Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 4. Mai 2000 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich hat es einen dem Angeklagten gehörenden PKW eingezogen sowie dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und für deren Neuerteilung eine Sperrfrist bestimmt. Dieses Urteil greift die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision nur insoweit an, als das Landgericht eine besondere Schuldschwere im Sinne von § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB verneint hat. Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht, gegen das Urteil insgesamt. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
II.
Der Angeklagte hatte am 22. Mai 1999 im Anschluß an einen Ausflug zum Ammersee seine Arbeitskollegin D. W. „auf näher nicht klärbare Weise, für D. W. aber jedenfalls völlig überraschend und schnell, so daß an eine Gegenwehr für sie nicht einmal zu denken war” (UA S. 12), in einen bewußtlosen Zustand versetzt. Anschließend hatte er sein Opfer mit einer mitgebrachten Kunststoffleine vom Hals bis zu den Füßen gefesselt und zwei Spanngurte um den Körper geschlungen. So verschnürt hatte der Angeklagte die betäubte Frau zum Seeufer verbracht, zwei mitgeführte Betonplatten an ihr befestigt und unter Verwendung einer Taucherausrüstung sein nach wie vor bewußtloses Opfer in den See hinaus gezogen und an einer ihm geeignet erscheinenden Stelle versinken lassen. D. W. ertrank alsbald.
Das Landgericht hat die Voraussetzungen des Mordmerkmals „heimtückisch” bejaht und ist so zu einer Verurteilung wegen Mordes nach § 211 Abs. 2 StGB gelangt. Daß der Angeklagte auch aus Habgier gehandelt hatte, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Vieles sprach zwar „dafür, daß er die Tat beging, um an die 20.000 DM zu kommen, die D. W. tags zuvor in bar von ihrem Konto … abgehoben hatte …. Gewißheit darüber vermochte die Kammer indes nicht zu erlangen” (UA S. 36 f.). Auch das Merkmal der Mordlust vermochte die Kammer nicht zu bejahen. Ein Indiz hierfür sah die Kammer in der überlegt geplanten Vorgehensweise des Angeklagten. Dies allein vermochte ihr „aber nicht die Überzeugung zu vermitteln, der Angeklagte habe tatsächlich aus Mordlust getötet” (UA S. 37).
III.
Revision des Angeklagten
1. Die Strafkammer hat mehrere Briefe, EDV-Ausdrucke und die schriftliche Bestellung eines Kraftfahrzeugs in der Hauptverhandlung verlesen, von einer zusätzlichen Vernehmung der Verfasser der Briefe, der Personen, die die Ausdrucke erstellt hatten, und des Bestellers jedoch abgesehen. Hierin erblickt die Revision einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO). Zugleich sieht sie hierin eine Verletzung der Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO).
Die Rüge zu § 250 StPO ist unbegründet. Die Strafprozeßordnung sieht zur Beweiserhebung über den Inhalt von Urkunden und anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken grundsätzlich die Verlesung gemäß § 249 Abs. 1 StPO vor. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit, der in § 250 StPO zur Geltung kommt, liegt darin nicht. Es ist vielmehr eine Frage der Aufklärungspflicht und der Beweiswürdigung, ob sich das Gericht mit der Verlesung begnügen darf. Die insoweit erhobene Rüge zu § 244 Abs. 2 StPO ist unzulässig. Der Beschwerdeführer trägt bereits nicht vor, was die Zeugen zu seiner Entlastung – über den Inhalt der genannten Schriftstücke hinaus – ausgesagt hätten (vgl. BGHR StPO § 250 Satz 1 Unmittelbarkeit 1).
2. Die auf eine Verletzung von §§ 55 Abs. 2 und 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 StPO gestützte Verfahrensbeschwerde ist unbegründet. Der Angeklagte beanstandet die Vernehmung der Polizeibeamten L. und K.. Was diese zum Inhalt der (Zeugen-)Aussage des Angeklagten vom 14., 15., 18., 21., und 22. Juni sowie 6. Juli 1999 ausgesagt haben, hätte das Landgericht nicht verwerten dürfen. Der Angeklagte sei damals weder als Zeuge nach § 55 StPO noch, obwohl er als tatverdächtig angesehen worden sei, als Beschuldigter belehrt worden.
Grundsätzlich dürfen Äußerungen eines Beschuldigten, die dieser ohne vorangegangene Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO in einer Vernehmung gemacht hat, in die Hauptverhandlung nicht eingeführt und verwertet werden. Beschuldigter in diesem Sinne ist aber nur der Tatverdächtige, gegen den das Verfahren als Beschuldigter betrieben wird. Nicht jeder Tatverdacht begründet bereits die Beschuldigteneigenschaft mit entsprechender Belehrungspflicht, es kommt vielmehr auf die Stärke des Tatverdachts an. Nach pflichtgemäßer Beurteilung der Strafverfolgungsbehörde ist dann von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung überzugehen, wenn sich der Verdacht so verdichtet hat, daß die vernommene Person ernstlich als Täter der untersuchten Straftat in Betracht kommt (BGHR StPO § 136 Belehrung 6). Das war hier nicht der Fall:
Der Angeklagte hatte am 27. Mai 1999 seine Arbeitskollegin D. W. bei der Polizei als vermißt gemeldet und ist in der darauf hin eingeleiteten Vermißtensache mehrmals als Zeuge vernommen worden, weil er nach seinen Angaben der letzte Bekannte war, der zu ihr Kontakt hatte. Ein Tatverdacht gegen den Angeklagten ergab sich erst, nachdem das Opfer am 2. Juli 1999 identifiziert worden war. Gleichwohl konnte der Angeklagte auch am 6. Juli 1999 zunächst noch als Zeuge vernommen werden. Erst als der Angeklagte bei dieser Vernehmung – zuvor war er nach §§ 52, 55 StPO belehrt worden – einräumte, er habe solche Spanngurte, wie sie an der Leiche sichergestellt worden waren, hatte sich für den Vernehmungsbeamten der Tatverdacht so verdichtet, daß er den Angeklagten nach entsprechender Belehrung als Beschuldigten weiter befragte. Im übrigen hat der Angeklagte nach der Beschuldigtenbelehrung erklärt, er habe nichts zu verbergen und, ebenso wie später beim Haftrichter, weiter umfassend ausgesagt.
3. Die Verfahrensrüge zu §§ 245, 261 StPO ist – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – unbegründet. Prof. Dr. Eisenmenger wurde als Sachverständiger und zugleich als Zeuge vernommen. Über seine Vereidigung, soweit er als Zeuge ausgesagt hatte, wurde entschieden.
4. Die Sachrüge ist unbegründet. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, begegnet im Ergebnis weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
IV.
Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision ist zulässig darauf beschränkt, das Landgericht habe zu Unrecht ein weiteres Mordmerkmal und deshalb die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verneint (BGHSt 41, 57). Insoweit wird die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und insbesondere geltend gemacht, das Landgericht habe das Mordmerkmal der „sonstigen niedrigen Beweggründe” zu Unrecht nicht bejaht, weil nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, daß die Tat über einen längeren Zeitraum ausgeklügelt worden sei und sich der Tatablauf – wenn die Fahrt an den Ammersee einbezogen werde – über einen Zeitraum von mehr als vier Stunden hingezogen habe. Zudem habe das Landgericht nicht ausreichend bedacht, daß das Verhalten des Angeklagten nicht nur heimtückisch, sondern auch hinterlistig und hinterhältig gewesen sei; der Angeklagte habe Freundschaft und einen gemeinsamen Ausflug vorgetäuscht, um seinen schon zuvor gefaßten Mordplan zu verwirklichen. Auch habe der Angeklagte nach der Betäubung des Opfers noch umfangreiche Vorbereitungen treffen müssen, bevor er dessen Tod herbeiführte. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Die Begründung, mit der das Landgericht eine besondere Schuldschwere i. S. d. § 57a StGB verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand. Es obliegt dem Tatrichter, unter Würdigung aller hierfür erheblichen Umstände die Schuld des Angeklagten im Sinne des § 57a StGB abzuwägen; das Revisionsgericht darf seine Wertung nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen, sondern hat nur zu prüfen, ob dieser alle maßgeblichen Umstände bedacht hat (vgl. BGHSt 41, 57, 62 und BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 22 jew. m.w.N.). Nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab weist die tatrichterliche Entscheidung keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Der Tatrichter hat im Rahmen einer Gesamtschau die erschwerend und mildernd zu Buche schlagenden Umstände der Tat, die der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe zugrunde liegen, gegeneinander abgewogen. Dabei hat der Tatrichter die gegen den Angeklagten sprechenden Aspekte nicht übersehen. Dazu gehört die präzise Planung und Vorbereitung der Tat durch den Angeklagten.
Daß die Kammer übersehen haben könnte, in welch besonderem Maß der Angeklagte heimtückisch gehandelt hat, schließt der Senat aus. Auf die Planung und Vorbereitung der Tat hat die Kammer im Rahmen der Begründung ihrer Entscheidung zu § 57a StGB ausdrücklich hingewiesen. Die Gegebenheiten der planmäßig ausgeführten Tat und den Umstand, daß der Angeklagte über einen längeren Zeitraum hinweg nicht davon Abstand genommen hat, seine Tötungsabsicht umzusetzen, hat der Tatrichter detailliert festgestellt. Auch insoweit ist auszuschließen, daß der Tatrichter die genannten Umstände bei der Entscheidung nach § 57a StGB etwa übersehen hat. Ein Schweigen der Urteilsgründe über bestimmte Gesichtspunkte muß nicht stets besorgen lassen, daß diese Aspekte übersehen worden sind. Die Darlegung sämtlicher Erwägungen ist weder nötig noch möglich (BGH NStZ-RR 1996, 321).
Daß der Angeklagte aus Habgier gehandelt haben könnte, hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
Eine ausdrückliche Erörterung darüber, ob niedrige Beweggründe im Sinne des § 211 StGB vorliegen, war nach dem festgestellten Sachverhalt nicht geboten. Soweit die Strafkammer dabei auf das Verhalten des Angeklagten vor der Tat abstellt, durch das er das Opfer in Sicherheit gewiegt hat, handelt es sich nicht um Beweggründe der Tat, sondern allenfalls um Umstände, die die Annahme heimtückischen Verhaltens begründen.
Unterschriften
Schäfer, Wahl, Schluckebier, Hebenstreit, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 547386 |
DSB 2001, 39 |
NPA 2002, 0 |