den – auf staatlichem Pachtgrund befindlichen – Bootssteg zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgen sie ihren Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht nimmt – insoweit von der Revision unbeanstandet – an, der Kläger habe der Gesellschaft die Grundstücke und den Bootssteg nicht etwa miet- oder pachtweise, sondern in Erfüllung einer gesellschaftsvertraglichen Beitragsverpflichtung zur Benutzung überlassen. Daraus folgert es, er habe diese Gegenstände, wenn nicht sofort, so jedenfalls bei Erlaß des Berufungsurteils zurückverlangen können. Die dagegen erhobenen Revisionsangriffe sind unbegründet.
1. Wie sich aus § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 732 Satz 1 BGB ergibt, entsteht der Anspruch des ausscheidenden Gesellschafters auf Herausgabe der der Gesellschaft zur Nutzung überlassenen Gegenstände im Zeitpunkt des Ausscheidens (Ulmer, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, § 738 Rn. 51). Dafür, daß im vorliegenden Falle gesellschaftsvertraglich etwas anderes gelten sollte, gibt es keinen ausreichenden Anhaltspunkt. Allerdings sollte der Kläger nach § 18 des Gesellschaftsvertrages durch Erbvertrag die Erhaltung und Fortführung des Betriebes über seinen Tod hinaus sicherstellen. Aus dieser Bestimmung und dem weiteren Umstande, daß die Beteiligten mit dem Ausscheiden des Klägers zu dessen Lebzeiten nicht ernsthaft gerechnet haben, kann jedoch entgegen der Ansicht der Revision nicht gefolgert werden, sie würden für diesen Fall, hätten sie ihn bedacht und geregelt, der Gesellschaft das Recht eingeräumt haben, die Grundstücke und den Bootssteg weiterzubenutzen. Abgesehen davon, daß jene Bestimmung nichtig und ein Erbvertrag auch tatsächlich nicht abgeschlossen worden ist, kommt eine dahingehende Vertragsauslegung nicht in Betracht, weil sie den Beklagten einseitig begünstigen und das naheliegende Interesse des Klägers, bei vorzeitigem Ausscheiden aus der Gesellschaft über so wesentliche Vermögensgegenstände zeitlebens frei zu verfügen, unvertretbar vernachlässigen würde.
Es kann ferner Fälle geben, in denen ein ausgeschiedener Gesellschafter mit Rücksicht auf die nachvertragliche Treupflicht gehalten sein kann, der Gesellschaft dringend von dieser benötigte Gegenstände noch eine gewisse Zeit lang zu belassen. Hier kann das aber ebenfalls nicht bejaht werden. Seit der Kündigung des Klägers bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz war bereits ein Jahr vergangen, das die Beklagten zur Verlagerung des Betriebes nicht genutzt haben. Ein Zeitpunkt, in dem das in Sicht wäre und bis zu dem dem Kläger vielleicht zuzumuten wäre zu warten, ist nicht vorgetragen worden.
2. Der ausgeschiedene Gesellschafter braucht auch mit der Durchsetzung seines Herausgabeanspruchs im allgemeinen nicht zu warten, bis die Auseinandersetzungsrechnung aufgemacht worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung können zwar die auf Geld gerichteten Ansprüche eines Gesellschafters nicht mehr einzeln geltend gemacht werden, weil sich in der Regel erst aus der noch aufzustellenden Auseinandersetzungsbilanz ersehen läßt, ob er insgesamt von der Gesellschaft noch etwas zu erhalten hat oder selbst etwas nachzahlen muß. Das beruht aber auf dem Gedanken, daß es mit Treu und Glauben nicht im Einklang steht, vorab Auszahlungen zu verlangen, die später möglicherweise wieder zurückgewährt werden müssen (vgl. zuletzt Urt. v. 9. März 1981 – II ZR 70/80 = WM 1981, 487 m.w.N.). Diese Gesichtspunkte spielen bei Vermögensgegenständen, die nach §§ 738, 732 BGB dem Gesellschafter zurückzugeben sind, keine Rolle (so schon RG JW 1937, 3155, 3156 oben und JW 1938, 45715).
3. Allerdings kann die Gesellschaft nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen an den herausverlangten Gegenständen ein Zurückbehaltungsrecht haben, wenn ihr der ausscheidende Gesellschafter nach § 739 BGB Ausgleichung schuldet. Das machen die Beklagten auch geltend. Sie haben sich dazu auf einen von einem Steuerbevollmächtigten aufgestellten und vom Kläger nach seiner Kündigungserklärung noch unterschriebenen Jahresabschluß zum 31. Dezember 1977 berufen, in dem die Konten des Klägers mit zusammen – 122.752,96 DM und die des Beklagten zu 1) mit + 40.886,15 DM ausgewiesen waren; außerdem haben sie behauptet, die zum Jahresende 1978 aufgestellte Bilanz ergebe ein negatives Kapitalkonto des Klägers von rund 163.000 DM. Das Berufungsgericht brauchte jedoch diesen Behauptungen und den im Zusammenhang damit gestellten Beweisanträgen nicht nachzugehen. Ein Zurückbehaltungsrecht der Gesellschaft kann sich grundsätzlich nur aus der festgestellten Abschichtungsbilanz oder aus einem Überblick über die Abrechnungsgrundlagen ergeben, aus dem bereits mit Sicherheit hergeleitet werden kann, daß die Gesellschaft ohne Rücksicht auf noch ungeklärte Teilposten im Endergebnis von dem Gesellschafter Ausgleich in einer bestimmten Mindesthöhe verlangen kann. Wegen der Schwierigkeiten bei der Aufstellung von Auseinandersetzungsbilanzen und der dabei häufig auftretenden Bewertungsfragen wird sich darüber hinaus die Ansicht vertreten lassen, daß der ausscheidende Gesellschafter bei Abwägung seiner Interessen und der der Gesellschaft auch dann schon ein Zurückbehaltungsrecht der Gesellschaft hinnehmen muß, wenn es Anhaltspunkte gibt, die mit großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, daß der Gesellschafter im Endergebnis etwas nachzuzahlen hat. Dafür hätte im vorliegenden Falle die schon erwähnte Bilanz zum 31. Dezember 1977 sprechen können, da sie der Kläger selbst unterzeichnet hat und jedenfalls zunächst nichts dafür ersichtlich war, daß sich die Kontenstände durch eine günstige Betriebsentwicklung oder auf andere Weise bis zu seinem Ausscheiden grundlegend zu seinen Gunsten geändert haben könnten. Inzwischen hat aber der Kläger die Richtigkeit des Jahresabschlusses 1977 durch einen substantiierten Vortrag in Frage gestellt und unter Beweisantritt behauptet, durch eine Betriebsprüfung des Finanzamtes habe sich herausgestellt, daß der Beklagte zu 1) in erheblichem Umfange für sich privat Geschäfte ausgeführt habe, die für die Gesellschaft hätten abgeschlossen und in deren Büchern hätten verbucht werden müssen. Außerdem ist dem Kläger für die Zeit nach seinem Ausscheiden, da die verklagte Gesellschaft Grundstücke und Bootssteg nicht nur zurückgehalten, sondern, soweit dem Parteivortrag zu entnehmen ist, auch für Betriebszwecke genutzt hat, eine angemessene Nutzungsentschädigung gutzubringen, so daß sich auch deshalb der Kontostand zu seinen Gunsten verändert haben wird. Es kann daher schon fraglich sein, ob die Bilanz zum 31. Dezember 1977 überhaupt noch eine Wahrscheinlichkeitsvermutung für eine Ausgleichsverpflichtung des Klägers zu begründen vermag. Jedenfalls läßt sich ein Zurückbehaltungsrecht, das auf einer nur vorläufigen, nicht abschließend geklärten Berechnungsgrundlage beruht, nur für eine vorübergehende Zeit rechtfertigen, die notwendig ist, um endgültig Klarheit zu schaffen, ob der ausgeschiedene Gesellschafter tatsächlich etwas auszugleichen hat. Das bedeutet, daß von seiten der Gesellschaft, die sich auf einen Ausgleichsanspruch beruft, unverzüglich alles Erforderliche getan werden muß, um die Abschichtungsbilanz zu erstellen und damit dem Zurückbehaltungsrecht eine gesicherte Grundlage zu geben. Die Beklagten hätten daher nach dem Ausscheiden des Klägers im Rahmen ihrer Möglichkeiten alsbald den Entwurf einer Bilanz erstellen, dem Kläger zur Genehmigung vorlegen und, wenn keine Einigung zustandekam, das Verfahren gemäß § 19 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages in Gang bringen müssen, wonach für diesen Fall eine Feststellung durch Sachverständige als „Schiedsrichter” herbeizuführen war. Das ist (trotz eines Hinweises des Klägers in der Berufungserwiderung) nicht geschehen. Die Beklagten können nicht einwenden, dies sei dem Kläger zuzurechnen, weil dieser vergeblich zur Auskunft und zur Herausgabe von Belegen für seine angeblichen Schwarzverkäufe aufgefordert worden sei; denn das konnte sie nicht hindern, auf Grund ihrer Erkenntnisse, die sie im übrigen auch im Prozeß mindestens teilweise vorgetragen haben, einen Bilanzentwurf aufzustellen und gegebenenfalls das Gutachterverfahren einzuleiten. Ein Zurückbehaltungsrecht kann daher zu ihren Gunsten nicht anerkannt werden; dem Gesichtspunkt, der ein solches hätte rechtfertigen können: daß nämlich der Gesellschaft vor Herausgabe genutzter Gegenstände nach Treu und Glauben zunächst Gelegenheit zu geben sei, einen immerhin wahrscheinlichen Ausgleichsanspruch endgültig zu belegen, ist die Grundlage entzogen, wenn sich die Gesellschaft oder die verbleibenden Gesellschafter nicht unverzüglich nach dem Ausscheiden des Mitgesellschafters nach Kräften um die Abschichtungsbilanz bemühen.
4. Danach haben die Vorinstanzen der Klage im Ergebnis mit Recht stattgegeben.
Fundstellen