Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 11.02.2003) |
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 11. Februar 2003 werden verworfen.
Der Angeklagte E. hat die Kosten seiner Revision und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Bei den übrigen Angeklagten wird von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Es hat gegen den (erwachsenen) Angeklagten E eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängt, hat ihn unter Einbeziehung einer anderweit rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (unter Anordnung eines Vorwegvollzugs von zwei Jahren und vier Monaten) angeordnet. Gegen die zur Tatzeit jugendlichen Mitangeklagten hat das Landgericht Jugendstrafen verhängt, und zwar fünf Jahre gegen L, drei Jahre gegen F sowie jeweils zwei Jahre – unter Strafaussetzung zur Bewährung – gegen S. und B. Die jeweils auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Die Angeklagten saßen mit anderen jungen Leuten in den Abendstunden des 2. August 2002 am Waldstadion in Ludwigsfelde, wo sie zelten wollten, zusammen und tranken gemeinsam Alkohol. Die Angeklagten E. und L, die sich vorübergehend entfernt hatten, trafen auf dem Rückweg zum Stadion gegen 2.30 Uhr auf den Nebenkläger I, der aus Mocambique stammt, Ende der 80er Jahre als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen war und seitdem in Deutschland lebt. Sie verachteten ihn, weil er Ausländer schwarzafrikanischer Herkunft ist. Deshalb waren sie ihm bereits wiederholt bedrohlich entgegengetreten, und jeder von ihnen hatte ihn schon einmal ausdrücklich mit einer Äußerung: „Beim nächsten Mal bist du tot”, oder ähnlich bedroht. E und L beschlossen, den Nebenkläger zum Waldstadion zu locken, um ihn dort zu verprügeln. Sie spiegelten ihm vor, dort finde ein Fest statt, an dem auch andere Ausländer teilnähmen. Der Nebenkläger, der auf der Suche nach einer noch geöffneten Gaststätte gewesen war, folgte ihnen zögerlich. Gegen 3 Uhr trafen sie bei den Zelten ein; gemeinsam mit den drei übrigen Angeklagten begannen sie, Bier zu trinken.
Etwa nach einer halben Stunde brach der Angeklagte E unter einem Vorwand einen Streit mit dem Nebenkläger vom Zaun. Er begann, auf ihn einzuschlagen, und versetzte ihm zwei bis drei Schläge mit der flachen Hand und vier Faustschläge ins Gesicht. Der Nebenkläger ging zunächst zu Boden und versuchte dann zu fliehen. Der Angeklagte L setzte ihm nach; E mahnte ihn noch, dem Opfer nicht ins Gesicht zu treten oder zu schlagen. Gleichwohl brachte L den Nebenkläger mit einem Tritt gegen das Kinn erneut zu Boden und versetzte dem am Boden Liegenden mehrere Faustschläge ins Gesicht. Nunmehr wandte sich E wieder dem Opfer zu und schlug ihm – seiner zuvor geäußerten heuchlerischen Mahnung zuwider – eine geleerte Bierflasche so heftig auf den Kopf, daß sie zersplitterte. Der Nebenkläger verlor kurzzeitig das Bewußtsein. Zwei Zeugen, die mit den Angeklagten gezeltet hatten, hatten sich mittlerweile, entsetzt über E.s und L.s Brutalität, fluchtartig vom Ort des Geschehens entfernt.
Nunmehr traten alle fünf Angeklagten, die sämtlich Turnschuhe trugen, auf den bewußtlosen Nebenkläger ein; ferner schlugen sie ihr Opfer, das teils am Kopf, teils im Brust- und Bauchbereich getroffen wurde. Der Angeklagte B trat mehrmals gegen den Kopf des Nebenklägers und lief ihm über den Bauch, der Angeklagte F – den rechten Arm zum „Hitlergruß” hebend – trat ihn mindestens viermal, auch ins Gesicht, der Angeklagte S trat ihm mindestens zweimal in den Bauch. Als der Geschädigte wieder zu sich kam, nötigte E ihn, sich bis auf die Socken zu entkleiden. S und F vergruben die Kleidung auf Weisung E s etwa 20 Meter entfernt unter Laub. E flößte dem Opfer noch eine Flasche Bier ein, übergoß ihn mit Bier und versuchte, ihm eine Flasche in den Anus zu stecken. Mindestens er und L schlugen und traten weiter auf den Nebenkläger ein, der schließlich erneut das Bewußtsein verlor. L. fühlte „aus Sorge, er könne gestorben sein”, seinen Puls. Nach mehr als einer Stunde ließen die Angeklagten von ihrem Opfer ab.
Sie ließen I äußerlich schwer verletzt, bewußtlos und nackt liegen. E und L entfernten sich, um einen auf dem Platz schlafenden volltrunkenen Bekannten E s nach Hause zu bringen. Die anderen drei Angeklagten bauten die Zelte ab, stellten sie in einer Entfernung von mindestens 200 Metern wieder auf, tranken noch ein Bier und legten sich schlafen. L, der eine Viertelstunde später zurückkehrte, sah dann, wie der Nebenkläger sich von der Stelle, an der er zurückgelassen worden war, robbend wegbewegte; L kümmerte sich nicht weiter um ihn und begab sich auch zum Zelt seiner Freunde. Der Angeklagte F, der als erster gegen 8 Uhr erwachte, lief zur Stelle, wo der Nebenkläger liegengeblieben war, weil er befürchtete, dieser könne gestorben sein.
Der Nebenkläger war indes gegen 5 Uhr wieder zu sich gekommen und hatte sich schwerverletzt in unbekleidetem Zustand auf den Weg zum Krankenhaus gemacht, war aber schließlich in die Damentoilette eines dem Krankenhaus benachbarten, zufällig unverschlossenen Ärztehauses gelangt; dort verblieb er etwa neun Stunden lang im Dämmerzustand; dann begab er sich, immer noch benommen, seine Blöße mit Toilettenpapier abdeckend, mit massiven Gesichtsschwellungen, Brustprellungen und einem Schädel-Hirn-Trauma zum Krankenhaus, wo die behandelnden Ärzte seine Verletzungen als lebensgefährlich beurteilten – was sich später konkret nicht bestätigte. Aufgrund einer diagnostizierten Nierenprellung verblieb I vier Tage in stationärer Behandlung, aus der er dann bei fortbestehenden Wunden und anhaltenden Schmerzen entlassen wurde. Insbesondere war er psychisch langfristig massiv beeinträchtigt.
2. Das Landgericht hat sämtlichen Angeklagten aufgrund des von ihnen konsumierten Alkohols, zum Teil einhergehend mit Persönlichkeitsstörungen, eine erhebliche Herabsetzung des Hemmungsvermögens zugebilligt. Die Gewalthandlungen hat es – abgesehen von dem als Exzeß E s gewerteten Schlag mit der Flasche – allen Angeklagten zugerechnet. Diese hätten bei den abwechselnd beigebrachten, bekanntermaßen hochgradig gefährlichen Tritten gegen Kopf und Oberkörper des Opfers dessen Tod billigend in Kauf genommen. Gehandelt hätten sie aus einem Motivbündel von Lust an Gewalt, Menschenverachtung und die Tat prägender Fremdenfeindlichkeit, die möglicherweise allein der Angeklagte B selbst nicht teilte, der sie aber als Motivation seiner Mittäter kannte und kritiklos hinnahm.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfahrensrügen versagen.
1. Die auf Verletzung des § 258 Abs. 2 und Abs. 3 StPO wegen Versagung des letzten Worts gestützten Verfahrensrügen der Angeklagten E., L., F. und B. sind unbegründet.
Nachdem den Angeklagten und den gesetzlichen Vertretern der Angeklagten L, F, S und B am vorletzten Hauptverhandlungstag bereits Gelegenheit zum letzten Wort gewährt worden war, trat das Landgericht zu Beginn des letzten Hauptverhandlungstages nochmals in die Beweisaufnahme ein. Nach deren Abschluß erhielten „die Staatsanwaltschaft und die übrigen Prozeßbeteiligten” erneut Gelegenheit zum Schlußvortrag. Nach Wiederholung der Anträge und ergänzendem Vortrag eines Verteidigers erhielten die Angeklagten und ihre gesetzlichen Vertreter „erneut das Wort zum Schlußvortrag”. Anschließend ist vor Urteilsverkündung noch eine Erklärung des Vaters eines Angeklagten protokolliert.
Mit der so im Hauptverhandlungsprotokoll wiedergegebenen Verfahrensweise ist – zumal in der besonderen Situation des Wiedereintritts in die Verhandlung nach vorher bereits erfolgter Gewährung eines Schlußworts (vgl. BGH StV 1999, 5) – die ausreichende Gelegenheit der Angeklagten zum letzten Wort belegt, wenngleich eine formal noch deutlichere Protokollierung („die Angeklagten hatten das letzte Wort”) vorzuziehen gewesen wäre (vgl. BGHSt 13, 53, 59 f.; 18, 84; Schoreit in KK 5. Aufl. § 258 Rdn. 17).
2. Keinen Erfolg haben die wegen Verletzung des § 265 Abs. 4 StPO zugleich unter Hinweis auf § 338 Nr. 8 StPO erhobenen Verfahrensrügen der Angeklagten L., F. und B.
a) Soweit die Angeklagten L und B die Ablehnung eines zu Beginn der Hauptverhandlung gestellten, auf bislang nicht gewährte Einsicht in die vorbereitenden Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen gestützten Aussetzungsantrags beanstanden, gilt folgendes:
Die Zulässigkeit der vom Angeklagten L erhobenen Rüge scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mangels hinreichend genauer Mitteilung des Akteninhalts, in den nach dem Rügevorbringen zu Unrecht Einsicht verwehrt wurde.
Die Rüge des Angeklagten B ist jedenfalls unbegründet. In dem teils gegen jugendliche Untersuchungshäftlinge gerichteten, mithin herausragend eilbedürftigen, zudem umfänglichen und besonders vorbereitungsintensiven Verfahren bestand für die Jugendkammer nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 265 Abs. 4 StPO) keine Möglichkeit, die Hauptverhandlung etwa mit Rücksicht auf noch nicht gewährte Einsicht in erst kurz zuvor eingegangene vorbereitende Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen auszusetzen. Differenzierte Anträge, mit Rücksicht auf eine insoweit verspätete Akteneinsicht die Sachvernehmung einzelner Angeklagter – die tatsächlich bis auf E in der Hauptverhandlung die Einlassung verweigert haben –, mindestens ihre Befragung durch die Verteidiger oder bestimmte mit der verspäteten Akteneinsicht zusammenhängende Beweiserhebungen zurückzustellen, gegebenenfalls auch die Hauptverhandlung zu diesem Zweck zu unterbrechen, sind nicht zum Gegenstand revisionsrechtlicher Beanstandung gemacht worden.
b) Die weiteren, auf mangelnde Unterbrechung der Hauptverhandlung am letzten Sitzungstag gestützten Rügen der Angeklagten F und B. scheitern an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mangels Mitteilung einer Vorentscheidung, auf die in dem beanstandeten ablehnenden Beschluß der Jugendkammer Bezug genommen worden war. Abgesehen davon wären die Rügen auch in der Sache aussichtslos. Auf einen Wiedereintritt in die Verhandlung anstelle einer vorgesehenen Urteilsverkündung muß die Verteidigung stets gefaßt sein. Daß die Jugendkammer mit der angeordneten Verlesung nach § 254 StPO einen überraschenden Verhandlungsgegenstand vorgesehen hätte, für den die Verteidigung der Beschwerdeführer besondere Vorbereitung hätte verlangen können, ist nicht ersichtlich.
3. Für die gegen die Verwertung verantwortlicher Vernehmungen durch Polizei und Ermittlungsrichter gerichteten Verfahrensrügen gilt folgendes:
a) Die Rüge, mit welcher der Angeklagte L die Verwertung seiner polizeilichen Vernehmungen wegen unzulänglicher Belehrung und Verletzung eines seinen Erziehungsberechtigten zustehenden Anwesenheitsrechts beanstandet, scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO jedenfalls mangels Mitteilung der auf den entsprechenden Verteidigerwiderspruch in der Hauptverhandlung ergangenen Entscheidung der Jugendkammer.
b) Soweit der Angeklagte B aus entsprechenden Gründen die Verwertung polizeilicher Angaben der Mitangeklagten L und S. sowie der gesondert verfolgten Zeugin St beanstandet, scheitert die Zulässigkeit seiner Rüge von vornherein daran, daß es an einer eigenen Rechtsverletzung dieses Beschwerdeführers fehlt, aus welcher er für sich ein Verwertungsverbot herleiten könnte (vgl. BGHSt 47, 233, 234; BGHR StPO § 136 Belehrung 5; Boujong in KK 5. Aufl. § 136 Rdn. 27).
c) Im übrigen liegt auf der Hand, daß die entsprechenden Rügen in der Sache aus den von der Jugendkammer angeführten Gründen erfolglos bleiben müßten.
d) Soweit der Angeklagte B die Verwertung polizeilicher Angaben des Mitangeklagten E wegen dessen angeblicher Vernehmungsunfähigkeit beanstandet, hat die Rüge jedenfalls in der Sache keinen Erfolg, da die Annahme der Jugendkammer, E sei trotz vorangeganener Injektion eines Beruhigungsmittels vernehmungsfähig gewesen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist.
4. Die auf § 338 Nr. 3 StPO, zudem auf Verletzung des § 29 StPO gestützte Verfahrensrüge des Angeklagten B ist jedenfalls offensichtlich unbegründet (vgl. nur BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 9 und BGHR StPO § 29 Abs. 1 Amtshandlung, unaufschiebbare 2, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Die für eine Voreingenommenheit der Berufsrichter angeführten Gründe sind haltlos.
5. Ebenfalls jedenfalls offensichtlich unbegründet ist die Verfahrensrüge des Angeklagten B im Zusammenhang mit der Mitwirkung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft. Es ist kein Grund dafür dargetan, wonach die Jugendkammer auch nur Anlaß gehabt hätte, auf dessen Ablösung hinzuwirken.
6. Die auf Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO gestützte Verfahrensrüge des Angeklagten B hat hinsichtlich fehlender Spuren an sichergestellten Schuhen jedenfalls in der Sache keinen Erfolg, da ein – zugunsten des Angeklagten ohnehin zu unterstellendes negatives Spurenbild – ersichtlich ohne maßgeblich entlastenden Beweiswert war. Jedenfalls die weitergehende Rüge ist mangels hinreichend genauer Angabe von nicht benutztem Beweismittel und nicht aufgeklärtem Beweisthema unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
7. Die auf Verletzung des § 48 Abs. 3 Satz 2 JGG gestützte Verfahrensrüge des Angeklagten B ist unbegründet. Der einen Ausschluß der Öffentlichkeit ablehnende Beschluß der Jugendkammer läßt eine Verletzung des insoweit bestehenden tatgerichtlichen Ermessens (vgl. BGH, Beschl. vom 14. Dezember 2000 – 3 StR 414/00) nicht erkennen.
8. Schließlich ist die auf Verletzung des § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge des Angeklagten B jedenfalls offensichtlich unbegründet, soweit der Beschwerdeführer die unterbliebene Erörterung einer bestimmten Zeugenaussage im Urteil – unter Äußerung unklarer Mutmaßungen über deren Inhalt – beanstandet. Die Verfahrensvorschrift des § 261 StPO gebietet keine Abhandlung sämtlicher in der Hauptverhandlung erhobener Beweise im Urteil. Die unterbliebene Verlesung des Protokolls der richterlichen Vernehmung eines Mitangeklagten verletzt weder § 261 StPO noch ist in diesem Zusammenhang ein sonstiger Verfahrensverstoß erkennbar.
III.
Auch mit den Sachrügen bleiben die Revisionen ohne Erfolg.
1. Der Schuldspruch hat bei sämtlichen Angeklagten Bestand.
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum äußeren Tatablauf, zu den mittäterschaftlich zuzurechnenden Gewalthandlungen und zu den daraus resultierenden Verletzungsfolgen des Nebenklägers ist frei von sachlichrechtlichen Fehlern.
b) Der Senat erachtet – im Gegensatz zum Generalbundesanwalt – auch die Bedenken gegen den bedingten Tötungsvorsatz nicht für durchgreifend.
aa) Die Jugendkammer hat die Gefährlichkeit der gegen den Nebenkläger verübten Gewalthandlungen nicht etwa überschätzt. Sie hat nicht verkannt, daß die Verletzungen nicht konkret lebensbedrohlich waren und daß keine massive stumpfe Gewalt im Sinne eines Springens auf den Kopf oder eines „Herumtrampelns” auf dem Körper (das Opfer hatte keine Brüche erlitten) erfolgt war (UA S. 35). Gleichwohl durfte sie schon angesichts des bewußt gemeinschaftlichen Vorgehens in der aggressiv aufgeheizten Tatsituation, in welcher zudem jeder einzelne Mittäter das Ausmaß der dem Opfer zugefügten Gewalt nicht bewußt dosierbar einsetzen konnte, von – den Mittätern bekanntermaßen – äußerst gefährlichen Gewalthandlungen ausgehen.
bb) Daß der Rückschluß hieraus auf einen bedingten Tötungsvorsatz gleichwohl – angesichts der regelmäßig bestehenden hohen Hemmschwelle vor einer Tötung – problematisch ist, hat die Jugendkammer ausweislich des Urteils (UA S. 39) nicht verkannt. Ihr standen indes – neben dem erwähnten Moment, daß jedem einzelnen Mittäter klar war, daß ihm ein maßgeblicher Einfluß auf das Gesamtausmaß der Gewalt entglitten war – weitere ausreichend aussagekräftige Indizien zur Verfügung, welche den Schluß auf einen bedingten Tötungsvorsatz bei jedem der Angeklagten zuließen. Diese konnten bei allen in der Zufügung von Tritten und Schlägen gegen Kopf und Körper des Opfers im Zustand von dessen Bewußtlosigkeit gefunden werden, ferner in dem bedenkenlosen Verlassen des Opfers in von ihnen durch Beseitigung der Bekleidung noch verschärfter eklatant hilfloser Situation. So hat der erkannte Zustand des Opfers zudem den Angeklagten F zur sofortigen Nachschau nach dem morgendlichen Erwachen veranlaßt, der Angeklagte L hatte bereits während der Tatbegehung Zweifel am Überleben des Geschädigten, als er diesem den Puls fühlte. Bei dem Angeklagten E kam zur Stellung als „Rädelsführer” die exzessiv gefährliche Gewalthandlung des Zerschlagens der Bierflasche auf dem Kopf des Opfers mit der Folge von dessen erster vorübergehender Bewußtlosigkeit hinzu. Die festgestellten früheren Äußerungen E s und des Angeklagten L, welche die Jugendkammer gar nicht ausdrücklich herangezogen hat, waren bei ihnen zur Abrundung des rechtsfehlerfrei gewonnenen tatgerichtlichen Bildes von der inneren Tatseite durchaus geeignet. Letztlich konnte auch in der festgestellten Tatmotivation des Ausländerhasses, die das Handeln der übrigen vier Angeklagten bestimmte und die sich auch der Angeklagte B. jedenfalls als Mitläufer zueigen machte, als ergänzendes, insoweit hinreichend aussagekräftiges Indiz für eine Erleichterung der Überwindung der hohen Hemmschwelle zum Tötungsvorsatz herangezogen werden.
cc) Bei dieser Sachlage führen auch drei bedenkliche Passagen im angefochtenen Urteil – welche freilich die Bedenken des Generalbundesanwalts besonders verständlich machen – nicht zur Beanstandung der Annahme des bedingten Tötungsvorsatzes.
(1) Der Senat versteht die Wendung, wonach die Jugendkammer durch den Rest an Skrupeln, welchen der Verzicht auf ein Zutreten „mit voller Wucht” belegt, den „Verdacht”, daß die Angeklagten den Tod des Nebenklägers für möglich hielten und gleichwohl weiter traten, nicht ausgeräumt sieht (UA S. 33 f.), nicht als Beleg für eine Verletzung des Zweifelsgrundsatzes, sondern als eine wenig geglückte Formulierung, welche auch die darüber hinausgehende, im übrigen hinreichend zum Ausdruck gebrachte Überzeugung des Tatgerichts vom bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten beim Weitertreten gestattete.
(2) Daß die Jugendkammer bei der Feststellung der Voraussetzungen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) den anderweit begründeten bedingten Tötungsvorsatz mit der damit einhergehenden Überwindung einer hohen Hemmschwelle – für sich genommen zutreffend – herangezogen hat (UA S. 38), ohne indes andererseits den Zustand der alkoholbedingten Enthemmung der Angeklagten als mögliches Gegenindiz beim Tötungsvorsatz ausdrücklich erörtert zu haben (vgl. BGH NStZ 2004, 51, 52), erweist sich ebenfalls nicht als durchgreifend bedenklich. Die suchtmittelbedingte Enthemmung war nach der rechtsfehlerfreien Würdigung der Jugendkammer bei sämtlichen Angeklagten nicht so weitgehend, daß sie die durch andere Indizien gewonnene Überzeugung des Tatgerichts vom Tötungsvorsatz für sich eher unwahrscheinlich machte. Auch wenn gleichwohl eine ausdrückliche Abhandlung – bzw. ein anderer Urteilsaufbau im Zusammenhang mit der Erörterung der Schuldfähigkeit – vorzuziehen gewesen wäre, hegt der Senat noch nicht die Besorgnis, daß die Jugendkammer bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes den alkoholbedingt enthemmten Zustand der Angeklagten, der das Ergebnis dieser Prüfung nicht nachhaltig in Zweifel ziehen mußte, aus dem Blick verloren hätte. Für das besonders geringe Alter der zur Tatzeit noch jugendlichen Angeklagten gilt nichts anderes.
(3) Die Ausführungen der Jugendkammer, „spätestens” als die Angeklagten den Nebenkläger verließen, hätten alle es für möglich gehalten, er werde die Verletzungen nicht überleben (UA S. 15), bedeutet nicht etwa, daß die Jugendkammer sich erst für diesen Zeitpunkt von einem bedingten Tötungsvorsatz aller Angeklagter – im Sinne einer Unterlassungstat – überzeugt hätte. Die unmittelbar anschließende Erörterung ihrer Vorstellungen während der Verletzungshandlungen und die eindeutigen Ausführungen zur Erörterung des bedingten Tötungsvorsatzes im Rahmen von Beweiswürdigung (UA S. 33 f.) und rechtlicher Würdigung (UA S. 39) belegen, daß die Jugendkammer sich von einem bedingten Tötungsvorsatz aller Angeklagter für den Zeitpunkt der Verletzungshandlungen überzeugt hat und mit der genannten Wendung lediglich darüber hinausgehend die Vorstellung der Angeklagten von einem beendeten Versuch belegen wollte.
c) Die Annahme der Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe ist ersichtlich rechtsfehlerfrei, und zwar auch bei dem Angeklagten B (vgl. BGHSt 47, 128, 131; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 27; BGH NStZ 1999, 129, 130). Sie werden für die gegebene Fallgestaltung auch durch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB nicht in Frage gestellt (vgl. BGHR aaO; BGH NStZ-RR 2003, 78, 79; vgl. auch BGHSt aaO S. 133).
d) Die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom für alle Angeklagte – auch den Angeklagten L – beendeten Versuch hat die Jugendkammer zutreffend verneint.
2. Auch die Rechtsfolgenaussprüche sind frei von durchgreifenden Rechtsfehlern zum Nachteil aller Angeklagter. Der Senat beschränkt sich auf die Anmerkung, daß die gegen die Angeklagten S und B verhängten milden Jugendstrafen, deren Vollstreckung sogar jeweils zur Bewährung ausgesetzt wurde, als erzieherisch allermindestens gebotene Sanktion selbst bei bloßer Verurteilung dieser Angeklagter wegen gefährlicher Körperverletzung nicht hätten unterschritten werden dürfen.
Unterschriften
Basdorf, Häger, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen