Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Handhabung der Strafzumessung in der erneuten Hauptverhandlung und im neuen Urteil, wenn der Schuldspruch schon rechtskräftig war.

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Entscheidung vom 27.06.1961)

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten vom 27. Juni 1961 wird verworfen.

Er hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Dem Angeklagten wird die Untersuchungshaft seit dem 28. Juni 1961, soweit sie drei Monate übersteigt, auf die Strafe angerechnet.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte war vom Landgericht durch Urteil vom 3. Juni 1960, unter Freisprechung im übrigen wegen schweren Diebstahls im Rückfall (Fall N.) und wegen Hehlerei im Rückfall (Fall K.) als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zur Gesamtstrafe von vier Jahren Zuchthaus verurteilt, auch war die Sicherungsverwahrung gegen ihn angeordnet worden. Ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis für immer entzogen. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm auf fünf Jahre aberkannt. Schließlich wurde die Einziehung eines dem Angeklagten gehörenden Pkw-Anhängers ausgesprochen. - Das Landgericht hielt für erwiesen, daß der Angeklagte in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1958 aus dem Betriebsgebäude des Vulkaniseurs N. durch Einbruch und Einsteigen 59 Pkw-Reifen, 8 Räder und 21 KFZ-Achsen entwendet hatte. Bezüglich des weiteren Falles der Verurteilung hatte das Landgericht u.a. festgestellt: In der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1958 war der Lagerschuppen der Firma K. in Augsburg aufgebrochen und daraus ein vollständiges Lkw-Ersatzrad im Wert von etwa 1.100 DM entwendet worden. Anfang Juli 1958 bot dann der Angeklagte dieses Ersatzrad den Eheleuten M. (Bagger- und Kiesgrubenbetrieb in Eisenbrechtshofen) für 170,- DM zum Kauf an. Die Eheleute M. kauften jedoch das Rad nicht. Darauf zerlegte der Angeklagte das Ersatzrad, nahm den Reifen wieder mit fort und ließ die Felge (auf der der Firmenname "K." eingezeichnet war) in der M.'schen Kiesgrube liegen. Das Landgericht hielt für erwiesen, daß der Angeklagte, wenn er schon nicht selbst der Dieb war, um die unrechtsmäßige Herkunft dieses von ihm anderen Leuten zum Kauf angebotenen Rades wußte. Es hat ihn insoweit der Hehlerei im Rückfall für schuldig befunden und ihn dieserhalb unter Anwendung des § 261 Abs. 1 S. 1 StGB verurteilt.

Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Urteil vom 18. Oktober 1960 - 1 StR 433/60 - die Vorentscheidung je mit den Feststellungen aufgehoben: im Fall K. in vollem Umfang, ferner im gesamten Strafausspruch. Insoweit wurde die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Die weitergehende Revision (bezüglich des Schuldspruchs im Fall N.) wurde verworfen. - Das landgerichtliche Urteil wurde hauptsächlich deshalb zum Teil aufgehoben, weil die Strafkammer den § 261 Abs. 1 (Satz 1) StGB angewendet, aber nicht festgestellt hatte, daß der Angeklagte wußte, billigend damit rechnete oder den Umständen nach annehmen mußte, das Ersatzrad stamme gerade aus einem schweren Diebstahl. Im übrigen wies der Bundesgerichtshof, unter Bezugnahme auf BGHSt 12, 386, 388 darauf hin, daß die Darlegungen des Tatrichters zum Fall Kolling nicht eindeutig seien. Auch sei die zur Anwendung des § 20 a (Abs. 1) StGB erforderliche Gesamtwürdigung sehr knapp (S. 4 bis 6 des Urteils des Senats).

Auf Grund der neuen Hauptverhandlung hat die Strafkammer durch Urteil vom 27. Juni 1961 den Angeklagten, außer dem durch das frühere Urteil vom 3. Juni 1960 festgestellten schweren Diebstahl im Rückfall (Fall N.), der Sachhehlerei im Rückfall (§ 261 Abs. 2 StGB; Fall K.) für schuldig befunden. Der Angeklagte wurde dieserhalb als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zur Gesamtstrafe von vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Sicherungsverwahrung wurde angeordnet. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis für immer entzogen. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm auf fünf Jahre aberkannt. Der ihn gehörige Pkw-Anhänger wurde eingezogen.

Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren und des sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel kann keinen Erfolg haben.

II.

1.

Die Revision macht geltend: Um im Fall N. eine neue Strafentscheidung zu treffen, hätte dieser Fall vom erneut erkennenden Gericht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden müssen. Das Landgericht habe dies aber nicht getan und dennoch auch insoweit zum Strafmaß entschieden. Über den Fall N. habe die Strafkammer erstmals im Urteil gesprochen. Bei der Begründung der Strafzumessung (VI des Urteils) habe sich das Landgericht ausschließlich auf seine Kenntnisse aus dem früheren Verfahren gestützt, ohne dies in der verfahrensrechtlich notwendigen Form zum Gegenstand der neuen Hauptverhandlung gemacht zu haben. Dies sei verfahrenswidrig. Auch sei dem Angeklagten insoweit das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) versagt worden. - Diese Rügen können nicht durchgreifen.

a)

Wie schon zu I geschildert, stand im Fall N. der Schuldspruch wegen schweren Diebstahls im Rückfall rechtskräftig fest. Es war daher insoweit vom neu erkennenden Tatrichter nur noch im Rahmen und auf der Grundlage der durch diesen Schuldspruch umgrenzten Schuld die Strafe zu finden (RG HRR 1959 Nr. 1564; vgl. auch RGSt 61, 209, 210; BGHSt 7, 283, 286, 287). Dies übersieht die Revision. Allerdings konnte das nunmehr erkennende teilweise anders als in der ersten Verhandlung besetzte Gericht eine gerechte Strafe für den Fall des schweren Diebstahls im Rückfall nur finden und festsetzen, wenn es in der Verhandlung über den rechtskräftig gewordenen Schuldspruch und seine tatsächlichen Grundlagen ausreichend unterrichtet wurde (§ 261 StPO). Dies ist ausweislich der Sitzungsniederschrift (Bl. 315 ff Bd. II d.A.) in genügender Weise geschehen. Das Verhandlungsprotokoll vom 27. Juni 1961 ergibt unter anderem: Der Angeklagte wurde zunächst zur Person vernommen und erklärte sich dazu. Dann wurde die Strafliste verlesen und vom Angeklagten als richtig anerkannt. Hierauf wurde der Eröffnungsbeschluß verlesene Sodann gab der Vorsitzende bekannt, daß bereits am 2. und 3. Juni 1960 eine Hauptverhandlung stattgefunden hatte und Urteil am 3. Juni 1960 ergangen war. Ferner, daß auf Revision dieses Urteil (Bl. 214/229) durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 1960 (Bl. 242/245) teilweise aufgehoben wurde. "Die Entscheidungssätze dieser beiden Urteile wurden verlesen" (d.h. die Urteilssprüche des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs). Hiernach ist davon auszugeben, daß die Schuldfeststellungen im Falle N. in einer den Erfordernissen des § 261 StPO genügenden Weise in die neue Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Es hätte zwar nichts im Wege gestanden, wenn die Feststellungen und Darlegungen des früheren Urteils zum Schuldspruch im Fall N. und die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vollständig verlesen worden wären. Die hier gewählte Form der Bekanntgabe genügte jedoch ebenfalls den Anforderungen; denn es fehlen verfahrensrechtliche Vorschriften, aus denen sich entnehmen ließe, daß die Beteiligten, insbesondere die Mitglieder des erkennenden Gerichts, unter Ausschluß anderer Möglichkeiten nur in einer ganz bestimmten Weise über einen bereits rechtskräftig gewordenen Schuldspruch unterrichtet werden dürften. Der Angeklagte und sein Verteidiger wußten ja ohnehin, worum, es ging.

b)

Für eine Versagung oder nicht hinreichende Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nichts ersichtlich. Es stand sowohl dem Angeklagten wie seinem Verteidiger frei, auch zur Strafbemessung im Fall N. Ausführungen zu machen und dadurch auf die bevorstehende Entscheidung insoweit ebenfalls Einfluß zu nehmen (vgl. dazu: BVerfGE Bd. 9, 218, 220; 11, 89, 96). Dies ergibt sich auch aus dem Schlußantrag des Verteidigers uni dem letzten Wort des Angeklagten, in dem er um eine milde Strafe bat (Bl. 319, 320 Bd. II d.A.).

c)

Es besteht ferner kein Anhalt dafür, daß die jetzt entscheidende Strafkammer die Erwägungen des früheren Urteils zur Strafzumessung einfach übernommen hat, anstatt darüber neu und selbständig zu befinden. Das Gegenteil ergeben die Strafzumessungsgründe zu VI (S. 18, 19 UA): "Bei der Strafzumessung ist wiederum auch der Fall N., der nur im Schuldausspruch rechtskräftig geworden ist, mit einzubeziehen. Es sind keine Umstände ersichtlich, die zugunsten des Angeklagten sprächen. Bei keiner der abzuurteilenden Taten war er in einer Notlage. ... In beiden Fällen richtete er großen Schaden an. Auch in diesem Zusammenhang fällt ins Gewicht, daß er im Falle N. eine bisher noch nicht gezeigte verbrecherische Intensität an den Tag legte." Die Strafkammer ist also nicht in den (in BGH LM Nr. 3 zu § 267 Abs. StPO = NJW 1951, 413 Nr. 7 erörterten) Fehler verfallen, bezüglich der Strafzumessungsgründe auf ein früheres Urteil zu verweisen.

d)

Es wäre hier vielleicht angängig gewesen, wenn das Landgericht den sehr einfachen Sachverhalt im Fall H. - unter Hinweis auf die Rechtskraft des Schuldspruchs insoweit - im jetzigen Urteil einleitend und in sich geschlossen dargestellt hätte. Bestimmte Regeln lassen sich aber für solche Verfahrenslagen nicht aufstellen (vgl. auch BGH 5 StR 598/61 v. 17. Oktober 1961 S. 3). Der dem rechtskräftigen Schuldspruch im Fall Noack zugrundeliegende Sachverhalt ist im früheren Urteil der Strafkammer ausreichend geschildert worden. Er wird im jetzigen Urteil zwar nicht ausführlich, aber doch in seinen Grundzügen dargestellt (S. 2, 15, 16 UA). Somit läßt sich sagen, daß der neu erkennende Tatrichter bei der Strafzumessung auch im Fall N. von ausreichenden Feststellungen ausgegangen ist. Eine Sachlage, wie sie der Entscheidung BGHSt 1, 51, 52 zugrundelag, war hier nicht gegeben. Eine Aufklärungsrüge ist zudem nicht erhoben.

2.

In der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger beantragt, darüber, daß der Angeklagte labil und leicht beeinflußbar sei, einen Sachverständigen zu hören. Die Strafkammer hat diesen Antrag durch Beschluß abgelehnt. Das Gericht könne die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten selbst beurteilen. Im übrigen könne als wahr unterstellt werden, daß der Angeklagte von labiler Mentalität und leicht beeinflußbar sei.

Die Ablehnung des Beweisantrags ist rechtlich nicht zu beanstanden (§ 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO). Die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) nötigte die Strafkammer zur Erhebung des Beweises nicht. An die Wahrunterstellung hat sich die Strafkammer gehalten. Sie war jedoch nicht genötigt, aus den als wahr unterstellten Tatsachen dieselben Folgerungen zu ziehen wie der Angeklagte und sein Verteidiger (§ 261 StPO; BGH 1 StR 845/51 vom 18. April 1952, Leitsatz in LM Nr. 5 zu § 244 Abs. 3 StPO). Im übrigen ist die Behauptung des Angeklagten (A 5 und B seiner Rev.-Begr.), das unterstellte Beweisthema sei überhaupt nicht erörtert, unrichtig. Das Gegenteil ergibt sich aus S. 12 UA. Von "Auswirkungen des Nervenleidens und seinen Folgen" (UA 5 und B der Rev.-Begr. des Angeklagten) war in dem Beweisantrag keine Rede (vgl. auch S. 16 unten UA). Nach den Feststellungen (S. 16 UA) betraf die Kriegsverletzung des Angeklagten nur eine Verwundung an der rechten Hand und am rechten Oberschenkel.

III.

Auch im übrigen läßt das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler erkennen.

1.

Die Revision kann nicht geltend machen, daß die tatrichterlichen Feststellungen unrichtig seien (§§ 261, 337 StPO). Es kam übrigens im Fall K. ersichtlich nicht darauf an, ob der Angeklagte das Ersatzrad in der Kiesgrube der Eheleute Miller abgeladen hatte. Entscheidend war die Feststellung, daß er dieses Rad, dessen strafbare Herkunft er kannte, als ihm gehörend den Eheleuten M. seines Vorteils wegen zu einem - unter dem Wert liegenden - Preis angeboten hat (S. 3, 6/7 UA). Diebstähle und Hehlereihandlungen in Bezug auf Autoreifen gehörten schon seit langem zu seiner Spezialtätigkeit (S. 11 bis 13, 17 UA). - Im Fall K. hat das Landgericht zwar diesmal den § 261 Abs. 2 StGB zugrundegelegt (S. 7 UA). Dadurch war es aber nicht gehindert, die Einzelstrafe wieder auf zwei Jahre Zuchthaus zu bemessen (S. 19 UA).

2.

Daß der Angeklagte, wie unterstellt, labil und leicht beeinflußbar ist, stand seiner Beurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher in keiner Weise entgegen (vgl. BGH NJW 1957, 1932 Nr. 18). Die Behauptung der Verteidigung, "daß die entwendeten Gegenstände nie von erheblichem Wert waren", widerspricht den Feststellungen (S. 9 ff UA), insbesondere zum Fall Noack (S. 15 UA).

3.

Wenn der Angeklagte zur Frage der Sicherungsverwahrung geltend macht, er habe durchaus noch Kontakt zu seinen Geschwistern, zwei seiner Brüder ständen in Augsburg im öffentlichen Dienst, so kann das Revisionsgericht dieses neue tatsächliche Vorbringen nicht berücksichtigen. Im Urteil ist festgestellt, der geschiedene Angeklagte habe zu seinen Angehörigen keinerlei Verbindung mehr (S. 14, 16, 19 UA). Das weitere muß der Zukunft überlassen bleiben (§ 42 f StGB).

4.

Was die Revision sonst noch geltend macht, geht offensichtlich fehl.

IV.

Somit ist das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen, wie dies im Ergebnis auch der Generalbundesanwalt beantragt hat. Die von ihm beantragte Änderung der Fassung des landgerichtlichen Urteilsspruchs kam nicht in Betracht. Der betreffende Teil des Urteilssatzes des Landgerichts ("Der Angeklagte Hirschvogel ist außer dem im Urteil ... vom 3.6.1960 festgestellten Verbrechen des schweren Diebstahls i.R. schuldig eines weiteren Verbrechens der Sachhehlerei i.R. ...") entsprach der Sach- und Rechtslage (BGH 5 StR 398/61 v. 17. Oktober 1961 S. 3; Kleinknecht/Müller, Anm. 8 zu § 354 StPO; vgl. auch § 260 Abs. 4 Satz 4 StPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018583

NJW 1962, 59

NJW 1962, 59-60 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1962, 150

MDR 1962, 150-151 (Volltext mit amtl. LS)

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