Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzpflicht bzw. Haftung des Geschäftsführers wegen Nichtabführens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und Steuern im Stadium der Insolvenzreife einer GmbH
Leitsatz (amtlich)
Das Nichtabführen von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung im Stadium der Insolvenzreife einer GmbH führte auch nach der früheren Ansicht des Senats (BGHZ 146, 264, aufgegeben durch BGH, Urt. v. 14.5.2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265) zu einem Schadensersatzanspruch der Einzugsstelle gegen den Geschäftsführer, wenn dieser an andere Gesellschaftsgläubiger trotz der Insolvenzreife Zahlungen geleistet hat, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren; in einem solchen Fall konnte sich der Geschäftsführer nicht auf eine Pflichtenkollision berufen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Geschäftsführer macht sich nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB schadensersatzpflichtig bzw. nach §§ 69, 34 AO haftbar, wenn er nach Ablauf der längstens dreiwöchigen Frist zur Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung nach § 64 Abs. 1 GmbHG seine Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung bzw. von Lohn- oder Umsatzsteuer nicht erfüllt, und er handelt umgekehrt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters und ist daher gemäß § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG nicht ersatzpflichtig, wenn er seiner Abführungspflicht nachkommt. Diese Rechtsprechung stimmt überein mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der annimmt, dass die Pflicht zur Abführung der Steuern und die bei Nichterfüllung dieser Pflicht aus §§ 69, 34 AO folgende persönliche Haftung des Geschäftsführers grundsätzlich auch im Stadium der Insolvenzreife - jedenfalls nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist – besteht.
2. Der während der Insolvenzantragsfrist nach der strafrechtlichen Judikatur gegebene Rechtfertigungsgrund entfällt rückwirkend, wenn der Geschäftsführer die Frist verstreichen lässt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen. Dann ist er verpflichtet, die rückständigen Arbeitnehmeranteile bzw. Steuern nachzuzahlen und die künftigen Anteile bzw. Steuern zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen abzuführen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; StGB § 266a; AO §§ 69, 34; GmbHG § 64 Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Naumburg vom 9.5.2007 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Dessau vom 19.1.2007 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Beklagte war Geschäftsführer der B. mbH. Diese war seit April 2004 insolvenzreif. Nach Eintritt der Insolvenzreife beglich der Beklagte noch Schulden der Gesellschaft. Unter anderem zahlte er die Nettolöhne aus. Die für die Zeit vom 1.4. bis zum 31.7.2004 fälligen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung führte er nicht ab. Über das Vermögen der Gesellschaft wurde aufgrund Antrags vom 25.8.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin als die für den Betrieb des Beklagten zuständige Einzugsstelle für Sozialversicherungsbeiträge verlangt von dem Beklagten Ersatz der nicht abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung i.H.v. 6.904,66 EUR.
[2] Das LG hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
[3] Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
[4] I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe sich nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB schadensersatzpflichtig gemacht, indem er die fälligen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung trotz vorhandener Mittel nicht abgeführt habe. Es fehle zumindest an einem Verschulden i.S. dieser Vorschriften. Der Beklagte sei nämlich andererseits nach § 64 Abs. 2 GmbHG verpflichtet gewesen, nach Eintritt der Insolvenzreife keine Zahlungen mehr zu Lasten des Gesellschaftsvermögens zu leisten. In dieser Pflichtenkollision komme der Massesicherungspflicht aus § 64 Abs. 2 GmbHG der Vorrang zu.
[5] II. Diese Beurteilung entspricht schon nicht der älteren Rechtsprechung des Senats vor der Rechtsprechungsänderung durch die - nach Erlass des Berufungsurteils verkündete - Entscheidung vom 14.5.2007 (II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265). Erst recht ist sie nach der neuen Rechtsprechung unzutreffend.
[6] 1. Nach der Senatsrechtsprechung bis zu der Entscheidung vom 14.5.2007 konnte der Geschäftsführer einer GmbH nach § 64 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft bzw. dem Insolvenzverwalter zum Ersatz verpflichtet sein, wenn er im Stadium der Insolvenzreife Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung, Lohnsteuer oder Umsatzsteuer abführte. Kam er seiner Massesicherungspflicht jedoch nach, verletzte er damit seine Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile aus §§ 28d, 28e Abs. 1 SGB IV und §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB bzw. zur Zahlung der Lohn- oder Umsatzsteuer aus § 41a EStG, § 18 UStG i.V.m. §§ 69, 34 AO. Der Senat hatte u.a. aus Gründen der insolvenzrechtlichen Gleichbehandlung aller Gesellschaftsgläubiger erwogen, wegen dieser Pflichtenkollision seien das deliktische Verschulden des Geschäftsführers bzw. seine steuerrechtliche Haftung ausgeschlossen und der Geschäftsführer sei daher nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB der Einzugsstelle gegenüber schadensersatzpflichtig bzw. nach §§ 69, 34 AO dem Finanzamt gegenüber haftbar (BGHZ 146, 264, 274 f.; BGH, Urt. v. 18.4.2005 - II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1028 f.).
[7] Das galt indes nur dann, wenn der Geschäftsführer seine Massesicherungspflicht lückenlos erfüllte, also gar keine Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen leistete, mit Ausnahme solcher Zahlungen, die auch nach damaliger Betrachtungsweise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren. Erfüllte er dagegen über diesen Rahmen hinaus Forderungen von Gesellschaftsgläubigern, unterließ es aber, dann auch entsprechende Zahlungen an den Sozialversicherungsträger bzw. das Finanzamt zu erbringen, konnte er sich schon nach der alten Rechtsprechung des Senats nicht auf eine Pflichtenkollision berufen. Er musste bei seinen Zahlungen vielmehr zumindest den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger berücksichtigen (BGHZ 146, 264, 277).
[8] Nach diesen Grundsätzen ist der Beklagte - da auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (dazu s. unten III) - nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB zum Schadensersatz verpflichtet. Er hat die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht abgeführt, wohl aber an andere Gläubiger der Gesellschaft Zahlungen erbracht. Damit kann er sich nicht - ohne Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens - auf eine etwaige Pflichtenkollision im Verhältnis zu seiner Pflicht aus § 64 Abs. 2 GmbHG berufen.
[9] 2. Nach der neuen, mit der Entscheidung vom 14.5.2007 eingeleiteten Rechtsprechung des Senats, mit der er sich der Ansicht des 5. Strafsenats des BGH (BGHSt 48, 307; Beschl. v. 9.8.2005 - 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678) angeschlossen hat, haftet der Beklagte ebenso.
[10] Danach macht sich ein Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB schadensersatzpflichtig bzw. nach §§ 69, 34 AO haftbar, wenn er nach Ablauf der längstens dreiwöchigen Frist zur Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung nach § 64 Abs. 1 GmbHG seine Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung bzw. von Lohn- oder Umsatzsteuer nicht erfüllt, und er handelt umgekehrt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters und ist daher gem. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG nicht ersatzpflichtig, wenn er seiner Abführungspflicht nachkommt (BGH, Urt. v. 14.5.2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265; v. 2.6.2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Tz. 6). Diese Rechtsprechung steht in Übereinstimmung auch mit der Rechtsprechung des BFH, der annimmt, dass die Pflicht zur Abführung der Steuern und die bei Nichterfüllung dieser Pflicht aus §§ 69, 34 AO folgende persönliche Haftung des Geschäftsführers grundsätzlich auch im Stadium der Insolvenzreife - jedenfalls nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist - besteht (Urt. v. 27.2.2007 - VII R 67/05, ZIP 2007, 1604, Tz. 16 ff.; Beschl. v. 4.7.2007 - VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059). Der während der Insolvenzantragsfrist nach der strafrechtlichen Judikatur gegebene Rechtfertigungsgrund entfällt rückwirkend, wenn der Geschäftsführer die Frist - wie hier - verstreichen lässt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen. Dann ist er verpflichtet, die rückständigen Arbeitnehmeranteile bzw. Steuern nachzuzahlen und die künftigen Anteile bzw. Steuern zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen abzuführen.
[11] III. Der Senat kann aufgrund des festgestellten Sachverhalts nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache entscheiden, weil entgegenstehende Feststellungen nicht zu erwarten sind.
[12] In der Zeit vom 1.4. bis zum 31.7.2004 hatte die Gesellschaft unstreitig genügend liquide Mittel, um die fälligen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zu zahlen. Ob der Beklagte Alleingeschäftsführer war, braucht nicht aufgeklärt zu werden. Denn auch als Mitgeschäftsführer wäre er für die Erfüllung der Abführungspflicht verantwortlich gewesen (BGH, Urt. v. 2.6.2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Tz. 10).
[13] Der Beklagte handelte vorsätzlich. Denn es ist davon auszugehen, dass er mit Wissen und Wollen zumindest seine entsprechende Überwachungspflicht verletzt hat.
[14] Der Beklagte könnte sich auch nicht darauf berufen, dass bei einem rechtmäßigen Verhalten kein Schaden bei der Klägerin entstanden wäre, weil der Insolvenzverwalter eine Zahlung an die Klägerin nach §§ 129 ff. InsO angefochten hätte (vgl. BGH, Urt. v. 14.11.2000 - VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80, 82; v. 18.4.2005 - II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1029). Die Klägerin hat sich schon in der Klagebegründungsschrift darauf berufen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht erfüllt gewesen wären. Der Beklagte hat Gegenteiliges nicht geltend gemacht, und auch das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht festgestellt.
Fundstellen
Haufe-Index 2070797 |
BFH/NV 2009, 350 |
DB 2008, 2527 |
DStR 2009, 496 |