Entscheidungsstichwort (Thema)
Herausgabepflicht eines Vorerben an den Nacherben
Leitsatz (amtlich)
Verlangt der Nacherbe von dem befreiten Vorerben (oder dessen Erben) nach Eintritt des Nacherbfalles Herausgabe von Gegenständen, die nicht von Anfang an zum Nachlaß des Erblassers gehört haben, dann trägt der Nacherbe die Darlegungs- und die Beweislast für die während der Dauer der Vorerbschaft eingetretenen Surrogationsvorgänge. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über den Erbschaftsanspruch kommt insoweit nicht in Betracht.
Normenkette
BGB § 2138 Abs. 1, §§ 2018, 2130, 2134, 2111, 260 Abs. 2
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 22. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 15. Februar 1982 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Der am 16. August 1968 verstorbene Kaufmann Karl Reinhold Zo. (Erblasser) wurde aufgrund Testaments vom 31. Juli 1951 zunächst von seiner Ehefrau als befreiter Vorerbin und nach deren Ableben am 14. September 1979 vom Kläger und weiteren Miterben beerbt. Die Beklagte ist die Tochter der Vorerbin und ihre testamentarische Alleinerbin; insoweit besteht Testamentsvollstreckung.
Der Nachlaß des Erblassers bestand zur Zeit des Nacherbfalles in der Hauptsache aus einem ideellen Hälfteanteil an dem Grundstück B., K. straße ..., und in der Kaufpreisforderung für das Grundstück Re. straße ..., B., das die Vorerbin noch zu Lebzeiten verkauft hatte. Die Nacherben sind in den Genuß des Kaufpreises und des Hälfteanteiles gelangt.
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Zahlung weiterer 44.528,06 DM nebst Zinsen (hilfsweise Herausgabe dieses Betrages) an die ungeteilte Nacherbengemeinschaft. Zum Nachlaß des Erblassers habe beim Erbfall dessen Anteil an einer Papiergroßhandlung, der Geschäftsanteil an einer Volksbank sowie ein Girokonto und ein Sparkonto bei der Volksbank, ein Steuerguthaben, Bargeld und Hausrat (Wert 1.000,- DM) gehört, wie die Vorerbin es in ihrer Erbschaftssteuererklärung vom 15. Januar 1969 angegeben hat. Außerdem habe die Vorerbin 1973 Hauptentschädigung für ein Grundstück des Erblassers in F. erhalten. Insgesamt handele es sich um Werte in Höhe von 44.528,06 DM. Die Vorerbin habe beim Ableben des Erblassers kein eigenes Vermögen und keine eigenen Einkünfte gehabt. Aus den Erträgnissen der Vorerbschaft habe sie aber ein beträchtliches Vermögen angespart. Hierzu hat der Kläger auf je ein Sparkonto der Vorerbin bei der Sparkasse und bei der Post verwiesen, die bei ihrem Tode Guthaben in Höhe von insgesamt über 92.000,- DM aufgewiesen hätten.
Die Beklagte wendet ein, beim Tode ihrer Mutter seien außer den bereits herausgegebenen keine weiteren Vermögensgegenstände in der Vorerbmasse gewesen. Über die Veränderungen des Nachlasses des Erblassers während der Dauer der Vorerbschaft wisse sie nichts. Die Vorerbin habe verschiedene Nachlaßschulden erfüllen müssen.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage für unbegründet gehalten. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
1.
Das Berufungsgericht hält die Klage, soweit der Kläger mit ihr eine Zahlung von 1.000,- DM für den Hausrat verlangt, schon deshalb für unbegründet, weil die Beklagte den Hausrat nach dem eigenen Vorbringen des Klägers an sich genommen habe und weil der Kläger deshalb gemäß §§ 2130, 2138 Abs. 1 BGB lediglich Herausgabe verlangen könne.
Diese Auffassung des Berufungsgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Mit dem Eintritt der Nacherbfolge fällt die Erbschaft den Nacherben an (§ 2139 BGB). Der Vorerbe oder - wie hier - dessen Erbe (§ 1967 BGB) ist verpflichtet, die Erbschaft gemäß § 2130 BGB, bei der befreiten Vorerbschaft nach Maßgabe des § 2138 Abs. 1 BGB, an die Nacherben herauszugeben. Da die Vorerbin hier nicht gesetzliche, sondern testamentarische Erbin des Erblassers war, gilt dies auch für den Hausrat, wenn man davon ausgeht, daß § 1932 BGB in diesem Falle nicht eingreift (BGHZ 73, 29). Die von der Revision hierzu neu aufgestellte Behauptung, die Beklagte habe sich die Herausgabe unmöglich gemacht, sie sei deshalb schadensersatzpflichtig geworden, ist im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigen (§ 561 ZPO). Neben dem Herausgabeanspruch ist für einen Zahlungsanspruch der Nacherben insoweit kein Raum.
2.
Wegen der übrigen Gegenstände aus dem Nachlaß des Erblassers hält das Berufungsgericht einen Anspruch auf Wertersatz gemäß § 2134 BGB zutreffend für ausgeschlossen.
Der (völlig) befreite Vorerbe (§§ 2136 f. BGB) darf Nachlaßgegenstände für sich verwenden (z.B. BGH, Urteil vom 16.3.1977 - IV ZR 182/75 - LM BGB § 2113 Nr. 15); einen Anspruch auf Wert- oder auf Schadensersatz erlangen die Nacherben dadurch nicht.
Soweit der Kläger sich auf § 2111 BGB stütze, so führt das Berufungsgericht weiter aus, habe er es an jeder Substantiierung fehlen lassen. Da die Vorerbin die Erbschaft habe verbrauchen dürfen, sei auch nicht zu vermuten, daß die vom Kläger angeführten Vermögenswerte in irgendeiner Form noch vorhanden seien. Woher die beiden Sparguthaben stammen, auf die der Kläger sich stütze, sei offen. Für die bestrittene Behauptung, die Vorerbin sei beim Tode des Erblassers ohne eigenes freies Vermögen und Einkommen gewesen, habe der Kläger keinen Beweis angetreten. Auch für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 2138 Abs. 2 BGB sei nicht genügend vorgetragen.
Auch insoweit ist die Auffassung des Berufungsgerichts rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach dem Vortrag der Parteien kommen für einen Herausgabeanspruch des Klägers gemäß §§ 2138 Abs. 1 Satz 1, 2039 BGB hier lediglich die beiden Sparguthaben der Vorerbin in Betracht. Ob und inwieweit diese Guthaben zum eigenen Nachlaß der Vorerbin oder aber zum Nachlaß des Erblassers und damit zur Nacherbschaft gehören, beurteilt sich nach ihrer Herkunft. Da die Guthaben nicht schon beim Tode des Erblassers zu dessen Vermögen gehört hatten, können sie nur im Wege der dinglichen Surrogation gemäß § 2111 BGB - ganz oder teilweise - Bestandteil seines Nachlasses geworden sein.
Ob das der Fall ist, muß der Nacherbe nach allgemeinen Grundsätzen im einzelnen darlegen; er trägt auch die Beweislast für die die Surrogation - und gleichzeitig die Klage - begründenden Umstände.
Der Senat verkennt nicht, daß Darlegung und Beweis der genannten Umstände den Nacherben in derartigen Fällen vielfach vor eine schwierige Aufgabe stellen werden. Das Bestandsverzeichnis, das der Vorerbe (oder sein Erbe oder auch ein Testamentsvollstrecker) dem Nacherben gemäß §§ 260, 2138 BGB vorzulegen und das er gegebenenfalls mit der eidesstattlichen Versicherung zu bekräftigen hat, kann dem Nacherben insoweit helfen. Dabei ist besonders darauf zu achten, daß der Verpflichtete sich nicht ohne weiteres auf die Erklärung beschränken darf, er sei über die Entwicklung des Nachlasses und dessen derzeitigen Umfang nicht unterrichtet. Vielmehr ist das Bestandsverzeichnis, wie § 260 Abs. 2 BGB zeigt, mit der erforderlichen Sorgfalt, d.h. also unter Heranziehung aller zugänglichen Erkenntnisquellen so aufzustellen, daß es den Bedürfnissen des Nacherben genügen kann. Ein früher erstelltes Verzeichnis gemäß § 2121 BGB und Feststellungen gemäß § 2122 BGB (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 4.12.1980 - IVa ZR 46/80 - LM BGB § 2314 Nr. 11) dienen dem gleichen Zweck; allerdings machen Nacherben von diesen gesetzlichen Möglichkeiten vielfach keinen Gebrauch. Dagegen kann der Nacherbe Rechenschaft gemäß §§ 2130 Abs. 2, 2136 BGB und Auskunft gemäß §§ 2127, 2136 BGB bei befreiter Vorerbschaft nicht verlangen.
Sollte es dem Nacherben trotz der Hilfen, die ihm das Gesetz bei der befreiten Vorerbschaft bietet, insbesondere nach einer langandauernden Vorerbschaft nicht gelingen, die einzelnen Surrogationsvorgänge lückenlos aufzudecken, dann wird der Tatrichter im allgemeinen weiter zu prüfen haben, ob er sich von der Surrogation nicht auf andere Weise überzeugen kann. Das mag gelingen können, wenn der befreite Vorerbe zu Beginn der Vorerbschaft kein nennenswertes freies Vermögen und während der Vorerbschaft auch keine freien eigenen Einkünfte hatte, gleichwohl aber beim Nacherbfall über erhebliche Sparguthaben verfügt. Dabei wird aber nicht übersehen werden dürfen, daß die Nutzungen der Vorerbschaft gemäß § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich dem Vorerben (z.B. BGHZ 81, 8, 12; 78, 177, 188), und zwar auch dem befreiten Vorerben gebühren und ihm als freies Vermögen zufließen. Hätte die Vorerbin daher, wie der Kläger selbst behauptet hat, aus den Erträgnissen der Vorerbschaft ein "beträchtliches Vermögen ansparen" können, dann muß der Nacherbe, wenn er einen Teil des vorhandenen Vermögens für sich beansprucht, auch ausräumen, daß dieses Vermögen nicht vollständig aus den freien Einkünften des Vorerben stammt. Auch insoweit hat der Kläger nichts Ausreichendes zugunsten der Nacherben darlegen können.
Bei diesem Ergebnis ist nicht zu übersehen, daß die Stellung des Nacherben gegenüber einem (böswilligen) Erben des befreiten Vorerben, der vorgibt, über die Entwicklung und den Bestand der Vorerbschaftsmasse nicht unterrichtet zu sein, außerordentlich schwach sein kann. Das ist jedoch in der testamentarischen Anordnung des Erblassers begründet; er hat den Vorerben von seinen gesetzlichen Bindungen weitestgehend befreit, so daß der Nacherbe mit dem ihm zugedachten "Überrest" vorliebnehmen muß. Aus diesem Grunde erscheint es auch nicht gerechtfertigt, die Stellung des Nacherben mit Hilfe einer Analogie zu den Vorschriften über den Erbschaftsanspruch (§§ 2018 ff. BGB) in einer Weise zu verstärken, die dem Kläger zum Erfolg verhelfen könnte. Im Schrifttum (Planck/Flad, BGB 4. Aufl. § 2130 Anm. 4 c; Strohal, Das deutsche Erbrecht, 3. Aufl. Bd. II S. 382 f.; Binder, Die Rechtsstellung des Erben Bd. III S. 394 f.) wird zwischen die Auffassung vertreten, der Herausgabeanspruch des Nacherben gegen den Vorerben und der Erbschaftsanspruch seien einander so ähnlich, daß die Regeln über den Erbschaftsanspruch auf den Anspruch gemäß §§ 2130, 2138 BGB ergänzend angewendet werden könnten. Dem vermag sich der Senat aber für die hier zu entscheidende Frage nach der Darlegungs- und Beweislast des Nacherben für Surrogationsvorgänge während der Dauer der Vorerbschaft nicht anzuschließen. Trotz aller Ähnlichkeiten beider Ansprüche ist nicht zu verkennen, daß der befreite Vorerbe sich anders als der Erbschaftsbesitzer kein Erbrecht zu Unrecht anmaßt, sondern daß er - während der Dauer der Vorerbschaft - der rechtmäßige und kraft Erblasserwillens sogar sehr frei gestellte Eigentümer des Nachlasses ist. Ihm (oder seinen Erben) trotzdem die Darlegungs- und Beweislast dafür aufzuerlegen, daß die ursprünglichen Nachlaßwerte beim Nacherbfall nicht mehr vorhanden und vollständig verbraucht waren, geht nicht an. Eine derartige Analogie liefe darauf hinaus, ihn mit der gerade erlassenen Rechenschaftspflicht (§§ 2130 Abs. 1, 2136 BGB) entgegen dem Erblasserwillen in anderer Gestalt wieder zu belasten.
Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 2138 Abs. 2 BGB ist ebenfalls nicht begründet. Einen Verstoß gegen § 2113 Abs. 2 Satz 1 BGB oder eine in Benachteiligungsabsicht vorgenommene Verminderung der Erbschaft durch die Vorerbin hat der Kläger nicht dargelegt.
Auch einen sonstigen Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers enthält das angefochtene Urteil nicht. Die Verfahrensrügen der Revision zu §§ 286, 448 ZPO sind unbegründet (§§ 565 a ZPO).
Unterschriften
Dr. Hoegen
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Rassow
Dr. Zopfs
Fundstellen
Haufe-Index 1456562 |
NJW 1983, 2874 |