Leitsatz (amtlich)
§ 419 BGB findet jedenfalls dann keine Anwendung, wenn ein sonst vermögensloser Schuldner einem Dritten seine künftigen, nicht vertraglich begründeten Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderungen abtritt.
Normenkette
BGB § 419
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.11.1972) |
LG Darmstadt |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt (Main) in Darmstadt vom 9. November 1972 aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin hatte gegen die Firma Jalousienfabrik C. KG (künftig: KG), deren persönlich haftender Gesellschafter der Ehemann Georg C. der Beklagten war, eine Forderung von 42.514,16 DM. Zur Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen wurden die KG am 21. Dezember 1967 und Georg C. am 20. Februar 1969 verurteilt. Die Zwangsvollstreckung aus diesen Urteilen war erfolglos. Am 8. März 1968 waren die Auflösung der KG und das Erlöschen der Firma im Handelsregister eingetragen worden. Ebenfalls im März 1968 hatte Georg C. den Offenbarungseid geleistet.
Zuvor waren am 23. Juni 1967 der Maschinen-, Warenbestand usw. der KG an die Firma S. für 212.500 DM veräußert worden. Nach der Behauptung der Klägerin soll Georg C. die Forderung aus dem Verkauf der Beklagten abgetreten haben.
Am 16. September 1968 anerkannte Georg C., der Beklagten 110.000 DM zu schulden, und trat mit privatschriftlichem Vertrag vom 17. September 1968 „bis zur Abtretung (muß heißen: Abdeckung) der Gesamtschuldsumme nebst Zinsen (seine) Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderungen an alle jetzigen oder zukünftigen Arbeitgeber oder provisionspflichtigen Unternehmer an (die Beklagte) in der jeweils pfändbaren Höhe” ab.
Die Klägerin nimmt aufgrund von § 3 AnfG sowie der §§ 419, 826 BGB die Beklagte auf Zahlung von insgesamt 44.358,13 DM nebst Zinsen, ihrer Forderung von 42.514,16 DM sowie der Kosten des Vorprozesses gegen Georg C. in Höhe von 1.716,67 DM in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab ihr statt.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Ehemann der Beklagten habe mit der Abtretung seiner Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderungen gegen alle jetzigen oder zukünftigen Arbeitgeber oder provisionspflichtigen Unternehmer sein Vermögen der Beklagten übertragen, weil er im übrigen vermögenslos gewesen sei. Die Beklagte hafte daher gemäß § 419 BGB der Klägerin für deren Forderungen gegen ihren Ehemann Georg C.. Dagegen wendet die Revision sich zu Recht.
I. Das Berufungsgericht ist ohne Erörterung davon ausgegangen, daß die Abtretung aller jetzigen und künftigen Ansprüche aus der Verwertung der Arbeitskraft des Ehemanns der Beklagten wirksam ist. Da nach der Feststellung des Berufungsgerichts dieser im übrigen vermögenslos war, kann indessen fraglich sein, ob die Abtretung nicht dessen wirtschaftliche Bewegungsfreiheit in unzulässiger Weise einschränkte und daher gemäß § 138 BGB nichtig ist (vgl. RGZ 67, 166, 168; BAG NJW 1967, 751). Es können auch Bedenken bestehen, ob unter den gegebenen Umständen die Abtretung der bestehenden Ansprüche nicht der Form des § 311 BGB bedurfte und ob die Abtretung der künftigen Ansprüche nicht in rechtsähnlicher Anwendung des § 310 BGB nichtig ist (vgl. RGZ a.a.O.; OLG Marienwerder OLGZ 23, 16). Hier kann indessen die Wirksamkeit der Abtretung dahingestellt bleiben.
II. Selbst wenn die Abtretung wirksam ist, übernahm die Beklagte nicht das Vermögen ihres Ehemannes i. S. des § 419 BGB.
1. Es ist zwar allgemein anerkannt, daß eine Verfügung über das Vermögen im ganzen auch dann vorliegt, wenn nur über einen bestimmten Gegenstand verfügt worden ist, dieser jedoch im wesentlichen das ganze Vermögen des Verfügenden darstellt (BGH Urt. vom 30. Januar 1958 – III ZR 170/56 = LM BGB § 419 Nr. 9/10).
a) In diesem Fall muß es sich aber um einen wirtschaftlich bedeutsamen Gegenstand wie beispielsweise ein Hausgrundstück handeln (Erman, BGB 3. Aufl. § 419 Anm. 4). Denn nicht jeder Gegenstand ist deshalb, weil er der einzige Vermögenswert des Veräußerers ist, als Vermögen i.S. des § 419 BGB anzusehen. Der Begriff des Vermögens im Sinne dieser Vorschrift muß vielmehr nach der Verkehrsanschauung bestimmt werden (RGZ 134, 121, 124).
b) Eine unbedeutende Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderung ist nach der Verkehrsanschauung kein Vermögen. Ob der Ehemann der Beklagten im Zeitpunkt der Abtretung seiner Ansprüche überhaupt ausstehende Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderungen hatte, ist fraglich. Die Klägerin hatte das nicht behauptet und das Berufungsgericht hat insoweit eine Feststellung nicht getroffen. Die Abtretungserklärung vom 17. September 1968 könnte dafür sprechen, daß der Ehemann der Klägerin damals nicht in Arbeit stand. Selbst wenn indessen Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderungen in geringem Umfange bestanden haben sollten, wären diese allein nach der Verkehrsanschauung nicht als Vermögen i.S. des § 419 BGB anzusehen.
2. Die künftigen Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderungen des Ehemannes der Beklagten stellen allerdings einen erheblichen Wert dar. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, hatte der Ehemann Georg C. der Beklagten von Oktober 1969 bis Juli 1970 11.693,90 DM verdient. Doch können auch diese künftigen Ansprüche nicht als Vermögen i.S. des § 419 BGB angesehen werden.
a) Der in mehreren Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches verwandte Begriff Vermögen ist nicht immer im gleichen Sinne gebraucht. Als Vermögen i.S. des § 419 BGB ist die Summe aller geldwerten Güter einer Person (Reimer/Schmidt bei Soergel/Siebert, BGB 10. Aufl. § 419 Rdn. 4), die Gesamtheit der einer Person zustehenden Vermögenswerte anzusehen, aus denen sich die Gläubiger befriedigen konnten (Palandt/Heinrichs, BGB 33. Aufl. § 419 Anm. 2 b). Dazu gehören künftige Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderungen grundsätzlich nicht.
§ 419 BGB beruht auf dem deutschrechtlichen Gedanken, daß die Schulden eine Last des Vermögens bilden. Diese Bestimmung gibt daher dem Gläubiger, dem das Vermögen schon zur Zeit der Übertragung auf einen Dritten haftete, die Möglichkeit, seine Forderung auch gegen den Übernehmer geltend zu machen (RGZ 139, 199, 201). Dementsprechend können unter Vermögen i.S. des § 419 BGB nur die im Zeitpunkt der Vermögensübertragung vorhandenen Vermögenswerte verstanden werden. Sie sind mit den Schulden des Übergebers belastet. An diese im Zeitpunkt der Vermögensübertragung vorhandenen Vermögenswerte soll der Gläubiger sich halten können.
Daß künftige Forderungen nicht Vermögen i.S. des § 419 BGB sind, wird durch die Entstehungsgeschichte des § 419 BGB bestätigt. In den Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es, eine besondere Bestimmung erheische der Fall, daß jemand durch Vertrag unter Lebenden das ganze gegenwärtige Vermögen eines anderen oder einen Bruchteil desselben übernehme. Infolgedessen bestimme § 319 des Entwurfs, daß bei einer Übernahme des ganzen (gegenwärtigen) Vermögens oder eines Bruchteils desselben der Übernehmer neben dem Übergeber dessen Gläubigern für die in diesem Zeitpunkt vorhandenen Schulden hafte (Mugdan, Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch Bd. 2 S. 83). Unter Vermögen i.S. des § 419 BGB ist danach nur das gegenwärtige oder vorhandene Vermögen zu verstehen.
Der Grundgedanke des § 419 BGB spricht ebenfalls für dieses Verständnis des Begriffs Vermögens. Als Grundgedanke dieser Bestimmung ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, daß das Aktivvermögen des Schuldners die natürliche Grundlage für den ihm eingeräumten Kredit in weitestem Sinne bildet und daß daher die Gläubiger des Übergebers die Möglichkeit haben müssen, ihre Befriedigung aus dem übertragenen Vermögen in gleicher Weise zu erhalten, wie wenn die Übertragung nicht stattgefunden hätte (BGHZ 33, 123, 128 m.w.Nachw.). Künftige Ansprüche sind aber zumindest dann nicht die Grundlage für den dem Schuldner eingeräumten Kredit, wenn es sich um noch nicht feststehende und Ungewisse Ansprüche aus der Verwertung seiner Arbeitskraft handelt.
Ob für solche künftigen Forderungen, die im Zeitpunkt der Abtretung bereits feststanden und möglicherweise nach der Verkehrsanschauung als Kreditunterlage angesehen werden wie beispielsweise Gehalts- und Pensionsansprüche von Beamten, etwas anderes gilt (vgl. OLG Frankfurt NJW 1960, 2190), kann dahingestellt bleiben. Um derartige Ansprüche geht es hier nicht.
b) Eine rechtsähnliche Anwendung des § 419 BGB auf künftige, noch Ungewisse und nicht vertraglich begründete Lohn-, Gehalts- oder Provisionsforderungen kann nicht in Betracht kommen. Es ist schon zweifelhaft, ob § 419 BGB als Ausnahmevorschrift rechtsähnlich angewandt werden kann. Insoweit ist in Rechtsprechung und Schrifttum lediglich erörtert worden, ob der dem § 419 BGB zugrunde liegende Rechtsgedanke eine Haftung desjenigen rechtfertigen könnte, der auf andere Weise als durch Vertrag ein Vermögen übernommen hat. Diese Frage ist, soweit sie nicht offen gelassen wurde, meist verneint worden (Löscher in RGR – Komm. z.BGB 11. Aufl. § 419 Anm. 8 m.Nachw.). Eine rechtsähnliche Anwendung des § 419 BGB auf den Fall, daß künftige ungewisse Lohn-, Gehalts- und Provisionsforderungen abgetreten wurden, scheidet deswegen aus, weil ihr Zweck, Entstehungsgeschichte sowie der Grundgedanke dieser Bestimmung entgegenstehen. Diese Vorschrift will nicht den Gläubiger gegen Machenschaften des Schuldners zum Nachteil des Gläubigers allgemein schützen, sondern diesem lediglich die Befriedigung aus den Vermögenswerten ermöglichen, aus denen er sich ohne die Vermögensübernahme im Zeitpunkt ihrer Vornahme hätte befriedigen können.
III. Da mithin die Beklagte infolge der Abtretung der Lohn-, Gehalts- und Provisionsforderungen ihres Ehemannes gemäß § 419 BGB für dessen Schulden nicht haftet, bedarf es der Prüfung, ob sie aus anderen Gründen gemäß § 419 BGB oder gemäß §§ 3 AnfG, 826 BGB in Anspruch genommen werden kann. Insoweit sind weitere Feststellungen erforderlich, so daß die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war. Ihm war auch die Entscheidung über die Kosten zu übertragen, weil sie von der Endentscheidung in der Sache abhängt.
Unterschriften
Dr. Haidinger, Claßen, Mormann, Dr. Hiddemann, Hoffmann
Fundstellen
Haufe-Index 1502299 |
BGHZ |
BGHZ, 100 |
NJW 1974, 554 |
JR 1974, 419 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 1974, 264 |