Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung wird grundsätzlich erst mit Rechtskraft eines dem Verletzten die Geldentschädigung zusprechenden Urteils vererblich; ein nicht rechtskräftiges, nur vorläufig vollstreckbares Urteil genügt nicht (Fortführungen BGH, Urt. v. 23.5.2017 - VI ZR 261/16, BGHZ 215, 117; v. 29.4.2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rz. 24).
Normenkette
BGB § 823 (Ah)
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des OLG Köln vom 29.5.2018 - 15 U 64/17 - wird zurückgewiesen, soweit sie die Beklagten zu 1) und 3) betrifft.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 3) im Revisionsverfahren. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, Ehefrau und Alleinerbin des während des Berufungsverfahrens verstorbenen vormaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl (im Folgenden: Erblasser), nimmt die Beklagten nach der Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel "VERMÄCHTNIS - DIE KOHL-PROTOKOLLE" aus ererbtem Recht auf Geldentschädigung in Anspruch.
Rz. 2
Der Erblasser und der Beklagte zu 1), Journalist und - wie der Erblasser - promovierter Historiker, beabsichtigten (spätestens) ab dem Jahr 1999, die Memoiren des Erblassers zu erstellen, die dann im D.-Verlag erscheinen sollten. Hierzu schlossen sie - jeder gesondert für sich - Verträge mit dem D.-Verlag, die jeweils im November 1999 unterzeichnet wurden. Wegen der Einzelheiten der Verträge wird auf den Tatbestand des heute im Verfahren VI ZR 248/18 verkündeten Senatsurteils verwiesen.
Rz. 3
Der Beklagte zu 1) sichtete in aufwendigen Recherchen Material, u.a. ihm vom Erblasser zugänglich gemachte Unterlagen, darunter die "Stasi-Akte" des Erblassers, als geheim eingestufte Akten des Bundeskanzleramts sowie Unterlagen aus den Archiven der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ab 1.10.1999, also beginnend noch vor Unterzeichnung der Verlagsverträge, führten der Beklagte zu 1) und der Erblasser umfangreiche Gespräche. In diesen Gesprächen, die im Wohnhaus des Erblassers stattfanden und mit dessen Einverständnis vom Beklagten zu 1) zu einem im Detail streitigen Umfang auf Tonband aufgenommen und anschließend von der Schwester des Beklagten zu 1) transkribiert wurden, sprach der Erblasser sehr ausführlich über sein gesamtes Leben, sowohl aus der Zeit vor der Übernahme höchster politischer Ämter als auch aus seiner Zeit als Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz und insb. aus den 16 Jahren, in denen er das Amt des Bundeskanzlers bekleidete. Dabei bediente er sich teilweise einer umgangssprachlichen und mitunter auch drastischen Ausdrucksweise, wohingegen er im Rahmen der veröffentlichten Memoirenbände Äußerungen in entsprechender Schärfe und Deutlichkeit bewusst vermied. Ab Anfang des Jahres 2000 war Gegenstand der auf Tonband aufgenommenen Gespräche auch die Abfassung eines fiktiven Tagebuchs des Erblassers mit dem Titel "Helmut Kohl - Mein Tagebuch 1998-2000" aus Anlass der sog. "Spendenaffäre", wozu der Erblasser und der Beklagte zu 1) - jeweils gesondert - mit dem D.-Verlag Ende Juli/Anfang August 2000 weitere Verlagsverträge schlossen, die den Verlagsverträgen vom November 1999 vergleichbare Regelungen enthielten. Auf der Grundlage der Zusammenarbeit des Erblassers und des Beklagten zu 1) wurden bis zum Jahr 2008 zunächst, nämlich im Jahr 2000, ein fiktives "Tagebuch" des Erblassers zur sog. "Spendenaffäre" und anschließend, nämlich in den Jahren 2004, 2005 und 2007, drei Memoirenbände, im Haupttitel jeweils als "Erinnerungen" bezeichnet, veröffentlicht.
Rz. 4
Im Februar 2008 musste der Erblasser die Arbeit an den Memoiren unfallbedingt unterbrechen. In der Folgezeit kam es zwischen ihm und dem Beklagten zu 1) zu einem Zerwürfnis. Im März 2009 kündigte der Erblasser die weitere Zusammenarbeit mit dem Beklagten zu 1) auf. Im September 2009 einigten sich der Beklagte zu 1) und der D.-Verlag auf die Aufhebung der zwischen ihnen geschlossenen Verträge unter Aufrechterhaltung der Rechteeinräumung für den Verlag und Verzicht des Beklagten zu 1) auf seine Benennung als Urheber. Im März 2014 gab der Beklagte zu 1) im Rahmen der Zwangsvollstreckung 200 Tonbänder an den Erblasser heraus, nachdem er zuvor zur Herausgabe sämtlicher Tonbandaufnahmen, auf denen die Stimme des Erblassers zu hören ist, verurteilt worden war.
Rz. 5
Am 7.10.2014 erschien im H.-Verlag, einer Verlagsmarke der Beklagten zu 3), ein vom Beklagten zu 1) zusammen mit dem Beklagten zu 2), ebenfalls Journalist, als Co-Autor verfasstes, in der Folgezeit auch als Hörbuch herausgegebenes Buch mit dem Titel "VERMÄCHTNIS - DIE KOHL-PROTOKOLLE". Zuvor, nämlich jeweils mit Schreiben vom 2.10.2014, hatte der Erblasser den Beklagten zu 1) darauf hingewiesen, dass die Nutzung der Tonbänder und Unterlagen rechtswidrig sei, und der Beklagten zu 3) mitgeteilt, dass er mit einer Veröffentlichung von Zitaten nicht einverstanden sei und die geplante Veröffentlichung eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte sowie ihm zustehender Urheberrechte darstelle. Das Buch enthält eine Vielzahl angeblicher Äußerungen des Erblassers, von denen die Beklagten geltend gemacht haben, dass sie sämtlich anlässlich der zur Erstellung der Memoiren und des Tagebuchs geführten Gespräche zwischen dem Erblasser und dem Beklagten zu 1) gefallen und auf Tonband aufgezeichnet worden seien. Unter anderem finden sich im Buch 116 von der Klägerin für unzulässig erachtete Passagen, bezüglich deren Inhalt auf das heute verkündete Urteil im Verfahren VI ZR 248/18 verwiesen wird.
Rz. 6
Der Erblasser hat die Beklagten auf Zahlung einer Geldentschädigung von 5.000.000 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen und dabei geltend gemacht, sämtliche Textpassagen verletzten ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das LG hat der Klage - unter Klageabweisung im Übrigen - teilweise stattgegeben und die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung einer Geldentschädigung von 1.000.000 EUR nebst Zinsen an den Erblasser wegen der Veröffentlichung der dargestellten Textpassagen verurteilt. Das OLG hat dieses Urteil - nach dem Tod des Erblassers - auf die gegen ihre Verurteilung gerichtete Berufung der Beklagten abgeändert und die Klage abgewiesen. Die gegen die teilweise Abweisung der Klage gerichtete Berufung der Klägerin, die den Prozess als Erbin des während des Berufungsverfahrens verstorbenen Erblassers fortführt, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das ursprüngliche Klagebegehren weiter.
Rz. 7
Der Beklagte zu 2) ist während des Revisionsverfahrens verstorben. Mit Beschluss vom 12.10.2020 hat der erkennende Senat das Verfahren im Verhältnis zu ihm auf Antrag seines Prozessbevollmächtigten gem. § 246 ZPO ausgesetzt. Das Verfahren ist bislang nicht wiederaufgenommen worden.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 8
Das Berufungsgericht, dessen Urteil auszugsweise in FamRZ 2018, 1266 und vollständig in juris sowie unter BeckRS 2018, 17910 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen der Veröffentlichung der dargestellten Textpassagen in Buch und Hörbuch in dem für die rechtliche Beurteilung durch den (Berufungs-) Senat allein maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht (mehr) zu. Zwar sprächen gute Gründe dafür, dass dem Erblasser jedenfalls zu Lebzeiten ein Anspruch auf Zahlung einer empfindlichen Geldentschädigung aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB gegen die Beklagten zugestanden habe. Ein solcher Anspruch sei aber jedenfalls mit dem Tod des Erblassers erloschen. Denn der Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei nach der vom (Berufungs-) Senat für überzeugend erachteten Rechtsprechung des BGH im Grundsatz nicht vererblich. Besondere Gründe, die im konkreten Fall eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigten, bestünden nicht.
II.
Rz. 9
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Ob und - wenn ja - in welcher Höhe dem Erblasser bis zu seinem Tod ein Anspruch auf Geldentschädigung gegen die Beklagten zustand, kann offenbleiben. Denn der Anspruch ist mangels Vererblichkeit jedenfalls nicht gem. § 1922 Abs. 1 BGB auf die Klägerin übergegangen.
Rz. 10
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senat, Urt. v. 23.5.2017 - VI ZR 261/16, BGHZ 215, 117 Rz. 12 ff. nachgehend BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 28.9.2017 - 1 BvR 1789/17, nicht veröffentlicht; v. 29.11.2016 - VI ZR 530/15, NJW 2017, 800 Rz. 8; v. 29.4.2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rz. 4 ff. - Berichterstattung über trauernden Entertainer, nachgehend BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 17.9.2016 - 1 BvR 2318/14, nicht veröffentlicht; vgl. ferner auch BGH, Beschl. v. 18.6.2020 - IX ZB 11/19 NJW-RR 2020, 995 Rz. 15, 21) ist der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Grundsatz nicht vererblich. Dies gilt auch dann, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzten und ursprünglichen Anspruchsinhabers bereits bei Gericht anhängig (BGH, Urt. v. 29.4.2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rz. 24) oder gar rechtshängig (BGH, Urt. v. 23.5.2017 - VI ZR 261/16, BGHZ 215, 117 Rz. 13 ff., noch offenlassend Senat, Urt. v. 29.4.2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rz. 25) ist. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergibt sich dabei entscheidend aus der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs. Insoweit steht der Genugtuungsgedanke im Vordergrund; einem Verstorbenen kann Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden (BGH, Urt. v. 29.4.2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rz. 17 ff.). Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention dient, ändert an der grundsätzlichen Unvererblichkeit des gesamten Anspruchs - auch im Falle der von der Revision im Streitfall für gegeben erachteten Zwangskommerzialisierung - nichts und gebietet das (Fort-) Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde (vgl. BVerfGK 9, 325, 328 f., juris Rz. 22 f.); insb. führt dies entgegen der Ansicht der Revision auch nicht dazu, dass der Anspruch jedenfalls in Höhe des auf die Präventionsfunktion entfallenden Teils vererblich ist (vgl. BGH, Urt. v. 29.4.2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rz. 19).
Rz. 11
2. Hieran hält der erkennende Senat in Kenntnis der an dieser Auffassung in der Literatur geäußerten Kritik fest (vgl. zur Diskussion: für eine Vererblichkeit etwa BeckOGK/, 1.4.2021, BGB § 253 Rz. 43; , GRUR 2018, 1021 ff.; GRUR 2014, 957 ff.; in Götting/Schertz/Seitz, Handbuch Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., § 17 Rz. 18; , RuP 2019, 145, 147 ff.; , 6. Aufl., KUG § 22 Rz. 64; , JA 2014, 627, 629; , AfP 2018, 469, 470 ff.; BeckOGK/, 1.5.2021, § 823 Rz. 1868 ff.; , 30.4.2021, BGB § 1922 Rz. 308 ff.; in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., BGB § 1922 Rz. 152 ff.; in Erman, BGB, 16. Aufl., § 1922 Rz. 9; , FamRZ 2017, 1618 f.; , ZUM 2014, 706 f.; W 6, 2020, Rz. W 108a; , FamRZ 2018, 1273 f.; BeckOGK/, 1.8.2021, BGB § 1922 Rz. 358.1; , JZ 2019, 864, 868; JZ 2018, 44, 45 f.; , JR 2018, 517, 518 f.; , JZ 2014, 1056 ff.; BeckOGK/, 1.6.2021, BGB § 823 Rz. 1167 ff.; , LMK 2014, 359158; , Jura 2016, 783, 789 ff.; in Paschke/Berlit/Meyer/Kröner, 4. Aufl., Abschnitt 43 Rz. 4; jedenfalls de lege lata gegen eine Vererblichkeit etwa: BeckOK/, 59. Ed. 1.8.2021, BGB § 12 Rz. 121; BeckOGK/, 15.6.2021, BGB § 2311 Rz. 33; in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 14 Rz. 140; , 18. Aufl., § 851 Rz. 6e; , NJ 2014, 433, 434; , Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kapitel 23 Rz. 92; in Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl., 44. Kapitel Rz. 43b; , 4. Aufl., 9. Kap. Rz. 206; BeckOK InfoMedienR/, 33. Ed. 1.8.2021, BGB § 823 Rz. 306; in Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl., Rz. 32.43; , NJW 2014, 2831, 2833; in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 9 Rz. 35). Mit den insoweit auch von der Revision angeführten Gegenargumenten hat sich der erkennende Senat im Wesentlichen bereits in den genannten Entscheidungen vom 23.5.2017 (, BGHZ 215, 117 ff.) und vom 29.4.2014 (, BGHZ 201, 45 ff.) auseinandergesetzt. Ergänzend sei insb. angemerkt, dass sich - anders als die Revision meint - auch der Einführung des sog. Hinterbliebenengeldes (§ 844 Abs. 3 BGB) eine Entscheidung des Gesetzgebers für die Vererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts nicht entnehmen lässt. Der von der Revision bei Verneinung der Vererblichkeit im Übrigen befürchteten Gefahr rechtsmissbräuchlicher (Verfahrens-) Verzögerungen durch den Schuldner, für die auf der Grundlage der dem Berufungsurteil zugrunde liegenden Feststellungen im Streitfall allerdings nichts spricht, kann - wenn überhaupt veranlasst - ggf. durch die Annahme einer Ausnahmekonstellation begegnet werden. Schließlich vermag der Senat anders als die Revision auch nicht zu erkennen, dass die Verneinung einer - die den Geldentschädigungsanspruch tragende Funktion missachtenden - Vererblichkeit gegen Art. 3 Abs. 3 GG, Art. 8 Abs. 1 Alt. 1 EMRK oder Art. 14 EMRK verstieße.
Rz. 12
3. Besondere Gründe, die im Streitfall ausnahmsweise die Annahme rechtfertigten, der - vom Berufungsgericht unterstellte - Geldentschädigungsanspruch sei ganz oder teilweise vererblich, sind entgegen der Auffassung der Revision nicht ersichtlich.
Rz. 13
a) Ohne Bedeutung für die Frage der Vererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs ist zunächst der von der Revision hervorgehobene Umstand, dass es sich beim Erblasser um eine historische Persönlichkeit handelt. An der fehlenden Möglichkeit, ihm nach seinem Tod Genugtuung zu leisten, ändert dies nichts.
Rz. 14
b) Anders als die Revision (hilfsweise) meint, wurde der - unterstellte - Geldentschädigungsanspruch des Erblassers auch nicht mit Verkündung des landgerichtlichen Urteils im vorliegenden Verfahren, mit dem er dem Erblasser i.H.v. 1.000.000 EUR vorläufig vollstreckbar zugesprochen wurde, vererblich.
Rz. 15
aa) Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei erneut die Erkenntnis, dass die Geldentschädigung als solche insb. den Zweck hat, dem schwer in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzten Genugtuung zu verschaffen, einem Verstorbenen Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 23.5.2017 - VI ZR 261/16, BGHZ 215, 117 Rz. 18; v. 29.4.2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rz. 17 ff.; v. 6.12.2005 - VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 206 f. juris Rz. 13, m.w.N.; vom 4.6.1974 - VI ZR 68/73, VersR 1974, 1080, 1082, juris Rz. 32 - Fiete Schulze). Kann der im Vordergrund stehende Zweck der Geldentschädigung nicht mehr erreicht werden, weil der Verletzte verstorben ist, verliert aber auch der Anspruch auf diese Geldentschädigung, also der Anspruch auf Genugtuung, seine innere Berechtigung, weshalb seine Vererblichkeit grundsätzlich ausscheidet. Soweit der Verletzte freilich noch zu seinen Lebzeiten die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung aus dem Geldentschädigungsanspruch erlangt und damit die Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung erfüllt ist, gilt anderes. Nach Zahlung der Geldentschädigung an den Verletzten stellt sich die Vererblichkeitsfrage angesichts des damit eintretenden Erlöschens des Anspruchs gem. § 362 Abs. 1 BGB nicht mehr; auch der Rechtsgrund für die Zahlung entfällt mit einem späteren Versterben des Geschädigten nicht. Darüber hinaus hat der erkennende Senat im Urteil vom 23.5.2017 (, BGHZ 215, 117 Rz. 18) - wenn auch nicht tragend - ausgeführt, dass der Verletzte bereits vor Erhalt des Geldes aus dem Geldentschädigungsanspruch Genugtuung erfahren kann, die es - eben, weil die Funktion der Geldentschädigung damit jedenfalls teilweise erfüllt ist - rechtfertigt, den Anspruch als vererblich zu behandeln. Namentlich sei dies, so der erkennende Senat in der zitierten Entscheidung, dann der Fall, wenn der Geldentschädigungsanspruch dem Verletzten noch zu dessen Lebzeiten rechtskräftig zugesprochen werde; bloße Rechtshängigkeit des Geldentschädigungsanspruchs genüge indes nicht.
Rz. 16
bb) Ob - wie die Revision (hilfsweise) meint - gleiches wie im Falle des rechtskräftig zuerkannten Geldentschädigungsanspruchs auch dann gelten muss, wenn oder soweit dem Verletzten dieser Anspruch vorläufig vollstreckbar zugesprochen wird, hatte der erkennende Senat bislang noch nicht zu entscheiden. Für die Annahme der - ggf. teilweisen - Vererblichkeit in diesem Fall könnte sprechen, dass der Verletzte auch mit einer solchen noch nicht rechtskräftigen Entscheidung in die Lage versetzt wird, sich die Geldentschädigung im Wege der Zwangsvollstreckung jedenfalls vorläufig zu verschaffen oder zu sichern. Entscheidend ist mithin, ob diese Möglichkeit jedenfalls in Verbindung mit der in einer solchen Entscheidung zum Ausdruck kommenden Anerkennung seiner schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung durch ein staatliches Gericht geeignet ist, einem Verletzten bereits ein für die Annahme der Vererblichkeit hinreichendes Maß an Genugtuung zu verschaffen (so im Ergebnis , EWiR 2017, 595, 596).
Rz. 17
Der erkennende Senat verneint diese Frage. Denn die vorläufig vollstreckbare Entscheidung allein verschafft dem Verletzten noch keine gesicherte Position (vgl. zum Aspekt der gesicherten Position BGH vom 23.5.2017 - VI ZR 261/16, BGHZ 215, 117 Rz. 18). Der Verletzte hat damit zu rechnen, dass das ihn begünstigende Urteil auf ein Rechtsmittel des Beklagten zu seinem Nachteil abgeändert wird. Hat er aus dem noch nicht rechtskräftigen Urteil vollstreckt, so trifft ihn im Falle einer solchen Abänderung die verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht des § 717 Abs. 2 ZPO. Vor diesem Hintergrund mag ein noch nicht rechtskräftiges, lediglich vorläufig vollstreckbares, zusprechendes Urteil die Aussicht des Verletzten, über eine Geldentschädigung Genugtuung zu erhalten, steigern können, es ist aber allein für sich genommen nicht geeignet, dem Verletzten diese Genugtuung bereits in hinreichender Art und Weise zu verschaffen.
Rz. 18
b) Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung ergibt sich die Vererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs schließlich nicht ausnahmsweise daraus, dass der Erblasser bei Veröffentlichung des Buches bereits 84 Jahre alt und krank war. Ob ein Anspruch die ihm zugedachte Funktion auch nach dem Tod des Gläubigers erfüllen kann und ob - falls nicht - hieraus seine Unvererblichkeit folgt, hängt nicht davon ab, in welchem Alter und Gesundheitszustand sich der Verletzte in dem Zeitpunkt befindet, in dem er den Anspruch erwirbt.
Rz. 19
c) Anders als die Revision (wohl) meint, kann schließlich ein missbräuchliches Verhalten der Beklagten schon im Ansatz nicht darin gesehen werden, dass sie den Erblasser erst im Jahr 2014 - und nicht schon früher - in einer zu einem Anspruch auf Geldentschädigung führenden Weise in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt haben.
Rz. 20
4. Entgegen der von der Revision im Rahmen der mündlichen Revisionsverhandlung vertretenen Auffassung ergibt sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzuges aus §§ 280, 286 BGB. Der - unterstellte - Geldentschädigungsanspruch erlosch erst mit dem Eintritt des Todes des Erblassers, so dass zu seinen Lebzeiten schon mangels Schadenseintritts ein dem Geldentschädigungsanspruch entsprechender Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens nicht entstehen konnte. In der Person der Klägerin konnte ein solcher Anspruch nicht entstehen, weil sie mangels Vererblichkeit zu keinem Zeitpunkt Inhaberin des ggf. vom Verzug betroffenen Geldentschädigungsanspruchs geworden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 14976936 |
WM 2022, 1986 |
AfP 2022, 41 |
JZ 2022, 132 |
JZ 2022, 247 |
JZ 2022, 72 |
VersR 2022, 247 |
ZUM 2022, 221 |
ErbR 2022, 219 |
K&R 2022, 123 |
Jura 2022, 778 |