Tatbestand

Die StA hatte im vorl. Fall Anklage zum AG erhoben. Dort war dem Angekl. auf seinen Wunsch hin sein bisheriger Wahlverteidiger Rechtsanwalt Dr. B. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Nach mehrfacher Verhandlung hatte das AG die Sache gem. § 270 StPO an das LG verwiesen. Der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer hob die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. B. zum Verteidiger mit der Begründung auf, Dr. B. biete als bestellter Verteidiger weder die Gewähr für eine sachgerechte Verteidigung noch für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptverhandlung. Das OLG (Köln) hat der gegen den Widerruf der Pflichtverteidiger-Bestellung gerichteten Beschwerde des Angekl. stattgegeben; die Abberufung des Verteidigers wäre selbst dann unzulässig, wenn die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zuträfen. Das daraufhin vom Angekl. gestellte Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden hält der Senat für berechtigt.

›... Durch die Art und Weise des Vorgehens des Vorsitzenden der Strafkammer, wie durch die Erwägungen, auf die er den Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung stützte, gab er dem Angekl. hinlänglichen Grund zu der Annahme mangelnder Unvoreingenommenheit. Der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers, der das Vertrauen des Beschuld. besitzt, berührt die Verteidigungsbelange auf das stärkste. Es versteht sich von selbst, daß dem Verteidiger und seinem Mandanten grundsätzlich rechtliches Gehör gewährt werden muß, bevor die Widerrufsverfügung ergeht. Der Vorsitzende des Tatgerichts hat sich über diesen Grundsatz hinweggesetzt. Billigenswerte Gründe für sein Verhalten sind nicht zu ersehen.

Ein rasches Hinwegsetzen des abgelehnten Richters über die Verteidigungsinteressen wird auch in der Nichtabhilfeentscheidung vom 4. 4. 1989 erkennbar. Er unterließ die gebotene Auseinandersetzung mit dem gewichtigen Beschwerdevorbringen. Was er ins Feld führte Ä die Beschwerde sei unzulässig und prozessual überholt Ä konnte Anlaß zu der Folgerung geben, daß er aus sachfremden Erwägungen eine sachliche Prüfung verweigere.

Der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers setzt einen wichtigen Grund voraus. Es müssen Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden. Der Zweck besteht darin, dem Beschuld. einen geeigneten Beistand zu sichern und einen geordneten Verfahrensablauf zu gewährleisten .. . Die Gründe, die der Vorsitzende .. in seiner Widerrufsverfügung anführte, hatten keinen Bezug zum Verteidigungsinteresse und rechtfertigten es nicht, einen geordneten Verfahrensablauf in dieser Sache in Frage zu stellen. Sie mußten den Eindruck erwecken, daß es sich um vorgeschobene Gründe handele, die vorgebracht wurden, um einen mißliebigen, weil unbequemen Verteidiger aus dem Verfahren entfernen zu können.

Zu diesen Gründen ist noch zu bemerken: Die Zurücknahme der Bestellung wegen des Verhaltens von Rechtsanwalt Dr. B. als Verteidiger in zwei anderen Verfahren wurde nur pauschal begründet. Der Vorwurf, der Rechtsanwalt habe in einem Verfahren inhaltlich abwegige Beweisanträge gestellt, ist unsubstantiiert erhoben, die Behauptung, er habe den Verteidiger eines Mitbeschuldigten dort wider besseres Wissen der Mitwirkung bei einer Falschaussage bezichtigt, wird in der Verfügung durch keine Tatsachen belegt. Dr. B. hat in seiner Beschwerdebegründung im einzelnen dargelegt, warum dieser Vorwurf unberechtigt ist. Seine Darstellung wird durch das Protokoll über die Hauptverhandlung in dem Verfahren 108 Ä 66/88 gestützt.

Zu dem weiteren Vorwurf, Rechtsanwalt Dr. B. habe im Jahre 1983 den Abbruch und die Aussetzung einer Hauptverhandlung erzwungen, ähnliche Störungen seien weiterhin zu besorgen, hat das OLG Köln in seinen Beschlüssen vom 6. 2. 1984 und 25. 4. 1989 bereits zutreffend ausgeführt, daß zu einer Aussetzung des Verfahrens damals kein Anlaß bestand. Im übrigen kann der Umstand, daß ein Rechtsanwalt vor mehr als fünf Jahren in einem anderen Verfahren unzulässigerweise eine Unterbrechung einer Hauptverhandlung erzwungen hatte, nicht mehr ernsthaft als Grund angesehen werden, nunmehr seine Pflichtverteidigerbestellung in einem anderen Verfahren zurückzunehmen. ...‹

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993015

NJW 1990, 1373

DRsp IV(448)159a

NStZ 1990, 289

AnwBl 1990, 323

MDR 1990, 455

StV 1990, 241

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