Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 28.08.2003) |
Tenor
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. August 2003 wird verworfen.
Der Staatskasse fallen die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zur Last.
2. Die sofortige
Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung des
angefochtenen Urteils wird kostenpflichtig verworfen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung (Fall II 3 der Urteilsgründe) unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 16 EUR verurteilt. Es hat ihn weiter wegen schwerer räuberischer Erpressung (Fall II 5 der Urteilsgründe), wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in zwei Fällen (Fälle II 6 und II 7 k-z der Urteilsgründe), wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II 7 m der Urteilsgründe), sowie wegen Bedrohung (Fall II 8 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt.
Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechtes. Sie beanstandet mit dem wirksam beschränkten Rechtsmittel, daß der Angeklagte wegen der Taten am 29.9.2002 zum Nachteil der Zeugen K. und N. nur wegen gefährlicher bzw. einfacher Körperverletzung (Fälle II 7 m und II 7 k-z der Urteilsgründe) statt jeweils wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
1. Zu den angefochtenen Schuldsprüchen hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte klingelte am 29.9.2002 an der Wohnungstür der Nebenklägerin (im folgenden N.) seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau. N., die Besuch von dem Zeugen K. (im folgenden K.) hatte, öffnete die Türe nicht. Der Angeklagte drohte „ich werde euch nicht am Leben lassen, ihr Hurenkinder.” Er drückte gewaltsam die Tür auf und stürmte an N. vorbei zum Kinderzimmer, wo er auf K. traf. Er versetzte ihm zwei Faustschläge, worauf dieser die Flucht ergriff. Der Angeklagte holte in der Küche ein großes und spitzes Küchenmesser und bedrohte damit N., die daraufhin um Hilfe rief. K. kehrte deshalb zurück. Sofort wandte sich der Angeklagte erneut diesem zu und stach dreimal von vorne auf dessen „Herzregion”, wobei er sinngemäß äußerte, er werde „sie beide umbringen”. Der Angeklagte traf K. dreimal auf der rechten Körperseite im Übergangsbereich vom Brust- zum Bauchraum. Die Verletzungen des K. waren nicht lebensgefährlich. Als der Angeklagte sah, daß er den blutenden K. im Bauchbereich verletzt hatte, wandte er sich von ihm ab und wieder der N. zu, da er befürchtete, diese könne ihm zwischenzeitlich entfliehen. Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer insoweit festgestellt, daß er zu diesem Zeitpunkt nicht davon ausging, K. bereits tödliche Verletzungen zugefügt zu haben und er davon absah, weiter auf K. einzustechen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre und er dies auch erkannt hatte. K. floh erneut. Zwischenzeitlich hatte N. die Wohnung der Nachbarn erreicht, doch konnte der Angeklagte mit einem Fuß das Schließen der Tür verhindern. Er schlug durch den Türspalt mit dem Messer nach N., die sich gegen die Tür stemmte, traf sie jedoch nicht. Der Angeklagte beabsichtigte die N. durch die ungezielt geführten Schläge mit dem Messer von der Tür zu vertreiben, um so in die Wohnung einzudringen und sie herausholen zu können. Daß er die N. auf diese Weise verletzen konnte, nahm er billigend in Kauf. Daß er selbst eine Tötung der N. für möglich hielt und in Kauf genommen hätte, konnte nicht festgestellt werden. Nach mehreren vergeblichen Schlägen ließ der Angeklagte das Messer zu Boden fallen und griff mit der Hand durch den Türspalt. Dabei bekam er die Haare der N. zu fassen und versuchte, sie aus der Wohnung zu zerren. N. riß sich unter Schmerzen los und floh in das Innere der Wohnung. Den Nachbarn gelang es dann die Tür zuzudrücken. Der Angeklagte hob das Messer auf und legte es in der Küche der N. ab. Als der Angeklagte das Haus verließ, sah er dort K. stehen. Er schrie ihn wütend an: „Lebst du noch?” K. lief davon. Der Angeklagte folgte ihm, um ihn weiter zu schlagen und zu verletzen, konnte ihn aber nicht einholen. Zugunsten des Angeklagten ist die Kammer davon ausgegangen, daß er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr damit rechnete, K. töten zu können und dies auch nicht mehr wollte.
2. a) Das Landgericht hat die drei Messerstiche gegen K. als eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) gewertet. Hinsichtlich eines Tötungsdeliktes ist es von einem strafbefreienden Rücktritt ausgegangen. Es habe ein unbeendeter Versuch vorgelegen, von dem der Angeklagte freiwillig zurückgetreten sei. Seine sinngemäße Äußerung „Lebst du noch?” (UA S. 61) sei nicht als Ausdruck des Erstaunens zu werten, sondern habe einen rein drohenden Charakter gehabt. K. habe diese Bemerkung deshalb auch nicht als Frage sondern als Drohung aufgefaßt.
b) Soweit der Angeklagte mit dem Messer nach der N. schlug, hat das Landgericht keinen Tötungsvorsatz feststellen können und ist von einer versuchten gefährlichen Körperverletzung ausgegangen. Von dieser sei der Angeklagte freiwillig zurückgetreten. Der Versuch sei nicht fehlgeschlagen, da er durchaus hätte weitermachen können. Der Angeklagte habe seine Absicht, die N. mit dem Messer zu verletzen freiwillig und endgültig aufgegeben. Durch das Reißen an den Haaren habe er sich allerdings einer (einfachen) Körperverletzung schuldig gemacht, zu der in Tateinheit die Bedrohung mit dem Messer träte.
Weitere Delikte zu Lasten des K. hätten wegen Verfolgungsbeschränkung außer Betracht zu bleiben.
III.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den jeweiligen Schuldspruch.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des K. ist rechtlich nicht zu bestanden.
- Die Feststellungen wurden ohne Rechtsfehler getroffen. Insbesondere hat der Tatrichter nachvollziehbar dargelegt, daß die sinngemäße Äußerung des Angeklagten „Lebst du noch?” nicht als erstaunte Frage, sondern als erneute Drohung zu verstehen war und von dem Zeugen K. auch so aufgefaßt wurde.
- Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei vom Versuch eines Tötungsdeliktes freiwillig zurückgetreten, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß es sich um einen unbeendeten Versuch handelte. Nach den zugunsten des Angeklagten getroffenen Feststellungen hielt dieser nach Ausführung seiner letzten Tathandlung das Opfer nicht für tödlich verletzt. Selbst wenn er nach seiner letzten Ausführungshandlung zunächst den Eintritt des angestrebten Erfolgs für möglich gehalten, aber unmittelbar darauf diesen Irrtum erkannt hätte, so erlangt die an der wahrgenommenen Wirklichkeit korrigierte Vorstellung für den „Rücktrittshorizont” maßgebliche Bedeutung mit der Folge, daß der Angeklagte, dessen Handlungsmöglichkeiten unverändert fortbestanden, durch Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung zurücktreten konnte (vgl. u.a. BGHSt 36, 224 ff.).
Der Angeklagte hatte zwar gesehen, daß er K. getroffen hatte. Die Stiche waren jedoch nicht lebensgefährlich. K. konnte fliehen und zeigte keine Anzeichen einer möglicherweise tödlichen Verletzung. Der Tatrichter durfte daher einen unbeendeten Versuch annehmen (vgl. auch BGH, Beschluß vom 21. März 2001 – 3 StR 535/00). Von diesem ist der Angeklagte freiwillig zurückgetreten, weil er nicht weiter auf den K. eingestochen hat, obwohl er dies konnte.
Die Freiwilligkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren Angriffen auf den Zeugen absah, sondern nur weil er die N. nicht entkommen lassen wollte. Das Abstandnehmen erweist sich hier als das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, bei der der Angeklagte Herr seiner Entschlüsse blieb (vgl. hierzu BGHSt 35, 184 ff.).
2. Die Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung (in Tateinheit mit Bedrohung) zum Nachteil der N. läßt ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen.
- Die Beweiswürdigung des Tatrichters ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Schlußfolgerungen (UA S. 152, 153), daß der Angeklagte bei seiner Tathandlung – trotz verschiedener Äußerungen – jedenfalls keinen Tötungsvorsatz hatte, sind vertretbar und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. Dies gilt weiter auch für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit dem Fallenlassen des Messers seinen Vorsatz zur Verletzung der N. mit diesem Messer endgültig aufgegeben.
- Die rechtliche Würdigung, daß der Angeklagte freiwillig vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung zurückgetreten sei, weist keinen Rechtsfehler auf. Der Tatrichter hat einen fehlgeschlagenen Versuch erörtert und mit der nachvollziehbaren Begründung abgelehnt, daß der Angeklagte durchaus weiter hätte versuchen können, die N. mit dem Messer zu verletzen.
Zutreffend hat das Landgericht in dem Reißen an den Haaren eine vollendete (einfache) Körperverletzung gesehen, die mit der vorausgehenden Bedrohung mit dem Messer in Tateinheit steht.
IV. Bei Erfolglosigkeit der zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft hat die Nebenklägerin die ihr im Revisionsverfahren erwachsenen Auslagen selbst zu tragen (vgl. KK-Franke StPO 5. Aufl. § 473 Rdn. 11; Hilger in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 473 Rdn. 90).
V. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils war kostenpflichtig zu verwerfen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO), da diese dem Gesetz entspricht (§§ 465 Abs. 1 Satz 1, 472 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Bode, Otten, Rothfuß, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 2557696 |
NStZ 2005, 150 |
JA 2005, 410 |
NStZ-RR 2006, 67 |
RÜ 2005, 41 |