2.1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (Abs. 1 Satz 1)
2.1.1 Anwendungsbereich
Rn 3
Ausgangspunkt der Regelung des § 1 COVInsAG ist die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, der nach § 15a InsO alle juristischen Personen unterliegen. Davon erfasst werden die GmbH (§ 13 GmbHG), die AG (§ 1 Abs. 1 AktG), die KGaA (§ 278 Abs. 1 AktG), die Europäische Aktiengesellschaft (SE) [Art. 9 SE-VO], die Genossenschaft (§ 17 Abs. 1 GenG) und die kapitalistischen Personenhandelsgesellschaften (§§ 130a Abs. 2, 177a HGB). Erfasst werden auch die Vor-GmbH und die Vor-AG, da diese nach herrschender Meinung – unter Ausnahme der Strafbarkeitsanordnung – unter § 15a InsO fallen.
Rn 4
Durch Abs. 1 Satz 1 wird aber auch die Insolvenzantragspflicht für den eingetragenen Verein ausgesetzt, die in § 42 Abs. 2 BGB geregelt ist.
Rn 5
Keine Bedeutung für die Aussetzung hat der Umstand, ob die Gesellschaft einer werbenden Tätigkeit nachgeht oder sich in Liquidation befindet, da die Insolvenzantragspflicht in beiden Fällen gilt.
Rn 6
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht besteht dabei für jede Person, die einer solchen unterliegt. Daher findet § 1 COVInsAG auch im Fall der Führungslosigkeit (§ 15a Abs. 3 InsO) Anwendung.
2.1.2 Voraussetzungen
Rn 7
Konkrete Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht werden durch Abs. 1 Satz 1 nicht definiert. Allerdings besteht die Insolvenzantragspflicht nur im sog. Aussetzungszeitraum nicht, der zunächst bis zum 30. September 2020 andauert. Dieser Aussetzungszeitraum kann allerdings durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) nach § 4höchstens bis zum 31. März 2021 verlängert werden. Für die Insolvenzantragspflicht wegen des Insolvenzgrunds der Überschuldung ist ab dem 1. Oktober 2020 Abs. 2 zu beachten (Rdn. 34 f.).
Rn 8
Auch wenn Abs. 1 Satz 1 die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vorbehaltlos für den Aussetzungszeitraum anordnet, ergeben sich aus Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 3 Einschränkungen. Diese bestehen aber nur bei Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit, da Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 3 nur auf diese Bezug nehmen. Die Überschuldung (§ 19 InsO) wird in diesen nicht erwähnt und spielt folglich dort keine Rolle. Daraus folgt, dass die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung somit generell und ausnahmslos für den Aussetzungszeitraum suspendiert ist. Zur Verlängerung des Aussetzungszeitraums für die Insolvenzantragspflicht wegen des Insolvenzgrunds der Überschuldung bis zum 31. Dezember 2020 Rdn. 34 f.
Rn 9
Die Insolvenzantragspflicht wird nach Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht rückwirkend zum 1. März 2020 ausgesetzt, sodass der Aussetzungszeitraum – vorbehaltlich einer Verlängerung durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) nach § 4 – vom 1. März 2020 bis zum 30. September 2020 andauert.
2.1.3 Rechtsfolgen
Rn 10
Mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 COVInsAG ist jede Form der Sanktionierung einer unterlassenden Insolvenzantragstellung trotz Insolvenzreife ausgeschlossen.
Rn 11
Das Recht des Schuldners, einen Insolvenzantrag zu stellen, wird durch § 1 COVInsAG nicht berührt. Daher kann der Schuldner auch für jeden Insolvenzgrund einen Insolvenzantrag im Aussetzungszeitraum stellen. Für Gläubigeranträge ist § 3 COVInsAG zu beachten.
Rn 11a
Soweit eine Insolvenzantragstellung vor dem Aussetzungszeitraum erfolgt ist, wird dieser durch Abs. 1 in keiner Weise berührt. Daher muss ein Insolvenzantrag auch nicht zurückgenommen werden; ebenso wenig kann er im Aussetzungszeitraum zurückgenommen werden.
2.1.3.1 Zivilrechtliche Folgen
Rn 12
Dies gilt vor allem für die zivilrechtlichen Folgen der Haftung der Geschäftsleiter. Daher kann der Geschäftsleiter nicht im Rahmen der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO in Anspruch genommen werden.
Rn 13
Da durch Abs. 1 Satz 1 die Insolvenzantragspflicht insgesamt und nicht nur die Insolvenzverschleppungshaftung gegenüber den Gläubigern ausgesetzt wird, dürfte auch eine Innenhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 AktG wegen der fehlenden Insolvenzantragstellung nicht in Betracht kommen.
Rn 14
Weiterhin kann jeder Haftungstatbestand, der an die Insolvenzantragspflicht anknüpft, konsequenterweise nicht erfüllt werden. Bei entsprechenden vertraglichen Tatbeständen bedarf es einer Auslegung, ob diese an die Insolvenzantragstellung im Sinne von § 15a InsO anknüpfen oder eigenständig und unabhängig davon eingreifen sollen. Ein entscheidendes Indiz dürfte dabei einer Bezugnahme auf § 15a InsO sein.
Rn 15
Nicht eindeutig in Abs. 1 Satz 1 ist geregelt, ob ei...