Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 31.01.2003) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 31. Januar 2003 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Von der Begehung zweier dem Angeklagten vorgeworfener Vergewaltigungen hat sich das Landgericht dagegen nicht überzeugen können; die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Am 4. August 2002 begab sich der Angeklagte in die Eschenstraße 4 in Dresden. Er traf dort im Hof auf mehrere Hausbewohner, die sich über die ebenfalls dort lebende Zeugin K – die spätere Geschädigte – unterhielten. Diese wurde von den Bewohnern des Hauses gemieden, da sie häufig betrunken war und in diesem Zustand Nachbarn beleidigte und verleumdete. Zudem soll sie vielfach die Polizei und Rettungsdienste grundlos alarmiert und einen der Mieter zu Unrecht einer Vergewaltigung bezichtigt haben. Mit dem Angeklagten verstand sich K jedoch „verhältnismäßig gut”. Als diese – wiederum bereits angetrunken – im Hof erschien, erklärte sich der Angeklagte bereit, auf einem Spaziergang über die Probleme mit den Nachbarn zu sprechen. Nachdem sie unterwegs Bier gekauft und getrunken hatten, begann es zu regnen. Beide suchten eine nahegelegene Garage auf und stellten sich dort unter. Plötzlich und ohne erkennbaren Anlaß schlug der Angeklagte K mehrfach mit der Hand ins Gesicht, wodurch die Zeugin Prellungen erlitt.
Von einer dem Angeklagten zudem vorgeworfenen Vergewaltigung in der Garage hat sich die Strafkammer indes nicht überzeugen können. Gleiches gilt im Hinblick auf eine weitere Vergewaltigung, zu der es nach den Angaben der Geschädigten kurze Zeit später – nach weiterem gemeinsamen Alkoholkonsum und Heimweg – im Treppenhaus des Hauses Eschenstraße 4 gekommen sein soll; die Strafkammer hat den Angeklagten insoweit freigesprochen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die die unterbliebene Verurteilung wegen der Vergewaltigungsvorwürfe rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg; eines Eingehens auf die zusätzlich erhobenen Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
1. Schon die Darstellung der dem Urteil zugrundeliegenden Beweiswürdigung begegnet erheblichen Bedenken. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen müssen in der Regel nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnet werden, die der Tatrichter für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung beginnend mit der Einlassung des Angeklagten dartut, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen (zusätzlichen) Feststellungen nicht treffen konnte (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2, 5, 8, 12). Dies gilt entsprechend, wenn der Tatrichter zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe nur einen Tatbestand erfüllt, weitere aus Sicht der Anklage tateinheitlich dazu stehende Delikte seien ihm hingegen aus tatsächlichen Gründen nicht nachzuweisen.
Auch die sehr knappe, über die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale kaum hinausgehende Wiedergabe der Vergewaltigungsvorwürfe ist problematisch. Vor allem aber fehlt es im Rahmen der dann folgenden Beweiswürdigung an einer hinreichend nachprüfbaren Darstellung der Einlassungen des Angeklagten einerseits und der Bekundungen der Geschädigten andererseits. Zwar genügt im allgemeinen eine geraffte Zusammenfassung der für die Beweiswürdigung wesentlichen Einzelheiten (BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 2 Einlassung 1; BGH NStZ-RR 1999, 272). Doch ist eine umfassende Darstellung der relevanten Aussagen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann geboten, wenn – wie hier – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt. Bei einer solchen Beweislage muß der Tatrichter erkennen lassen, daß er alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; BGHSt 44, 256, 257). Dies gilt auch dann, wenn das Gericht den Angeklagten nicht verurteilt, weil es sich von der Richtigkeit der belastenden Aussage eines Zeugen nicht überzeugen kann (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 174 m. w. N.).
Zum Geschehen in der Garage teilt die Strafkammer zur Einlassung des Angeklagten lediglich mit, daß die getroffenen Feststellungen „im wesentlichen auf dem Geständnis des Angeklagten” beruhen, „soweit ihm gefolgt werden konnte” und daß „die vom Angeklagten behauptete Erinnerungslücke” zu seiner „plötzlichen Verhaltensänderung” durch die Angaben der Geschädigten „zumindest soweit ihren Angaben gefolgt werden konnte” ausgefüllt werden konnten (UA S. 15). Im Rahmen der Strafzumessung (hinsichtlich des ausgeurteilten Körperverletzungsdelikts) wird dem Angeklagten dann aber zugute gehalten, daß er „von sich aus die Tat von Anfang an eingeräumt hat, ohne seine Handlung von sich aus beschönigend darzustellen”; seine fehlende „Detailerinnerung” beruhe auf einem Verdrängungsmechanismus. Ungeachtet der offenkundigen Ungereimtheiten dieser wenigen bruchstückhaften und widersprüchlichen Mitteilungen fehlt sowohl die gebotene Wiedergabe von Einzelheiten der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung als auch Angaben zu seinem Aussageverhalten in vorhergehenden Verfahrensabschnitten. Gleiches gilt letztlich auch für die Darstellung der Angaben der Geschädigten. Statt deren Bekundungen zum Tatvorwurf zusammenhängend zu schildern (vgl. dazu BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 1 Sachdarstellung 12) und dann zu würdigen, beschränkt sich das Landgericht auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben, die aus Sicht des Landgerichts mit weiteren Beweisergebnissen nicht in Einklang stehen. Eine sorgfältige Erörterung all dieser Umstände war auch deswegen geboten, weil die Strafkammer die Aussage der Geschädigten hinsichtlich der ihr zugefügten Körperverletzung für glaubhaft befunden und insoweit den eigenen Feststellungen zugrundelegt hat.
Dies trifft in gleicher Weise auf die Beweiswürdigung zu der dem Angeklagten vorgeworfenen weiteren Vergewaltigung im Treppenhaus zu (UA S. 26 – 28). Zudem läßt die hier – aber auch an anderen Stellen der Beweiswürdigung – verwendete Formulierung, die Einlassung des Angeklagten habe nicht „zwingend” widerlegt werden können, besorgen, daß die Strafkammer die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewißheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen läßt. Dabei haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 2, 22, 25).
2. Die Beweiswürdigung des Tatgerichts hält jedenfalls wegen Lückenhaftigkeit sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Sie läßt die gebotene Auseinandersetzung mit der wesentlichen Feststellung vermissen, daß bei der Untersuchung des Angeklagten kurz nach seiner Festnahme Kopfhaare der Geschädigten unter seiner Vorhaut gefunden worden waren (UA S. 19). Im Urteil wird dieses Indiz allein im Zusammenhang mit Gesichtspunkten erwähnt, die den Angeklagten aus Sicht des Landgerichts entlasten. So schließt es aus dem beschriebenen Fund, daß der Angeklagte sich nach der Trennung von der Geschädigten nicht gereinigt habe. Dies wie auch der Umstand, daß weder am Geschlechtsteil des Angeklagten noch bei der Geschädigten Spermien gefunden worden seien, lasse die dem Angeklagten vorgeworfenen Vergewaltigungen zweifelhaft erscheinen. Im übrigen begnügt sich das Tatgericht mit dem Hinweis, es habe nicht aufgeklärt werden können, wie die Haare dorthin gelangen konnten. Der jedenfalls sehr naheliegenden Erklärung, daß Ursache dafür ein – der Anklage zugrundegelegter – Oralverkehr gewesen war, geht die Strafkammer in keiner Weise nach. Eine Auseinandersetzung mit diesem den Angeklagten erheblich belastenden Indiz war aber unumgänglich, zumal angesichts der vorliegenden Beweislage ohnehin schon eine besonders sorgfältige Erörterung aller relevanten Beweistatsachen angezeigt war. Schließlich fehlt auch jedwede Darlegung, aus welchem Grund der Angeklagte gegen die Zeugin vorgegangen ist. Auch nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist kein einleuchtendes Motiv erkennbar, warum der Angeklagte die Zeugin „plötzlich” mehrfach ins Gesicht geschlagen haben soll. Dies gilt umso mehr, als die weiteren – aus Sicht der Strafkammer – gegen eine Vergewaltigung sprechenden Gesichtspunkte, wie fehlende Beschädigungen an der Rückseite der Bluse des Opfers und die (geringe) Größe der Kiste, auf der die Geschädigte bei der Tat gelegen haben soll, – wenn überhaupt – nur von geringer Indizwirkung sind.
3. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß bei der Berechnung der Blutalkoholkonzentration eines Angeklagten zu dessen Gunsten hinsichtlich des Nachtrunks von einem Resorptionsdefizit in Höhe von 30 % und nicht nur 20 % auszugehen ist (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 10).
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen