Leitsatz (amtlich)
Die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW kann nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass sie generell auch die Fälle erfasst, in denen die Klage aufgrund einer unzutreffenden Ermittlung des Streitwerts zunächst vor dem LG erhoben wird und dieses den Rechtsstreit wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gem. § 281 Abs. 1 ZPO an das AG verweist.
Normenkette
EGZPO § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 3; SchlG BW § 1 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 7.3.2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Mit der beim LG erhobenen Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Unterlassung der Behauptung in Anspruch, sie habe ihm 40.000 EUR gestohlen oder unterschlagen. Den Streitwert hat sie in der Klage mit 10.000 EUR angegeben. Das LG hat den Streitwert auf 2.000 EUR festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat das OLG als unzulässig verworfen. Auf den Verweisungsantrag der Klägerin hat das LG den Rechtsstreit an das AG verwiesen. Das AG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin das gem. § 15a EGZPO i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchlG BW erforderliche Schlichtungsverfahren vor der Klageerhebung nicht durchgeführt habe. Das LG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 2
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage unzulässig, weil entgegen § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchlG BW vor der Klageerhebung kein Schlichtungsverfahren stattgefunden habe. Von § 1 SchlG BW würden Klagen erfasst, die vor dem AG erhoben würden. Der Anwendungsbereich der Bestimmung erstrecke sich aber auch auf solche Klagen, die richtigerweise vor dem AG hätten erhoben werden müssen und nur aufgrund einer Höherbewertung des Streitwerts durch den Kläger vor dem LG erhoben worden seien. Das mit § 15a EGZPO verfolgte Ziel werde nur erreicht, wenn die Bestimmung konsequent derart ausgelegt werde, dass die Rechtsuchenden und die Anwaltschaft in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zur Schlichtungsstelle beschreiten müssten. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation entspreche den Fällen einer subjektiven bzw. objektiven Klagehäufung, in denen der BGH die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens für erforderlich gehalten habe. In jedem Einzelfall zu prüfen, ob missbräuchlich ein zu hoher Streitwert angenommen worden sei, um die Klage vor dem LG erheben zu können, entspreche nicht dem Wortlaut und der Zielrichtung der gesetzlichen Regelung und würde zu einer nicht wünschenswerten prozessualen Rechtsunklarheit führen.
II.
Rz. 3
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fällt das vorliegende Verfahren nicht in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchlG BW.
Rz. 4
1. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchlG BW ist die Erhebung der Klage vor den AG in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, erst zulässig, nachdem versucht worden ist, die Streitigkeit in einem Schlichtungsverfahren einvernehmlich beizulegen. Die Bestimmung enthält eine von Amts wegen zu prüfende, besondere Prozessvoraussetzung, die bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen muss (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.2004 - VI ZR 336/03, BGHZ 161, 145, 147 ff.; v. 8.7.2008 - VI ZR 221/07, VersR 2009, 1288 Rz. 10; v. 13.7.2010 - VI ZR 111/09, VersR 2010, 1444 Rz. 9, 11, jeweils m.w.N.).
Rz. 5
2. Wie das LG zutreffend gesehen hat, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW an sich nicht erfüllt. Denn die Klägerin hat die Klage nicht vor dem AG, sondern - unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 10.000 EUR - vor dem LG erhoben. Dort hat sie ihre Klageschrift eingereicht; von dort ist die Klage dem Beklagten zugestellt worden (vgl. §§ 253 Abs. 1, 271 Abs. 1 ZPO).
Rz. 6
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass sie generell auch die Fälle erfasst, in denen die Klage aufgrund einer unzutreffenden Ermittlung des Streitwerts zunächst vor dem LG erhoben wird und dieses den Rechtsstreit wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gem. § 281 Abs. 1 ZPO an das AG verweist. Ein derartiges Verständnis der Norm ist mit ihrem Wortlaut nicht vereinbar, berücksichtigt den Sinn und Zweck des § 281 ZPO nicht hinreichend und führt zu unerwünschten prozessualen Unklarheiten.
Rz. 7
a) Durch die Schaffung des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW hat der Landesgesetzgeber von der ihm in § 15a EGZPO eingeräumten Kompetenz Gebrauch gemacht, die Zulässigkeit der Klageerhebung in bestimmten bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten von der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens abhängig zu machen. Ausweislich des klaren Wortlauts des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW und der Gesetzesbegründung hat er hierbei die Ermächtigung nicht voll ausgeschöpft, sondern sich ausdrücklich darauf beschränkt, eine - den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Rechtsuchenden einschränkende - zusätzliche Sachurteilsvoraussetzung in Form der obligatorischen Schlichtung nur für die Klagen anzuordnen, die vor den AG erhoben werden (vgl. LT-Drucks. 12/5033 S. 1, 17 f.; zur Beeinträchtigung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs durch Regelungen über die obligatorische Schlichtung: BVerfGK 10, 275). Die Möglichkeit, ein obligatorisches Schlichtungsverfahren auch für landgerichtliche Verfahren vorzusehen, hat der Landesgesetzgeber bewusst nicht wahrgenommen (LT-Drucks. 12/5033 S. 18).
Rz. 8
b) Eine danach beim LG ohne vorherige Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zulässig erhobene Klage wird nicht nachträglich dadurch unzulässig, dass der Rechtsstreit vom LG wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gem. § 281 Abs. 1 ZPO an das AG verwiesen wird (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 281 Rz. 15a; Zöller/Heßler, a.a.O., § 15a EGZPO Rz. 18; Prütting/Taxis, Außergerichtliche Streitschlichtung, 2003, Rz. 179; Stickelbrock, JZ 2002, 633, 636 f.; Bitter, NJW 2005, 1235, 1239; Schilken, FS Ishikawa, 2001, S. 471, 473 in Fn. 15 zur Verweisung durch ein Gericht in einem Land ohne obligatorisches Schlichtungsverfahren in ein Land mit obligatorischem Schlichtungsverfahren; Hk-ZPO/Saenger, 5. Aufl., § 15a EGZPO Rz. 2; Kothe/Anger, SchlG BW, 2001, § 1 Rz. 5; a.A. Gruber in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 15a EGZPO Rz. 5; Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 15a EGZPO Rz. 12; Unberath, JR 2001, 355, 357). Denn die Verweisung gem. § 281 ZPO erhält die Rechtshängigkeit des Rechtsstreits; frühere Prozesshandlungen wirken wegen des Grundsatzes der Einheit des Verfahrens fort (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O., § 15a EGZPO Rz. 18; Stickelbrock, JZ 2002, 633, 636; Kothe/Anger, a.a.O.). Eine andere Beurteilung führte dazu, dass die Bestimmung des § 281 ZPO in diesen Fällen ihres Sinns beraubt würde. Zweck dieser Regelung ist es, im Interesse der Prozessökonomie einer Verzögerung und Verteuerung der Verfahren durch Zuständigkeitsstreitigkeiten vorzubeugen und die Vorteile der Rechtshängigkeit zu sichern (vgl. BGH, Beschl. v. 23.3.1988 - IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943; Prütting in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 281 Rz. 1; Bacher in BeckOK ZPO, § 281 Rz. 1, Stand: 15.1.2013; Saenger/Saenger, a.a.O., § 281 Rz. 1). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn sich der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW auf die Fälle erstreckte, in denen der Rechtsstreit vom LG gem. § 281 Abs. 1 ZPO an das AG verwiesen wird. Denn da das Schlichtungsverfahren der Klageerhebung vorausgehen muss und nicht nachgeholt werden kann (BGH, Urt. v. 23.11.2004 - VI ZR 336/03, a.a.O.; v. 13.7.2010 - VI ZR 111/09, a.a.O., Rz. 9, jeweils m.w.N.), müsste die Klage in diesen Fällen ausnahmslos als unzulässig abgewiesen werden.
Rz. 9
c) Hinzu kommt, dass der Rechtsuchende gerade in den in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SchlG BW geregelten Streitigkeiten im Vorfeld nicht immer klar erkennen kann, ob die Klage "richtigerweise beim AG erhoben werden" muss. Denn in diesen Streitigkeiten ist das Klagebegehren häufig nicht auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme, sondern auf Duldung, Unterlassung oder Beseitigung gerichtet, so dass die Bewertung des für den Zuständigkeitsstreitwert gem. § 3 ZPO maßgeblichen Interesses des Klägers (vgl. BGH, Beschl. v. 8.3.2012 - V ZB 247/11, Grundeigentum 2012, 683; v. 6.12.2012 - V ZR 44/12, Grundeigentum 2013, 347) durch die Partei bzw. ihren Anwalt einerseits und das Gericht andererseits unterschiedlich ausfallen kann. Erfasste § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW auch vom LG gem. § 281 Abs. 1 ZPO an das AG verwiesene Verfahren, so müsste der Rechtsuchende, um eine Abweisung seiner Klage als unzulässig sicher zu vermeiden, in allen Streitigkeiten i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 SchlG BW vor der Klageerhebung einen Einigungsversuch unternehmen, auch wenn aus seiner Sicht die sachliche Zuständigkeit des LG gegeben ist. Eine derart umfassende Schlichtungspflicht war mit der Einführung des § 1 SchlG BW aber gerade nicht beabsichtigt (vgl. LT-Drucks. 12/5033 S. 1, 17 f.).
Rz. 10
4. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn die Klage rechtsmissbräuchlich vor einem sachlich unzuständigen Gericht erhoben wurde (vgl. Bitter, NJW 2005, 1235, 1239), bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Annahme sind Anhaltspunkte weder ersichtlich noch dargetan.
Fundstellen
Haufe-Index 4711808 |
EBE/BGH 2013, 214 |
JZ 2013, 510 |
VersR 2014, 601 |