Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.01.1985) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. Januar 1985 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten durch das Rechtsmittel erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und auf Einziehung einer Flasche mit 100 ml Äther erkannt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Rechtsmittel bleibt erfolglos.
In den Jahren 1978 bis 1981 wurde der Angeklagte wiederholt gegenüber Frauen gewalttätig, um mit ihnen den Geschlechtsverkehr ausüben zu können. So versuchte er am 30. Mai 1978, eine 17-jährige in einem Fahrstuhl zu vergewaltigen, nachdem er den Notbremsschalter betätigt hatte. Am 29. April 1979 überfiel er in einem wald eine 19-jährige Frau, riß sie zu Boden, würgte sie mit einem Ledergürtel und ließ erst von ihr ab, nachdem sie erklärt hatte, sie habe große Angst vor ihm (UA S. 2). Seiner späteren Ehefrau Anita W. preßte er einen äthergetränkten Wattebausch so lange auf das Gesicht, bis sie bewußtlos war, und vollzog dann mit ihr den Beischlaf. Im Januar 1981 wollte er sie durch einen Schlag mit einem Nudelholz bewußtlos machen, um danach den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuführen, Es gelang Frau W. jedoch, den Schlag abzuwehren (UA S. 3). In der Nacht vom 16. zum 17. Januar 1981 schließlich überfiel er auf der Straße eine 17-jährige Frau in der Absicht, sie zu vergewaltigen. Er drückte seine linke Hand auf ihren Mund und setzte mit der rechten Hand ein Tafelmesser an ihre Kehle. Der Frau gelang es, um Hilfe zu rufen, worauf der Angeklagte flüchtete (UA S. 2 unten/3 oben).
Vom 17. Januar 1981 bis zu seiner bedingten Entlassung am 28. März 1984 befand sich der Angeklagte in Haft. Die nun abgeurteilte Tat beging er am 12. Juni 1984. Nach den Feststellungen suchte er in Frankfurt die Prostituierte Agnes Ba. auf, "um sie mit Ather zu betäuben, sie zu fesseln und sich dann, wenn sie aus der Betäubung erwachte, selbst zu befriedigen". Es gelang ihm auch, Frau Ba. einen mit 50 ml Äther getränkten Wattebausch gegen das Gesicht zu pressen, diese konnte sich jedoch dem Angeklagten entwinden und fliehen (UA S. 6).
I.
Verfahrensrügen
1.
Das Landgericht hatte für die Beurteilung der Fragen, ob der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war, und ob Maßregeln der Besserung und Sicherung angezeigt waren, den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Henning S. von der forensischen Abteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg als Sachverständigen zugezogen. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Einholung eines sexualpsychiatrischen Obergutachtens durch einen vom Gericht zu bestimmenden Sachverständigen. Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, dem Sachverständigen Dr. S. fehle für die Beurteilung der mit dem Triebleben des Angeklagten zusammenhängenden Fragen sowohl die erforderliche sexualpsychiatrische Sonderausbildung als auch die Erfahrung am Krankenbett.
Die Strafkammer entschied über diesen Antrag durch folgenden Beschluß:
"Der Beweisantrag der Staatsanwaltschaft auf Einholung eines sexualpsychiatrischen Obergutachtens wird zurückgewiesen.
Gründe:
Das Gegenteil der Beweisbehauptung ist durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. S. bereits erwiesen, dessen Sachkunde nicht zweifelhaft ist. Es ist nicht ersichtlich, daß das Gutachten Widersprüche enthält oder von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, oder daß ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel verfügt (§ 244 Abs. IV Satz 2 StPO)."
Die Beschwerdeführerin beanstandet zunächst, die Strafkammer habe "§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt, weil sie mit einer bloßen Formelbegründung aufgrund des Gesetzeswortlauts ohne nähere Angabe der diesen Schluß tragenden Tatsachen" den Beweisantrag abgelehnt habe. Sie rügt weiter, das Landgericht habe gegen § 244 Abs. 2 StPO verstoßen. Der Sachverständige Dr. S. habe auf Frage des Staatsanwalts erklärt, er habe keine sexualpathologische Sonderausbildung durchlaufen und auch nicht an einer entsprechenden Spezialklinik gearbeitet. Für die Beurteilung der Verantwortlichkeit des Angeklagten seien aber "spezielle wissenschaftliche Arbeiten und Erfahrungen auf dem Gebiet der Sexualpathologie notwendig". Zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung sei daher die Einholung eines Obergutachtens geboten gewesen.
Die Rügen bleiben ohne Erfolg.
Dabei kann dahinstehen, ob der Vorwurf berechtigt ist, die Strafkammer habe ihren den Beweisantrag ablehnenden Beschluß nur formelhaft- und damit unzureichend - begründet. Denn auf einem Verstoß gegen die Verpflichtung, sich in der ablehnenden Entscheidung mit den im Beweisantrag angegebenen Tatsachen auseinanderzusetzen (BGHSt 10, 116, 118), könnte hier das Urteil nicht beruhen. Der Ablehnungsbeschluß soll den Antragsteller vom Standpunkt des Gerichts unterrichten und ihm Gelegenheit geben, sich damit auseinanderzusetzen und auf die durch ihn entstandene Prozeßlage frei von Irrtum einzurichten (KK-Herdegen, Rn. 64 zu § 244 StPO). Für die Staatsanwaltschaft war aber der Beschlußbegründung, die Sachkunde des Sachverständigen Dr. S. sei nicht zweifelhaft, ohne weiteres zu entnehmen, daß die Strafkammer die Auffassung der Antragstellerin nicht teilte, dem Gutachter fehle die erforderliche sexualpsychiatrische Sachkunde. Hierauf konnte sie ihr weiteres Verhalten einrichten.
Die Strafkammer hat dem Umstand, daß das Verhalten des Angeklagten auf eine Triebanomalie hinwies, durch Zuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen Rechnung getragen (BGH Strafverteidiger 1984, 507). Dr. S. ist, wie die Beschwerdeführerin selbst einräumt (S. 12 der Revisionsrechtfertigung) ein Psychiater und Neurologe mit großer klinischer und forensischer Erfahrung, und zwar auch mit Sexualstraftätern. Zur Einholung eines weiteren Gutachtens mußte sich die Strafkammer daher nicht gedrängt sehen.
Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, der die Zuziehung eines weiteren Sachverständigen erfordert hätte, der über spezielle wissenschaftliche Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Sexualforschung und insbesondere der krankhaften Verirrungen des Trieblebens verfügt (BGHSt 23, 176, 187 ff). Der Angeklagte hatte wiederholt den Geschlechtsverkehr mit Bewußtlosen angestrebt und wollte sich bei der letzten Tat vor einer aus der Betäubung erwachenden Frau selbst befriedigen. Die in diesem Verhalten zum Ausdruck kommende sexuelle Fehlentwicklung ist nicht so außergewöhnlich, daß sie nicht allein durch den hier zugezogenen erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen beurteilt werden konnte. Sie ist nicht mit der Verirrung des Trieblebens vergleichbar, die nach Ansicht des Bundesgerichtshofs in der zitierten Entscheidung die Zuziehung eines weiteren Gutachters erforderlich machte. Denn dort hatte sich ein abartiger, sadistischer, pädophil bezogener Tötungstrieb offenbart, der nach Ansicht mehrerer Sachverständiger als "in dieser Form fast einmalig" anzusehen war (BGH a.a.O. 188).
2.
Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Befangenheitsantrages ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
II.
Sachrüge
Die auf die Sachrüge vorgenommene umfassende Prüfung des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin hat keinen Rechtsfehler aufgedeckt. Der Erörterung bedarf nur folgendes:
1.
Der Vorwurf der Beschwerdeführerin, Sachverständiger und Gericht hätten den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 19, 201, 204; 23, 176, 191, ferner BGHSt 14, 30, 32.) entwickelten "juristischen Krankheitsbegriff" verkannt, ist nicht berechtigt. Die Strafkammer hat, dem Sachverständigen folgend, nicht in Frage gestellt, daß eine Triebstörung eine "schwere seelische Abartigkeit" im Sinne der §§ 20, 21 StGB sein kann. Denn sie hat die sexuelle Fehlentwicklung des Angeklagten entsprechend gewürdigt, ist aber zu dem Ergebnis gelangt, daß diese nicht zu einer im Sinne von § 21 StGB erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Dabei berücksichtigt die Strafkammer einerseits, daß das Verhaltensrepertoire des Angeklagten auf sexuellem Gebiet deutlich abnorm ist und eine gewisse Fixierung erkennen läßt, nimmt aber andererseits an, daß eine fortgeschrittene perverse Ausprägung noch nicht vorliegt, weil das Feld sexueller Wünsche und Praktiken noch vielgestaltig und wandelbar erscheint und der Angeklagte daher nicht auf eine einzige, dranghaft realisierte Form der Selbstbefriedigung angewiesen ist (UA S. 10). Diese Beurteilung ist auf der Grundlage der Feststellungen über das frühere Verhalten des Angeklagten und die nun abgeurteilte Tat aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
2.
Auch die Entscheidung der Strafkammer, von der Anordnung von Führungsaufsicht und der Erteilung von Weisungen abzusehen, hält revisionsrechtlicher Prüfung stand. Zutreffend stellt das Landgericht die Frage in den Mittelpunkt seiner Erörterungen, ob die Weisung an den Angeklagten, sich einer Therapie zu unterziehen (§ 68 b Abs. 2 Satz 2, § 56 c Abs. 3 Nr. 1 StGB) sinnvoll wäre. Denn von den durch die Anordnung der Führungsaufsicht eröffneten Möglichkeiten der §§ 68 a und 68 b StGB, auf den Angeklagten einzuwirken, erscheint angesichts seines Persönlichkeitsbildes, seines bisherigen Werdegangs und der Tatsache, daß er, unter Bewährungsaufsicht stehend, schon wenige Monate nach seiner bedingten Entlassung aus mehrjähriger Haft erneut eine Straftat begangen hat, allenfalls diese Maßnahme erfolgversprechend. Nur eine Therapie mit positivem Ergebnis könnte die Resozialisierung des Angeklagten fördern und damit die Allgemeinheit vor ihm schützen. Das Landgericht ist aber in Übereinstimmung mit dem von ihm als Sachverständigen zugezogenen Psychiater zu dem Ergebnis gelangt, daß nur wenig Aussicht besteht, den Angeklagten durch eine Therapie günstig zu beeinflussen, weil es ihm bisher zwar nicht an Therapieangeboten gefehlt hat, wohl aber an der Bereitschaft, "einen offenen Therapiekontakt im Sinne eines Arbeitsbündnisses mit dem Therapeuten herzustellen" (UA S. 11). Seine Beurteilung, die bestehende Gefahr weiterer Straftaten könne durch Führungsaufsicht und begleitende Weisungen nicht wesentlich gemindert werden, läßt daher einen Ermessensfehler nicht erkennen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018851 |
NStZ 1986, 207 |