Rn 54
Die Ausbreitung des neuartigen SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) hat in der Bundesrepublik Deutschland zu ganz erheblichen Einschränkungen in allen Bereichen des Privat- und des Wirtschaftslebens geführt. Zur Eindämmung des massiven Anstiegs der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus haben Behörden im März 2020 die Schließung einer Vielzahl von Freizeit- und Kultureinrichtungen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsgeschäften angeordnet und zahlreiche öffentliche Veranstaltungen untersagt. Gesundheitsbehörden haben für Menschen, die sich mit diesem Virus infiziert haben oder die Kontakt mit Infizierten hatten, häusliche Quarantäne angeordnet. In der Folge haben auch Unternehmen des produzierenden Gewerbes ihr Geschäft beschränkt oder eingestellt. Die COVID-19-Pandemie entfaltet negative wirtschaftliche Auswirkungen auf viele Unternehmen, die Insolvenzen nach sich ziehen können. Im Insolvenzfall können nicht nur Gläubiger einen Insolvenzantrag gem. § 14 stellen, sondern sind die Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet. Diese Pflicht ist straf- und haftungsbewehrt. Weitere Haftungsgefahren resultieren etwa aus gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverboten bei eingetretener Insolvenzreife. Auch die Vorstände von Vereinen unterliegen haftungsbewehrten Insolvenzantragspflichten (§ 42 Abs. 2 BGB). Die Unsicherheiten erschweren zudem die Erstellung verlässlicher Prognosen und Planungen, auf welche sich die Vergabe von Sanierungskrediten stützen könnte. Folglich ist die Sanierungskreditvergabe auch mit Haftungs- und Anfechtungsrisiken verbunden, welche die Bereitschaft zur Kreditvergabe weiter hemmen.
Rn 55
Die Bereitschaft von Gesellschaftern zu Gewährung von Darlehen wird durch die Rangsubordination des § 39 Abs. 1 Nr. 5 und flankierende Einschränkungen (§§ 44a, 135 Abs. 1 Nr. 2) gehemmt. Schließlich besteht bei eingetretener Insolvenzreife das Risiko, dass Gläubiger und Vertragspartner des Schuldners erhaltene Leistungen und Zahlungen in einem späteren Insolvenzverfahren infolge einer Insolvenzanfechtung wieder herausgeben müssen. Das kann die Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zum Schuldner gefährden.
Rn 56
Daher hat es unter dem 24.03.2020 einen Gesetzesentwurf gegeben, der zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht diesen Umständen begegnen will. Ziel der insolvenzrechtlichen Regelungen ist es, die Fortführung von Unternehmen zu ermöglichen und zu erleichtern, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden sind oder wirtschaftliche Schwierigkeiten haben.
Rn 57
Das Gesetz ist mit wenigen Anpassungen durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz rückwirkend zum 01.03.2020 in Kraft getreten.
Rn 58
Insolvenzspezifisch wurde durch das o.g. Gesetzeswerk konkret das "Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz – COVInsAG" geschaffen. Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a und nach § 42 Abs. 2 BGB ist danach bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Auf diese Weise erhalten die Unternehmen Gelegenheit die Insolvenz, insbesondere unter Inanspruchnahme der bereitzustellenden staatlichen Hilfen, gegebenenfalls aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen abzuwenden. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflichten soll dann nicht greifen, wenn die Insolvenz nicht auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Die Beweislast dafür liegt bei demjenigen, der sich auf das Bestehen der Antragspflicht beruft.
Rn 59
Bei natürlichen Personen, die nicht der Insolvenzantragspflicht unterliegen, kann auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden.
Rn 60
Aufgrund der anhaltenden pandemischen Lage wurde die Aussetzungspflicht unter bestimmten Prämissen zunächst bis zum 31.12.2020 und sodann bis zum 31.01.2021 ausgesetzt. Eine weitergehende Aussetzung ist bis zum 30.04.2021 vorgesehen. Es wird dabei zwischen einzelnen Insolvenzgründen differenziert und auch in § 2 COVInsAG die Rechtsfolgen für die Aussetzung normiert.
Rn 61
Die Insolvenzantragspflicht soll bis zum 30.04.2021 für Unternehmen ausgesetzt werden, die staatliche Hilfeleistungen aus den zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie aufgelegten Hilfsprogrammen erwarten können. Voraussetzung ist grundsätzlich, dass die Anträge im Zeitraum vom 01.11.2020 bis zum 28.02.2021 gestellt sind. Soweit in diesem Zeitraum aus rechtlichen, insbesondere beihilferechtlichen oder tatsächlichen, insbesondere IT-technischen Gründen noch keine Anträge gestellt werden konnten, soll die Insolven...