Rn 22
Die Insolvenzantragspflicht wird nach Abs. 1 Satz 2 nicht ausgesetzt, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Diese Aufzählung ist abschließend, sodass keine weiteren Ausnahmetatbestände anzunehmen sind.
Rn 23
Eine nicht unbedingt nachvollziehbare Unterscheidung nimmt § 1 Abs. 1 Satz 2 COVInsAG zwischen der Insolvenzreife und der Zahlungsunfähigkeit vor. So nimmt Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 auf die Insolvenzreife Bezug, bei Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 besteht aber nur ein Bezug auf die Zahlungsunfähigkeit (siehe dazu Rdn. 27 f.). Dieses Problem setzt sich bei Abs. 1 Satz 3 fort (s.u. Rdn. 29 ff.).
Rn 24
Aufgrund der negativen Formulierung in Abs. 1 Satz 2 trifft die Beweislast denjenigen, der sich auf das Fortbestehen der Insolvenzantragspflicht beruft.
Rn 25
Die Regelung des Abs. 1 Satz 2 birgt für die ggf. antragspflichtigen Geschäftsleiter erhebliche Risiken und Unsicherheiten. Diesen kann nicht rechtssicher begegnet werden. Insbesondere die Einschaltung externer Dritter etwa zur Begutachtung der Voraussetzungen von Abs. 1 Satz 2 kann eine Haftung bei einem tatsächlichen Bestehen der Insolvenzantragspflicht wohl nicht ausschließen, auch wenn der externe Dritte in einem Gutachten zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen ist. Inwiefern die im Deliktsrecht entwickelten Grundsätze des Rechtsirrtums oder die im Rahmen der Organhaftung entwickelten Grundsätze des Vertrauens auf externen Rechtsrat in diesem Sachzusammenhang greifen, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.
2.2.1 Kein Beruhen auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) (Abs. 1 Satz 2 Alt. 1)
Rn 26
Das fehlende Beruhen der Insolvenzreife auf den Folgen der Ausbreitung des SARSCoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) führt nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 COVInsAG zu einem Fortbestehen der Insolvenzantragspflicht. Wann genau dies der Fall sein soll, lässt Abs. 1 Satz 2 offen. Allerdings sieht Abs. 1 Satz 3 eine Vermutungsregelung vor, die in der Praxis die wohl entscheidende Bedeutung in diesem Zusammenhang zukommen wird. Ob jenseits dieser Vermutungsregelung des Abs. 1 Satz 3 keine Ursächlichkeit des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) angenommen werden kann, dürfte schwierig zu beantworten sein. Denkbar sind insofern Fälle von Unternehmen, die in ihrem Geschäftsmodell völlig unabhängig von diesen Entwicklungen sind, was allerdings kaum vorstellbar ist.
2.2.2 Keine Aussichten auf Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Satz 2 Alt. 2)
Rn 27
Die Insolvenzantragspflicht besteht ferner fort, wenn keine Aussichten auf Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit bestehen. Dabei lässt Abs. 1 Satz 2 offen, ob diese unter Berücksichtigung der Auswirkungen des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) oder nicht erfolgen muss. Anders gewendet: Kann sich der Geschäftsleiter darauf berufen, dass der Geschäftsbetrieb nach einer vollständigen Aufhebung der allgemeinen Ausgangsbeschränkungen möglicherweise ungehindert fortgesetzt werden kann oder muss er bereits berücksichtigen, dass es zu erheblichen Umsatzeinbußen kommen wird. Aufgrund der bei § 17 InsO maßgeblichen Drei-Wochen-Zeitraums dürfte dieser Frage aber wohl keine zu große Bedeutung zukommen. Da der Gesetzgeber durch das COVInsAG insgesamt die Auswirkungen des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) mildern wollte, dürfte davon auszugehen sein, dass die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne von Abs. 1 Satz 2 ohne die entsprechenden Auswirkungen vorzunehmen ist.
Rn 28
Da die Überschuldung (§ 19 InsO) in Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 nicht genannt wird, muss im Umkehrschluss gefolgert werden, dass diese insofern irrelevant ist.