Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 19.05.2003) |
Tenor
1. Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung erhobener und Anbringung weiterer Verfahrensrügen zu bewilligen, wird verworfen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. Mai 2003 dahin geändert, daß im Fall 14 der Urteilsgründe eine Einzelstrafe von acht Monaten verhängt wird.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 25 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte vielfach vorbestraft. Seit 1973 wurde er allein elf Mal wegen Betrugs verurteilt und hat mehrfach mehrjährige Gesamtfreiheitsstrafen wegen einschlägiger Taten verbüßt. Um die Jahreswende 1998/1999 lernte der Angeklagte, der in der Justizvollzugsanstalt B. einsaß, durch einen Mithäftling die frühere Mitangeklagte … J. kennen, die ihn in der Folgezeit verschiedentlich unterstützte. Aus einem Hafturlaub am 22. Februar 1999 kehrte der Angeklagte nicht in die Justizvollzugsanstalt zurück. Nachdem ihn Frau J. für einige Tage in der Wohnung eines Bekannten untergebracht hatte, reisten beide umher. Der Angeklagte mietete in der Folgezeit Fahrzeuge und Unterkünfte an, obwohl er zur Zahlung nicht in der Lage war. Er war vermögenslos und hatte keine Geldeingänge in Aussicht, gab aber gegenüber Frau J. vor, er könne mit einem größeren Posten Textilien einen Textilvertrieb aufbauen. Obwohl Frau J. spätestens ab Mitte März 1999 erkannte, daß der Angeklagte auf der Flucht war und weder Geld noch Textilien zu erwarten hatte, begleitete sie ihn weiterhin und ging mit ihm gemeinsam oder auf seine Veranlassung in der Folgezeit Verbindlichkeiten ein. Beide liehen Geld von Bekannten, denen sie dafür vom Angeklagten ausgestellte ungedeckte Schecks aushändigten, mieteten Wohnungen und ein Büro an, errichteten Konten, nahmen Kredite auf, stellten eine Bürokraft ein und bezogen Waren, wobei der Angeklagte unter falschen Namen auftrat. Im Mai 1999 trennten sich beide; der Angeklagte wurde am 8. Juli 1999 verhaftet. Der Verurteilung liegen 25 Taten zwischen dem 25. Februar 1999 und dem 6. Juli 1999 zugrunde, durch die ein Vermögensgefährdungsschaden von insgesamt 119.246,39 DM verursacht worden ist. In einer ganzen Anzahl dieser Fälle hat der Angeklagte den Schaden später ganz oder teilweise wiedergutgemacht; insgesamt hat er Zahlungen in Höhe von 45.796,68 DM zur Schadenswiedergutmachung erbracht.
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als – teils gemeinschaftlich begangenen – Betrug in 25 Fällen gewürdigt. Der Strafzumessung hat es jeweils den Strafrahmen für den besonders schweren Fall zugrundegelegt. Der Angeklagte habe gewerbsmäßig gehandelt (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB); auch aufgrund seiner umfangreichen einschlägigen Vorstrafen sei die Annahme besonders schwerer Fälle gerechtfertigt. Die Strafhöhe im konkreten Fall hat das Landgericht jeweils nach der Höhe des Vermögensgefährdungsbetrages abgestuft und für Fälle mit einer Schadenshöhe bis 1.999 DM Einzelstrafen von sechs Monaten (neun Fälle), mit einer Schadenshöhe von 2.000 DM bis 4.999 DM von acht Monaten (sieben Fälle), mit einer Schadenshöhe von 5.000 DM bis 9.999 DM von elf Monaten (sechs Fälle) und mit einer Schadenshöhe über 10.000 DM von einem Jahr und fünf Monaten (drei Fälle) verhängt. Aus den Einzelstrafen hat das Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren gebildet. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es auf § 66 Abs. 2 StGB gestützt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Eine Wiedereinsetzung für die Nachholung von Verfahrensrügen ist in keinem Fall gerechtfertigt.
a) Rechtsanwalt W. hat die Wiedereinsetzung für die Nachholung von Verfahrensrügen bereits am 6. Oktober 2003, mithin eine Woche vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, beantragt. Kopien der Protokollbände waren ihm bereits am 2. Oktober 2003 zur Verfügung gestellt worden. Gründe für eine Wiedereinsetzung sind danach nicht ersichtlich; der Verteidiger hat auch keine Verfahrensrügen erhoben (§ 45 Abs. 2 StPO).
b) Einer Wiedereinsetzung hinsichtlich des Schriftsatzes des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. M. vom 13. Oktober 2002 bedarf es nicht; der Schriftsatz ist an diesem Tag und damit innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vollständig bei der Faxstelle des Landgerichts Frankfurt am Main eingegangen.
c) Eine Wiedereinsetzung für die mit Schriftsatz des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. M. vom 21. Oktober 2003, beim Landgericht eingegangen am 22. Oktober 2003 erhobenen Verfahrensrügen kommt nicht in Betracht. Eine Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen hat der Bundesgerichtshof ausnahmsweise zugelassen, wenn dem Verteidiger des Beschwerdeführers bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist trotz mehrfacher Mahnung Akteneinsicht nicht gewährt wurde und eine Verfahrensrüge nachgeschoben werden soll, die ohne Kenntnis der Akten nicht begründet werden kann (BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 4, 5, 7, 10). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben: Der Verteidiger hätte sich angesichts des bevorstehenden Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist nicht damit zufrieden geben dürfen, daß ihm auf seine telefonischen Nachfragen versichert wurde, das Protokoll sei abgesandt, sondern hätte sich darum bemühen müssen, es bei Gericht einzusehen.
2. Die zulässig erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Die Befangenheitsrüge hinsichtlich des Vorsitzenden Richters am Landgericht Dr. K. und die Aufklärungsrüge zum Fall 17 (H.-Moden) sind aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 12. Dezember 2003 dargelegten Gründen unbegründet.
Die Aufklärungsrüge zum Fall I. ist unzulässig; der Tatsachenvortrag ist erst durch Schriftsatz vom 21. Oktober 2003, also nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, vervollständigt worden. Die Rüge wäre im übrigen auch unbegründet. Das Landgericht hat den Zeugen … I. gehört. Daß das Landgericht den Sachverhalt anders gewürdigt hätte, wenn der Notar O. den Inhalt des Schreibens des Zeugen bestätigt hätte, ist auszuschließen. Die Rügen der Verletzung des Beweisantragsrechts durch Ablehnung der Vernehmung des Zeugen T. und der fehlerhaften Ablehnung des Befangenheitsantrags gegen den Sachverständigen Prof. Dr. W. sind verspätet; sie wären im übrigen auch unbegründet. Die Ablehnung beider Anträge durch das Landgericht läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
3. Auch auf die Sachrüge hält das Urteil der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
a) Der Schuldspruch läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Im Fall 6 der Urteilsgründe (Darlehen B.) hat das Landgericht den Angeklagten rechtsfehlerfrei als Mittäter angesehen. Er war der an der Tatbegehung wirtschaftlich Interessierte, dem der gesamte Darlehensbetrag über seine geschiedene Ehefrau zufloß, er steuerte und kontrollierte das Handeln der früheren Mitangeklagten J..
b) Soweit die Revision in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt für die Annahme besonders schwerer Fälle eine Gesamtabwägung vermißt, kann ihr nicht gefolgt werden.
Nach § 263 Abs. 3 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes wird ein besonders schwerer Fall durch die Verwirklichung eines der in Satz 2 Nrn. 1 bis 5 bezeichneten Regelbeispiele indiziert. Sind die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben, so bestimmt sich der „Regelstrafrahmen” nach dem erhöhten Strafrahmen; einer zusätzlichen Prüfung, ob dessen Anwendung im Vergleich zu den im Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle geboten erscheint, bedarf es hier nicht (BGH, Urteil vom 11. September 2003 – 4 StR 193/03). Die von der Revision und dem Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung betrifft überwiegend die Regelung des § 263 Abs. 3 StGB a.F., die keine Regelbeispiele, sondern einen unbenannten besonders schweren Fall zum Gegenstand hatte und die zudem gegenüber § 263 Abs. 3 StGB in der geltenden Fassung ein höheres Mindeststrafmaß (ein Jahr statt nunmehr sechs Monate Freiheitsstrafe) vorsah.
Zwar kann die Indizwirkung des Regelbeispiels durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, daß die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint (vgl. BGH NStZ 1999, 244, 245; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 46 Rdnr. 91 m.w.N.). Das Landgericht hat – was rechtlich nicht zu beanstanden ist – in allen Fällen das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB (gewerbsmäßiges Handeln) als erfüllt angesehen. Die Schadenshöhe und die Schadenswiedergutmachung durch den Angeklagten mußte es in diesem Zusammenhang nicht erörtern. Beide Umstände sind in diesem Fall nicht geeignet, die Indizwirkung des Regelbeispiels zu entkräften. Hinsichtlich der jeweils eingetretenen Vermögensgefährdung ist zu berücksichtigen, daß der Angeklagte insgesamt sehr nachhaltig gehandelt hat (vgl. BGHSt 29, 187, 189); die geringste eingetretene Vermögensgefährdung lag immerhin noch bei 620 DM, die höchste bei 18.000 DM, der Gesamtbetrag addiert sich auf 119.246,39 DM. Die spätere Schadenswiedergutmachung in einem Teil der Fälle hatte ebenfalls nicht das Gewicht, die Indizwirkung des Regelbeispiels zu entkräften, zumal das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung und bei der Strafzumessung auf den jeweiligen Betrag der Vermögensgefährdung abgestellt hat. Schließlich hat das Landgericht zu Recht die Täterpersönlichkeit des Angeklagten als Umstand angeführt, der zusätzlich zu der Indizwirkung des Regelbeispiels für die Annahme besonders schwerer Fälle spricht und eine mögliche mildernde Wirkung der Schadenswiedergutmachung allemal wieder aufwiegt. Der Angeklagte ist seit vielen Jahren immer wieder wegen einschlägiger Straftaten zu erheblichen Freiheitsstrafen verurteilt worden, die er auch verbüßt hat, und er hat die hier abgeurteilte Tatserie nach einer Flucht aus Strafhaft wegen einschlägiger Taten begangen.
c) Im Fall 14 der Urteilsgründe hat das Landgericht fehlerhaft einen zu hohen Schadensbetrag zugrunde gelegt. Die frühere Mitangeklagte J. übersandte der Vermieterfirma nacheinander zwei (ungedeckte) Schecks über insgesamt 7.849,63 DM; diesen Betrag legt das Landgericht auch als Schadenssumme zugrunde. Tatsächlich betrug die geschuldete Miete jedoch nur 5.684 DM abzüglich geleisteter 1.000 DM Anzahlung, so daß von einem Schaden bzw. einer Vermögensgefährdung in Höhe von 4.684 DM auszugehen ist. Nach den Strafzumessungskriterien des Landgerichts ist daher in diesem Fall richtigerweise eine Einzelstrafe von acht Monaten anstelle von elf Monaten verwirkt. Der Senat hat den Strafausspruch entsprechend geändert; daß der Tatrichter, wenn er selbst in diesem Fall auf eine drei Monate niedrigere Strafe erkannt hätte, eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, schließt der Senat aus.
d) Auch die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen dreier vorsätzlicher Straftaten jeweils zu Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr verurteilt und dargelegt, daß es den Angeklagten wegen dieser drei Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt hätte, wenn allein aus diesen drei Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden gewesen wäre (vgl. zum Erfordernis einer solchen hypothetischen Gesamtstrafe BGH NJW 1995, 3263 m. Anm. Dölling StV 1996, 542). Die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat der Tatrichter, dem Sachverständigen folgend, rechtsfehlerfrei gestellt. Für die Annahme eines Hanges bedurfte es entgegen der Auffassung der Revision nicht der Feststellung, daß die im Urteil dargestellten Vorfälle aus dem Jahr 2001 wiederum den Tatbestand des Betrugs erfüllen. Allein der festgestellte Umstand, daß der Angeklagte als vermögensloser Haftentlassener einen aufwendigen Lebensstil pflegte, begründet die Annahme, daß er wieder in sein Bestreben, eindrucksvoll und imponierend aufzutreten, verfallen war und damit die Gefahr, sich die Mittel hierfür durch Straftaten zu verschaffen, gegeben ist. Schließlich hat das Landgericht sein ihm durch § 66 Abs. 2 StGB überantwortetes Ermessen (vgl. BGHSt 24, 345, 348; BGH StV 1996, 541; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 1 bis 5) ausgeübt, indem es sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt als auch auf die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Betrugstaten durch den Angeklagten abgestellt hat.
4. Da das Rechtsmittel nur unwesentlichen Erfolg hat, erscheint es nicht unbillig, den Beschwerdeführer in vollem Umfang mit den Kosten und notwendigen Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Kuckein, Otten, Rothfuß, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558154 |
NJW 2004, 2394 |
wistra 2004, 339 |
NJW-Spezial 2004, 282 |
StV 2005, 9 |