Rn 64
Der im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht oder nicht vollständig erfüllte gegenseitige Vertrag wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens umgestaltet.
Die beiderseits noch unerfüllten Ansprüche verlieren mit Verfahrenseröffnung ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind.
4.1 Wahlmöglichkeit des Insolvenzverwalters
Rn 65
Unter den Voraussetzungen des § 103 steht dem Insolvenzverwalter das Recht zu, anstelle des Schuldners den Vertrag zu erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil zu verlangen.
Rn 66
Mit der Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter ändert sich die Rechtsqualität der wechselseitigen Ansprüche; die zunächst aufgrund Verfahrenseröffnung nicht mehr durchsetzbaren Erfüllungsansprüche werden originäre Forderungen der und gegen die Insolvenzmasse. Demgegenüber hat die Erklärung des Insolvenzverwalters, es bei der Nichterfüllung zu belassen, lediglich deklaratorische Bedeutung, der bereits mit Verfahrenseröffnung eingetretene Rechtszustand wird nicht mehr verändert.
Rn 67
Mit den zu beachtenden Ausnahmen in § 107 Abs. 1 und § 106 hat allein der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Vertragserfüllung zu verlangen.
Rn 68
§ 103 setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus, einem vorläufigen Insolvenzverwalter steht das Wahlrecht nicht zu, unabhängig davon, ob auf ihn bereits die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 übergegangen ist. Das Wahlrecht steht dem Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren demgemäß auch dann zu, wenn er selbst im Insolvenzantragsverfahren als "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter einen gegenseitigen Vertrag mit Wirkung für und gegen die (spätere) Insolvenzmasse abgeschlossen oder einem solchen Vertragsabschluss durch den Schuldner als vorläufiger Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zugestimmt hat.
Rn 69
Bei der Ausübung des Wahlrechts ist der Insolvenzverwalter innerhalb der Grenzen des § 242 BGB grundsätzlich frei. Maßstab für die Entscheidung ist das Interesse der Gläubigergesamtheit.
4.2 Erklärung des Insolvenzverwalters
Rn 70
Die Ausübung des Wahlrechts gemäß § 103 ist als insolvenztypische, d.h. nur in einem eröffneten Insolvenzverfahren mögliche Rechtshandlung zu qualifizieren, so dass die Ausübung dieses Gestaltungsrechts nur durch den Insolvenzverwalter selbst, nicht jedoch durch einen Stellvertreter erfolgen kann.
Rn 71
Die Erklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 103 ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, auf welche die Bestimmungen der §§ 130–132 BGB anwendbar sind. Die Erklärung bedarf keiner besonderen Form, auch wenn das Rechtsgeschäft, auf welches sich die Verwaltererklärung bezieht, selbst formbedürftig ist (§ 313 BGB).
Rn 72
Der Insolvenzverwalter kann die Erklärung zur Erfüllungswahl nicht unter eine Bedingung stellen, dies ist ebenso wie eine Erfüllungswahl zu geänderten Vertragskonditionen als Ablehnung der Erfüllung verbunden mit dem Angebot auf Abschluss eines neuen Vertrages zu qualifizieren, da der Insolvenzverwalter hinsichtlich des beiderseits unerfüllten Vertrages nur zwischen der Erfüllung und der Beibehaltung des durch Verfahrenseröffnung eingetretenen Rechtszustandes wählen, nicht aber einseitig den Vertrag modifizieren kann.
Rn 73
Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist zudem nach Zugang unwiderruflich, kann jedoch grundsätzlich nach §§ 119 ff. BGB angefochten werden.
Rn 74
Keinen Anfechtungsgrund stellt ein Irrtum des Insolvenzverwalters über die Rechtsfolgen seiner Erklärung dar, etwa dass das Erfüllungsverlangen dazu führt, dass die Gegenleistung als Masseverbindlichkeit zu erfüllen ist. Eine Anfechtbarkeit kann in Betracht kommen, wenn der Insolvenzverwalter bei Abgabe der Erklärung über den Stand der Vertragsabwicklung geirrt hat, sofern dann nicht ein bloßer Kalkulationsirrtum gegeben ist, nicht aber dann, wenn er in bewusster Unkenntnis gehandelt hat.
Rn 75
Aufgrund der Formfreiheit kommt auch die Abgabe einer Erklärung durch schlüssiges Verhalten des Insolvenzverwalters in Betracht, nicht jedoch durch Stillschweigen.
Rn 76
Für die Beurteilung, ob und mit welchem Inhalt der Insolvenzverwalter konkludent eine Erklärung zum Wahlrecht abgegeben hat, ist maßgebend, welche Bedeutung dem Verhalten der Vertragspartner nach der Verkehrssitte und den Gesamtumständen beimessen konnte und durfte.
Rn 77
Der bewusste Verkauf von Ware durch den Insolvenzverwalter, die unter Eigentumsvorbehalt gestande...