Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorweggenommene Erbfolge
Leitsatz (amtlich)
- Übereignen Eltern ihr Vermögen durch Übertragungsvertrag mit allen Kindern auf einige von ihnen zu ungleichen Teilen, und wird den "zu gut" bedachten Kindern die Zahlung von "Gleichstellungsgeldern" an die Eltern auferlegt, dann sind dadurch i. d. R. sowohl die Eltern gegenüber den "zu schlecht" bedachten Abkömmlingen als auch die Geschwister untereinander gehalten, die vorgesehene Gleichstellung herbeizuführen.
- Bei einem Übertragungsvertrag mit mehreren Zuwendungsempfängern mag eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen vom Wegfall der Geschäftsgrundlage bei späteren Wertsteigerungen oder nachträglichem Wertverfall ausgeschlossen sein. Das gilt aber nicht für Fälle, in denen es um einen anfänglichen Irrtum etwa über Rechen- oder grobe Bewertungsfehler geht.
Normenkette
BGB § 242
Tatbestand
Die Parteien sind Brüder. Sie streiten um eine Abfindung für den Kläger.
Das wesentliche Vermögen der Eltern der Parteien bestand zuletzt aus drei Grundstücken in M., auf denen sie je einen Gewerbebetrieb unterhielten, und zwar eine Konditorei mit Café, ein Lebensmittelgeschäft und eine Bäckerei. Im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertrugen die Eltern die Grundstücke nebst den dort betriebenen Geschäften auf drei ihrer vier Kinder. Der Beklagte erhielt das Grundstück nebst Konditorei und Café, die Tochter Elisabeth das Grundstück mit dem Lebensmittelgeschäft und der Sohn Theodor dasjenige mit der Bäckerei. Gleichzeitig wurden zwei Bauplätze, die die Eltern bereits früher zu je einem 1/4-Miteigentumsanteil auf ihre Kinder übertragen hatten, so umverteilt, daß der Kläger den einen und Elisabeth den anderen Bauplatz zu Alleineigentum erhielten. Im übrigen sollte der Kläger durch Geldzahlungen abgefunden werden. Dementsprechend wurde in dem zugrunde liegenden notariellen Übergabevertrag zwischen den Eltern und ihren vier Kindern vom Dezember 1980 aufgrund Wertgutachtens des Sachverständigen H. vom 14. März 1980 vereinbart, daß der Beklagte 882.500 DM und Theodor 392.500 DM "jeweils als Übernahmepreis an die Übergeber" mit 8% verzinslich zahlen sollten. Theodor kam seiner Verpflichtung nach; die Eltern leiteten seine Zahlung als "Gleichstellungsgeld" an Elisabeth weiter. Für den Kläger richteten die Eltern ein Baukonto ein, über das er die für seinen Neubau auf dem ihm zugewiesenen Bauplatz erforderlichen Mittel erhalten sollte. Auf diesem Wege erhielt der Kläger zunächst rund 131.000 DM. Als er im Oktober 1982 bei dem Beklagten die noch offenen Beträge anforderte, war dieser in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Er behauptete, der ihm überlassene Betrieb erwirtschaftet die geschuldeten Zahlungen nicht. Darauf veranlaßte der Vater eine neue Bewertung des Grundstücks des Beklagten zum 1. Dezember 1982 und schloß mit diesem am 30. Dezember 1982 einen notariellen Vertrag, durch den der mit dem Beklagten vereinbarte Übergabepreis auf 272.500 DM "berichtigt" und die Verzinsung ab 2. Januar 1981 auf 5,5% ermäßigt wurde.
Der Kläger ist der Meinung, dieser Berichtigungsvertrag sei für ihn nicht maßgebend. Alle Beteiligten hätten durch eine Gesamtvereinbarung das Ziel verfolgt, das elterliche Vermögen ohne steuerschädliche Wirkung vorwegzuverteilen. Nach zutreffender Bewertung habe sich ein Nettobetrag von insgesamt 3.350.000 DM ergeben, von dem auf jedes Kind rechnerisch 837.500 DM entfallen sei. Da der Beklagte eine Zuwendung im Werte von 1.720.000 DM erhalten habe, habe er 882.500 DM Gleichstellungsgeld zahlen sollen, und zwar 837.500 DM unmittelbar an den Kläger. Da er - über das Baukonto - aber insgesamt nur 297.937,50 DM erhalten habe, müsse der Beklagte den Differenzbetrag von 539.562,50 DM nebst 8% Zinsen noch an ihn zahlen. Der hierauf gerichteten Klage haben Landgericht und Oberlandesgericht stattgegeben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.
Der Vater der Parteien ist im Laufe des Verfahrens verstorben. Er ist von der Mutter allein beerbt worden. Diese soll inzwischen nicht mehr vernehmungsfähig sein.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1.
Das Oberlandesgericht versteht die Absprachen der Beteiligten in Übereinstimmung mit dem Landgericht unter Würdigung der Vertragsumstände dahin, daß es sich um eine Gesamtvereinbarung handele, durch die die Eltern der Parteien ihr Vermögen im wesentlichen auf drei ihrer Kinder übertragen und dem Kläger und der am Verfahren nicht beteiligten Schwester Elisabeth Ansprüche auf entsprechende "Gleichstellungsgelder" verbindlich eingeräumt haben. Dafür spreche sowohl die Beteiligung aller Kinder, auch des Klägers, als auch die Bezeichnung der dem Beklagten und seinem Bruder auferlegten Zahlungen als Gleichstellungsgelder in § 1 des Vertrages. Die von dem Architekten H. am 14.. März 1980 ermittelten Schätzwerte der Grundstücke seien zu einer für alle Beteiligten verbindlichen Berechnungsgrundlage gemacht worden. Dabei habe sich eine Verteilungsmasse von 3.350.000 DM und für jedes Kind ein Anteil von 837.500 DM sowie für den Beklagten (im Hinblick auf den Wert des ihm zugewiesenen Grundstücks von 1.720.000 DM) ein Überschuß von 882.500 DM ergeben. Daraus folge dessen Pflicht zur Zahlung eines entsprechenden Gleichstellungsgeldes. Diese Feststellungen stützt das Berufungsgericht auf die Bekundungen der als Zeugen vernommenen Geschwister Elisabeth und Theodor.
Gegen diese Auslegung bringt die Revision nichts Konkretes vor; sie hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, handelt es sich um einen Fall der sogenannten "vorweggenommenen Erbfolge". Diese Gestaltung ist in der Praxis seit langem weit verbreitet, sie kommt im geltenden Recht vor allem in der Höfeordnung (§ 17 HöfeO), aber auch in § 35 Abs. 1 Nr. 2 BBauG vor. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wurde sie früher in mehreren Vorschriften lediglich am Rande berührt (§§ 511, 1374 Abs. 2 Satz 2, 1477 Abs. 2 Satz 2, 1478 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Inzwischen ist sie in § 593a S. 1 BGB ausdrücklich erwähnt. Sie findet auch im Schrifttum zunehmend Beachtung (Olzen, Die vorweggenommene Erbfolge, 1984; derselbe, Vorweggenommene Erbfolge in historischer Sicht, 1988; Eccher, Antizipierte Erbfolge, 1980). Unter ihr versteht man die Übertragung des Vermögens (oder eines wesentlichen Teiles davon) durch den (künftigen) Erblasser auf einen oder mehrere als (künftige) Erben in Aussicht genommene Empfänger. Sie richtet sich im Grundsatz nicht nach Erbrecht, sondern muß sich der Rechtsgeschäfte unter Lebenden bedienen. In diesem Rahmen bestehen für sie vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Die Ermittlung dessen, was im Einzelfall vereinbart ist, obliegt weithin dem Tatrichter, der sich dabei der Mittel der Auslegung bedient. Diese Aufgabe hat das Berufungsgericht, soweit es um die Frage nach der Verbindlichkeit der zugrunde gelegten Berechnungsgrundlagen geht, rechtsfehlerfrei erfüllt.
Eltern, die ihre Kinder im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge gleich bedenken wollen, ihr Vermögen aber zu ungleichen Wertanteilen auf einige ihrer Kinder übertragen und den "zu gut" bedachten Kindern zugleich die Zahlung von "Gleichstellungsgeldern" auferlegen, bringen in aller Regel schon dadurch zum Ausdruck, daß die Gleichstellungsgelder für die nicht oder "zu schlecht" bedachten Kinder bestimmt sind. Das gilt in noch erhöhtem Maße, wenn das bei der Vermögensverteilung nicht (oder zu niedrig) berücksichtigte Kind an dem Übertragungsvertrag als Vertragspartner beteiligt wird, wie das hier geschehen ist. Es kann daher, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, davon ausgehen, daß die den Gleichstellungsgeldern zugrunde gelegten Werte auch in seinem Interesse festgelegt sind und daß es mit Hilfe dieser Gelder tatsächlich gleichgestellt wird. Dementsprechend waren sowohl die Geschwister untereinander als auch die Eltern gegenüber dem Kläger rechtlich gehalten, die vorgesehene Gleichstellung auf der Grundlage der angenommenen Werte herbeizuführen.
2.
Zu unterscheiden von der Festschreibung der Werte ist die andere Frage, ob der Kläger berechtigt ist, das vereinbarte Gleichstellungsgeld von dem Beklagten unmittelbar anzufordern.
Das Berufungsgericht legt die Vereinbarung in Übereinstimmung mit dem Landgericht dahin aus, daß der Kläger danach einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Beklagten haben soll. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind im Ergebnis unbegründet.
Es ist allerdings fragwürdig, ob § 3 des notariellen Übertragungsvertrages dahin ausgelegt werden darf, daß der Beklagte die Gleichstellungsgelder unmittelbar an den Kläger zu leisten hatte, obwohl es dort ausdrücklich heißt, die Beträge seien "an die Übergeber als Gesamtgläubiger" zu zahlen. Aber darauf kommt es im Ergebnis nicht an.
Die Revision übersieht nämlich, daß der Kläger aufgrund des Übertragungsvertrages einen eigenen Anspruch gegen den Beklagten auf Herbeiführung der damit allseits bezweckten Gleichstellung der Geschwister auf der Grundlage der angenommenen Werte hat. Dieser Anspruch konnte auch durch die Aufhebung des Anspruchs der Eltern auf Zahlung des Übergabepreises an sie in dem Berichtigungsvertrag vom 30. Dezember 1982 nicht beseitigt werden.
3.
Dennoch kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben.
Das Berufungsgericht ist im Anschluß an Coing (NJW 1967, 1777) der Auffassung, bei der vorweggenommenen Erbfolge sei für eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage regelmäßig kein Raum.
Dieser Auffassung vermag sich der Senat in dieser Allgemeinheit nicht anzuschließen (vgl. auch Olzen, Die vorweggenommene Erbfolge S. 214-218). Es ist allerdings richtig, daß die Beteiligten bei einem Übertragungsvertrag mit mehreren Zuwendungsempfängern regelmäßig erbrechtsähnliche Wirkungen insofern anstreben, als die zugewendeten Vermögensstücke mit der Übertragung, ähnlich wie im Erbrecht, gänzlich in den Risikobereich des betreffenden Empfängers fallen sollen. Das dürfte regelmäßig zur Folge haben, daß spätere Wertsteigerungen oder ein Wertverfall auf die vertragsrechtliche oder erbrechtliche Rechtsstellung der beteiligten Übernehmer keinen Einfluß haben können. Insofern mag insbesondere eine Anpassung nach den Grundsätzen vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen sein. Nicht von vornherein ausgeschlossen sind dagegen die Fälle, in denen es um einen anfänglichen Irrtum über die Geschäftsgrundlage geht, wie etwa bei einem offensichtlichen Rechen- oder einem groben Bewertungsfehler, wie er hier in Betracht kommen könnte.
Das Berufungsgericht wird die bisher unterbliebene Prüfung insoweit nachzuholen haben. Dabei wird besonders zu berücksichtigen sein, daß Grundstücksbewertungen mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind, und daß eine Vertragsanpassung hier allenfalls bei einer ungewöhnlichen, aus dem Rahmen fallenden Differenz infolge anfänglicher Fehlbewertung in Betracht kommen kann. Weiter wird zu beachten sein, daß eine etwa notwendige Vertragsanpassung die Einbeziehung der Interessen aller vier Geschwister erforderlich machen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 1456572 |
BGHZ, 310 |
BB 1991, 795 |
NJW 1991, 1345 |
DNotZ 1992, 32 |
JZ 1991, 729 |