Rn 7
Von der Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG sollen nach dessen Wortlaut nur solche Zahlungen erfasst werden, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen. Die Formulierung "im ordnungsgemäßen Geschäftsgang" ist dabei auslegungsbedürftig. Der Sinn und Zweck des § 2 COVInsAG ist insofern die Privilegierung des Geschäftsleiters. Dieser soll in seiner Handlungsfreiheit nicht durch die genannten Vorschriften beschränkt werden. Es kann insofern nicht darauf ankommen, welche Zahlungen normalerweise im Fall einer bevorstehenden oder eingetretenen Insolvenz gestattet wären.
Rn 8
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG enthält zwei Regelbeispiele für Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang ergehen. Erfasst werden danach insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs dienen sowie solche Zahlungen, die der Neuausrichtung des Geschäfts im Rahmen einer Sanierung dienen. Die Verwendung des Wortes "insbesondere" macht dabei deutlich, dass nicht ausschließlich Zahlungen zur Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder zur Umsetzung eines Sanierungskonzepts erfasst werden sollen. Gestattet sind vielmehr auch solche Zahlungen, die außerhalb der COVID-19-Krise mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar wären. Dazu zählen unter anderem Zahlungen, die kraft Gesetzes geleistet werden müssen sowie Zahlungen auf Verbindlichkeiten und zur Erfüllung steuerlicher Pflichten.
Rn 9
Fraglich ist jedoch, ob sich durch § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG der Prüfungsmaßstab ändert. Nach einer Ansicht muss der Geschäftsleiter hier, anders als im Normalfall, nicht darauf achten, dass einzelne Gläubiger nicht bevorzugt befriedigt werden. Jedenfalls soweit es sich um Zahlungen handelt, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungsplans dienen. Nicht erfasst wären dann nur solche Zahlungen, die in keinem Zusammenhang mit dem ordnungsgemäßen Geschäftsgang stehen. Darunter fallen Zahlungen, die die wirtschaftliche Basis und damit die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens schwächen, mithin keinen Bezug zur Wiederaufnahme, Fortführung oder Sanierung des Geschäftsbetriebs haben wie z.B. Zahlungen an die Gesellschafter, denen kein Verkehrsgeschäft zugrunde liegt. Ein restriktiverer Ansatz will schon solche Maßnahmen von der Privilegierung ausschließen, die nicht mehr der Erhaltung oder Mehrung der Vermögensmasse im Interesse der Gläubiger dienen. Für ein weiteres Verständnis spricht aber zum einen, dass die Geschäftsleiter in der Krise gerade von den typischen Unsicherheiten in der COVID-19-Krise entlastet werden sollten. Zum anderen entspricht ein weiteres Verständnis auch mehr dem Zweck des § 2 COVInsAG, der nach der Gesetzesbegründung fortführungsbezogen der Stabilisierung des Geschäftsbetriebs und nicht primär der Sicherung der künftigen Insolvenzmasse dienen soll.
Rn 9a
Ob bei einem solchen weiten Verständnis z.B. auch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung geleistet oder Altforderungen befriedigt werden dürfen, ist jedoch unklar. Im Ergebnis geht das Risiko von Zahlungen im Grenzbereich der Privilegierung zulasten der Geschäftsführer. Ebenfalls unklar ist das Verhältnis der Privilegierung von Zahlungen nach Nr. 1 von § 2 Abs. 1 COVInsAG und die Privilegierungen im Anfechtungsrecht nach dessen Nr. 2 und Nr. 4: Können Leistungen aus Sicht des Empfängers nach Nr. 2 und Nr. 4 privilegiert und mithin "anfechtungsfest" sein, aber gleichwohl aus Sicht des leistenden Geschäftsführers gegen eines der rechtsformspezifischen Zahlungsverbote verstoßen? Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass die gesetzgeberische Intention hinter der Nr. 2 und der Nr. 4 von § 2 Abs. 1 COVInsAG nicht voll zur Geltung kommen kann. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Privilegierung von Rückzahlungen eines Gesellschafterdarlehens nach Nr. 2 von § 2 Abs. 1 COVInsAG nach dem Aussetzungszeitraum, aber noch im Privilegierungszeitraum bis 30.09.2023 in den Blick nimmt.