Entscheidungsstichwort (Thema)
unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 18. Dezember 2000 im Ausspruch über die wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verhängte Einzelstrafe und über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in elf Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Einsatzstrafe wegen Handeltreibens und des Gesamtstrafausspruchs; im übrigen ist sie unbegründet.
I.
1. Der Angeklagte, ein vormals beruflich erfolgreicher Architekt, wurde im Jahre 1996 Opfer eines schweren Verkehrsunfalls; während er einem verunfallten Kraftfahrer Hilfe leistete, fuhr ein anderes Fahrzeug in die Unfallstelle. Er erlitt dabei unter anderem eine Schädigung seines Frontalhirns. Das schwere Schädel-Hirntrauma führte zu einer Depravation, welche die Kritikfähigkeit des Angeklagten herabsetzte und eine Veränderung seines Charakters bewirkte. In der Folgezeit kam der Angeklagte in Kontakt mit dem Münchener Rotlichtmilieu und er konsumierte Kokain. Diese Umstände führten zu seinem finanziellen und beruflichen Niedergang.
2. Die Straftaten betreffen zum einen elf Erwerbsakte – von jeweils zwischen zwei und fünf Gramm Kokain zum Eigenverbrauch – und zum anderen die Vermittlung eines Kaufgeschäfts an einen Verdeckten Ermittler über vier Kilogramm Kokain, dem eine erste Teillieferung von 0,5 Kilogramm übergeben wurde.
a) Über seinen Bekannten und Geschäftspartner O., der im Münchener Halbweltmilieu verkehrte, bezog der Angeklagte in sechs Fällen Kokain für seinen Eigenbedarf. Von anderen Personen erwarb er fünf mal Kokain.
b) Zu dem Handelsgeschäft mit Kokain kam es wie folgt: Nachdem O. im Spätsommer 1998 wegen Betäubungsmitteldelikten verhaftet worden war, distanzierte sich der Angeklagte von ihm und mied jeden Kontakt mit dessen Bekannten. Sein Büropersonal wies er an, Anrufer oder Besucher, die O. sprechen wollten, „abzuwimmeln”.
Bereits im Frühjahr 1998 waren bei der Polizei Hinweise eingegangen, der Angeklagte handle mit Kokain. Als sich im Spätherbst 1998 – insbesondere durch die Angaben O.– gewichtige Verdachtsmomente gegen den Angeklagten im Hinblick auf Betäubungsmitteldelikte verdichteten, wurde der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers angeordnet. Diesen hatte der Angeklagte bereits im Sommer über O. bei einem gemeinsamen Treffen flüchtig kennengelernt.
Mitte November 1998 rief der Verdeckte Ermittler im Büro des Angeklagten an, und verlangte O. zu sprechen. Die Sekretärin des Angeklagten stellte – entgegen dessen Weisung, er wolle keinen Kontakt mit Anrufern, die O. sprechen wollten – das Gespräch zum Angeklagten durch, nachdem der Verdeckte Ermittler die Angelegenheit als dringlich dargestellt hatte. Beide vereinbarten ein Treffen für den nächsten Tag, nachdem der Verdeckte Ermittler angedeutet hatte, er habe eigentlich mit O. „ein Geschäft” geplant.
Bei dem Treffen teilte der Angeklagte mit, O. sei in Untersuchungshaft. Der Verdeckte Ermittler gab hierauf zu verstehen, er sei mit O. wegen eines Kokaingeschäfts in Verhandlungen gewesen und dieser habe sich guter Kontakte zu Kokainhändlern gerühmt. Darauf reagierte der Angeklagte ärgerlich und gab zu verstehen, nicht O., sondern er selbst sei derjenige, der über diese Kontakte verfüge. Als sich der Verdeckte Ermittler an der Abnahme von drei bis fünf Kilogramm Kokain interessiert zeigte, sagte der Angeklagte „ohne jegliches Zögern” zu, umgehend eine derartige Menge zu liefern, da er einen Lieferanten habe.
Der Angeklagte bemühte sich daraufhin bei Bekannten in Gera vergeblich um die Beschaffung von vier Kilogramm Kokain. Auch Bemühungen, das Kokain in Amsterdam zu erwerben, scheiterten. Zwei anderen vom Angeklagten angesprochenen Bekannten gelang es schließlich im Januar 1999, einen Kontakt zu einem Lieferanten in Berlin herzustellen. Nachdem die Bekannten durch Vermittlung des Angeklagten dem Verdeckten Ermittler zunächst eine Kokainprobe überbracht hatten, übergaben sie – vom Angeklagten angewiesen – dem Verdeckten Ermittler Ende Januar 1999 eine erste Teillieferung von 0,5 Kilogramm Kokain aus der vereinbarten Gesamtliefermenge von vier Kilogramm. Der Angeklagte, der bei der Übergabe nicht anwesend war, erwartete für die Vermittlung einen Gewinn von insgesamt 40.000 DM.
3. Sachverständig beraten hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht. Zugunsten des Angeklagten sei von einer krankhaften seelischen Störung auszugehen, welche die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt haben könne. Infolge des Unfalls sei „die Kritikfähigkeit und das ethische Bewußtsein des Angeklagten möglicherweise noch zur Tatzeit beeinträchtigt gewesen.” Daß dabei die Einsichtsfähigkeit erhalten geblieben ist, hat das Landgericht gesehen und – wenn auch knapp – erörtert.
Für das Handelsgeschäft hat das Landgericht aus dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und § 31 BtMG, § 49 Abs. 2 StGB verschobenen Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG die Einsatzstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Eine Tatprovokation durch den Verdeckten Ermittler hat das Landgericht verneint, weil der Angeklagte – wie die Erwerbstaten belegten – „bereits tief in Betäubungsmitteldelikte verstrickt” gewesen sei, als er vom Verdeckten Ermittler angesprochen wurde. Zudem sei er zu keinem Zeitpunkt zur Tatbegehung gedrängt worden.
II.
Während der Schuldspruch und die Einzelstrafaussprüche zu den Erwerbstaten rechtsfehlerfrei sind, hält die Bemessung der Einsatzstrafe für das Handeltreiben rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Allerdings liegt beim Handeltreiben, wie das Landgericht zu Recht annimmt, schon keine (zulässige) Tatprovokation vor. Das stellt auch die Revision nicht infrage.
a) Wie der Senat in seinem Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99 (BGHSt 45, 321) ausgeführt hat, liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt.
Der Senat hat diesen Maßstab weiter dahin konkretisiert, daß eine Tatprovokation nicht schon dann vorliegt, wenn ein Dritter ohne sonstige Einwirkung lediglich darauf angesprochen wird, ob dieser Betäubungsmittel beschaffen könne. Ebenso liegt keine Provokation vor, wenn nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausgenutzt wird. Dagegen liegt eine Tatprovokation vor, wenn über das bloße „Mitmachen” hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter eingewirkt wird (BGHSt 45, 321, 338).
Erreicht die Intensität der Einwirkung durch den polizeilichen Lockspitzel das Maß einer Tatprovokation, so ist diese nur zulässig, wenn die Vertrauensperson bzw. ein Verdeckter Ermittler gegen eine Person eingesetzt wird, die in einem den § 152 Abs. 2, § 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein; hierfür müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Einsatz ursprünglich (bis zur Tatprovokation) der präventiven Gefahrenabwehr diente oder von Anfang an repressiven Charakter hatte. Die Rechtmäßigkeit des Lockspitzeleinsatzes ist selbst im Falle einer „Gemengelage” einheitlich an den Regelungen der StPO zu messen (BGHSt 45, 321, 337).
Diese Maßstäbe hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tage (1 StR 42/01) – insbesondere für die Problematik des sog. „Quantensprungs” – näher konkretisiert und ausgeführt, daß es zwischen der Stärke des bestehenden Tatverdachts und dem Maß der für die Annahme einer Tatprovokation erheblichen Einwirkung eines polizeilichen Lockspitzels eine Wechselwirkung geben kann. Je stärker der Verdacht, desto nachhaltiger wird auch die Stimulierung zur Tat sein dürfen, bevor die Schwelle der Tatprovokation erreicht wird.
b) Im vorliegenden Fall mag durchaus fraglich sein, ob zu dem Zeitpunkt, als der Verdeckte Ermittler das Handelsgeschäft initiierte, zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlagen, daß der Angeklagte auch zu einer Straftat der vorliegenden Art bereit war. Das Landgericht begründet dessen tiefe Verstrickung in Betäubungsmitteldelikte nämlich mit den Erwerbsakten, einer weniger gravierenden Deliktsform. Diese bezogen sich zudem auf Mengen, die erheblich unter der initiierten Handelsmenge lagen. Das Handelsgeschäft unterscheidet sich damit erheblich von der bisherigen Verstrickung des Angeklagten (Problem des „Quantensprungs”). Auf der anderen Seite gab es auch Hinweise, daß der Angeklagte mit Kokain handle und die Gestattung des Einsatzes des Verdeckten Ermittlers legt nahe, daß ein konkreter Tatverdacht für eine Straftat von erheblicher Bedeutung auf dem Gebiet des Betäubungsmittelverkehrs bestand (vgl. § 110a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 110b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO).
Jedenfalls war der Angeklagte sogleich zu einem derartigen Geschäft tatgeneigt und der Verdeckte Ermittler hat ihn ohne sonstige Einwirkung lediglich darauf angesprochen. Es ist auch nicht festgestellt, daß die herabgesetzte Kritikfähigkeit des Angeklagten dem Verdeckten Ermittler oder den Ermittlungsbehörden bekannt war, oder daß diese gar ausgenutzt wurde; dann allerdings hätte eine Tatprovokation nahegelegen. Damit wurde – auch unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Tatverdacht und Einwirkungsintensität – die Schwelle zur Tatprovokation nicht erreicht.
2. Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings, daß das Landgericht bei der Bemessung der Einsatzstrafe nicht alle Umstände angeführt hat, die hier für die Zumessung der Strafe bestimmend sein mußten.
Unzureichend berücksichtigt ist insbesondere der Umstand, daß die Kritikfähigkeit des Angeklagten wegen der unfallbedingten Wesensveränderung beeinträchtigt war. Diese Wesensveränderung hatte auch zu einem Renommiergehabe geführt. Zwar haben die Ermittlungsbehörden mangels Kenntnis diesen Umstand nicht ausgenutzt. Objektiv mag die Wesensveränderung aber den spontanen Entschluß zu dem Handelsgeschäft mit hoher Gewinnerwartung gefördert haben, zumal der Angeklagte nur mit erheblichem Aufwand eine Lieferquelle erschließen konnte. Zudem war er infolge seines – wenn auch nicht gänzlich unverschuldeten – beruflichen Niedergangs in einer schwierigen finanziellen Lage. Zu bedenken war weiter, daß sich der Angeklagte von O. distanziert und Vorkehrungen getroffen hatte, Kontakte mit Bekannten O. s zu meiden.
Zwar hat das Landgericht die durch die Hirnverletzung hervorgerufene Persönlichkeitsveränderung zum Anlaß genommen, eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen. Es hat bei der Verneinung des minder schweren Falles – der eher fern liegt – auch bedacht, daß zwei vertypte Milderungsgründe vorliegen. Gleichwohl hätten die oben genannten Umstände, die gerade wegen ihres Zusammenwirkens allein von der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht ausreichend erfaßt sind, hier auch bei der konkreten Strafzumessung ins Gewicht fallen müssen (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 166).
3. Der Senat kann nicht sicher ausschließen, daß die Einsatzstrafe darauf beruht. Die Aufhebung der Einsatzstrafe führt zur Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs. Die Einzelstrafen für die Erwerbshandlungen können bestehen bleiben, sie sind von dem Rechtsfehler nicht berührt.
Unterschriften
Schäfer, Nack, Boetticher, RiBGH Schluckebier befindet sich im Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert Schäfer, Schaal
Fundstellen