Rn 10
Mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 COVInsAG ist jede Form der Sanktionierung einer unterlassenden Insolvenzantragstellung trotz Insolvenzreife ausgeschlossen.
Rn 11
Das Recht des Schuldners, einen Insolvenzantrag zu stellen, wird durch § 1 COVInsAG nicht berührt. Daher kann der Schuldner auch für jeden Insolvenzgrund einen Insolvenzantrag im Aussetzungszeitraum stellen. Für Gläubigeranträge ist § 3 COVInsAG zu beachten.
Rn 11a
Soweit eine Insolvenzantragstellung vor dem Aussetzungszeitraum erfolgt ist, wird dieser durch Abs. 1 in keiner Weise berührt. Daher muss ein Insolvenzantrag auch nicht zurückgenommen werden; ebenso wenig kann er im Aussetzungszeitraum zurückgenommen werden.
2.1.3.1 Zivilrechtliche Folgen
Rn 12
Dies gilt vor allem für die zivilrechtlichen Folgen der Haftung der Geschäftsleiter. Daher kann der Geschäftsleiter nicht im Rahmen der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO in Anspruch genommen werden.
Rn 13
Da durch Abs. 1 Satz 1 die Insolvenzantragspflicht insgesamt und nicht nur die Insolvenzverschleppungshaftung gegenüber den Gläubigern ausgesetzt wird, dürfte auch eine Innenhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 AktG wegen der fehlenden Insolvenzantragstellung nicht in Betracht kommen.
Rn 14
Weiterhin kann jeder Haftungstatbestand, der an die Insolvenzantragspflicht anknüpft, konsequenterweise nicht erfüllt werden. Bei entsprechenden vertraglichen Tatbeständen bedarf es einer Auslegung, ob diese an die Insolvenzantragstellung im Sinne von § 15a InsO anknüpfen oder eigenständig und unabhängig davon eingreifen sollen. Ein entscheidendes Indiz dürfte dabei einer Bezugnahme auf § 15a InsO sein.
Rn 15
Nicht eindeutig in Abs. 1 Satz 1 ist geregelt, ob eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, der Steuerberater, der Wirtschafts- und Abschlussprüfer sowie der Sanierungsberater wegen einer unterlassenen Einwirkungen bzw. des unterlassenen Hinweises auf die Insolvenzreife der Gesellschaft berührt wird. Da diese Haftung unabhängig von der Insolvenzantragspflicht der Geschäftsleiter steht und darauf basiert, dass diese ihr Insolvenzantragsrecht nicht rechtzeitig ausüben, dürfte diese Haftung durch Abs. 1 Satz 1 nicht berührt werden. Insofern besteht vor allem für Steuerberater auch während des Aussetzungszeitraums die vom IX. Zivilsenat des BGH entwickelte und im Rahmen des steuerlichen Mandats angenommene Pflicht zur Prüfung der Going-Concern-Annahme nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Zudem dürfte eine besondere Hinweispflicht zum Ende des Aussetzungszeitraums bzw. auf den unterschiedlichen Umfang der Insolvenzantragspflicht ab dem 1. Oktober 2020 bestehen. Zur Differenzierung nach Abs. 2 siehe Rdn. 34 f.
Rn 16
Die Auswirkungen der rückwirkenden Anwendung von Abs. 1 Satz 1 (s.o. unter Rdn. 3 ff.) sind nicht abschließend geklärt. Im Grundsatz dürfte davon auszugehen sein, dass nach dem 1. März 2020 entstandene Haftungsansprüche durch das Inkrafttreten des COVInsAG beseitigt wurden und daher nicht mehr bestehen.
2.1.3.2 Strafrechtliche Verfolgung
Rn 17
Ausgeschlossen ist aber auch eine strafrechtliche Verfolgung nach § 15a Abs. 4 bis 6 InsO. Daher kann eine unterlassene Insolvenzantragstellung später auch keine Basis für ein Bestellungsverbot (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. a) GmbHG, § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 lit. a) AktG) sein.
Rn 18
Da mit Abs. 1 Satz 1 nur die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt wird, berührt dieser nicht das Vorliegen einer Insolvenzreife der Gesellschaft. Daher können die Insolvenzgründe (§§ 17–19 InsO) trotzdem vorliegen.