Rn 17
Auch vor dem Inkrafttreten des COVInsAG galt in der Praxis bereits ein insbesondere durch die Rechtsprechung ausgeformtes Regime, welches die Rahmenbedingungen festgelegt hat, unter denen sich die Risiken der Gewährung von Sanierungskrediten in der Krise eines Unternehmens reduzieren lassen. So hat etwa der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO und mit Blick auf den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners festgestellt, dass sowohl die gesetzliche Vermutung für die Kenntnis des Kreditgebers von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners bei Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit als auch das starke Beweisanzeichen für eine solche Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz im Fall der Inkongruenz ihre Bedeutung verlieren können, wenn die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs ist. Denn in diesem Fall ist die Rechtshandlung von einem anderen, anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen geleitet, und das Bewusstsein der Benachteiligung anderer Gläubiger tritt infolgedessen in den Hintergrund. Ein solcher "ernsthafter Sanierungsversuch" stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch im Zusammenhang mit der Haftung nach § 138 BGB oder § 826 BGB einen "Privilegierungstatbestand" dar, der den Vorwurf der Sittenwidrigkeit und damit im Ergebnis auch die Haftung ausschließt.
Rn 18
Zu einem "ernsthaften Sanierungsversuch" gehört nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein schlüssiges Sanierungskonzept, das in den Anfängen bereits umgesetzt ist. In der Praxis hat sich in diesem Zusammenhang die Erstellung eines Sanierungsgutachtens nach Maßgabe bzw. in Anlehnung an die Maßgaben des IDW S6 als "safe harbor" herausgestellt, dass die positive Fortführungsprognose und die nachhaltige Sanierungsfähigkeit, das heißt die Wiedererlangung der Rendite- und Wettbewerbsfähigkeit des sich in der Krise befindlichen Unternehmens bestätigt.
Rn 19
Die Rechtsprechung zu den sog. Überbrückungskrediten hat die Privilegierung des "ernsthaften Sanierungsversuchs" zudem zeitlich ausgedehnt auf die Phase der Erstellung und Verhandlung eines Sanierungskonzepts und seine gutachterliche Prüfung. Die Liquidität, die erforderlich ist, um den hierfür erforderlichen Zeitraum bis zur Vorlage des Sanierungsgutachtens zu überbrücken, kann ebenfalls als Überbrückungskredit privilegiert zur Verfügung gestellt werden. Aus der engen Zweckbindung der Überbrückungsfinanzierungen ergeben sich zwingend zugleich enge zeitliche Grenzen der Privilegierungswirkung. Die Überbrückungsfinanzierungen zum Zwecke der Prüfung der Sanierungsaussichten sollte daher nur befristet bis zum Abschluss der Prüfung der Sanierungsfähigkeit gewährt werden. Die Frage, wie viel Zeit für die Prüfung der Sanierungsaussichten hinreichend ist, kann nicht mit einer starren Frist beantwortet werden, sondern hängt vom Einzelfall ab. Allerdings wird regelmäßig im Ausgangspunkt eine Frist von drei Monaten für erforderlich, aber auch hinreichend erachtet.
Rn 20
Im Ausgangspunkt stellt sich die Frage, ob dieser bestehenden und insbesondere durch die Rechtsprechung ausgeformten Rahmen für die Kreditgewährung in der Krise auch für die Kreditvergabe in der COVID-19-Krise für die Praxis handhabbar ist. In der aktuellen Situation der COVID-19-Pandemie stellen sich im Hinblick auf diesen Rahmen insbesondere zwei Fragen:
1. |
Wie ist mit dem Umstand umzugehen, dass sich die COVID-19-Pandemie in vielen Fällen auf die Unternehmen wie ein exogener Schock auswirkt, der ad hoc eine Liquiditätskrise auslöst, die bereits zum Eintritt einer materiellen Insolvenz geführt hat (Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO oder auch Überschuldung nach § 19 InsO infolge des Wegfalls der positiven Fortführungsprognose)? |
2. |
Wie ist mit dem Umstand umzugehen, dass Sanierungsgutachten wegen der erheblichen Prognoseunsicherheiten in der aktuellen Situation der COVID-19-Pandemie nicht abgeschlossen werden können, und die Erstellung des Sanierungsgutachtens "bis auf weiteres" ausgesetzt ist? |
Letzteres Problem (Frage 2) ließe sich noch unter Berücksichtigung der Hinweise des Bundesgerichtshofes zum zulässigen Überbrückungszeitraum derart umschiffen, dass man den Überbrückungszeitraum ausdehnt bis zu dem Zeitpunkt der aktuellen Krise, zu dem die erhebliche Prognoseunsicherheit beseitigt ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt das zu, weil der Zeitraum für die Überbrückung ausdrücklich "keine starren Grenzen" kennen soll.
Im Hinblick auf die Frage nach den Folgen eines Eintritts der Insolvenzreife (Frage 1) gilt dagegen, dass die Frist für Sanierungen mit Eintritt der Insolvenzreife auf die Dreiwochenfrist des § 15a InsO verkürzt wird. Das Überbrückungsprivileg bewirkt nämlich keine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und mithin verkürzte sich bislang der Überbrückungszeitraum automatisch mit Eintritt der Insolvenzantragspflicht auf drei Wochen. Vor dem Hintergrund der Au...