Verfahrensgang

LG Bayreuth

 

Gründe

Die Strafkammer hat den Angeklagten P wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen, jeweils rechtlich zusammentreffend mit Steuerhehlerei, zur Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Er rügt Verletzung des formellen und des materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.

I. Der Angeklagte macht geltend, daß die Strafkammer gegen die Vorschrift des § 265 Abs. 2 StPO verstoßen habe.

1. Das Tatgericht hat im Falle II.1. der Urteilsgründe die Annahme eines besonders schweren Falles auch darauf gestützt, daß der Angeklagte gewerbsmäßig gehandelt habe (UA S. 11). In der Anklage wurde der Vorwurf gewerbsmäßigen Handelns nicht erhoben, die Vorschrift des § 11 Abs. 4 Nr. 4 BetMG nicht angeführt. Die Anklage wurde ohne Änderungen zugelassen. Die Sitzungsniederschrift weist nicht aus, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit der Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Handelns hingewiesen worden ist.

Unter Berufung auf das Schweigen des Hauptverhandlungsprotokolls bringt der Angeklagte vor, daß ein solcher Hinweis nicht gegeben und infolgedessen das Gesetz wegen Nichtbeachtung der Bestimmung des § 265 Abs. 2 StPO verletzt worden sei.

2. Das tatsächliche Vorbringen der Revision ist als bewiesen anzusehen (§ 274 Satz 1 StPO; BGHSt 19, 141, 143).

Ihre Rechtsauffassung wird vom Senat geteilt.

a) Zwar hat er in einem Urteil vom 5. Juli 1977 - 1 StR 284/77 - (NJW 1977, 1830 Nr. 20) zum Ausdruck gebracht, daß er dazu neige, "die mit der Anführung von bloßen Regelbeispielen versehenen Rechtsfolgeänderungen" den "unbenannten Regelungen" gleichzustellen. Für diese Regelungen gelte aber § 265 Abs. 2 StPO nach wie vor nicht. Ein Hinweis auf erst in der Hauptverhandlung sich ergebende Umstände, welche vom Strafgesetz besonders vorgesehen sind und die Strafbarkeit erhöhen, sei nur erforderlich, wenn die in Betracht kommende Verschärfung an gesetzlich benannte Umstände anknüpfe, wenn also durch Aufnahme eines weiteren Merkmals ein neuer Tatbestand entstehe oder eine anderweit gesetzlich festgelegte Regelung zur Anwendung kommen solle (RGSt 70, 357, 358; 70, 400, 404; RG JW 1935, 2433 Nr. 10; BGH NJW 1959, 996 Nr. 18).

b) Aber diese Darlegungen, die einen Fall betreffen, in welchem das Tatgericht erhöhte Strafbarkeit annahm, weil der Täter Betäubungsmittel in nicht geringen Mengen besaß (§ 11 Abs. 4 Nr. 5 BetMG), führten nicht zu einer abschließenden Beantwortung der angesprochenen Rechtsfrage, weil der geständige Angeklagte Art, Menge und Wert des Rauschgifts, das in seinem Besitze war, nicht in Abrede stellte, infolgedessen ein Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO gar keine weiteren Verteidigungsmöglichkeiten eröffnet hätte.

c) In Fällen gewerbsmäßigen Handelns liegt es in aller Regel auch dann anders, wenn der Täter die äußeren Tatsachen einräumt. Gewerbsmäßig handelt, wer eine bestimmte Absicht verfolgt (vgl. BGHSt 1, 383). Die damit gemeinte Zielvorstellung des Täters ergibt sich nicht ohne weiteres aus dem äußeren Sachverhalt. Es kann sein, daß der Täter die indizielle Bedeutung dieses Sachverhalts zu entkräften oder doch in Frage zu stellen vermag. Infolgedessen kann nicht in Abrede gestellt werden, daß Sinn und Zweck der Vorschrift des § 265 Abs. 2 StPO, die den Angeklagten vor Überraschungen schützen und ihm Gelegenheit zu umfassender Verteidigung geben will (BGHSt 2, 371, 373; 13, 320, 323), für ihre Anwendung sprechen. Zum gleichen Ergebnis führt die Überlegung, daß es für die Frage, ob ein Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO erforderlich ist, nicht darauf ankommen kann, ob die besondere Innentendenz des gewerbsmäßigen Handelns in einer benannten Strafänderung die Bedeutung eines Tatbestandsmerkmals hat oder als Regelbeispiel zur Exemplifizierung eines besonders schweren Falles dient. Für das Beweisrecht und den Grundsatz, daß im rechtsstaatlichen Verfahren der Angeklagte Gelegenheit zu umfassender Verteidigung haben muß, ergeben sich aus der unterschiedlichen rechtstechnischen Ausformung keine Unterschiede. Deshalb hält der Senat den Standpunkt, den er im Urteil vom 5. Juli 1977 - 1 StR 284/77 - (NJW a.a.O.) andeutete, für das Regelbeispiel des gewerbsmäßigen Handelns nicht aufrecht.

Er läßt die Frage offen, ob § 265 Abs. 2 StPO auch in Fällen anderer Regelbeispiele einen Hinweis jedenfalls dann gebietet, wenn ihre Voraussetzungen sich nicht ohne weiteres aus dem äußeren Sachverhalt ergeben, der schon im Rahmen des Schuldvorwurfs Gegenstand der Verhandlung ist. Es erübrigt sich auch ein Eingehen auf die im Schrifttum überwiegend vertretene Meinung, daß stets ein Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO erforderlich sei, wenn sich erst in der Hauptverhandlung herausstelle, die Merkmale eines Regelbeispiels verwirklicht sind oder verwirklicht sein könnten (vgl. insbesondere Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 23. Aufl. § 265 Rdn. 43/44; Arzt Jus 1972, 515, 516/517; Wessels in Festschrift für Maurach 1972 S. 295, 308).

d) Weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß ein Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO dem Angeklagten Gelegenheit zu einer erfolgreichen Verteidigung gegen die Annahme gewerbsmäßigen Handelns gegeben hätte und weil von der Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt worden ist, daß er im Falle II.1. der Urteilsgründe "zwei straferschwerende Umstände erfüllt" hat (§ 11 Abs. 4 Nr. 4 und § 11 Abs. 4 Nr. 5 BetMG), kann nicht verneint werden, daß die in diesem Falle verhängte Strafe auf dem Unterbleiben des Hinweises beruht.

II. Auch die Sachbeschwerde führt zu einem Teilerfolg der Revision.

1. Der Schuldspruch ist allerdings nicht zu beanstanden. Soweit die Rüge der Verletzung materiellen Rechts sich gegen ihn richtet, ist sie offensichtlich unbegründet.

2. Der gesamte Rechtsfolgenausspruch kann aber keinen Bestand haben.

a) Im Falle II.1. ist die Strafkammer davon ausgegangen, daß der Angeklagte mindestens 500 g Heroin zum Weiterverkauf erworben habe. Die festgestellten Einzelmengen (10 g, 40 g, 80 g, 80 g und 250 g) ergeben jedoch nur 460 g. Die Strafkammer hat offensichtlich die umgetauschte Teilmenge von 40 g (UA S 7) zweimal in Ansatz gebracht. Infolgedessen und weil sich der Fehler bei den Berechnungen ausgewirkt hat, die auf der Grundlage der Stoffmenge angestellt worden sind (UA S. 10), ist der Schuldumfang zum Nachteil des Angeklagten nicht zutreffend bestimmt worden. Dadurch kann die Strafzumessung zu seinen Ungunsten beeinflußt worden sein.

b) Ob der Fehler sich auch im Falle II.2. der Urteilsgründe ausgewirkt hat, kann dahingestellt bleiben. Die in diesem Falle ausgesprochene Strafe kann keinen Bestand haben, weil dem neuen Tatgericht Gelegenheit gegeben werden muß, die Frage erneut zu prüfen und zu beantworten, in welcher Relation die beiden Einzelstrafen zueinander stehen sollen. Denn die Strafkammer hat nicht ausreichend verdeutlicht, weshalb sie im Falle II.2. trotz des geringeren Handlungs- und vor allem Erfolgsunrechts, das dieser Fall aufweist, eine höhere Strafe als im Falle II.1. festsetzte.

c) Die Aufhebung der Einzelstrafen bedingt die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe und der Anordnung des Fahrerlaubnisentzugs (vgl. § 69 Abs. 1 StGB). Die Verfallerklärung kann nicht aufrecht erhalten werden, weil sie von der unrichtig berechneten Stoffmenge (vgl. a) ausgeht und nicht erkennen läßt, ob der für die sichergestellte Heroinmenge bezahlte Kaufpreis zugunsten des Angeklagten Berücksichtigung fand (vgl. BGHSt 28, 369). Die Einziehungsanordnung bedarf der Konkretisierung.

Infolgedessen hat der Senat den gesamten Ausspruch über die Rechtsfolgen der Straftaten, wegen welcher der Angeklagte von der Strafkammer verurteilt worden ist, aufgehoben.

III. Die Entscheidung entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992699

NJW 1980, 714

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