Leitsatz (amtlich)
Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt, ob es mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist, dass § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2426) für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme die Durchführung der Maßnahme in einem Krankenhaus auch bei solchen Betroffenen voraussetzt, die aus medizinischer Sicht gleichermaßen in der Einrichtung, in der sie untergebracht sind und in der ihre gebotene medizinische Versorgung einschließlich ihrer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, zwangsbehandelt werden könnten und die durch die Verbringung in ein Krankenhaus zwecks Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1; BGB § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Fassung: 2017-07-17
Verfahrensgang
LG Paderborn (Entscheidung vom 20.10.2022; Aktenzeichen 5 T 267/22) |
AG Lippstadt (Entscheidung vom 20.09.2022; Aktenzeichen 11 XVII G 492) |
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu folgender Frage eingeholt:
Ist es mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar, dass § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2426) für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme die Durchführung der Maßnahme in einem Krankenhaus auch bei solchen Betroffenen voraussetzt, die aus medizinischer Sicht gleichermaßen in der Einrichtung, in der sie untergebracht sind und in der ihre gebotene medizinische Versorgung einschließlich ihrer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, zwangsbehandelt werden könnten und die durch die Verbringung in ein Krankenhaus zwecks Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden?
Gründe
A.
Rz. 1
Die im Jahr 1963 geborene Betroffene leidet an einer paranoiden Schizophrenie sowie an einem schizophrenen Residuum. Für sie ist deswegen seit dem Jahr 2000 eine Betreuung eingerichtet. Der Aufgabenkreis des Berufsbetreuers (Beteiligter zu 1) umfasst unter anderem die Gesundheitssorge und die Aufenthaltsbestimmung.
Rz. 2
Die Betroffene ist seit dem Jahr 2008 - mit zwischenzeitlichen Klinikaufenthalten - in einem Wohnverbund in L. geschlossen untergebracht. Sie wurde regelmäßig ärztlich in einem dem Wohnverbund nahegelegenen Krankenhaus(L.-Klinik) zwangsbehandelt.
Rz. 3
Mit Schreiben vom 11. August 2022 und 7. September 2022 hat der Betreuer beantragt, für die Betroffene eine (weitere) ärztliche Zwangsmaßnahme mit der Gabe von bis zu 4 ml Haldol Decanoat intramuskulär 28-tägig im Rahmen einer stationsäquivalenten Behandlung auf der Station des von der Betroffenen bewohnten Hauses, hilfsweise in der L.-Klinik, für den Zeitraum von sechs Wochen zu genehmigen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die zur Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme erforderliche Verbringung der Betroffenen in die L.-Klinik, die in der Vergangenheit teilweise nur mittels ihrer Fixierung möglich gewesen sei, führe bei ihr regelmäßig zu einer Retraumatisierung. Dies könne durch eine sog. stationsäquivalente Behandlung, die gleichwertig zu einer vollstationären Krankenhausbehandlung sei, in der Wohneinrichtung der Betroffenen vermieden werden.
Rz. 4
Das Amtsgericht hat die beantragte ärztliche Zwangsmaßnahme (nur) im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus bis zum 1. November 2022 genehmigt; zugleich hat es die zuständige Behörde ermächtigt, auf Veranlassung des Betreuers erforderlichenfalls Gewalt bei der Zuführung der Betroffenen in ein Krankenhaus anzuwenden. Die Durchführung einer stationsäquivalenten Zwangsbehandlung in der Wohneinrichtung der Betroffenen hat es hingegen abgelehnt. Das Landgericht hat die hiergegen von dem Betreuer namens der Betroffenen eingelegte Beschwerde, mit der er weiterhin die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme in der Wohneinrichtung der Betroffenen begehrt hat, zurückgewiesen.
Rz. 5
Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Betroffene - nachdem der Zeitraum für die beantragte Zwangsbehandlung in ihrer Wohneinrichtung nach Einlegung der Rechtsbeschwerde abgelaufen ist - die Feststellung erreichen, dass sie die Beschlüsse von Amtsgericht und Landgericht in ihren Rechten verletzt haben, soweit darin eine Zwangsbehandlung in ihrer Wohneinrichtung abgelehnt worden ist.
B.
Rz. 6
Das Verfahren ist, wie von der Rechtsbeschwerde angeregt, nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen. Nach Überzeugung des Senats ist es mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar, dass § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2426; im Folgenden: aF) für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme - neben den sonstigen materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen - die Durchführung der Maßnahme in einem Krankenhaus auch bei solchen Betroffenen voraussetzt, die aus medizinischer Sicht ebenfalls in der Wohneinrichtung, in der sie untergebracht sind und in der ihre gebotene medizinische Versorgung einschließlich ihrer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, zwangsbehandelt werden könnten und die durch die Verbringung in ein Krankenhaus zwecks Durchführung der Zwangsbehandlung in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden. Zur Verfassungsmäßigkeit ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
I.
Rz. 7
Die Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist eröffnet.
Rz. 8
1. Dem steht nicht entgegen, dass mit § 1906 a BGB aF eine Regelung Vorlagegegenstand ist, die durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) mit Wirkung zum 1. Januar 2023 außer Kraft getreten ist. Im Fall des Außerkrafttretens einer Norm ist eine Richtervorlage eröffnet, wenn durch das Außerkrafttreten eine Erledigung des Ausgangsverfahrens nicht eingetreten und die außer Kraft getretene Regelung für das Verfahren weiterhin entscheidungserheblich ist (vgl. BVerfGE 123, 1 = HFR 2009, 708 mwN). So liegen die Dinge hier.
Rz. 9
Zwar haben sich die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts in der Hauptsache erledigt. Die Erledigung ist aber nicht durch das Außerkrafttreten von § 1906 a BGB aF, sondern durch Zeitablauf eingetreten. Denn nach Einlegung der Rechtsbeschwerde ist der bis zum 1. November 2022 reichende Zeitraum von sechs Wochen, für den der Betreuer die Zwangsbehandlung in der von der Betroffenen bewohnten Einrichtung (im Wege einer stationsäquivalenten Behandlung) beantragt hatte, abgelaufen. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Weiterführung des Verfahrens mit dem ursprünglichen Rechtsschutzbegehren für die Betroffene keinen Sinn mehr, weshalb insoweit Erledigung eingetreten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 7. August 2019 - XII ZB 29/19 - FamRZ 2019, 1816 Rn. 8 mwN).
Rz. 10
Die Vorschrift des § 1906 a BGB aF ist für das Verfahren der Rechtsbeschwerde trotz ihres Außerkrafttretens weiterhin entscheidungserheblich. Denn das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist aufgrund der eingetretenen Erledigung entsprechend § 62 FamFG auf die Feststellung einer Rechtsverletzung durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts gerichtet. Für diese Beurteilung ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidungen maßgeblich (vgl. Prütting/Helms/Abramenko FamFG 6. Aufl. § 62 Rn. 7, 11a). Sowohl im Zeitpunkt des Erlasses der amtsgerichtlichen als auch der beschwerdegerichtlichen Entscheidung war die Vorschrift des § 1906 a BGB aF noch in Kraft, weshalb sie weiterhin den Maßstab für die vom Senat zu treffende Entscheidung bildet. Im Übrigen darf auch gemäß der Nachfolgeregelung des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB, die durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) mit Wirkung zum 1. Januar 2023 eingeführt worden ist, die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme durch das Betreuungsgericht nicht ergehen, wenn die Durchführung der Maßnahme nicht in einem Krankenhaus ergehen soll (vgl. BVerfG FamRZ 2018, 1021 Rn. 16 f.).
Rz. 11
2. Die vorliegend - durch Zeitablauf - eingetretene Hauptsacheerledigung als solche steht der Richtervorlage ebenfalls nicht entgegen.
Rz. 12
a) Im Fall einer Hauptsacheerledigung ist die Richtervorlage eröffnet, wenn auch nach Erledigung ein hinreichend gewichtiges, grundsätzliches Klärungsbedürfnis an der Vorlagefrage fortbesteht (vgl. BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 63).
Rz. 13
Diese Voraussetzung liegt hier vor. Ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass gemäß § 1906 a BGB aF bzw. - nach geltendem Recht - gemäß § 1832 BGB eine ärztliche Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses strikt ausgeschlossen ist, ist nicht geklärt und eine Frage von wesentlicher grundrechtlicher Bedeutung. Denn in Fällen wie dem vorliegenden erhalten Betroffene medizinische Hilfe gegen ihre Grunderkrankung in Form einer ärztlichen Zwangsbehandlung, die eine für sie auch begünstigende Maßnahme der staatlichen Fürsorge darstellt (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - FamRZ 2015, 1484 Rn. 51; vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2016 - XII ZB 369/16 - FamRZ 2017, 49 Rn. 7 zur Betreuung), nur unter Hinnahme einer zusätzlichen - über die ärztliche Zwangsmaßnahme hinausgehenden - erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung, die durch die Verbringung in ein Krankenhaus zwecks Durchführung der Zwangsbehandlung herbeigeführt wird, obwohl diese aus medizinischer Sicht auch in der von ihnen bewohnten Einrichtung erfolgen könnte. Die Vorlagefrage betrifft nicht lediglich einen seltenen Einzelfall und es erscheint gegenüber den schon jetzt von der ungeklärten Verfassungsfrage Betroffenen zudem nicht vertretbar, bis zu einer etwaigen weiteren Vorlage an das Bundesverfassungsgericht abzuwarten (vgl. BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 65 zur ärztlichen Zwangsbehandlung).
Rz. 14
b) Unabhängig davon ist auch nach Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels in Fällen gewichtiger, aber in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse an einer verfassungsgerichtlichen Klärung anzuerkennen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 26. Mai 2022 - 2 BvR 1529/19 - juris Rn. 68).
Rz. 15
Auch diese Voraussetzung liegt hier vor. Denn innerhalb der für ärztliche Zwangsmaßnahmen geltenden Zeitspanne von maximal sechs Wochen (§ 329 Abs. 1 Satz 2 FamFG) kann ein Betroffener eine verfassungsgerichtliche Entscheidung regelmäßig nicht erlangen. Es würde aber der Bedeutung des vom Grundgesetz garantierten Schutzes des Rechts auf körperliche Unversehrtheit bzw. der Bedeutung der hieraus folgenden Schutzpflicht des Staates nicht entsprechen, wenn das Recht auf eine verfassungsgerichtliche Klärung einer insoweit behaupteten Grundrechtsverletzung nach Ablauf eines Zeitraums von (nur) sechs Wochen ohne Weiteres entfiele.
Rz. 16
3. Schließlich wäre die Richtervorlage auch eröffnet, wenn ein gesetzgeberisches Unterlassen vorläge. Zwar kann schlichtes gesetzgeberisches Unterlassen nicht Gegenstand einer Vorlage sein. Ist der Gesetzgeber aber auf einem Gebiet - wie hier auf dem der ärztlichen Zwangsmaßnahmen - bereits tätig geworden und hält ein Gericht die geschaffenen Vorschriften angesichts einer grundrechtlichen Schutzpflicht für unzureichend, ist eine Vorlage möglich (vgl. BVerfGE 159, 183 = NVwZ 2022, 59 Rn. 51; BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 53 ff.).
II.
Rz. 17
Das Amtsgericht und das Beschwerdegericht sind davon ausgegangen, dass eine ärztliche Zwangsbehandlung der Betroffenen in der Wohneinrichtung nicht genehmigungsfähig ist. Zur Begründung haben sie Folgendes ausgeführt:
Rz. 18
Zwar lägen die (allgemeinen) Voraussetzungen des § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 BGB aF für die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsbehandlung vor. Diese dürfe aber gemäß Absatz 1 Satz 1 Nr. 7 dieser Vorschrift nicht im Wege einer stationsäquivalenten Behandlung in der von der Betroffenen bewohnten Einrichtung, sondern ausschließlich im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchgeführt werden. Dies folge aus dem eindeutigen Wortlaut von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF. Eine Zwangsmedikation im Wohnverbund der Betroffenen könne auch nicht mit Sinn und Zweck der Norm oder aus dem Umstand, dass der Wohnverbund der Betroffenen in seiner konkreten Organisation und Ausgestaltung die gesetzlichen Anforderungen der Norm erfülle, begründet werden. Dies würde mit Blick auf den aus der Gesetzesbegründung hervorgehenden entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen die Grenze zulässiger Gesetzesauslegung überschreiten.
Rz. 19
Es werde nicht verkannt, welches tatsächliche und praktische Bedürfnis für ärztliche Zwangsmaßnahmen auch in geschlossenen Wohneinrichtungen gerade bei solchen Betreuten wie der Betroffenen bestehe, bei denen eine medikamentöse Behandlung gegen ihren Willen medizinisch über einen langen Zeitraum indiziert sei. Auch sei die Wohngruppe der Betroffenen entsprechend dem Vortrag des Betreuers so organisiert, dass darin ihre ärztliche Versorgung und Betreuung sichergestellt sei. § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF liege jedoch ein enges Verständnis des Krankenhausbegriffs zugrunde. Darunter falle der Wohnverbund der Betroffenen nicht.
III.
Rz. 20
Die Frage, ob § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF verfassungsgemäß ist, ist für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde erheblich.
Rz. 21
1. Würde die Bestimmung gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen, wäre der Senat an einer Entscheidung gehindert (vgl. Vorlagebeschlüsse des Senats vom 13. Mai 2020 - XII ZB 427/19 - FamRZ 2020, 1275 Rn. 8 und vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - FamRZ 2015, 1484 Rn. 12).
Rz. 22
a) Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 70 Abs. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig.
Rz. 23
Dies gilt auch mit Blick auf das mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Ziel, eine Rechtsverletzung durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts gemäß § 62 FamFG festzustellen. Denn diese Vorschrift ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde entsprechend anwendbar (vgl. Senatsbeschluss vom 22. März 2023 - XII ZB 498/22 - FamRZ 2023, 1234 Rn. 2 mwN). Die Betroffene - als Rechtsbeschwerdeführerin - ist für diesen Antrag auch antragsberechtigt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2016 - XII ZB 623/15 - juris Rn. 4 mwN). Ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 62 Abs. 1 FamFG an der Feststellung liegt schon deshalb vor, weil aufgrund der langandauernden Behandlungsbedürftigkeit eine Wiederholung der Ablehnung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen in ihrer Wohneinrichtung konkret zu erwarten ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 FamFG).
Rz. 24
b) Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist mit dem Amtsgericht und dem Beschwerdegericht davon auszugehen, dass die (allgemeinen) Voraussetzungen für die Genehmigung der vom Betreuer beantragten ärztlichen Zwangsmaßnahme nach § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 BGB aF vorgelegen haben. Zudem ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen, dass, wie von der Rechtsbeschwerde geltend gemacht, eine Zwangsbehandlung der Betroffenen in der von ihr bewohnten Einrichtung im Wege einer sog. stationsäquivalenten Behandlung zu keiner - gegenüber einer Zwangsbehandlung in einem Krankenhaus - besonderen Gefährdung geführt hätte, dass also die Einrichtung, in der die Betroffene untergebracht ist, mit Blick auf die bei ihr erforderliche Zwangsbehandlung auch so organisiert ist, dass darin ihre gebotene medizinische Versorgung einschließlich ihrer erforderlichen Nachbehandlung im Sinne von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF sichergestellt gewesen wäre. Schließlich ist rechtsbeschwerderechtlich zu Grunde zu legen, dass die Verbringung der Betroffenen in ein Krankenhaus zwecks Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme zu erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen (Retraumatisierungen) bei ihr führt.
Rz. 25
Mithin könnte die Rechtsbeschwerde im Fall der Verfassungswidrigkeit von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF Erfolg haben. Dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift nach einer weiteren Sachaufklärung, die im vorliegenden Fall von den Vorinstanzen hinsichtlich der rechtsbeschwerderechtlich zu unterstellenden Tatsachen noch nicht abschließend durchgeführt worden ist, möglicherweise nicht beantwortet werden muss, ändert für den mit der Rechtsbeschwerde (§§ 70 ff. FamFG) angerufenen und daher nur mit der Prüfung von Rechtsverletzungen befassten Senat nichts an der Entscheidungserheblichkeit der von ihm für verfassungswidrig gehaltenen Regelung des § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF (vgl. BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 59; Senatsbeschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - FamRZ 2015, 1484 Rn. 14).
Rz. 26
2. Bei Annahme der Verfassungsmäßigkeit von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF wäre die Rechtsbeschwerde dagegen zurückzuweisen.
Rz. 27
a) Amtsgericht und Beschwerdegericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass eine Zwangsbehandlung der Betroffenen in ihrer Wohneinrichtung nach Auslegung von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF unter Berücksichtigung des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte, des gesetzgeberischen Willens und von Sinn und Zweck der Regelung nicht genehmigungsfähig ist.
Rz. 28
aa) Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung dürfen ärztliche Zwangsmaßnahmen nur in einem „Krankenhaus“ durchgeführt werden. Darunter fällt der von der Betroffenen bewohnte Wohnverbund, bei dem es sich nach Angaben des Betreibers um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung im Sinne des Zweiten Teils des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch handelt - und in dem die abgelehnte ärztliche Zwangsmaßnahme durchzuführen gewesen wäre -, nach dem Wortlaut des § 107 Abs. 1 SGB V sowie dem allgemeinem Sprachgebrauch nicht.
Rz. 29
bb) Sinn und Zweck der Vorschrift können die Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme in der Wohneinrichtung der Betroffenen nicht rechtfertigen. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass der Betreuer vorliegend eine sog. stationsäquivalente Behandlung beantragt hat. Zwar entspricht eine solche nach § 39 Abs. 1 Satz 5 SGB V hinsichtlich der Inhalte sowie der Flexibilität und Komplexität einer vollstationären Krankenhausbehandlung. Kennzeichnend für diese Behandlungsform ist jedoch, dass sie nach § 39 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB V (ausschließlich) im häuslichen Umfeld eines Patienten, vorliegend also (ausschließlich) in der Einrichtung der Betroffenen und damit nicht in einem Krankenhaus im Sinne von § 107 Abs. 1 SGB V durchgeführt wird (vgl. Becker/Kingreen/Becker SGB V 8. Aufl. § 39 Rn. 15). Da durch die Gesetzgebungsgeschichte der eindeutige Wille des Gesetzgebers belegt ist, jegliche ärztliche Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses ausschließen zu wollen, ist nach § 1906 a Abs. 1 BGB aF eine ärztliche Zwangsmaßnahme in der Wohneinrichtung eines Betroffenen auch im Wege einer stationsäquivalenten Behandlung nicht genehmigungsfähig (ebenso Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 7. Aufl. § 1832 BGB Rn. 8; ggf. auch Dodegge in Dodegge/Roth Systematischer Praxiskommentar Betreuungsrecht 6. Aufl. Teil G Rn. 75; aA HK-BUR/Bauer/Braun [Stand: Februar 2018] § 1906 a BGB Rn. 223).
Rz. 30
(1) § 1906 a BGB aF wurde durch das Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2426) eingeführt. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht die Vorgängerregelung des § 1906 Abs. 3 BGB (in der Fassung von Artikel 1 Nummer 3 des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013; BGBl. I S. 266) auf Vorlage des Senats (Senatsbeschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - FamRZ 2015, 1484) insoweit für unvereinbar mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates erklärt, als hiernach eine Zwangsbehandlung für Betreute ausgeschlossen war, die zwar stationär behandelt wurden, aber nicht geschlossen untergebracht werden konnten (BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738).
Rz. 31
Der Gesetzgeber hat sich mit der Einführung von § 1906 a BGB aF dazu entschlossen, die vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Schutzlücke der Vorgängerregelung dahingehend zu schließen, dass die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von dem Erfordernis einer freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt wird (vgl. BT-Drucks. 18/11240 S. 15). Hinsichtlich der Frage, wo die Zwangsbehandlung stattzufinden hat, hat er ausgeführt, mit der normierten Voraussetzung, wonach die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus zu erfolgen habe, sei zugleich die nach geltendem Recht und höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, ob ärztliche Zwangsmaßnahmen auch in anderen geschlossenen Einrichtungen als in Krankenhäusern vorgenommen werden dürften, im Sinne der restriktiven Auffassung entschieden (BT-Drucks. 18/11240 S. 19), also im Sinne derjenigen Ansicht, die eine ärztliche Zwangsmaßnahme außerhalb eines Krankenhauses nicht für zulässig erachtet hatte. Zur Darstellung des vormaligen Streitstands hat der Gesetzgeber auf eine Entscheidung des Landgerichts Bonn (Beschluss vom 11. Dezember 2014 - 4 T 407/14 - FamRZ 2015, 1132) verwiesen (BT-Drucks. 18/11240 S. 19). Diese setzt sich ausdrücklich damit auseinander, dass in bestimmten Fällen mit einer Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses keine besonderen gesundheitlichen Gefahren für Betroffene verbunden sind (LG Bonn FamRZ 2015, 1132, 1133). Der Gesetzgeber hat dies zwar zugestanden, indem er ausgeführt hat, aus medizinischer Sicht könnten Zwangsbehandlungen ambulant etwa in solchen Fällen durchgeführt werden, in denen bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung eine - wie hier - Depotmedikation mit Neuroleptika in regelmäßigen Zeitabständen wiederholt werden solle (BT-Drucks. 18/11240 S. 15). Er hat sich jedoch auch in Ansehung dessen ausdrücklich dagegen ausgesprochen, eine Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses, etwa im Wohn- und sonstigen persönlichen Umfeld eines Betroffenen, zuzulassen. Dies widerspreche den Grundsätzen einer modernen Psychiatrie, wonach Menschen mit psychischen Krankheiten gerade in ihrem Wohn- und sonstigen persönlichen Umfeld vertrauensvolle Unterstützung und Hilfe, nicht jedoch staatlich genehmigten Zwang benötigten (BT-Drucks. 18/11240 S. 15).
Rz. 32
Der Bundesrat hat hiergegen im weiteren Gesetzgebungsverfahren verfassungsrechtliche Bedenken - in Form unverhältnismäßiger Belastungen für Betreute - vorgebracht und gebeten, die Entscheidung zu überprüfen, wonach ärztliche Zwangsmaßnahmen „ausschließlich und ausnahmslos“ im Rahmen eines vollstationären Krankenhausaufenthalts und nicht auch in einer sonstigen Einrichtung, in der die medizinische Versorgung des Betroffenen sichergestellt sei, durchgeführt werden dürften (BT-Drucks. 18/11617 S. 3). Der Gesetzgeber ist dem jedoch - wie bereits im Rahmen früherer Gesetzgebungsvorhaben (vgl.BT-Drucks. 15/2494 S. 7, 30 iVm BT-Drucks. 15/4874 S. 8, 25 ff. iVm Plenarprotokoll 15/158 S. 14830 A; BT-Drucks. 17/11513 S. 6 iVm BT-Drucks. 17/12086 S. 1; vgl. auch BVerfG FamRZ 2022, 49 Rn. 4) - entgegengetreten. Bei einer Ausweitung auf Heime bzw. sonstige Einrichtungen, wie etwa spezialisierte ambulante Zentren, bestehe die Gefahr, dass es zu einer deutlichen Zunahme von Zwangsbehandlungen komme und Alternativen nicht immer sorgfältig geprüft würden (BT-Drucks. 18/11617 S. 5).
Rz. 33
(2) Damit hat es der Gesetzgeber bewusst (vgl. BVerfG FamRZ 2018, 1021 Rn. 8; BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 100) abgelehnt, ärztliche Zwangsmaßnahmen außerhalb eines Krankenhauses vorzusehen, und zwar auch in solchen Fällen, bei denen dies aus medizinischer Sicht ohne Weiteres möglich wäre. Da die Behandlungsform der stationsäquivalenten Behandlung bei Einführung von § 1906 a BGB aF bereits durch Artikel 5 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) vom 19. Dezember 2016 (BGBl. I S. 2986) gesetzlich geregelt war und auch sonst nicht ersichtlich ist, dass diese Form der Behandlung dem Gesetzgeber nicht bekannt gewesen ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers hierfür eine Ausnahme vom Erfordernis einer Krankenhausbehandlung gelten soll. Dies gilt umso mehr, als der vom Gesetzgeber angeführte Grund, staatlich genehmigter Zwang sei im Wohn- und sonstigen persönlichen Umfeld von Menschen mit psychischen Krankheiten zu vermeiden, uneingeschränkt auch für diese Behandlungsform zutrifft.
Rz. 34
(3) Auf die Frage, ob das (weitere) Tatbestandsmerkmal von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF des „stationären“ Krankenhausaufenthalts Auslegungsspielräume beinhaltet bzw. ob dieser Begriff gegebenenfalls auch im Sinne einer „teilstationären“ Krankenhausbehandlung verstanden werden kann (vgl. dazu BVerfG FamRZ 2022, 49 Rn. 44 ff.; Guhling FS Dose 219, 222 f.), kommt es vorliegend nicht an. Denn der Betreuer hat beantragt, die ärztliche Zwangsbehandlung der Betroffenen vollständig in der von ihr bewohnten Einrichtung - und damit im vollen Umfang außerhalb eines Krankenhauses - durchzuführen.
Rz. 35
b) Eine analoge Anwendung von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF auf die beantragte Zwangsbehandlung der Betroffenen in ihrer Wohneinrichtung scheidet ebenfalls aus. Denn die entsprechende Anwendung einer Vorschrift setzt - neben einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte - eine planwidrige Regelungslücke voraus (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juni 2022 - XII ZB 442/20 -FamRZ 2022, 1562 Rn. 19). Diese liegt hier aufgrund der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, jegliche medizinische Zwangsmaßnahme außerhalb eines Krankenhauses auszuschließen, nicht vor.
Rz. 36
c) Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF dahingehend, dass eine Zwangsbehandlung in der Wohneinrichtung der Betroffenen genehmigungsfähig war, kommt mit Blick auf den in dieser Vorschrift eindeutig zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers nicht in Betracht. Denn die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie - wie hier - zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es nämlich, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (vgl. BVerfGE 138, 296 = NJW 2015, 1359 Rn. 132 mwN; Senatsbeschlüsse vom 11. August 2021 - XII ZB 18/21 - FamRZ 2021, 1892 Rn. 27 mwN und vom 13. Mai 2020 - XII ZB 427/19 - FamRZ 2020, 1275 Rn. 37 mwN).
Rz. 37
d) Im Wege richterlicher Rechtsfortbildung kann das von der Betroffenen begehrte Ergebnis ebenfalls nicht erreicht werden. Zwar weist das Bundesverfassungsgericht zutreffend auf den bestehenden „internen Normkonflikt“ des § 1906 a BGB aF zwischen den Zielen des Gesetzgebers hin, einerseits Zwangsmaßnahmen auf das für den Betroffenen notwendige Maß zu beschränken (§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB aF) und möglichst nah an seinem Willen zu bleiben (§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 iVm § 1901 a BGB aF), andererseits aber die ärztliche Zwangsmaßnahme in § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF an einen stationären Krankenhausaufenthalt zu koppeln (vgl. BVerfG FamRZ 2022, 49 Rn. 43). Das Bundesverfassungsgericht hebt in diesem Zusammenhang nämlich mit Recht hervor, dass der (mutmaßliche) Wille eines Betroffenen im Sinne von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB aF gerade auf eine Zwangsbehandlung im Pflegeheim bzw. einer sonstigen Einrichtung als für ihn milderes Mittel (vgl. § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BGB aF) gegenüber einer stationären Behandlung in einem Krankenhaus gerichtet sein kann (vgl. BVerfG FamRZ 2022, 49 Rn. 43). Auch ist es grundsätzlich Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt, das geltende Recht anzupassen und unter Umständen fortzuführen.
Rz. 38
Dieser Aufgabe sind aber durch die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der Gesetzesbindung und der Gewaltenteilung Grenzen gesetzt. Danach ist es ausgeschlossen, dass die Gerichte Kompetenzen beanspruchen, die der Wahrnehmung durch den Gesetzgeber vorbehalten sind, indem sie sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und sich damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen. Vielmehr muss die gesetzgeberische Entscheidung respektiert und der Wille des Gesetzgebers - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung gebracht werden. Eine Norminterpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt ist, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG NJW 2019, 2837 Rn. 41 mwN; BVerfGE 138, 377 = FamRZ 2015, 729 Rn. 35 ff.; Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 - XII ZB 427/19 - FamRZ 2020, 1275 Rn. 38 mwN). Dies schließt es im vorliegenden Fall aus, den internen Normkonflikt des § 1906 a BGB aF im Wege richterlicher Rechtsfortbildung, etwa mittels der vom Bundesverfassungsgericht in Erwägung gezogenen verfassungskonformen teleologischen Reduktion (vgl. BVerfG FamRZ 2022, 49 Rn. 43), dahingehend aufzulösen, unter der Durchführung einer Zwangsmaßnahme in einem Krankenhaus auch die vom (mutmaßlichen) Willen des Betroffenen getragene stationsäquivalente ärztlichen Zwangsbehandlung in seiner Wohneinrichtung zu fassen. Denn eine Zwangsbehandlung in der Wohneinrichtung eines Betroffenen widerspricht dem klaren Wortlaut des Gesetzes, findet im Gesetz keinen Widerhall und ist vom Gesetzgeber weder ausdrücklich noch stillschweigend gebilligt, sondern - im Gegenteil - ausdrücklich und bewusst abgelehnt worden.
Rz. 39
e) Schließlich beruft sich die Rechtsbeschwerde für die vermeintliche Zulässigkeit der Zwangsbehandlung in der Wohneinrichtung der Betroffenen auch ohne Erfolg auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (UN-Behindertenrechtskonvention; BGBl. 2008 II S. 1420), das aufgrund des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008 (BGBl. II S. 1419) in Deutschland Gesetzeskraft hat.
Rz. 40
Zwar sind die in der UN-Behindertenrechtskonvention niedergelegten Grundsätze bei der Auslegung des einfachen Rechts zu beachten (vgl. BVerfG FamRZ 2021, 1055 Rn. 39). Eine Auslegung von § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF dahingehend, dass hiernach eine ärztliche Zwangsmaßnahme außerhalb eines Krankenhauses genehmigungsfähig ist, kommt jedoch aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift und des klar erkennbaren Willens des Gesetzgebers, dies ausschließen zu wollen, auch unter Berücksichtigung der Konventionsbestimmungen nicht in Betracht. Darüber hinausgehend enthält die UN-Behindertenrechtskonvention nicht die für die Rechtmäßigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme bei Betroffenen unabdingbare, die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Eingriffs bestimmende Gesetzesgrundlage (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - FamRZ 2015, 1484 Rn. 37), hier also nicht diejenige, eine ärztliche Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses im Wege einer stationsäquivalenten Behandlung zu legitimieren.
Rz. 41
3. Mithin kommt es für die vom Senat zu treffende Entscheidung darauf an, ob die strikte Koppelung der Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen an die Durchführung in einem Krankenhaus nach § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF verfassungsgemäß ist.
IV.
Rz. 42
Der Senat ist, was vom Bundesverfassungsgericht für Betreute in ambulanter (im Sinne von nicht freiheitsentziehender und auch nicht sonst stationärer) Behandlung bislang ausdrücklich offengelassen worden ist (vgl. BVerfG FamRZ 2022, 49 Rn. 5; BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 100), davon überzeugt, dass es mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist, eine strikte Koppelung der Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen an deren Durchführung in einem Krankenhaus nach § 1906 a BGB aF auch für Fallgestaltungen gesetzlich vorzuschreiben, bei denen Betroffene aus medizinischer Sicht - hier im Wege einer stationsäquivalenten Behandlung - gleichermaßen in der Einrichtung, in der sie untergebracht sind und in der ihre gebotene medizinische Versorgung einschließlich ihrer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, zwangsbehandelt werden könnten und die durch die Verbringung in ein Krankenhaus zwecks Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden.
Rz. 43
1. § 1906 a BGB aF bildete - bis zu seinem Außerkrafttreten - nicht nur die Grundlage für den mit der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte eines Betroffenen. Die Norm stellte sich vielmehr als Bestandteil des staatlichen Erwachsenenschutzes auch als Begünstigung für den Betroffenen dar. Denn die §§ 1896 ff. BGB aF bzw. §§ 1814 ff. BGB dienen auch und insbesondere der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und der Menschenwürde des Betroffenen, der wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht eigenverantwortlich entscheiden kann, sowie dem Schutz seines Lebens und seiner Gesundheit. Dementsprechend stellen sich zivilrechtliche Unterbringungen und ärztliche Zwangsmaßnahmen nicht nur als Grundrechtseingriffe, sondern vor allem auch als den Betroffenen begünstigende Maßnahmen der staatlichen Fürsorge dar. Ihr Zweck besteht neben ihrer die Eingriffsvoraussetzungen festlegenden und damit Grundrechtseingriffe beschränkenden Funktion insbesondere darin, den Anspruch des Betroffenen auf Schutz und Behandlung umzusetzen, wenn er krankheitsbedingt keinen freien Willen bilden kann und sich dadurch erheblich schädigen würde. Dass dies nur mittels schwerwiegender Eingriffe in die Grundrechte des Betroffenen möglich ist, ändert an diesem begünstigenden Charakter nichts (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - FamRZ 2015, 1484 Rn. 48 ff. mwN).
Rz. 44
§ 1906 a BGB aF ist zugleich Ausfluss der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden staatlichen Schutzpflicht. Denn hiernach ist der Staat verpflichtet, hilfsbedürftigen Menschen, die im Hinblick auf ihre Gesundheitssorge unter Betreuung stehen und bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in diese Rechtsgüter. Es stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründet. Danach hat der Staat die Pflicht, sich schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen zu stellen. Auch der Schutz vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit werden von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst(BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 67 ff.; BVerfGE 158, 131 = FamRZ 2021, 1564 Rn. 64). Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen - ungeachtet seiner „Freiheit zur Krankheit“ (BVerfGE 128, 282 = FamRZ 2011, 1128 Rn. 48 mwN) - nämlich nicht einfach sich selbst überlassen (vgl. BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 73). Danach verdichtet sich bei Betreuten, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, diese allgemeine Schutzpflicht unter engen Voraussetzungen zu einer konkreten Schutzpflicht (vgl. BVerfGE 142, 313= FamRZ 2016, 1738 Rn. 71).
Rz. 45
Diese Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist allerdings grundsätzlich unbestimmt. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er dem Grunde nach verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Die Verletzung einer solchen Schutzpflicht liegt nur vor, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfGE 157, 30 = NJW 2021, 1723 Rn. 152; BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 70; vgl. auch BVerfGE 160, 79 = NJW 2022, 380 Rn. 98 f. zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG).
Rz. 46
Die Schutzvorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen jedoch für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf vertretbaren Einschätzungen beruhen (vgl. BVerfG FamRZ 2022, 1690 Rn. 130; BVerfG NJW 2018, 2312 Rn. 32; BVerfG NJW 1996, 651; BVerfGE 88, 203= FamRZ 1993, 899, 906). Der Gesetzgeber muss durch inhaltlich anspruchsvolle materielle und verfahrensrechtliche Voraussetzungen an eine medizinische Zwangsbehandlung sicherstellen, dass die zurücktretenden Freiheitsrechte der Betroffenen - das Recht auf Selbstbestimmung und auf körperliche Unversehrtheit - möglichst weitgehend Berücksichtigung finden (vgl. BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 82). Der Konflikt zwischen den in ihrer Freiheits- und Schutzdimension kollidierenden Grundrechten desselben Grundrechtsträgers ist möglichst schonend aufzulösen (vgl. BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 72). Auch im Rahmen der objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist das Gebot schonender Mittelauswahl zu beachten (vgl. Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz GG [Stand: September 2022] Art. 2 Abs. 2 Rn. 91, 41 Fn. 4).
Rz. 47
2. Gemessen hieran genügt § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Rz. 48
a) Die Regelung ist in Fällen wie dem vorliegenden ungeeignet, das gebotene Schutzziel zu erreichen. Durch sie wird kein angemessener Schutz für die Betroffenen gewährleistet, weil die Ausgestaltung der Norm gegen das Gebot schonender Mittelauswahl verstößt. Denn sie hat zur Folge, dass Betroffene den für sie (auch) begünstigenden Schutz einer ärztlichen Zwangsmaßnahme nur unter Hinnahme von - für die Erreichung des Schutzziels - nicht erforderlichen gesundheitlichen Belastungen erhalten. So muss etwa im vorliegenden Fall die Betroffene für die Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme zur Behandlung ihrer Grunderkrankung in Kauf nehmen, dass sie durch die (gewaltsame) Zuführung in ein Krankenhaus erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen erleidet, obwohl die ärztliche Zwangsmaßnahme aus medizinischer Sicht auch in ihrer Wohneinrichtung durchgeführt werden könnte.
Rz. 49
Hierbei handelt es sich auch nicht um absolute Einzelfälle. Die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 20. Februar 2017 (BT-Drucks. 18/11240 S. 17) lässt erkennen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung, bei denen eine Depotmedikation mit Neuroleptika in regelmäßigen Zeitabständen wiederholt werden soll und bei denen aus medizinischer Sicht die ärztliche Zwangsmaßnahme nicht in einem Krankenhaus durchgeführt werden müsste, eine zahlenmäßig relevante Gruppe darstellen.
Rz. 50
b) Die vom Gesetzgeber angeführten Gründe, weshalb diese - für die Betroffenen - vermeidbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen hinzunehmen sind, beruhen nach Ansicht des Senats auf nicht vertretbaren Einschätzungen, weshalb der Gesetzgeber sein Gestaltungsermessen überschritten hat.
Rz. 51
Das Bundesverfassungsgericht hat sich insoweit bislang auf die Aussage beschränkt, der gesetzliche Ausschluss ambulanter Zwangsbehandlungen beruhe jedenfalls auf Sachgründen, deren Tragfähigkeit nicht von vornherein von der Hand zu weisen sei (vgl. BVerfG FamRZ 2018, 1599 Rn. 7 zu § 1906 a BGB aF; BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 100 zu § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung von Artikel 1 Nummer 3 des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 [BGBl. I S. 266]). Nach Ansicht des Senats tragen die vom Gesetzgeber genannten Gründe die strikte Verweigerung ärztlicher Zwangsmaßnahmen außerhalb eines Krankenhauses jedoch nicht (ebenso Guhling FS Dose S. 219, 227 f.; Spickhoff/Spickhoff Medizinrecht 4. Aufl. § 1832 BGB Rn. 16; ders. in FamRZ 2017, 1633, 1639; wohl auch MünchKommBGB/Schneider 8. Aufl. § 1906 a Rn. 31; BeckOGK/Brilla [Stand: 15. Juni 2023] BGB § 1832 Rn. 48; zweifelnd HK-BUR/Bauer/Braun [Stand: Februar 2018] § 1906 a BGB Rn. 13; aA Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 7. Aufl. § 1832 BGB Rn. 8; wohl auch Dodegge in Dodegge/Roth Systematischer Praxiskommentar Betreuungsrecht 6. Aufl. Teil G Rn. 75).
Rz. 52
aa) Dies gilt zunächst für das vom Gesetzgeber angeführte Ultima-Ratio-Gebot. Danach, so der Gesetzgeber, dürften ärztliche Zwangsmaßnahmen nur als letztes Mittel in Betracht kommen und seien auf ein unvermeidbares Mindestmaß zu reduzieren. Mit einer Zulassung ambulant durchgeführter Zwangsbehandlungen im psychiatrischen Bereich sei jedoch die Gefahr verbunden, dass solche Behandlungen in der Praxis regelmäßig ohne ausreichende Prüfung von weniger eingriffsintensiven Alternativen und damit in vermeidbaren Fällen durchgeführt würden. Es bestünde somit die Gefahr, dass es zu einer deutlichen Zunahme von Zwangsbehandlungen komme. Bemühungen, die Betroffenen unter Verwendung der erforderlichen Zeit von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen, würden durch ambulante Zwangsmaßnahmen konterkariert (BT-Drucks. 18/11240 S. 15; BT-Drucks. 18/11617 S. 5 f.).
Rz. 53
Diese Begründung ist nicht tragfähig. Denn auch eine gesetzlich vorgesehene Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsbehandlung in der Wohneinrichtung eines Betroffenen wäre - selbstredend - von einer vorherigen Genehmigung des Betreuungsgerichts abhängig (vgl. § 1906 a Abs. 2 BGB aF bzw. § 1832 Abs. 2 BGB; BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 85; Guhling FS Dose S. 219, 227). Diese wiederum müsste sich - wie im Fall einer Zwangsbehandlung in einem Krankenhaus - an den Maßstäben des § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 BGB aF bzw. § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 BGB messen lassen. Damit aber wäre die vom Gesetzgeber - zu Recht - eingeforderte sorgfältige Prüfung der Notwendigkeit der Maßnahme (vgl. § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB aF bzw. § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB) bzw. die Prüfung weniger eingriffsintensiver Alternativen (vgl. § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BGB aF bzw. § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BGB) gewährleistet. Gleiches gilt für den vorzunehmenden Überzeugungsversuch gegenüber dem Betroffenen (vgl. § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB aF bzw. § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB).
Rz. 54
Da der Gesetzgeber die in § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 BGB aF getroffenen Schutzmechanismen generell für ärztliche Zwangsbehandlungen hat ausreichen lassen und hieran in der Nachfolgeregelung des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 BGB auch festgehalten hat, muss dies gleichermaßen für medizinische Zwangsmaßnahmen in der Wohneinrichtung eines Betroffenen gelten. Der Gesetzgeber hat mithin nicht nachvollziehbar dargelegt, dass der Zulässigkeit von ärztlichen Zwangsbehandlungen außerhalb von Krankenhäusern das Ultima-Ratio-Gebot entgegensteht.
Rz. 55
bb) Weiter, so der Gesetzgeber, solle mit der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme in einem Krankenhaus sichergestellt werden, dass die Prüfung ihrer Voraussetzungen durch ein „multiprofessionelles Team“ unter Einschluss des Pflegepersonals erfolge (BT-Drucks. 18/11240 S. 15).
Rz. 56
Auch dies kann den strikten Ausschluss einer ärztlichen Zwangsmaßnahme in der von einem Betroffenen bewohnten Einrichtung nicht rechtfertigen. Denn nach § 39 Abs. 1 Satz 4 SGB V erfolgt die - hier vom Betreuer beantragte - stationsäquivalente Behandlung (ebenfalls) durch ein ärztlich geleitetes multiprofessionelles Behandlungsteam (vgl. Noftz in Hauck/Noftz SGB V [Stand: 2023] § 39 Rn. 46b).
Rz. 57
cc) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber ermessensleitend zu § 1906 a BGB aF angeführt, ambulante ärztliche Zwangsmaßnahmen widersprächen den Grundsätzen einer modernen Psychiatrie, wonach Menschen mit psychischen Krankheiten gerade in ihrem Wohn- und sonstigen persönlichen Umfeld vertrauensvolle Unterstützung und Hilfe, nicht jedoch staatlich genehmigten Zwang benötigten (BT-Drucks. 18/11240 S. 15). Insoweit sei der Schutz des privaten Wohnumfelds von Betroffenen sicherzustellen (BT-Drucks. 18/11617 S. 6).
Rz. 58
Diese Erwägungen greifen ebenfalls nicht durch. Denn der Gesetzgeber lässt damit unberücksichtigt, dass es vielfach wesentlich eher dem Wohl und (mutmaßlichen) Willen von Betroffenen entsprechen wird, im eigenen Wohnumfeld behandelt zu werden, als aus diesem möglicherweise gewaltsam (vgl. § 326 Abs. 2 FamFG) - wie hier mittels Fixierungen - herausgerissen, in eine nicht vertraute (stationäre) Krankenhausumgebung verbracht und dort eine erhebliche Zeit festgehalten zu werden (vgl. Guhling FS Dose S. 219, 228). Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die Verbringung eines Betroffenen in ein Krankenhaus mit - wie hier - erheblichen gesundheitlichen Belastungen für den Betroffenen verbunden ist (vgl. dazu auch Klasen/Klasen jM 2018, 46 zu Demenzpatienten).
Rz. 59
So betont auch das Bundesverfassungsgericht, dass angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Kombinationen von Erkrankungen und Behandlungsoptionen die Entscheidungsvorgaben auf Gesetzesebene nicht alle Fallgestaltungen von medizinischen Zwangsmaßnahmen im Einzelnen abbilden können. Vielmehr sei die Evidenz des Abwägungsergebnisses vor allem auf der Anwendungsebene im Einzelfall zu suchen, was unter anderem eine abgestuft intensive Berücksichtigung des natürlichen Willens eines Betreuten verlangen könne(BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 83). Diesem Gesichtspunkt sowie dem vom Gesetzgeber bei Einführung des § 1906 a BGB aF selbst erklärten Ziel, das Selbstbestimmungsrecht von Betreuten zu stärken (BT-Drucks. 18/11240 S. 14, 17), steht die strikte Kopplung einer Zwangsbehandlung an einen Krankenhausaufenthalt jedoch entgegen. Denn § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF stellt damit gerade nicht, wie verfassungsrechtlich geboten, sicher, dass die zurücktretenden Freiheitsrechte der Betroffenen möglichst weitgehend in Form der Beachtung ihres (mutmaßlichen) Willens, durch die Zwangsbehandlung nicht stärker als erforderlich belastet zu werden, Berücksichtigung finden. Mithin wird der Konflikt zwischen den in ihrer Freiheits- und Schutzdimension kollidierenden Grundrechten der Betroffenen durch § 1906 a Abs. 1 BGB aF nicht möglichst schonend aufgelöst.
Rz. 60
Im Übrigen wird im Fall einer - wie hier - stationären Unterbringung eines Betroffenen ohnehin regelmäßig die Möglichkeit bestehen, die ärztliche Zwangsbehandlung außerhalb des eigentlichen Wohnbereichs des Betroffenen durchzuführen. Dies mildert den Eingriff in das private Wohnumfeld eines Betroffenen weiter ab.
Rz. 61
dd) Außerdem könne, so der Gesetzgeber bei Einführung des § 1906 a BGB aF, nur bei einer stationären Krankenhausbehandlung davon ausgegangen werden, dass die im jeweiligen Einzelfall medizinisch oder psychologisch erforderliche Begleitung bzw. Pflege des Betroffenen vor und nach der Behandlung gesichert sei (BT-Drucks. 18/11240 S. 15). Diese Einschätzung ist nicht belegt und widerspricht auch der gesetzlichen Konzeption in § 39 Abs. 5 SGB V.
Rz. 62
ee) Schließlich greift auch der vom Gesetzgeber angeführte Grund, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschluss BGHZ 145, 297 = FamRZ 2001, 149) stelle eine ambulante Zwangsbehandlung gegenüber einer stationären nicht das mildere Mittel dar (BT-Drucks. 18/11617 S. 6), nicht durch. In der vom Gesetzgeber angeführten Entscheidung hat der Senat ausgeführt, dass es sich bei einer zwangsweisen Zuführung zu 14-tägigen ambulanten Medikationen nicht um einen lediglich in der Dauer gegenüber einer stationären Unterbringung beschränkten Eingriff in das Freiheitsrecht eines Betroffenen, sondern um eine andersartige Maßnahme handelt (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 145, 297 = FamRZ 2001, 149, 151). Dem liegt zugrunde, dass für einen Betroffenen, der der zwangsweisen Verbringung in eine Arztpraxis oder Krankenhausambulanz ausgesetzt wird, die ambulante Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme regelmäßig nicht als weniger schwerwiegenden Grundrechtseingriff wahrnehmen wird (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - FamRZ 2015, 1484 Rn. 59; vgl. dazu auch BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 4). Diese Erwägung kommt aber dann nicht zum Tragen, wenn mit der Vornahme der ärztlichen Zwangsmaßnahme in der Wohneinrichtung des Betroffenen - wie in Fällen wie dem vorliegenden - gerade bezweckt wird, die zwangsweise Verbringung (in ein Krankenhaus) zu vermeiden. Dies kann nämlich, wovon auch das Bundesverfassungsgericht ausgeht (vgl. BVerfG FamRZ 2022, 49 Rn. 43), ein milderes Mittel gegenüber einer stationären Krankenhausbehandlung - und damit ein unter dem Gesichtspunkt des Gebots schonender Mittelauswahl vorrangig zu wählendes Mittel - darstellen.
Rz. 63
c) Das mithin nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Schutzkonzept ärztlicher Zwangsmaßnahmen nach § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF wurde auch nicht durch andere vom Gesetz eröffnete Möglichkeiten aufgefangen.
Rz. 64
Das hier (im Zeitpunkt der Einführung des § 1906 a BGB aF) einschlägige Landesrecht - das nordrhein-westfälische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG NRW) vom 17. Dezember 1999 (GV. NRW. S. 662) in der Fassung des zweiten Änderungsgesetzes vom 6. Dezember 2016 (GV. NRW. S. 1062) - konnte schon deshalb nicht zu Gunsten von Betroffenen eingreifen, deren Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses erfolgen sollte, weil das Gesetz nach § 18 Abs. 1 und 5 PsychKG NRW eine ärztliche Zwangsbehandlung nur im Rahmen einer Unterbringung vorsah, die nach § 10 Abs. 2 PsychKG NRW ebenfalls nur in einem Krankenhaus erfolgen durfte. Die nachfolgenden Fassungen dieses Gesetzes haben hieran festgehalten.
Rz. 65
d) Schließlich stehen völkerrechtliche Bindungen durch die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) einer Pflicht des Staates, unter gewissen Voraussetzungen medizinische Zwangsbehandlungen von Betreuten auch außerhalb eines Krankenhauses zu ermöglichen, nicht entgegen (vgl. Guhling FS Dose S. 219, 227). Denn danach sind medizinische Zwangsbehandlungen für den eines freien Willens nicht fähigen Betreuten in hilfloser Lage nicht generell verboten (vgl. dazu BVerfGE 142, 313 = FamRZ 2016, 1738 Rn. 87 ff.; BVerfGE 128, 282 = FamRZ 2011, 1128 Rn. 53). Dann muss dies erst recht für solche ärztliche Zwangsmaßnahmen - wie die hier vom Betreuer beantragte - gelten, die gerade darauf abzielen, die Sicherung und Stärkung der Autonomie von Menschen mit Behinderungen in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 149, 293 = FamRZ 2018, 1442 Rn. 90) und die gewährleisten sollen, dass sich die Maßnahme für den Betroffenen als - gegenüber einer Krankenhausbehandlung - weniger belastend darstellt. Denn nach Art. 12 Abs. 4 Satz 2 BRK haben die Vertragsstaaten (gerade) sicherzustellen, dass bei allen Maßnahmen betreffend die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Wille der betreffenden Person geachtet wird und die Maßnahmen verhältnismäßig sind (vgl. dazu auch BVerfGE 151, 1 = FamRZ 2019, 632 Rn. 74).
Guhling |
|
Günter |
|
Nedden-Boeger |
|
Pernice |
|
Recknagel |
|
Fundstellen